Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 23.08.2007; Aktenzeichen 34 Qs 28/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Eintritt von Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe. Das automatische Eintreten der Führungsaufsicht nach Vollverbüßung einer längeren Freiheitsstrafe könne nicht auf § 7 JGG und § 68f StGB gestützt werden. Insoweit werde Art. 103 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
Entscheidungsgründe
2. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und eine Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg; denn sie ist unbegründet.
a) Ob die Anordnung der Führungsaufsicht als Maßregel der Besserung und Sicherung unter das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 2 GG fällt, oder ob der subsidiär anwendbare Gesetzesvorbehalt, der aus dem Rechtsstaatsprinzip entspringt, anwendbar ist, kann im vorliegenden Fall offen bleiben (vgl. bereits BVerfGE 74, 102 ≪126≫; 83, 119 ≪128≫). Denn es liegt bereits kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, der an den Gesetzesvorbehalt im Bereich des Strafrechts besonders strenge Anforderungen stellt, vor. Die angegriffene Feststellung, dass die Führungsaufsicht eingetreten sei, beruht auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. § 7 JGG, § 68f StGB genügen den Anforderungen, die das Grundgesetz an den Gesetzesvorbehalt im Strafrecht stellt.
Eingriffe in Grundrechte bedürfen einer gesetzlichen Grundlage; dies gilt auch für den Jugendstrafvollzug (vgl. BVerfGE 116, 69 ≪81≫). Dieser Gesetzesvorbehalt ist insbesondere im Bereich des Strafrechts streng: Es muss vorhersehbar sein, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. BVerfGE 71, 108 ≪114≫). Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Dabei ist “Analogie” nicht im engen, technischen Sinne zu verstehen. Ausgeschlossen ist vielmehr jede Anwendung von Strafrecht, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht; der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juni 2006 – 1 BvR 150/03 –, NJW 2006, S. 3050). Eine Auslegung hält auch dann verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr stand, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung das gesetzgeberische Ziel der Norm selbst in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen, an die Stelle der Gesetzesvorschriften inhaltlich eine andere setzen oder den Regelungsinhalt erstmals schaffen (vgl. BVerfGE 48, 40 ≪46 f.≫; 54, 277 ≪299 f.≫; 78, 20 ≪24≫).
Die Auslegung der Gerichte, dass § 7 JGG in Verbindung mit § 68f StGB eine in diesem Sinne hinreichende Grundlage zur Feststellung des Eintritts der Führungsaufsicht darstellt, ist gemessen an diesem Maßstab verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. In § 7 JGG wird allein von “Führungsaufsicht” gesprochen, ohne konkret auf Normen des Strafgesetzbuchs Bezug zu nehmen. Wegen des in § 7 JGG eingeräumten Ermessens könnte die Norm zwar so ausgelegt werden, dass sie allein auf die Normen des Strafgesetzbuchs, die die Anordnung der Führungsaufsicht kraft Richterspruchs vorsehen, wie beispielsweise § 68 Abs. 1 StGB, verweist. Sowohl in der Rechtsprechung der Fachgerichte als auch in der Literatur wurde hingegen stets davon ausgegangen, dass auch die Normen des Strafgesetzbuchs, in denen die Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintritt, umfasst waren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4. September 1997 – 4 Ws 472/97 –, NStZ-RR 1998, S. 61; OLG München, Beschluss vom 25. Februar 2002 – 1 Ws 1040/01 –, NStZ-RR 2002, S. 183 f.; Hanack, in: Leipziger Kommentar zum StGB, Bd. 3, 11. Aufl. 2006, Vor § 68 Rn. 28; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, Vor § 68 Rn. 3; Eisenberg, JGG, 12. Aufl. 2007, § 7 Rn. 33). Dies entspricht einer der weiten Fassung des Wortlauts des § 7 JGG angemessenen Auslegung, auch wenn hierdurch das eingeräumte Ermessen in den Fällen einer Vollverbüßung längerer Freiheitsstrafen vollständig zurücktritt. Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen für eine solche Anwendung; denn das Jugendstrafrecht sieht für die Tätergruppe der Jugendlichen, die eine Jugendstrafe von über zwei Jahren verbüßen, ansonsten keine Formen der nachgehenden Betreuung vor. Dass in § 68f StGB nur von Freiheitsstrafe die Rede ist, hindert diese Auslegung nicht; denn die Anwendbarkeit auch auf Jugendstrafen wird gerade durch § 7 JGG sichergestellt. Wenn an dieser Auslegung auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (BGBl I S. 513) festgehalten wird, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn durch die Klarstellung im Wortlaut des § 68f StGB, dass dieser auch für Gesamtfreiheitsstrafen gilt, wurde an der Verweisung des § 7 JGG nichts geändert. Vielmehr sind Auslegungszweifel, die hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 68f StGB auf die Einheitsjugendstrafe bestanden, beseitigt worden.
Den Unterschieden zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht, die zweifelsohne bestehen, kann einerseits im Rahmen der Ausübung des Ermessens, welches § 7 JGG jedenfalls in Kohärenz mit der Regelung des § 68 Abs. 1 StGB eröffnet, Rechnung getragen werden. Ebenso kann, auch beim Eintritt der Führungsaufsicht von Gesetzes wegen, die konkrete Ausgestaltung der Führungsaufsicht im Jugendstrafrecht den dort vorherrschenden Erziehungsgedanken berücksichtigen.
b) Auch ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Denn aus den gerade erörterten Gründen genügt die gesetzliche Grundlage in § 7 JGG, § 68f StGB den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts. Damit stellen diese Normen eine verfassungsmäßige Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit dar. Dass die Beschränkung im konkreten Fall unverhältnismäßig ist, ist nicht erkennbar und wird auch vom Beschwerdeführer nicht vorgetragen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen