Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 04.06.2010; Aktenzeichen 2 SsBs 54/10) |
AG Bad Kreuznach (Beschluss vom 13.01.2010; Aktenzeichen 1023 Js 5276/08.4 OWi) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine unterbliebene Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union.
I.
1. Die Beschwerdeführerin betreibt einen Schlacht- und Zerlegebetrieb und vertreibt von mehreren Niederlassungen im Bundesgebiet aus in Kunststofffolie vakuumiert eingeschweißte Fleischteilstücke an den Lebensmitteleinzelhandel. Die Ware, die sie verarbeitet und vertreibt, bezieht sie unter anderem aus dem Königreich Belgien.
Das Landesamt für Mess- und Eichwesen Rheinland-Pfalz stellte am 8. Oktober 2007 bei einer Kontrolle in einem Selbstbedienungswarenhaus und am 15. November 2007 bei einer Kontrolle in einer Niederlassung der Beschwerdeführerin fest, dass in sechs Fällen auf Verpackungen mit Fleischstückteilen keine Füllmengenbezeichnung aufgebracht war. Bei einer weiteren Kontrolle am 26. November 2007 in einem anderen Selbstbedienungswarenhaus stellte es fest, dass bei von der Beschwerdeführerin gelieferten Verpackungen mit Fleischstückteilen die angegebene Nennfüllmenge von der tatsächlichen Füllmenge in einem die Toleranzwerte überschreitenden Maße nach unten abwich. Daraufhin setzte das Landesamt durch Bußgeldbescheid vom 27. März 2008 wegen Verstoßes gegen § 19 Abs. 1 Nr. 4 EichG in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 25 Abs. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 9 der Verordnung über Fertigpackungen (FPackV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1994 (BGBl I S. 451) sieben Einzelgeldbußen in Höhe von jeweils 100 Euro fest.
2. Auf den Einspruch der Beschwerdeführerin verurteilte das Amtsgericht diese mit Beschluss vom 13. Januar 2010 wegen „fahrlässigen Verstoßes gegen § 6 FPackV in sieben Fällen” zu einer Geldbuße in Höhe von jeweils 100 Euro.
3. a) Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin Rechtsbeschwerde ein, mit der sie insbesondere geltend machte, die Ahndung ihres Verhaltens als Ordnungswidrigkeit sei ausgeschlossen, da die angewandten Vorschriften, so wie sie durch die Gerichte in Deutschland ausgelegt würden, gegen vorrangiges europäisches Recht verstießen. Bei der Kennzeichnungspflicht in Bezug auf die Nettofüllmenge handele es sich um eine gemäß Art. 28 EGV (jetzt: Art. 34 AEUV) unzulässige Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung; eine der in Art. 30 EGV (jetzt: Art. 36 AEUV) genannten Ausnahmen sei nicht gegeben. Gegebenenfalls sei durch eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu klären, ob § 6 Abs. 1 FPackV gegen europäisches Recht verstoße.
b) Das Oberlandesgericht verwarf die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 4. Juni 2010 im Wesentlichen als offensichtlich unbegründet. Zu der in der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage der Vereinbarkeit der FPackV mit europäischem Recht führte es aus, dass Art. 34 AEUV der Vorschrift des § 6 Abs. 1 FPackV in seiner Auslegung durch das Amtsgericht nicht entgegenstehe. Zwar handele es sich bei der Kennzeichnungspflicht nach § 6 Abs. 1 FPackV, die eine Angabe der Nennfüllmenge des Nettogewichts bei vorverpacktem Fleisch auch dann verlange, wenn das Erzeugnis nicht an den End- oder Letztverbraucher abgegeben werden solle, um eine Anforderung, die die Einfuhr derartiger Erzeugnisse aus dem Gemeinschaftsgebiet in die Bundesrepublik Deutschland in gleicher Weise wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung behindern könne. Der Bestimmung des Art. 34 AEUV stünden jedoch gemäß Art. 36 AEUV solche Einfuhrbeschränkungen nicht entgegen, die unter anderem aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt seien, wozu nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch die Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zählten. Diese Ausnahmeregelung erlaube die Kennzeichnungspflichten nach § 7 Abs. 1 EichG, § 6 Abs. 1 FPackV. Eine Vorlage an den Gerichtshof sei daher nicht veranlasst.
