Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerbesteuer: Mindesthebesatz von 200 v. H. verfassungsgemäß
Leitsatz (amtlich)
Zur Gewährleistung des kommunalen Hebesatzrechts in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Bundesgesetzgeber war befugt, die Gemeinden zur Erhebung der Gewerbesteuer zu verpflichten und einen Mindesthebesatz zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse festzulegen, um sog. Steueroasen zu vermeiden und Ausfälle bei der Gewerbesteuerumlage zu verhindern.
2. Eine Beschränkung der Hebesatzautonomie ist mit Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung dieser Autonomie nicht von vornherein unvereinbar. Die Hebesatzautonomie der Gemeinden ist durch die Festsetzung eines Mindesthebesatzes nicht berührt. Das gemeindliche Hebesatzrecht lässt allerdings keine beliebigen Einschränkungen zu.
3. Ein Mindesthebesatz von 200 % wahrt die Grenzen der Zumutbarkeit.
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2 Sätze 1, 3, Art. 72 Abs. 2, Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 6 S. 2; GewStG §§ 1, 16 Abs. 4 S. 2
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
I.
Die Beschwerdeführerinnen, zwei amtsangehörige Gemeinden in Brandenburg, wenden sich mit ihren Kommunalverfassungsbeschwerden gegen die seit dem 1. Januar 2004 aus § 1, § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG sich ergebende Verpflichtung, Gewerbesteuer mit einem Mindesthebesatz von 200 % zu erheben.
1. § 1 Gewerbesteuergesetz (GewStG) lautete in der Bekanntmachung der Neufassung des Gewerbesteuergesetzes vom 15. Oktober 2002 (BGBl I S. 4167) bis zur hier angegriffenen Änderung:
Die Gemeinden sind berechtigt, eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer zu erheben.
Durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2922, nachfolgend: Änderungsgesetz) erhielt die Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 2004 die folgende Fassung:
Die Gemeinden erheben eine Gewerbesteuer als Gemeindesteuer.
Die hier maßgeblichen Absätze des § 16 GewStG lauteten in der Fassung aus dem Jahre 2002:
§ 16 Hebesatz
(1) Die Steuer wird auf Grund des Steuermessbetrags (§ 14) mit einem Prozentsatz (Hebesatz) festgesetzt und erhoben, der von der hebeberechtigten Gemeinde (§§ 4, 35a) zu bestimmen ist.
(2) …
(3) …
(4) Der Hebesatz muss für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen der gleiche sein. Wird das Gebiet von Gemeinden geändert, so kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle für die von der Änderung betroffenen Gebietsteile auf eine bestimmte Zeit verschiedene Hebesätze zulassen.
Durch Art. 2 Nr. 5 des Änderungsgesetzes wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2004 nach Satz 1 folgender Satz eingefügt:
Er beträgt 200 vom Hundert, wenn die Gemeinde nicht einen höheren Hebesatz bestimmt hat.
Bis zu dieser Gesetzesänderung stand es den Gemeinden frei, jeden beliebigen Hebesatz festzusetzen und durch eine Festsetzung des Hebesatzes auf Null von der Erhebung der Gewerbesteuer gänzlich abzusehen.
Die angegriffenen Vorschriften sind erstmals für den Erhebungszeitraum 2004 anzuwenden (§ 36 Abs. 1 GewStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 ≪BGBl I S. 2840≫).
2. Die Beschwerdeführerin zu I. liegt nordöstlich von Berlin in Brandenburg in einer Region, die sie selbst als strukturschwach bezeichnet. Sie hatte im Jahr 2003 640 Einwohner. Versuche, ein vormaliges NVA-Gelände zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben zu nutzen, scheiterten zunächst.
Von 1994 bis 2001 erhoben die beiden Gemeinden B. und F., die am 31. Dezember 2001 zu der Beschwerdeführerin zu I. vereinigt wurden, die Gewerbesteuer nach einem Hebesatz von 300 %. Die Gewerbesteuereinnahmen betrugen in jenen acht Jahren insgesamt etwa 13.600 EUR. Im Jahr 2002 nahm die Beschwerdeführerin zu I. nach einem Hebesatz von nun 20 % rund 1.200 EUR ein. Mit Beschluss vom 24. Juni 2003 setzte die Beschwerdeführerin zu I. für die Jahre 2003 und 2004 den Gewerbesteuerhebesatz auf Null fest. Sie behielt diesen Hebesatz auch nach Inkrafttreten des hier angegriffenen Änderungsgesetzes bei.
Mit dem Verzicht auf die Gewerbesteuer will die Beschwerdeführerin zu I. gezielt einen Anreiz zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben – insbesondere von Dienstleistungs- und Produktionsunternehmen, Bauträgern und Leasinggesellschaften, Immobilien- und Versicherungsmaklern, gewerblichen Vermögensverwaltungen und gewerblichem Grundstückshandel – schaffen. Hierzu wurde eine „Gewerbeförderung F. AG” gegründet, die vor allem mit dem Verzicht auf die Gewerbesteuer als Standortvorteil wirbt. Bis zum 1. Februar 2009 haben sich in der Gemeinde über 93 Unternehmen angesiedelt.
Neben dem Abschluss eines Mietvertrags über Büro- und Gewerberäume verpflichten sich die interessierten Unternehmen in einem mit der Gewerbeförderung F. AG separat abzuschließenden Vertrag zur Zahlung eines „Standortentwicklungsbeitrags”, der der „Abgeltung aller Leistungen im Zusammenhang mit der Bewirtschaftung und Entwicklung des Objekts sowie der Erhaltung und Sicherung des Standortvorteils” dient. Als Ausgleich für den Wegfall der Einnahmen aus der Gewerbesteuer und die Zusicherung, auch künftig einen Null-Hebesatz festzusetzen, wird der Gemeinde ein ausgeglichener Haushalt zugesichert. Aus derartigen Nutzungsentgelten und Sonderumlagen nahm die Beschwerdeführerin in den Jahren 2003 16.200 EUR und 2004 150.000 EUR ein.
3. Die Beschwerdeführerin zu II. liegt im Landkreis Barnim im Land Brandenburg. Sie hat weniger als 800 Einwohner. Im Jahr 2003 waren insgesamt 84 Gewerbetreibende und Unternehmen in der Gemeinde angesiedelt.
Da ihr Haushalt ausgeglichen war, verzichtete die Beschwerdeführerin zu II. für die Jahre 2002 bis 2004 auf die Erhebung von Gewerbesteuer, ohne dass eine Kreditaufnahme in den Haushaltssatzungen vorgesehen werden musste. Der Haushaltsplan für 2004 sei ausgeglichen; eine Zuführung zum Vermögenshaushalt in Höhe von 47.500 EUR sei geplant. Ab dem Jahr 2005 setzte die Beschwerdeführerin zu II. den Hebesatz auf 200 % fest.
II.
1. Die Beschwerdeführerin zu I. wendet sich gegen die Neufassung von § 1 und § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG. Durch die Verpflichtung, Gewerbesteuer zu erheben, sieht sie sich in ihrem Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG verletzt.
Die angegriffene Regelung sei formell verfassungswidrig. Zur Einführung von Mindesthebesätzen fehle dem Bund die Gesetzgebungskompetenz. Art. 105 Abs. 2 GG erlaube dem Bund, zu bestimmen, ob eine Steuer eingeführt werde und wer sie erheben solle. Auch die Besteuerungsgrundlagen und das Verfahren dürfe der Bund regeln. Die Festsetzung der Höhe von Hebesätzen sei aber den Gemeinden vorbehalten. Rahmenregelungen fielen deshalb in die Kompetenz der Länder.
Der Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG sei berührt, weil die Finanzhoheit die Befugnis der Gemeinde zur eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft umfasse. Ein Mindesthebesatz verwehre es der Gemeinde, ihren Finanzbedarf selbst festzulegen und zwinge mittelbar außerdem dazu, einen Hebesatz mindestens in der Höhe des gewogenen Durchschnittssatzes festzusetzen, um eine den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechende Schlüsselzuweisung zu erhalten sowie eine der tatsächlichen Finanzkraft entsprechende Amts- und Kreisumlage bezahlen zu können.
Art. 106 Abs. 6 GG sei zu entnehmen, dass das Hebesatzrecht zum Kernbereich der finanziellen Selbstverwaltung der Gemeinde gehöre. Durch einen Mindesthebesatz werde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen, überhaupt Einnahmen von den ansässigen Gewerbebetrieben zu erzielen. Sie habe sich neue Einnahmequellen, nämlich Nutzungsentgelte und Sondereinnahmen, erschlossen, die entfielen, weil die Unternehmen das Gebiet der Beschwerdeführerin verlassen würden, wenn sie Gewerbesteuer zahlen müssten.
