1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfach-gesetzlichen Prozeßordnungen. Der Weg zu den Gerichten, insbesondere auch zur inhaltlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, darf von der Erfüllung und dem Fortbestand bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 9, 194 ≪199 f.≫; 10, 264 ≪267 f.≫; 27, 297 ≪310≫; 35, 65 ≪72 f.≫; 40, 272 ≪274≫; 77, 275 ≪284≫). Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muß aber das Ziel dieser Rechtsgewährleistung, nämlich den wirkungsvollen Rechtsschutz, auch tatsächlich verfolgen und ermöglichen. Sie muß im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein (BVerfGE 77, 275 ≪284≫). Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪274 f.≫; 78, 88 ≪99≫; 88, 118 ≪124≫). Dieser Grundsatz gilt auch innerhalb des jeweils eingeleiteten Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv Gehör verschaffen zu können, und nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht selbst (BVerfGE 81, 123 ≪129≫). Der gerichtlichen Durchsetzung des materiellen Anspruchs dürfen auch hier nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse in den Weg gelegt werden (BVerfGE 53, 115 ≪127≫).
2. Im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 GG setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. BVerfGE 61, 126 ≪135≫; 96, 27 ≪39 f.≫; Redeker/von Oertzen, VwGO ≪12. Aufl. 1997≫, § 42 Rn. 28; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO ≪Stand Februar 1998≫, Vorb. § 40 Rn. 75). Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung; fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO ≪11. Aufl. 1998≫, Vorb. § 40 Rn. 30).
a) Das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens entfallen. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzbedürfnisses kann ein Gericht im Einzelfall auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlaß zu der Annahme bietet, daß ihm an einer Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist. Eine hierauf gestützte Abweisung eines Rechtsschutzbegehrens mangels Sachbescheidungsinteresses begegnet grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Einen gesetzlichen Niederschlag hat dieser Rechtsgedanke zunächst in § 81 AsylVfG (zuvor: § 33 AsylVfG 1982) für Rechtsstreitigkeiten über Asylverfahren, seit dem 1. Januar 1997 für verwaltungsrechtliche Streitigkeiten im allgemeinen in § 92 Abs. 2 VwGO in der Fassung des 6. Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) gefunden. Danach gilt eine Klage – mit der Folge der Einstellung des Verfahrens durch Beschluß (vgl. § 92 Abs. 3 VwGO) – als zurückgenommen, wenn ein Kläger das Verfahren trotz einer Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate (in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz: länger als einen Monat) nicht betreibt. Eine solche Beendigung eines gerichtlichen Verfahrens ohne Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren in der Sache setzt voraus, daß nach dem prozessualen Verhalten des Beteiligten hinreichender Anlaß besteht, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen, daß das Gericht ihn daraufhin zum Betreiben des Verfahrens auffordert und daß der Beteiligte mit dieser Aufforderung auf die Folgen des (weiteren) Nichtbetreibens des Verfahrens hingewiesen wird (vgl. dazu näher BVerwGE 71, 213 ≪218 f.≫). Regelungen dieser Art sind mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, unterliegen aber in ihrer Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlichen Grenzen unter Beachtung ihres Ausnahmecharakters (vgl. BVerfG ≪Vorprüfungsausschuß≫, Beschlüsse vom 7. August 1984 – 2 BvR 187/84 –, NVwZ 1985, S. 33 und vom 15. August 1984 – 2 BvR 357/84 –, DVBl 1984, S. 1005; 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluß vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92 –, NVwZ 1994, S. 62 f.; alle zu § 33 AsylVfG a.F.).