Auch im Randbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts wäre die Einführung von Mindesthebesätzen unzulässig, weil überwiegende Gründe des Gemeininteresses nicht bestünden. Die Einführung der Pflicht, Gewerbesteuer nach einem Mindesthebesatz zu erheben, sei nicht geeignet, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele zu erreichen. Ein Mindesthebesatz gewährleiste keine stetige und verlässliche Einnahmequelle, weil die Gewerbesteuer dann ansässige Unternehmen veranlasse, ins steuergünstigere Ausland abzuwandern. Übermäßige Finanzkraftunterschiede würden durch die angegriffene Regelung nicht verhindert und eine Angleichung der Lebensverhältnisse nicht erreicht, weil durch die Einführung der Gewerbesteuer ansässige Unternehmen verlorengingen, so dass die Finanzkraft der Gemeinde geschwächt und nicht gestärkt werde. Ein Mindesthebesatz sei nicht geeignet, die Bildung von Steueroasen zu verhindern oder Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Gemeinden entgegenzuwirken. Die Einführung von Mindesthebesätzen sei ferner nicht erforderlich. Der Zweck, Steueroasen auszutrocknen, könne auch durch eine Hinzurechnungsbesteuerung (vgl. § 8a GewStG a.F., § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG) erreicht werden. Wären die entsprechenden, nur wenige Monate nach ihrer Einführung wieder aufgehobenen Vorschriften konsequent angewandt worden, dann hätten Abwanderungen in Steueroasen auch ohne Mindesthebesatz verhindert werden können.
Der Mindesthebesatz sei zudem unvereinbar mit dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Steuererhebung. § 75 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Brandenburg verpflichte die Gemeinden, nichtsteuerliche Einnahmequellen vorrangig auszuschöpfen. Gegen diesen Grundsatz müsse die Beschwerdeführerin nun verstoßen, denn es sei ihr bislang gelungen, ihren Haushalt ohne die Gewerbesteuer auszugleichen.
Den Antrag der Beschwerdeführerin zu I., die Vollziehung der angegriffenen Regelungen im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 25. Januar 2005 (BVerfGE 112, 216 ff.) abgelehnt.
2. Die Beschwerdeführerin zu II. wendet sich ebenfalls gegen die Neufassung der § 1 und § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG und sieht sich in ihrem Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG verletzt.
Die angegriffenen Vorschriften seien bereits mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes verfassungswidrig. Die Gesetzesänderung sei in dem Gesetzesentwurf allein mit dem Ziel der „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse” im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG begründet worden. Das eigentliche Ziel der Bundesregierung – die Vermeidung von Steuerausfällen – falle nicht unter diesen Tatbestand. Eine bundesgesetzliche Regelung wäre auch wegen der geringen Anzahl an Gemeinden mit einem Hebesatz von unter 200 % nicht erforderlich gewesen. Ferner habe die Bundesregierung nicht hinreichend ermittelt, ob sich aufgrund der bislang unbegrenzten Hebesatzautonomie der Gemeinden die Lebensverhältnisse in den Ländern in einer Weise auseinanderentwickelten, dass das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigt sei. Die angegriffenen Regelungen seien auch nicht zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich.
Mit der Neufassung des § 1 GewStG werde den Gemeinden die Möglichkeit genommen, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, ob Gewerbesteuer erhoben werden solle. Damit werde in die Finanzhoheit der Beschwerdeführerin eingegriffen, die ebenso wie in den vergangenen Jahren auch zukünftig keine Gewerbesteuer erheben wolle. Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, der als finanzverfassungsrechtliche Spezialregelung gegenüber der kommunalen Finanzhoheit zu qualifizieren sei, bestimme, dass den Gemeinden das Recht einzuräumen sei, die Hebesätze der Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzulegen. Es sei bereits zweifelhaft, ob Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG dahingehend zu verstehen sei, dass den Gemeinden nur die Entscheidung über das „Wie” der Gewerbesteuererhebung zustehe. Jedenfalls verstoße § 1 GewStG gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung und gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.
Die sich aus § 1 GewStG ergebende Pflicht zur Erhebung der Gewerbesteuer sei nicht mit dem in allen Gemeindeordnungen normierten und das gesamte kommunale Haushaltsrecht beherrschenden Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung vereinbar. Die Gemeinden hätten primär andere Einnahmequellen auszuschöpfen – etwa Einnahmen aus der Verwaltung eigenen Vermögens zu nutzen und Entgelte als Gegenleistung für von ihnen erbrachte Leistungen zu erheben –, bevor sie überhaupt zur Erhebung von Steuern berechtigt seien. Die Rangfolge der Einnahmequellen sei kein bloßer Programmsatz, sondern Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips. So habe das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 11. Juni 1993 – 8 C 32/90 –, NVwZ 1994, S. 176 ≪177≫) dargelegt, dass die Gemeinden auf Steuerquellen nur dann zurückgreifen dürften, soweit die sonstigen Einnahmen nicht zur Deckung des Haushalts ausreichten. Es stehe im Ermessen der Gemeinde, ob sie etwa durch Erhöhung von Leistungsentgelten Spielraum zur Senkung der Gewerbesteuerhebesätze schaffe und inwieweit sie zur Deckung ihres Finanzbedarfs aus den ihr zur Verfügung stehenden Steuerquellen schöpfe. Mit der Einführung einer Pflicht zur Erhebung der Gewerbesteuer habe der Bundesgesetzgeber die ihm obliegende Pflicht verletzt, Regelungen so aufeinander abzustimmen, dass die Normadressaten sich nicht gegenläufigen Vorschriften gegenübersehen. Dieser Widerspruch sei auch nicht durch den allgemeinen Vorrang des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht aufzulösen. Denn der landesrechtliche Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung sei nichts anderes als eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots.
Die Regelung des § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG verstoße gegen Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, wonach den Gemeinden das Recht der Hebesatzfestsetzung für die Gewerbesteuer einzuräumen sei. Aus der Formulierung „im Rahmen der Gesetze” könne nicht gefolgert werden, dass der Gesetzgeber ohne weiteres Ober- und Untergrenzen der Hebesätze vorgeben dürfe. Zwar sei das mit der Regelung verfolgte Ziel, so genannte Steueroasen zu verhindern, als solches legitim; die Festsetzung eines Mindesthebesatzes sei jedoch zur Erreichung dieses Ziels weder erforderlich noch geeignet. § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG verbessere die Finanzausstattung des Bundes und der Länder nicht. In Brandenburg werde bei der Berechnung der Zuweisungen im Rahmen des interkommunalen Finanzausgleichs denjenigen Gemeinden, die eine Gewerbesteuer nicht erheben, für jeden Einwohner der Betrag zugerechnet, der dem Ist-Aufkommen der Gewerbesteuer je Einwohner im Landesdurchschnitt entspreche. Auf diese Weise werde auf die Gemeinden ein mittelbarer Druck zur Erhebung der Gewerbesteuer ausgeübt. Damit bestehe zugleich ein milderes Mittel, die Gemeinden zur Erhebung der Gewerbesteuer zu bewegen. Die Festlegung des Mindesthebesatzes führe auch nicht dazu, dass die bislang in Gemeinden mit einem Hebesatz unter 200 % angesiedelten Gewerbebetriebe nunmehr Gewerbesteuer zahlten. Konsequenz des Mindesthebesatzes wäre vielmehr ein Abwandern der Gewerbebetriebe an andere, attraktivere Standorte oder ins Ausland. Eine gleichmäßige Streuung von Gewerbebetrieben im gesamten Bundesgebiet könne damit jedenfalls nicht erreicht werden. Schließlich stehe der mit der Festsetzung eines Mindesthebesatzes verfolgte Zweck außer Verhältnis zu dem Eingriff in die finanzielle Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden.
III.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben die Bundesregierung, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Zentralverband des Deutschen Handwerks, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag, der Deutsche Städtetag sowie der Deutsche Landkreistag Stellung genommen.
1. Die Bundesregierung hält die angegriffenen Regelungen für verfassungskonform. Die Festlegung eines Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer durch den Bundesgesetzgeber sei von Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gedeckt und verletze auch nicht die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG.
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergebe sich aus Art. 105 Abs. 2 GG. Zwar sei die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG nicht ohne weiteres auf die Finanzverfassung übertragbar. Aber selbst nach den dort formulierten Maßstäben sei zur Wahrung der Rechtseinheit und der Wirtschaftseinheit gemäß Art. 72 Abs. 2 GG eine bundeseinheitliche Regelung nicht nur des Steuergegenstands und der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer, sondern auch eines Mindesthebesatzes erforderlich. Der Mindesthebesatz verhindere Steueroasen und damit Verzerrungen innerhalb des Bundesgebiets durch rein steuermotivierte Standortverlagerungen. In den letzten Jahren hätten zunehmend mehr Gemeinden einen Hebesatz von unter 200 % oder einen Null-Hebesatz festgesetzt. Die Notwendigkeit, der Entstehung von Steueroasen entgegenzutreten, lasse sich anhand einer schleswig-holsteinischen Gemeinde belegen, in der sich bis 2001 280 Kapitalgesellschaften, 122 Personengesellschaften, 19 Einzelunternehmen und acht Grundstücksgemeinschaften angemeldet hätten, was bereits im Jahr 1995 zu einer Verkürzung des Bundesanteils an der Gewerbesteuerumlage um 1,5 Mio. DM geführt habe.
Die Regelung stehe auch nicht im Widerspruch zu Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG. Weder Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG noch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG begründeten eine institutionelle Garantie der Gewerbesteuer; vielmehr werde den Gemeinden nur ein Hebesatzrecht für eine wirtschaftskraftbezogene Steuer eingeräumt. Das Hebesatzrecht stehe zudem sowohl nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG als auch nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 3 GG unter Gesetzesvorbehalt. Hieraus ergebe sich auch, dass das Hebesatzrecht der Gemeinden nicht insgesamt und ohne Einschränkung dem Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts zuzurechnen sei. Ein Eingriff in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Mindesthebesatz deutlich zu hoch angesetzt werde oder der Spielraum der Kommunen zwischen Mindest- und Höchstsatz so gering sei, dass der notwendige eigenverantwortliche Entscheidungsspielraum zu stark eingeengt werde.
Die Festlegung eines bundeseinheitlichen Mindesthebesatzes sei sachlich gerechtfertigt. Sie habe den Zweck, so genannte Steueroasen und damit Wettbewerbsverzerrungen zwischen einzelnen Kommunen auch über die Ländergrenzen hinweg zu verhindern. Ferner werde dadurch die Basis der Gewerbesteuerumlage für Bund und Länder gesichert. Im Ergebnis stünden gewichtige Gemeinwohlinteressen der einseitigen Ausrichtung von Kommunen auf die Ansiedlung von allein auf Steuervermeidung angelegten Briefkastenfirmen gegenüber.
Die Beschwerdeführerinnen könnten sich nicht auf den kommunalrechtlichen Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung berufen. Hierbei handle es sich um einfaches Landesrecht, das den Bundesgesetzgeber nicht binde und auch nicht zu einem Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung führen könne.
2. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass es über die mit den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen Fragen noch nicht entschieden habe und entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen auch keine Entscheidungen existierten, die Rückschlüsse auf einen bestimmten rechtlichen Standpunkt des Gerichts zuließen. Insbesondere enthielten die beiden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus den Jahren 1991 und 1993 nicht die ihnen von den beschwerdeführenden Gemeinden entnommenen Aussagen zu den konkreten Fallfragen.
3. Der Bundesfinanzhof teilte mit, dass weder der I. noch der VIII. Senat bislang mit den aufgeworfenen Rechtsfragen befasst gewesen seien. Beide Senate halten die angegriffenen Regelungen für verfassungsrechtlich unbedenklich.
Der I. Senat hält den Bundesgesetzgeber aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG für befugt, einen Mindesthebesatz festzusetzen. Der Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts bleibe hiervon unberührt, soweit nicht der Gesetzgeber Mindest- und/oder Höchsthebesätze festlege, die die Bandbreite der zulässigen oder wirtschaftlich durchsetzbaren Hebesätze derart einenge, dass den Gemeinden kein nennenswerter Spielraum verbleibe.
Nach Ansicht des VIII. Senats steht dem Gesetzgeber auch nach der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit eines Mindesthebesatzes eine weitgehende Einschätzungsprärogative zu. Das Ziel, übermäßige Finanzkraftunterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden zu verhindern, eine Angleichung der Lebensverhältnisse herbeizuführen und die Bildung von Steueroasen und damit eine Wettbewerbsverzerrung zu verhindern, habe der Gesetzgeber als mit der Einführung eines bundeseinheitlichen Mindesthebesatzes erreichbar ansehen dürfen. Ferner sei weder von einer Verletzung des Kernbereichs der durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten Selbstverwaltungs- und Finanzautonomie der Gemeinden noch von einem unverhältnismäßigen Eingriff in diese auszugehen.
4. Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. hält die angegriffenen Regelungen für verfassungswidrig. Er ist der Auffassung, dass die angegriffenen Regelungen bereits nicht von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gedeckt seien. Sie dienten weder der Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen im Bundesgebiet noch der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit.
Ferner liege ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 GG vor. Die Hebesatzhoheit als Teil der kommunalen Finanzhoheit gehöre ausweislich Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG zum verfassungsrechtlich garantierten Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie. Zudem habe die Festlegung eines Mindesthebesatzes im kommunalen Finanzausgleich die Folge, dass die beschwerdeführenden Gemeinden die ihnen hieraus erwachsenden finanziellen Nachteile nur durch die Anhebung ihres Hebesatzes auf den Landesdurchschnitt vermeiden könnten. Dadurch werde die kommunale Hebesatzhoheit nicht nur eingeschränkt, sondern gänzlich aufgehoben.
5. Nach Ansicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks e.V. sind die angegriffenen Regelungen nicht mit der Verfassung vereinbar. Der Bundesgesetzgeber habe hinsichtlich der Kommunal- und Gemeinschaftssteuern lediglich die Kompetenz zur Festlegung der Besteuerungsgrundlagen, des Verfahrens und des Steuergläubigers, nicht aber zur Festlegung eines Mindesthebesatzes. In die Finanzautonomie der Gemeinden werde eingegriffen, weil diese zur Erhebung einer Steuer verpflichtet würden, die sie weder wollten noch benötigten. Schließlich stehe die Pflicht zur Erhebung der Gewerbesteuer in Widerspruch zu § 75 Abs. 2 Nr. 2 Gemeindeordnung für das Land Brandenburg, wonach die Gemeinden sich vorrangig durch die Erhebung von speziellen Gebühren und Entgelten finanzieren sollen.
6. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag ist der Auffassung, der Steuergesetzgeber dürfe zwar prinzipiell das Hebesatzrecht der Gemeinden näher ausgestalten; jedoch sei dies durch landesgesetzliche Regelungen erreichbar, so dass die angegriffenen Regelungen im Ergebnis verfassungswidrig seien.
7. Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag halten in einer gemeinsamen Stellungnahme die angegriffenen Regelungen für eine im Ergebnis verfassungsgemäße Reaktion auf das Problem der Gewerbesteueroasen. Zwar stelle die Verpflichtung zur Erhebung der Gewerbesteuer und die Festlegung eines Mindesthebesatzes einen gravierenden Eingriff in die kommunale Finanzautonomie dar. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierte kommunale Finanzautonomie sei jedoch zur Bekämpfung von Steueroasen, die zu einer faktischen Erosion des Systems der Gewerbesteuer führen könne, gerechtfertigt und auch eine Verletzung des in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG gewährleisteten Rechts der Gemeinden auf Festsetzung des Gewerbesteuerhebesatzes sei im Ergebnis nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
B.
Die zulässigen Verfassungsbeschwerden sind nicht begründet.
Die Bestimmungen des § 1 und des § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG in der Fassung des Art. 2 Nr. 1 und Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2922) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
I.
Die angegriffenen Regelungen sind durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG gedeckt.
1. a) Dem Bund steht hier das Recht zur Gesetzgebung nur zu, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind, weil dem Bund das Aufkommen der Gewerbesteuer trotz der Gewerbesteuerumlage weder ganz noch zum Teil originär zusteht (Art. 105 Abs. 2 GG). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen, geht über eine bloße Vertretbarkeitskontrolle hinaus (BVerfGE 106, 62 ≪148≫). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG dürfen nicht allein am Gesetzesziel überprüft werden, vielmehr muss die Kompetenz auch nach den tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes, soweit sie erkennbar und vorab abschätzbar sind, beurteilt werden. Hierbei genügt es, wenn mit Hilfe des Gesetzes der gewünschte Erfolg gefördert werden kann.
Grundsätzlich gebührt bei gleicher Eignung von Regelungen zur Erfüllung der grundgesetzlichen Zielvorgaben den Ländern der Vorrang (Art. 30, Art. 70 GG). Erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG ist eine bundesgesetzliche Regelung nur insoweit, als ohne sie die dort genannten und vom Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommenen Zielvorgaben nicht oder nicht hinlänglich verwirklicht werden. Der Bund hat kein Recht zur Gesetzgebung, wenn landesrechtliche Regelungen zum Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten gesamtstaatlichen Rechtsgüter ausreichen; dabei genügt allerdings nicht jede theoretische Handlungsmöglichkeit der Länder, gleich lautende Ländergesetze zu erlassen. Sinn der föderalen Verfassungssystematik ist es, den Ländern eigenständige Kompetenzräume für partikular-differenzierte Regelungen zu eröffnen (BVerfGE 106, 62 ≪150≫; 111, 226 ≪254≫).