b) Inwiefern neben solchen ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen, denen die an das Verhalten eines Rechtsschutzsuchenden anknüpfende Vermutung eines Wegfalls des Rechtsschutzinteresses zugrunde liegt (vgl. Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 92 Rn. 46; Kopp/Schenke, VwGO, § 92 Rn. 18), den Gerichten noch Raum verbleibt, außerhalb der in § 81 AsylVfG und § 92 Abs. 2 VwGO bestimmten Vorausetzungen und außerhalb des dort geregelten Verfahrens ein Rechtsschutzbegehren als unzulässig abzulehnen, weil nach dem Verhalten des Beteiligten davon auszugehen ist, daß er kein Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichts hat (verneinend dazu nunmehr Kopp/ Schenke, VwGO, Vorb. § 40 Rn. 54), unterliegt als Frage der Auslegung und Anwendung einfachen Verwaltungsprozeßrechts nicht der verfassungsgerichtlichen Beurteilung. Maßgeblich ist allein, daß den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG entsprochen wird. Nach den unter B. I. 1. dargestellten Maßstäben bedeutet dies: Will ein Gericht an ein Verhalten eines Beteiligten während eines zulässigerweise anhängig gemachten Verfahrens die weitreichende Folge einer Abweisung des Rechtsschutzbegehrens als unzulässig mangels Rechtsschutzinteresses und damit die Verweigerung effektiven Rechtsschutzes in der Sache knüpfen, ohne den Beteiligten vorher auf Zweifel am fortbestehenden Rechtsschutzinteresse hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, sie auszuräumen, so müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die den sicheren Schluß zulassen, daß den Beteiligten an einer Sachentscheidung des Gerichts in Wahrheit nicht mehr gelegen ist.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts nicht. Ausweislich der dem Bundesverfassungsgericht vorliegenden Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben die Beschwerdeführerinnen das Verfahren bis zum Verhandlungstermin ordnungsgemäß betrieben. Auch im Termin zur mündlichen Verhandlung waren sie durch ihren damaligen Vormund und ihren Prozeßbevollmächtigten ausreichend vertreten. Die Tatsache, daß sie selbst zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen waren, rechtfertigte nicht die Annahme, daß sie an einer Sachentscheidung über ihre Klage nicht mehr interessiert gewesen seien. Für die Beschwerdeführerin zu 2. folgt dies ohne weiteres daraus, daß ihr persönliches Erscheinen nicht angeordnet war (vgl. dazu auch 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Beschluß vom 26. Mai 1994 – 2 BvR 1183/92 –, NVwZ Beilage 7/94, S. 50 ≪51≫). Für die Beschwerdeführerin zu 1. gilt im Ergebnis das gleiche: Zwar hatte das Gericht ihr persönliches Erscheinen zum Verhandlungstermin angeordnet (§ 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit sieht das Gesetz aber für den Fall des Ausbleibens als Sanktion die Androhung und Festsetzung eines Ordnungsgeldes (§ 95 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO), nicht hingegen Konsequenzen für die weitere Verfolgung des Rechtsschutzbegehrens in der Sache vor.
Der im angegriffenen Urteil gezogene Schluß auf einen Wegfall des Sachbescheidungsinteresses aus der Erklärung, die der seinerzeitige Vormund der Beschwerdeführerinnen als Grund für deren Nichterscheinen zu Protokoll gegeben hat, wird dem grundrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Interesse an effektivem gerichtlichen Rechtsschutz nicht gerecht. Das Gericht überspannt mit ihm die Anforderungen an das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Bürgers, mit dem dieser zum Ausdruck bringen muß, daß sein Interesse an einer Sachentscheidung des von ihm zulässigerweise angerufenen Gerichts fortbesteht:
Das Verwaltungsgericht ist im angegriffenen Urteil davon ausgegangen, daß die vom früheren Vormund der Beschwerdeführerinnen abgegebene Erklärung zutreffend ist; übrigens ist die in dieser Erklärung erwähnte, in Kiel wohnhafte weitere Schwester der Beschwerdeführerinnen im November 1995 zum neuen Vormund bestellt worden. Aufgrund des vom damaligen Vormund geschilderten Sachverhalts bestand kein Anlaß anzunehmen, die Beschwerdeführerinnen seien aus eigenem Entschluß “untergetaucht” und wollten das Verfahren auf Anerkennung als Asylberechtigte in Deutschland nicht mehr betreiben. Die Anschrift des Vormundes, der als ihr gesetzlicher Vertreter das Verfahren für sie zu betreiben hatte, war weiterhin bekannt. Damit war auch die Erreichbarkeit der Beschwerdeführerinnen für Zwecke des anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens über den Asylantrag grundsätzlich gewährleistet; die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erst zehn und dreizehn Jahre alten Beschwerdeführerinnen selbst waren ohnehin nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 12 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Vornahme irgendwelcher Verfahrenshandlungen fähig.