Bei der Beurteilung, ob die Rechtfertigungsgründe nach Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen, steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Dieser Entscheidungsraum des Gesetzgebers, der sachbereichsbezogen im Wege einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln ist, kann verfassungsgerichtlich auf seine methodischen Grundlagen und seine Schlüssigkeit hin überprüft werden (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪150 ff.≫; 111, 226 ≪255≫).
b) Die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erstreckt sich zunächst auf die Frage, ob dem Bundesgesetzgeber überhaupt das Gesetzgebungsrecht für den zu regelnden Sachbereich zusteht („wenn … erforderlich”), aber auch („und soweit … erforderlich”) auf das Ausmaß der Regelungsbefugnis des Bundes (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪149≫); insoweit gelten die allgemeinen Vorgaben auch für die Steuergesetzgebungskompetenzen nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG (Seer/Drüen, in: Kluth, Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 105 Rn. 4 f.; Jachmann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 105 Rn. 47; Siekmann, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 105 Rn. 21 ff.; Korte, Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung, 2008, S. 65; Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland – Schweiz, 1997, S. 49 f.; Vogel/Walter, in: Bonner Kommentar, Bd. 13, Art. 105 Rn. 81 ≪Juli 2004≫). Dies folgt aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Gesetzes – Art. 105 Abs. 2 GG verweist ohne Einschränkungen auf die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG – und aus seiner Entstehungsgeschichte. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat im Verfahren zur Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahr 1994 gesehen, dass die Erforderlichkeitsklausel Auswirkungen auf Art. 105 Abs. 2 GG haben kann (BTDrucks 12/6000, S. 33). Auch im Zuge der Neuordnung der Gesetzgebungskompetenzen durch die Föderalismusreform 2006 wurde der Verweis in Art. 105 Abs. 2 GG auf Art. 72 Abs. 2 GG unverändert beibehalten. Indem der Gesetzgeber an der Regelung des Art. 105 Abs. 2 GG unverändert festgehalten hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass die beabsichtigte Stärkung der Kompetenzen der Länder auch für die Steuergesetzgebung gelten soll. Da Art. 72 Abs. 2 GG das Gesetzgebungsrecht nicht nur dem Grunde, sondern auch dem Umfang nach begrenzt, ist für jede einzelne Normierung gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen.
2. Der Bundesgesetzgeber war gemäß Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG befugt, die Gemeinden zur Erhebung der Gewerbesteuer zu verpflichten und einen Mindesthebesatz festzulegen (§ 1 und § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG). Die Regelung ist zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich.
a) Die Gesichtspunkte der Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit können sich überschneiden, weisen aber unterschiedliche Schwerpunkte auf (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪146≫). Während die Wahrung der Rechtseinheit in erster Linie auf die Vermeidung einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen zielt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪145≫), geht es bei der Wahrung der Wirtschaftseinheit im Schwerpunkt darum, Schranken und Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet zu beseitigen (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪146 f.≫). Mit den angegriffenen Bestimmungen wird das Ziel verfolgt, so genannte Steueroasen zu vermeiden und Ausfälle bei der Gewerbesteuerumlage zu verhindern (im Einzelnen dazu unten b). Damit geht es sowohl um die Wahrung der Rechts- wie der Wirtschaftseinheit.
b) Der Bundesgesetzgeber durfte die angegriffenen Vorschriften im gesamtstaatlichen Interesse zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit für erforderlich halten.
Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass es dem Gesetzgeber darum ging, zu verhindern, dass sich einzelne Gemeinden durch Verzicht auf die Festlegung eines Hebesatzes und den damit verbundenen vollständigen Verzicht auf die Steuererhebung übermäßige Standortvorteile verschaffen, damit über Landesgrenzen hinweg rein steuermotivierte Wanderungsbewegungen auslösen und auf diese Weise – auch angesichts der angespannten Situation der öffentlichen Haushalte – schädigende Wirkungen für die betroffenen anderen Gemeinden sowie für Bund und Länder auslösen (vgl. BTDrucks 15/481, S. 16, zu den Zielsetzungen des früheren § 8a GewStG, an denen der Gesetzgeber auch mit der hier angegriffenen Neuregelung festgehalten hat, vgl. BTDrucks 15/1517, S. 18, 19). Die Festlegung eines Mindesthebesatzes dient der Abwehr von Missbräuchen, die problematische Folgen für die finanzverfassungsrechtliche Ordnung aufgrund der Rechtszersplitterung herbeiführen. Durch die unbegrenzte Absenkung des Hebesatzes bis zum völligen Verzicht können sich Notwendigkeiten und Möglichkeiten anderer Finanzierung, die außerhalb des finanzverfassungsrechtlichen Verteilungssystems für Steuern stehen, ergeben. Der kommunale Verzicht auf Steuern, an deren Aufkommen auch andere Körperschaften beteiligt sind, wirkt sich dort haushaltswirtschaftlich negativ aus, ohne dass ein entsprechender Anteil am Aufkommen der alternativen Finanzierungsinstrumente geleistet würde. So können Gemeinden – wie das Beispiel der Beschwerdeführerin zu I. zeigt – für den Steuerverzicht einen „Standortentwicklungsbeitrag” erheben oder als Gegenleistung besonders hohe Mietzahlungen für Büroflächen vereinbaren (vgl. BTDrucks 15/481, a.a.O.). Die mittelbaren Auswirkungen für den Bundeshaushalt hat das Bundesministerium der Finanzen für die Bundesregierung im vorliegenden Verfahren am Beispiel einer Gemeinde in Schleswig-Holstein illustriert. Für das Jahr 1995 wurde festgestellt, dass dem Bund über die Gewerbesteuerumlage durch die Ansiedlung einer Vielzahl von Gewerbebetrieben allein in dieser Gemeinde ein Verlust in Höhe von 1,5 Mio. DM entstanden sei. Die Entstehung von entsprechend problematischen Steueroasen sei auch anhand der lediglich 40 Einwohner umfassenden schleswig-holsteinischen Gemeinde belegt, in der sich bis 2001 280 Kapitalgesellschaften, 122 Personengesellschaften, 19 Einzelunternehmen und acht Grundstücksgemeinschaften angemeldet hätten.
Unterschiedliche Steuerbelastungen können zu wirtschaftlich unsinnigen, rein steuermotivierten Wanderungsbewegungen von Unternehmen aufgrund des Verzichts auf die Erhebung der Gewerbesteuer führen. Dies zeigt sich bereits an der Ansiedlung von zahlreichen Unternehmen im Gemeindegebiet der beiden Beschwerdeführerinnen. Der Wegzug dieser Unternehmen aus anderen Gemeinden führt dort zu Ausfällen beim Gewerbesteueraufkommen. Diesen durch die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinden induzierten, auch die Landesgrenzen überschreitenden Abwanderungserscheinungen ist wirksam nur mit einer bundesgesetzlichen Regelung zu begegnen (im Ergebnis ebenso Hey, in: Festschrift für Hermann Otto Solms, 2005, S. 35 ≪41≫).
Der Umstand, dass Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG den Gemeinden eine wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle mit Hebesatzrecht gewährleistet und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG ihnen das Recht zur Festlegung des Gewerbesteuerhebesatzes im Rahmen der Gesetze zusichert, steht der Annahme, dass die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung der Mindesthebesätze für die Gewerbesteuer erfordern kann, nicht entgegen. Zwar gewährleistet die verfassungsrechtliche Garantie des kommunalen Hebesatzrechts gerade auch die Möglichkeit der Festlegung unterschiedlicher Sätze (vgl. Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 14 ≪16≫). Sie verbietet damit jedenfalls eine volle Vereinheitlichung durch Bundesgesetz. Das schließt aber nicht aus, dass im gesamtstaatlichen Interesse eine Begrenzung des Maßes der zulässigen Unterschiede erforderlich sein kann. Die Erfordernisse der Rechts- und Wirtschaftseinheit können sich auch auf eine Vereinheitlichung in begrenztem Ausmaß – wie zum Beispiel auf den bloßen Ausschluss „grundlegend” unterschiedlicher Regelungen (vgl. BVerfGE 106, 62 ≪146≫) – beziehen.
Die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines gemeindlichen Hebesatzrechts durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG eröffnet allerdings zugleich die Möglichkeit eines Steuerwettbewerbs, mit dem Einfluss auf Ansiedlungsentscheidungen genommen werden kann. Das schließt jedoch nicht aus, die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu bejahen. Ob und inwieweit das Grundgesetz es den Gemeinden gestattet, über das Hebesatzrecht einen möglicherweise gemeinwohlschädlichen Standortwettbewerb auszutragen, ist eine Frage des materiellen Verfassungsrechts. Soweit das materielle Verfassungsrecht einschränkende Regelungen zulässt (dazu unter II.), ist diesem Umstand auch im Rahmen der Anwendung des Art. 72 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen.
II.
Die angegriffenen Vorschriften verstoßen nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 106 Abs. 6 GG.
1. Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG ist geeignet, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen. Diese Bestimmung kann daher (vgl. BVerfGE 1, 167 ≪181≫; 56, 298 ≪310≫; 71, 25 ≪37≫) im Rahmen einer Kommunalverfassungsbeschwerde als Prüfungsmaßstab herangezogen werden (vgl. Löwer, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 78; Püttner, in: Isensee/Kirchhof, HStR VI, 3. Aufl. 2008, § 144 Rn. 21; Jochum, StB 2005, S. 254 ≪257≫; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 91 Rn. 60 ≪Juli 2007≫; Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Rn. 700).
2. Die im Grundgesetz zunächst als Bestandteil der allgemeinen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) gewährleistete kommunale Finanzhoheit (a) ist durch Art. 106 Abs. 6 GG (b) und sodann durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 (c) konstitutiv verstärkt worden.
a) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert die kommunale Selbstverwaltung. Der einfache Gesetzgeber darf dieses Recht nicht aufheben und die Selbstverwaltung nicht derart einschränken, dass sie innerlich ausgehöhlt wird (vgl. BVerfGE 1, 167 ≪175≫).
Schon vor der Einführung des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG war die Finanzhoheit, die jedenfalls das Recht zu eigenverantwortlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft umfasst, Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (vgl. BVerfGE 26, 228 ≪244≫). Zu ihr gehört unter anderem die Steuer- und Abgabenhoheit, die den Gemeinden erlaubt, ihre Einwohner aus eigenem Recht zu den aus der Aufgabenerfüllung resultierenden Lasten heranzuziehen (vgl. Pünder/Waldhoff, in: Henneke/Pünder/Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 1 Rn. 10; Schmitt, Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, 1995, S. 54; Henneke, Jura 1986, S. 568 ≪570≫; vgl. auch Bonk, FR 1999, S. 443 ≪447≫). Finanzzuweisungen und die Beteiligung an den Landessteuern dürfen nicht die einzigen kommunalen Einnahmequellen sein (vgl. Henneke, Jura 1986, S. 568 ≪570≫). Den Gemeinden sind damit eigene Finanzierungsquellen, auch in der Form eigenverantwortlich auszuschöpfender Steuerquellen, gesichert. Aus Art. 28 Abs. 2 GG folgt allerdings über das in Satz 3 der Vorschrift Gewährleistete hinaus keine bestimmte Ausgestaltung des kommunalen Einnahmesystems.
b) Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, der seit 1969 den Gemeinden das Recht zusichert, die Hebesätze der Realsteuern – nach heutigem Normtext: der Grundsteuer und der Gewerbesteuer – im Rahmen der Gesetze festzusetzen, verstärkt bereichsbezogen den Inhalt der von Art. 28 Abs. 2 GG bereits zum damaligen Zeitpunkt gewährleisteten Finanzautonomie. Während das Grundgesetz zuvor keine Regelungen zur Aufkommenszuständigkeit der Gemeinden enthielt, so dass zwar nicht der Bund, wohl aber die Länder die Aufkommenszuständigkeit der Gemeinden für die Gewerbesteuer abändern konnten (vgl. näher Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 1990, S. 222) und auch ein Hebesatzrecht der Gemeinden nicht gewährleistet war, sollte mit der Einführung des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG sichergestellt werden, dass „das Hebesatzrecht für die Realsteuern den Gemeinden weder vom Bund noch vom Land genommen werden” kann (BTDrucks V/2861, S. 47, Nr. 250; zur konstitutiven Bedeutung der Bestimmung auch Schnorr, Das Hebesatzrecht der Gemeinden, 1973, S. 83 ff.; Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 1990, S. 222 f.). In der verfassungsrechtlichen Festschreibung des Rechts zur Festsetzung der Hebesätze bei den wichtigsten Gemeindesteuern sah der verfassungsändernde Gesetzgeber die Sicherung des für eine eigenverantwortliche Selbstverwaltung unentbehrlichen Spannungsverhältnisses zwischen dem Streben nach einem möglichst hohen Niveau der öffentlichen Leistungen und einer möglichst niedrigen Steuerbelastung (vgl. BTDrucks V/2861, S. 39, Nr. 183).
c) In zwei weiteren Schritten wurde in der Folgezeit die durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Finanzhoheit der Gemeinden in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG nochmals ausdrücklich und spezieller geregelt (vgl. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 84a ≪November 1997≫; Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2001, Art. 28 Rn. 88).
Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) wurde zunächst der jetzige Halbsatz 1 des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG eingeführt. Auf dem Hintergrund gewachsener Belastungen der Gemeinden bei der Erfüllung ihrer vielfältigen staatlichen Aufgaben sollte – ohne konstitutive Neuerung – klargestellt werden, dass die finanzielle Eigenverantwortung zum Recht auf kommunale Selbstverwaltung gehört (vgl. Abschlussbericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BTDrucks 12/6000, S. 46; vgl. auch Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 84a ≪November 1997≫; Hidien, DVBl 1998, S. 617 ≪620≫).
Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20. Oktober 1997 (BGBl I S. 2470) verankerte mit dem 2. Halbsatz des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG das Recht der Gemeinden auf eine mit Hebesatzrecht versehene wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle im Grundgesetz. Diese Gewährleistung war von den Gemeinden als Kompensation für die gleichzeitige Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer (durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 ≪BGBl I 1997, S. 2590≫) gefordert worden. Sie geht über Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG insofern hinaus, als letztere Bestimmung den Gemeinden zwar das Recht zur Festlegung der Hebesätze für die Grundsteuer und die Gewerbesteuer, aber nicht die Existenz dieser beiden Steuerarten garantiert (vgl. BTDrucks 13/8488, S. 6; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 3 Rn. 53; Schemmel, Kommunale Steuerautonomie und Gewerbesteuerabbau, 2002, S. 46, 68; Hidien, DVBl 1998, S. 617 ≪620≫; Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 14 ≪19≫), so dass das Hebesatzrecht der Gemeinden zunächst nicht gegen den Wegfall seines Gegenstandes geschützt war. Auch der 1997 hinzugekommene zweite Halbsatz des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG bedeutet keine institutionelle Garantie gerade der Grundsteuer oder der Gewerbesteuer (vgl. BTDrucks 13/8488, S. 6; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 153; Heun, ebd., Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106 Rn. 38; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 106 Rn. 127; Schemmel, a.a.O., S. 46, 68; Hidien, a.a.O., S. 620; Schwarting, Kommunale Steuern, 2. Aufl. 2007, S. 50). Über den Gehalt des Art. 106 Abs. 2 Satz 2 GG hinaus gewährleistet die Bestimmung aber, dass die wirtschaftskraftbezogene Gewerbesteuer nicht abgeschafft wird, ohne dass die Gemeinden an ihrer Stelle eine andere wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle mit Hebesatzrecht erhalten. Die kommunale Finanzautonomie sollte durch eine Garantie des Bestandes der Gewerbeertragsteuer oder einer anderen an der Wirtschaftskraft orientierten Steuer gewährleistet werden (vgl. BTDrucks 13/8488, S. 5; 13/8340, S. 2).
Zugleich mit der Einführung des Art. 28 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz GG wurde den Gemeinden durch die Änderung von Art. 106 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5a GG ein Anteil an dem Aufkommen der Umsatzsteuer zugewiesen sowie der bisherige Wortlaut des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, der den Gemeinden das „Aufkommen der Realsteuern” zusprach, dahingehend präzisiert, dass den Gemeinden das „Aufkommen der Grundsteuer und Gewerbesteuer” zusteht.
3. Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG gewährleisten nicht, dass den Gemeinden das Recht zur Festsetzung des Hebesatzes der Gewerbesteuer ohne gesetzliche Einschränkungen eingeräumt wird.
a) Dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG und der Systematik der Vorschriften ist für eine unbegrenzte Gewährleistung des Hebesatzrechts nichts zu entnehmen.
Art. 28 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GG bestimmt lediglich, dass zu den Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle gehört. Da Art. 28 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GG im Zusammenhang mit den allgemeinen Vorschriften der Finanzverfassung steht und keinen neuen finanzverfassungsrechtlichen Tatbestand begründet, kommen als wirtschaftskraftbezogene Steuerquellen nur solche Steuern in Betracht, die nach Maßgabe der Art. 104a ff. GG statthaft und den Gemeinden zugeordnet sind. Gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG sind dies die Gewerbeertragsteuer und die Einkommensteuer (Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 84d ≪November 1997≫).
Der Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GG lässt Schlüsse auf den Umfang des Hebesatzrechts nicht zu. Insbesondere ist ihm nicht zu entnehmen, dass den Gemeinden auch das Recht, einen Null-Hebesatz festzusetzen – und damit die Entscheidungskompetenz über die Erhebung oder Nichterhebung von Steuern aus der zugesicherten Quelle –, unentziehbar gewährleistet ist. Aus der Formulierung, wonach den Gemeinden eine wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle „mit Hebesatzrecht” zustehen muss, folgt hierfür nichts. Denn von einem Hebesatzrecht kann auch dann gesprochen werden, wenn die Reichweite des Rechts eingeschränkt ist.
Nach dem Wortlaut des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG unterliegt das gewährleistete Hebesatzrecht gesetzgeberischer Regelung und damit auch gesetzgeberischer Beschränkung. Den Gemeinden ist nach dieser Vorschrift das Recht einzuräumen, die Hebesätze der Grundsteuer und Gewerbesteuer „im Rahmen der Gesetze” festzusetzen. Diese Formulierung spricht dafür, dass auch Ausgestaltungen mit beschränkendem Inhalt zulässig sein sollen. Anderenfalls hätte es des Gesetzesvorbehalts nicht bedurft; dass das Hebesatzrecht auf gesetzliche Konkretisierung angewiesen ist, versteht sich von selbst. Ein solches Verständnis des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG liegt nicht zuletzt im Hinblick auf die entsprechende Regelung in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nahe. Die dort verankerte allgemeine Garantie der kommunalen Selbstverwaltung besteht gleichfalls nur „im Rahmen der Gesetze”. Anerkanntermaßen ist dem Gesetzgeber damit die Befugnis zu beschränkenden Regelungen eingeräumt (vgl. BVerfGE 79, 127 ≪143 f.≫; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 20; Nierhaus, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 59;Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 5. Aufl. 2005, Art. 28 Rn. 187; Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 107 f.; Schnorr, Das Hebesatzrecht der Gemeinden, 1973, S. 63 f.; zur Geltung des Gesetzesvorbehalts des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch für die speziellere Gewährleistung der kommunalen Finanzhoheit in Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG vgl. nur Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 108).
b) Vor dem historischen Hintergrund und angesichts von Sinn und Zweck der Art. 28 Abs. 2 Satz 3 und Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG ist nicht ersichtlich, dass das Hebesatzrecht einschränkungslos gewährleistet wäre und die Gemeinden insbesondere frei bleiben müssten, auf die Erhebung der Gewerbesteuer ganz zu verzichten.
aa) Eine Verpflichtung zur Festlegung eines positiven Gewerbesteuerhebesatzes gehört nicht zu den einfachgesetzlichen Traditionsbeständen, die der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung der genannten Verfassungsbestimmungen bereits vorfand. Die gemeindliche Autonomie bei der Festlegung des Gewerbesteuerhebesatzes war schon traditionell nicht unbeschränkt.