Allenfalls insofern, als es auf eine persönliche Anwesenheit der Beschwerdeführerinnen vor Gericht, etwa für Erklärungen zu ihrem Verfolgungsschicksal, angekommen wäre, war vorübergehend nicht sichergestellt, daß die Beschwerdeführerinnen alsbald benachrichtigt werden konnten. Dazu, inwieweit dies für die weitere Förderung des Verfahrens notwendig war, verhält sich das Gericht im angegriffenen Urteil aber nicht, so daß auch dahinstehen kann, ob ihre Angaben im Asylverfahren überhaupt verwertbar sind (generell verneinend unter Verweis auf den Zweck des Minderjährigenschutzes: Marx, Kommentar zum AsylVfG, ≪3. Aufl. 1995≫, § 12 Rn. 15; differenzierend: BVerwG, Beschluß vom 18. November 1983 – 9 CB 252.81 –, Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 80; BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 – 9 C 156.83 –, NJW 1985, S. 576 f.; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Oktober 1995, § 12 Rn. 21). Die Beschwerdeführerin zu 1. ist zwar der Anordnung ihres persönlichen Erscheinens nicht nachgekommen, jedoch hat hier das gleiche zu gelten wie bei unvollständigen, unterbliebenen oder widersprüchlichen Angaben Minderjähriger, aus denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluß vom 18. November 1983 – 9 CB 252.81 –, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 – 9 C 156.83 –, a.a.O.) grundsätzlich keine negativen Schlußfolgerungen gezogen werden dürfen. Im übrigen läßt sich dem angegriffenen Urteil nicht entnehmen und liegt angesichts des hier geltend gemachten familiären Verfolgungsschicksals auch fern, daß der im Termin anwesende Vormund – der Ehemann der älteren Schwester der Beschwerdeführerinnen – zur Aufklärung des Sachverhalts nicht in der Lage gewesen wäre. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Vormund zum Sachverhalt Erklärungen abgegeben; die insoweit vom Gericht gestellten Fragen zum Aufenthalt von Verwandten in der Türkei zielten ersichtlich auf Feststellungen zu einer inländischen Fluchtalternative.
Die den Beschwerdeführerinnen nach den Zustellungsvorschriften des § 10 AsylVfG obliegende Pflicht zur Mitteilung geänderter Anschriften traf aufgrund ihrer mangelnden Handlungsfähigkeit nur ihren Vormund. Ob unter § 10 AsylVfG auch Wohnortwechsel nicht handlungsfähiger Asylantragsteller fallen, erscheint freilich – da eine Zustellung an sie selbst nicht zulässig wäre – fraglich, bedarf aber hier keiner Entscheidung. Denn auch eine etwaige Zuwiderhandlung gegen die Obliegenheit aus § 10 AsylVfG rechtfertigt hier keinesfalls die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, die Beschwerdeführerinnen hätten durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben, daß sie an einer Sachentscheidung des Gerichts über ihr Asylbegehren nicht mehr interessiert seien. Auch das Verhalten des damaligen Vormunds selbst, der als ihr gesetzlicher Vertreter in der mündlichen Verhandlung anwesend war, läßt ungeachtet der Frage, inwieweit ihm überhaupt Versäumnisse vorzuwerfen sind und die Beschwerdeführerinnen sich diese zurechnen lassen müssen, schon nach seinem objektiven Erklärungswert nicht den Schluß auf einen nachträglichen Wegfall des erforderlichen Rechtsschutzinteresses zu.