Mit der preußischen Steuerreform (Miquel'sche Steuerreform) wurde die Gewerbesteuer als Staatssteuer außer Hebung gesetzt (§ 1 Nr. 2 des Gesetzes vom 14. Juli 1893 wegen Aufhebung direkter Staatssteuern, Gesetzessammlung für Preußen, 1893, S. 119) und ertragsmäßig den Gemeinden zugewiesen. Im Rahmen der großen Reichssteuerreform im Jahr 1920 wurde sie sodann den Ländern zugewiesen, die sie ganz oder zum Teil den Gemeinden überlassen konnten. Während in den süddeutschen Ländern die Gewerbesteuer eine Landessteuer war, zu der die Gemeinden Zuschläge erhoben, war sie in Preußen ausschließlich den Gemeinden zur Hebung überlassen.
Das Gewerbesteuergesetz 1936 vom 1. Dezember 1936 (RGBl I 1936, S. 979 ff.) wies die Gewerbesteuer den Gemeinden als reine Gemeindesteuer zu. § 1 Gewerbesteuergesetz 1936 berechtigte die Gemeinden zur Erhebung der Gewerbesteuer. Daraus wurde abgeleitet, dass ihnen eine Besteuerungsmöglichkeit eröffnet werden sollte, die Gemeinden aber nicht zur Erhebung der Gewerbesteuer verpflichtet waren (vgl. Blümich/Bonens, Gewerbesteuergesetz, 2. Aufl. 1938, § 1 Anm. 5a; Kaemmel/Schmiedeke, Gewerbesteuergesetz, 1937, § 1 Anm. 1). Bei der Festsetzung des Hebesatzes waren die Gemeinden gleichwohl nicht völlig frei. Die jeweiligen Fachminister waren ermächtigt, zu regeln, in welchem Verhältnis die Hebesätze für die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und die Bürgersteuer zueinander stehen müssen und inwieweit die Hebesätze für die Steuern der Genehmigung der Gemeindeaufsichtsbehörden bedürfen (§ 6 EinfGRealStG, RGBl I 1936, S. 961 ≪962≫).
Das Grundgesetz knüpfte an diese Entwicklung an. Das Aufkommen der Realsteuern, zu denen die Grund- und die Gewerbesteuern gehören, wurde nach Art. 106 Abs. 2 GG a.F. grundsätzlich den Ländern zugestanden, die berechtigt waren, die Realsteuern den Gemeinden zuzuweisen. In der Folge wurde die Zuordnung der Gewerbesteuer zu den Gemeinden unmittelbar verfassungsrechtlich verankert. Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG in der Fassung des Gesetzes vom 24. Dezember 1956 (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Art. 106 des Grundgesetzes, BGBl I S. 1077) wies das Aufkommen der Realsteuern den Gemeinden zu. Im Zuge der Gemeindefinanzreform 1969/70 wurde mit der Neufassung des Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG das Hebesatzrecht für die Gemeinden in das Grundgesetz aufgenommen.
Das nachfolgende Gesetz zur Reform des Vermögensteuerrechts und zur Änderung anderer Steuergesetze vom 17. April 1974 (BGBl I 1974, S. 949 ff.) übernahm die bislang nach dem Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen bestehende Ermächtigung zum Erlass von Koppelungs- und Genehmigungsvorschriften in den neu gefassten § 16 GewStG und regelte darüber hinaus, dass Höchstsätze durch Landesrecht festgesetzt werden können (§ 16 Abs. 5 GewStG). Über die tradierte Beschränkung der gemeindlichen Gestaltungsfreiheit durch die bundesgesetzliche Vorgabe hinaus, dass der Hebesatz für alle in der Gemeinde vorhandenen Unternehmen der gleiche sein muss (§ 16 Abs. 4 Satz 1 GewStG), wurde damit eine bedeutsame weitere Einschränkung zugelassen.
Mit der Verfassungsreform von 1997 verstärkte der Verfassungsgeber die Finanzautonomie der Gemeinden in der bereits beschriebenen Weise (s. oben II. 2. c) durch die Verankerung des Hebesatzrechts in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 2 GG.
Die dargestellte Entwicklung zeigt, dass das Grundgesetz weder in seiner ursprünglichen Fassung noch in seinen späteren Änderungen auf einer einfachgesetzlichen Tradition uneingeschränkter Gestaltungsfreiheit der Gemeinden bei den Hebesätzen fußt.
bb) Aus dem Sinn und Zweck des Art. 106 Abs. 6 GG oder des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG ergibt sich ebenfalls nicht, dass diese Bestimmungen dem Gesetzgeber jegliche Beschränkung der gemeindlichen Hebesatzautonomie verwehrten oder speziell die gesetzliche Verpflichtung der Gemeinden zur Festlegung eines positiven Hebesatzes ausschlössen. Das Hebesatzrecht dient der Sicherung einer angemessenen Finanzausstattung der Gemeinden. Einerseits ermöglicht es ihnen, Unterschiede in der Belastung und in der Ergiebigkeit der zugewiesenen Steuerquellen auszugleichen. Die Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, ihre Einnahmen durch Anspannung der Gewerbesteuer an den Finanzbedarf anzupassen und damit angesichts wachsender Haushaltslasten handlungsfähig zu bleiben (vgl. Vogel, in: Festschrift für Hugo von Wallis, 1985, S. 565 ≪571≫). Die Gewährleistung des Hebesatzrechts ermöglicht aber auch eine Anpassung nach unten und damit den Einsatz niedriger Hebesätze im interkommunalen Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen. In dem Spannungsverhältnis zwischen dem Streben nach einem möglichst hohen Niveau der öffentlichen Leistungen und einer möglichst niedrigen Steuerbelastung, das im Zusammenhang mit der Einführung der Verfassungsgarantie des gemeindlichen Hebesatzrechts als unentbehrlich für eine eigenverantwortliche Selbstverwaltung hervorgehoben wurde (vgl. BTDrucks V/2861, S. 39, Nr. 183), wird das Streben nach einer möglichst niedrigen Steuerbelastung gerade durch die Bedeutung der Gewerbesteuerbelastung im Standortwettbewerb befördert.
In beiden Hinsichten ist die Funktionsfähigkeit der Hebesatzautonomie nicht davon abhängig, dass die Gemeinden den Hebesatz ohne jede gesetzliche Einschränkung festsetzen können. Insbesondere erfordert sie keine unentziehbare Befugnis der Gemeinden, mit der Festsetzung auf Null von einer Gewerbesteuererhebung ganz abzusehen.
In ihrer Bedeutung als Instrument flexibler Anpassung der Steuereinnahmen an steigenden Finanzbedarf wird die Hebesatzautonomie durch die Festsetzung eines Mindesthebesatzes nicht berührt. Ein Mindesthebesatz verringert allerdings die Flexibilität in umgekehrter Richtung. Die Möglichkeit, niedrige Hebesätze – bis hin zu einem Null-Hebesatz – als Mittel des Standortwettbewerbs einzusetzen, wird damit jedoch nicht notwendigerweise in einer dem Zweck des Hebesatzrechts zuwiderlaufenden Weise beschränkt. Mit der wettbewerblichen Funktion der Gewährleistung des Hebesatzrechts können auch gesetzliche Bestimmungen vereinbar sein, die die Freiheit des Wettbewerbsverhaltens begrenzen, um den Wettbewerb in gemeinwohlverträglichen Bahnen zu halten. Eine Beschränkung der Hebesatzautonomie ist demnach mit Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung dieser Autonomie nicht von vornherein unvereinbar.
Dem steht auch nicht entgegen, dass den Gemeinden die Ertragshoheit über das Aufkommen der Gewerbesteuer zugewiesen ist und Einschränkungen des Hebesatzrechts durch den Bundesgesetzgeber mittelbare Auswirkungen auf das Aufkommen der Gewerbesteuer haben. Den Gemeinden ist weder eine bestimmte Aufkommenshöhe noch die Gewerbesteuer als solche von Verfassungs wegen garantiert (Heun, in: Dreier, GG, Bd. 3, 2. Aufl. 2008, Art. 106 Rn. 38; Schwarz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 5. Aufl. 2005, Art. 106 Rn. 127).
4. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gemeindlichen Hebesatzrechts lässt allerdings keine beliebigen Einschränkungen zu. Der „Rahmen der Gesetze”, an den Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG das Hebesatzrecht bindet, darf nicht beliebig eng gezogen werden. Insoweit gilt nichts grundsätzlich Anderes als bei dem Gesetzesvorbehalt für die allgemeinere Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung, einschließlich der Finanzautonomie, in Art. 28 Abs. 2 GG.
a) Die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung. Sie kann insofern zwar eingeschränkt werden, ist aber nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers gestellt (vgl. BVerfGE 79, 127 ≪143≫). Vielmehr sind dem beschränkenden Zugriff des Gesetzgebers seinerseits Schranken gesetzt. Er unterliegt insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 26, 228 ≪244≫; 56, 298 ≪313≫; 76, 107 ≪121 ff.≫). In den Kernbereich oder Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung darf nicht eingegriffen werden (vgl. BVerfGE 79, 127 ≪143≫; 83, 363 ≪381≫; 91, 228 ≪238≫; 107, 1 ≪2≫; stRspr).
Bei der Bestimmung des Kernbereichs der kommunalen Selbstverwaltung ist der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Formen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 22, 180 ≪205≫; 23, 353 ≪365 f.≫; 91, 228 ≪238≫). Eine neuartige Regelung ist aber nicht schon deshalb unzulässig, weil sie neu und ohne Vorbild ist. Andernfalls wäre eine vernünftige Fortentwicklung des überkommenen Systems nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 52, 95 ≪117≫).
Die durch Art. 28 Abs. 2 GG garantierten wesentlichen Hoheitsrechte, die der Staat den Gemeinden im Interesse einer funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung garantiert, darunter die Finanzhoheit (vgl. BVerfGE 52, 95 ≪117≫), müssen den Gemeinden im Kern erhalten bleiben (vgl. BVerfGE 52, 95 ≪117≫). Der Kernbereich des Hoheitsrechts ist jedenfalls dann verletzt, wenn es beseitigt wird oder kein hinreichender Spielraum für seine Ausübung mehr übrig bleibt (vgl. BVerfGE 103, 332 ≪366≫; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 28 Rn. 22; Vogelgesang/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, 3. Aufl. 2005, Rn. 32; Mückl, Finanzverfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, 1998, S. 59; vgl. auch Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, § 12 II 4, S. 416). Den absoluten Schutz der Kernbereichsgarantie genießt aber nicht jede einzelne Ausformung dieser Rechte (vgl. BVerfGE 103, 332 ≪366≫; Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl. 2008, Art. 28 Rn. 78).
Wie die Selbstverwaltungsgarantie im Allgemeinen und die Finanzhoheit als eines ihrer wesentlichen Elemente darf auch das in Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG und als besondere Ausprägung der Finanzhoheit in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG gewährleistete Hebesatzrecht nicht unverhältnismäßig beschränkt werden (vgl. Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 14 ≪18 ff.≫; Hidien, ZKF 2004, 29 ≪33≫; Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1223 f.≫; Walz/Süß, DStR 2003, S. 1637 ≪1639 f.≫). Es ist in seinem Kern gesetzgebungsfest gewährleistet. Beschränkungen müssen danach zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet sowie erforderlich und verhältnismäßig sein.
b) aa) Mit dem Änderungsgesetz verfolgte der Gesetzgeber einen legitimen Zweck. Ausweislich der Gesetzesbegründung diente die Einführung der Pflicht zur Erhebung der Gewerbesteuer und der Festsetzung eines Mindesthebesatzes vor allem der Vermeidung von Steueroasen sowie der Verhinderung von Ausfällen bei der Gewerbesteuerumlage (vgl. BTDrucks 15/481, S. 16; BTDrucks 15/1517, S. 17, 19; Protokoll der 786. Sitzung des Bundesrats vom 14. März 2003, S. 48). Der völlige Verzicht einzelner Gemeinden auf die Steuererhebung führte nach Einschätzung des Gesetzgebers zu teilweise unsinnigen rein steuermotivierten Wanderungsbewegungen. Die damit verbundenen erheblichen Realsteuerausfälle bei den Gemeinden und Städten, aus deren Gebiet die Unternehmen ihren Sitz weg verlegten, und die negativen Auswirkungen für Gemeinden, Länder und Bund beurteilte der Gesetzgeber als nicht mehr hinnehmbar.
Die Bildung von „Steueroasen”, auch in Bezug auf die Gewerbesteuer, zu verhindern und die Streuung der Niederlassung von Gewerbebetrieben über das ganze Land hinweg zu fördern, ist ein legitimes gesetzgeberisches Ziel (vgl. BVerfGE 23, 353 ≪371≫; Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1223 f.≫). Daran ändert der Umstand nichts, dass die verfassungsrechtliche Garantie des gemeindlichen Hebesatzrechts auch die Möglichkeit eines interkommunalen Steuerwettbewerbs eröffnet (s.o. 3. b) bb). Dies schließt es nicht aus, bestimmte wettbewerbliche Verhaltensweisen als nicht dem gemeinwohlbezogenen Sinn und Zweck des eröffneten Wettbewerbs entsprechend zu beurteilen und entsprechend zu begrenzen. Der Gesetzgeber ist befugt einzuschreiten, wenn der grundsätzlich erwünschte interkommunale Steuerwettbewerb schädliche Ausmaße anzunehmen droht oder sich ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten abzeichnet (zu entsprechenden Eingriffsbefugnissen in durch Grundrechte eröffneten Bereichen des Wettbewerbs und für die Zulässigkeit der Begrenzung des Wettbewerbs nach Maßgabe seiner Funktionsbedingungen vgl. BVerfGE 39, 210 ≪232 f.≫; 105, 252 ≪265≫; 94, 372 ≪390≫ m.w.N.).
Die Festlegung eines Mindesthebesatzes für die Gewerbesteuer soll über die Abwehr schädlicher Folgen für die Gemeinden hinaus auch zur Sicherung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Gewerbesteuer-Umlage dienen. Über die in Art. 106 Abs. 6 Satz 4 GG vorgesehene und in § 6 Gemeindefinanzreformgesetz (Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen ≪Gemeindefinanzreformgesetz – GFRG≫, zuletzt i.d.F. der Bekanntmachung vom 10. März 2009 ≪BGBl I S. 502≫) näher geregelte Gewerbesteuerumlage werden der Bund und die Länder an dem Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden beteiligt. Da die Berechnung der Umlage vom Ist-Aufkommen der Gewerbesteuer abhängt (vgl. § 6 Abs. 2 bis 5 GFRG), kann sich eine Gemeinde durch Festsetzung des Hebesatzes auf Null der Abführung der Gewerbesteuerumlage entziehen. Das Ziel, sicherzustellen, dass grundsätzlich alle Gemeinden die Gewerbesteuerumlage entrichten, ist auch deshalb legitim, weil alle Gemeinden als Ausgleich für die Gewerbesteuerumlage nach Art. 106 Abs. 5 GG einen Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer erhalten (vgl. BTDrucks V/2861, S. 44, Nr. 223). Die Festlegung eines Mindesthebesatzes verhindert, dass Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer erhalten, ohne sich an der Gegenfinanzierung durch die Gewerbesteuerumlage zu beteiligen.
bb) Die Festlegung eines Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer ist zur Erreichung der Gesetzeszwecke geeignet. Mit ihr kann der gewünschte Erfolg zumindest gefördert werden (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Eignung vom Gesetzgeber eingesetzter Mittel vgl. BVerfGE 116, 202 ≪224≫ m.w.N.).
Die Verpflichtung zur Erhebung der Gewerbesteuer mit einem Mindesthebesatz bewirkt, dass rein steuerlich motivierte Wanderungsbewegungen von Unternehmen abgemildert und sogenannte Steueroasen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden. Zugleich wirkt sie Ausfällen bei der Gewerbesteuerumlage, wie sie die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme dargestellt hat, entgegen, indem sie sicherstellt, dass Gewerbebetriebe der umlagepflichtigen Steuer standortunabhängig zumindest in einem gewissen Maß unterliegen. Zwar ist nicht auszuschließen, dass einzelne zuvor in Niedrigsteuergemeinden angesiedelte Unternehmen die Einführung des Mindesthebesatzes zum Anlass nehmen, ins Ausland abzuwandern, so dass ihre Abgaben so dem deutschen Fiskus gänzlich verloren gehen. Die Annahme, dass dies für einen großen Teil der betreffenden Betriebe (so Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1224≫) oder gar allgemein gelte, ist aber weder belegt noch liegt sie nach den Umständen nahe. Die Entscheidung darüber, ob ein Unternehmen seinen Sitz ins Ausland verlegt, hängt nicht allein davon ab, ob und mit welchem Hebesatz an deutschen Standorten die Gewerbesteuer erhoben wird, sondern ist von zahlreichen – steuerlichen wie außersteuerlichen – Umständen abhängig. Die Einschätzung standortbezogener Wirkungen steuerrechtlicher Gesetzgebung ist Sache der zuständigen Gesetzgebungsorgane (vgl. nur BVerfGE 116, 164 ≪182≫). Dafür, dass der Bundesgesetzgeber hier seinen Einschätzungsspielraum überschritten und eine zur Erreichung seiner Ziele gänzlich ungeeignete Regelung getroffen haben könnte, ist nichts ersichtlich.
cc) Die angegriffenen Bestimmungen sind zur Erreichung des verfolgten Regelungsziels auch erforderlich (zum Prüfungsmaßstab vgl. BVerfGE 116, 202 ≪225≫ m.w.N.).
Der Einwand der Beschwerdeführerin zu I., mit den durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, S. 660 ff.) eingeführten Regelungen in § 8a GewStG und § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG seien bereits ausreichende Maßnahmen zur „Austrocknung von Steueroasen” getroffen gewesen, greift nicht durch. Nach § 8a GewStG konnten Gewerbeerträge einer Tochter(kapital)gesellschaft dem Gewerbeertrag des Unternehmens hinzugerechnet werden, wenn die Tochter(kapital)gesellschaft in einer Gemeinde ansässig war, deren Gewerbesteuerhebesatz 200 % unterschritt. Nach § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG war die Anrechnung der Gewerbesteuer für Einkünfte aus Gewerbebetrieb für natürliche Personen ausgeschlossen, wenn die Gewerbesteuer mit einem Hebesatz von unter 200 % erhoben wurde. Flankierend zu diesen beiden Vorschriften wurde mit der Ergänzung von § 9 Nr. 2 GewStG bei Mitunternehmerschaften die Kürzung der Anteile am Gewinn einer Gesellschaft ausgeschlossen, wenn ihr Gewerbeertrag nur einer niedrigeren Gewerbesteuerbelastung unterliegt, wobei § 8a GewStG sinngemäß gelten sollte. Ziel dieser Vorschriften war die Verringerung des Standortwettbewerbs zwischen den Gemeinden durch lenkende Einwirkung auf die Steuerpflichtigen. § 8a und § 9 Nr. 2 GewStG a.F. und § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG a.F. wurden aber bereits durch das Steueränderungsgesetz vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2922) wieder aufgehoben; mit demselben Gesetz wurden die hier angegriffenen Regelungen eingeführt.
Bereits die gleiche Eignung von § 8a, § 9 Nr. 2 GewStG a.F. und § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG a.F. steht – auch unabhängig von einer vergleichenden Betrachtung der Anwendungsbereiche – nicht fest. In der steuerrechtlichen Literatur wurden seit Erlass der Vorschriften Umgehungsmöglichkeiten diskutiert und vorgestellt (vgl. Rödel, Inf 2003, S. 740 ≪743 f.≫; Mattern/Schnitger, DStR 2003, S. 1377 ≪1382≫, aber auch Schiffers, Stbg 2003, S. 509 ≪512≫ und Hey, in: Festschrift für Hermann Otto Solms, 2005, S. 35 ≪41≫). Sie legen nahe, dass § 8a, § 9 Nr. 2 GewStG und § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels weniger geeignet waren als die Einführung eines Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer. Darüber hinaus waren gegen § 8a GewStG und § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden. Diese fußten in materieller Hinsicht zum einen auf dem Einwand, dass das kommunale Hebesatzrecht durch die Regelungen, wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar unzulässig eingeschränkt werde (Sarrazin, in: Lenski/Steinberg, GewStG, § 16 Rn. 27 ≪März 2007≫; Hidien, ZKF 2004, S. 29; a.A. Mattern/Schnitger, DStR 2003, S. 1377 ≪1382≫; w.N. bei Otting, DB 2004, S. 1222), also auf Bedenken, die weitgehend den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten entsprechen. Zum anderen wurde darüber hinaus geltend gemacht, dass die Regelung des § 8a GewStG (auch bei Anwendung über § 9 Nr. 2 GewStG) eine Doppelbesteuerung des Gewerbeertrags sowohl auf der Ebene der Tochter- als auch der Muttergesellschaft zur Folge habe, die zu einer unverhältnismäßigen Belastung des Gewerbebetriebs führe (s. Walz/Süß, DStR 2003, S. 1637 ≪1640 f.≫; Rödder/Schumacher, DStR 2003, S. 805 ≪813 f.≫; Rödel, Inf 2003, S. 740 ≪742≫; Hidien, ZKF 2004, S. 29 f.). Unabhängig von der Frage, ob diese Bedenken berechtigt waren, ist nach alledem nicht erkennbar, dass mit § 8a und § 9 Nr. 2 GewStG a.F. sowie § 35 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG a.F. ein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte.
dd) Ein Mindesthebesatz von 200 % wahrt die Grenzen der Zumutbarkeit.
Die Gemeinden erfahren zwar eine Einschränkung ihres bisherigen Entscheidungsspielraums. Die Festsetzung des Mindesthebesatzes hat für diejenigen Gemeinden, die bislang auf die Erhebung der Gewerbesteuer verzichtet oder einen Hebesatz von weniger als 200 % festgelegt haben, zur Folge, dass ihre bisherige Politik bei der Festsetzung der Hebesätze nicht fortgeführt werden kann (vgl. Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1224≫). Das Hebesatzrecht als solches bleibt aber auch bei Festlegung eines Mindestsatzes von 200 % weiter erhalten (vgl. Hey, in: Festschrift für Hermann Otto Solms, 2005, S. 35 ≪41≫; Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1223≫). Es wird durch die angegriffenen Regelungen weder faktisch abgeschafft noch auf ein „Scheindasein” reduziert und damit ausgehöhlt (Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 14 ≪19≫). Bei dem vorgegebenen maßvollen Mindesthebesatz von 200 % ist es den Gemeinden weiterhin möglich, durch einen weit unter dem Durchschnitt von gegenwärtig etwa 390 % liegenden Hebesatz andere Standortnachteile auszugleichen und am interkommunalen Wettbewerb um Gewerbeansiedlungen teilzunehmen; ein erheblicher Gestaltungsspielraum bleibt ihnen erhalten. In ihrem Kern ist die Finanzautonomie der Gemeinde daher nicht berührt.
Als unverhältnismäßig erweist sich die Beschränkung des Hebesatzrechts auch nicht deshalb, weil vor Erlass der angegriffenen Regelungen nur relativ wenige Gemeinden einen Hebesatz von weniger als 200 % oder gar einen Hebesatz von Null festgesetzt hatten, so dass von einer „Randerscheinung” (Hey, in: Festschrift für Hermann Otto Solms, 2005, S. 35 ≪41≫) gesprochen wurde. Soweit daraus geschlossen werden kann, dass der Eingriff in die gemeindliche Hebesatzautonomie der Bewältigung eines Problems von nicht sehr erheblichem Ausmaß diente, zeigt sich hier gleichermaßen auch der Eingriff selbst als nicht weitreichend. Ein unangemessenes Verhältnis von Ziel und eingesetztem Mittel offenbart sich darin nicht.
5. Der Rüge der Beschwerdeführerinnen, die angegriffenen Regelungen verstießen gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung (vgl. Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1224≫), ist im Verfahren nach § 91 BVerfGG nicht nachzugehen.
a) Auf ihre Übereinstimmung mit einfachem Landesrecht – hier § 75 Abs. 2 Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (GOBbg) – sind die angegriffenen Reglungen nicht zu überprüfen. § 75 Abs. 2 GOBbg gehört nicht zu den Maßstäben der Normenprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht.
b) Ob der kommunalrechtliche Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung, der auf den Vorrang der Finanzierung kommunaler Aufgaben aus anderen Einnahmequellen, insbesondere Gebühren und Beiträgen, vor der Steuerfinanzierung zielt (vgl. Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 75 Ziff. 1; Corsten, Der Gemeindehaushalt, 1990, S. 57; Suhr, ZKF 1993, S. 29 ≪34≫; Thiele, Niedersächsische Gemeindeordnung, 8. Aufl. 2007, § 83 Ziff. 2 zum wortlautidentischen § 83 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Gemeindeordnung; Otting, DB 2004, S. 1222 ≪1223≫), seinerseits auf verfassungsrechtliche Prinzipien wie das Übermaßverbot zurückgeführt werden kann, muss hier nicht entschieden werden. Der Beschwerdeführerin zu II. ist es schon deshalb versagt, sich auf den Grundsatz der Subsidiarität der Steuererhebung zu berufen, weil dieser Grundsatz nicht dem Schutz ihrer Selbstverwaltungsautonomie dient. Eine etwaige Verletzung der Rechte ihrer Einwohner kann die Gemeinde im Kommunalverfassungsbeschwerdeverfahren nicht geltend machen (vgl. BVerfGE 61, 82 ≪103 f.≫; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 91 Rn. 44 ≪Juli 2007≫).
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen
BFH/NV 2010, 793 |
BVerfGE 2010, 141 |
BB 2010, 665 |
DB 2010, 542 |
DStR 2010, 9 |
HFR 2010, 642 |
WPg 2010, 560 |
NWB 2010, 812 |
NVwZ 2010, 6 |
ZAP 2010, 254 |
DÖV 2010, 485 |
GewArch 2010, 22 |
JuS 2010, 755 |
LKV 2010, 219 |
BayVBl. 2010, 400 |
DVBl. 2010, 509 |
GK/BW 2010, 201 |
GV/RP 2010, 307 |
GuT 2010, 153 |
KommJur 2010, 5 |
NWB direkt 2010, 256 |
StBW 2010, 206 |
FuBW 2010, 402 |
GK 2010, 129 |
V&S 2010, 6 |