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts und rügt die Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter.
1. Im fachgerichtlichen Verfahren sei die gemeinschaftsrechtliche Frage entscheidungserheblich gewesen, ob der durch die Vorschriften der FPackV erfolgende Eingriff in die von Art. 34 AEUV gewährleistete Warenverkehrsfreiheit gerechtfertigt sei. Dies sei in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bislang ungeklärt, weshalb das Oberlandesgericht die Sache dem Gerichtshof hätte vorlegen müssen.
Der Prüfungsmaßstab sei im vorliegenden Fall enger zu fassen als üblich. Gebe es kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Fachgerichts, müsse über die Willkürprüfung hinausgegangen werden, da ansonsten keine richterliche Kontrolle der Entscheidung über die Vorlage gewährleistet sei. Deshalb müsse die verfassungsgerichtliche Überprüfung anhand des Maßstabes erfolgen, den das Fachgericht hätte zugrunde legen müssen, also anhand von Art. 267 Abs. 3 AEUV. Diese Verschärfung des Prüfungsmaßstabs sei auch europarechtlich geboten und folge insoweit aus dem Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts. Jedenfalls aber müsse geprüft werden, ob das Fachgericht tatsächlich die Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV angewendet oder sich – in Kenntnis der beschränkten verfassungsrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten – von vornherein auf den beschränkten Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bezogen habe. Schließlich spreche auch Art. 6 Abs. 1 EMRK für einen engeren Prüfungsmaßstab. Dieser gewährleiste ebenfalls das Recht auf den gesetzlichen Richter, insbesondere dürfe der Zugang zum Gerichtshof nicht in willkürlicher Weise versagt werden. Zudem müsse auch das Rechtsmittelverfahren dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügen.
2. Hilfsweise beantragt die Beschwerdeführerin, das Bundesverfassungsgericht möge die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegen, um klären zu lassen, ob es mit Art. 34 und Art. 36 AEUV vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat nationale Eichvorschriften und Verpackungsvorschriften auf Transportverpackungen und Hygieneverpackungen anwende und ein als gegeben angesehenes Handelshindernis gleicher Wirkung für gerechtfertigt ansehe.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere zur Auslegung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪366 ff.≫; 75, 223 ≪233 ff.≫; 82, 159 ≪192 ff.≫; 126, 286 ≪315 ff.≫; 128, 157 ≪186 ff.≫; 129, 78 ≪105 ff.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 64 ff., Rn. 176 ff.) – bereits entschieden sind. Sie ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie teilweise unzulässig und im Übrigen jedenfalls unbegründet ist und daher insgesamt keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts richtet. Die Beschwerdeführerin hat insoweit die Möglichkeit einer Verletzung ihres grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht hinreichend deutlich aufgezeigt (vgl. BVerfGE 123, 267 ≪329≫; stRspr). Zwar ist ein nationales Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen, weil dieser insoweit gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪366 ff.≫; 82, 159 ≪195≫). Zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union verpflichtet sind jedoch nur letztinstanzliche Gerichte. Ein letztinstanzliches Gericht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist definitionsgemäß die letzte Instanz, vor der der Einzelne Rechte geltend machen kann, die ihm aufgrund des Unionsrechts zustehen (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪316≫).
Gegen die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts war im vorliegenden Fall das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben, so dass das Amtsgericht nicht als letzte Instanz entschieden hat. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin wird auch nicht deutlich, weshalb das Amtsgericht zu einer Vorlage an den Gerichtshof verpflichtet gewesen und wie durch seine Entscheidung ihr Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt sein könnte.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.
a) aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 73, 339 ≪366≫; 82, 159 ≪192≫; 126, 286 ≪315≫; 128, 157 ≪186 f.≫; 129, 78 ≪105≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 64, Rn. 177). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪192 f.≫; 128, 157 ≪187≫; 129, 78 ≪105≫; stRspr). Kommt ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens daher nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht gegeben ist (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 24. April 2013 – 1 BvR 1215/07 –, NJW 2013, S. 1499 ≪1501≫, Rn. 91; Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 64, Rn. 177), kann dem Rechtsschutzsuchenden des Ausgangsrechtsstreits der gesetzliche Richter entzogen sein (vgl. BVerfGE 73, 339 ≪369≫; 126, 286 ≪315≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 64, Rn. 177).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs. C-283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, S. 3415 ff., Rn. 21) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch BVerfGE 82, 159 ≪193≫; 128, 157 ≪187≫; 129, 78 ≪105 f.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 64, Rn. 178).
bb) Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, jedoch nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 29, 198 ≪207≫; 82, 159 ≪194≫). Durch die grundrechtsähnliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird das Bundesverfassungsgericht nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenen, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht gehalten, seinerseits die Kompetenzregeln zu beachten, die den Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung übertragen (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪194≫).
Diese Grundsätze gelten auch für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteils-umdruck, S. 65, Rn. 180). Daher stellt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪315≫). Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪315 f.≫; 128, 157 ≪187≫; 129, 78 ≪106≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 65, Rn. 180). Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung entspricht. Das Bundesverfassungsgericht wacht allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪316≫ m.w.N.). Ein „oberstes Vorlagenkontrollgericht” ist es nicht (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪316≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 65, Rn. 180; BVerfGK 13, 506 ≪512≫; 14, 230 ≪233≫; 16, 328 ≪336≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 1987 – 2 BvR 808/82 –, NJW 1988, S. 1456 ≪1457≫).
(1) Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der – seiner Auffassung nach bestehenden – Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht; vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; 126, 286 ≪316 f.≫; 128, 157 ≪187 f.≫; 129, 78 ≪106 f.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 65, Rn. 181).
(2) Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft; vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; 126, 286 ≪316 f.≫; 128, 157 ≪187 f.≫; 129, 78 ≪106 f.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteils-umdruck, S. 65, Rn. 182).
(3) Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hingegen noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪195 f.≫; 126, 286 ≪316 f.≫; 128, 157 ≪187 f.≫; 129, 78 ≪106 f.≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 65 f., Rn. 183). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines „acte clair” oder eines „acte éclairé” willkürlich bejahen (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 66, Rn. 183).
Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪196≫; 128, 157 ≪189≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 66, Rn. 184). Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts (vgl. BVerfGE 75, 223 ≪234≫; 128, 157 ≪188≫; 129, 78 ≪107≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 66, Rn. 184) die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig („acte clair”) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé”; vgl. BVerfGE 129, 78 ≪107≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 66, Rn. 184).
Unvertretbar gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 AEUV im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachlich einleuchtende Begründung bejaht (vgl. BVerfGE 82, 159 ≪196≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteilsumdruck, S. 66, Rn. 185; zum Vorliegen eines solchen Falles, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht zugrunde gelegten Meinung eindeutig vorzuziehen sind, vgl. BVerfGE 82, 159 ≪196≫; 126, 286 ≪317≫).
cc) Ein strengerer Prüfungsmaßstab ist nicht angezeigt und wird auch weder vom Ersten noch vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegt. Zwar hat die unterschiedliche Terminologie, in die beide Senate ihr Prüfungsprogramm mitunter eingekleidet haben, in der Literatur zu der Kontroverse geführt, ob ihre Prüfungsmaßstäbe übereinstimmen (verneinend Gehlhaar, NZA 2010, S. 1053 ≪1054≫; Thüsing/Pötters/Traut, NZA 2010, S. 930 ≪931≫; Bäcker, NJW 2011, S. 270 ≪271≫; Haensle, DVBl 2011, S. 811 ≪817≫; Selder, ZRP 2011, S. 164; Schröder, EuR 2011, S. 808 ≪818 ff.; 825≫; Michael, JZ 2012, S. 870 ≪872≫; Calliess, NJW 2013, S. 1905 ≪1909≫; Fastenrath, JZ 2013, S. 299 ≪301≫; Herz, DÖV 2013, S. 769 ≪772≫) und ob der Erste Senat von der Rechtsprechung des Zweiten Senats abgewichen ist (vgl. Klein, in: Breuer/Epiney/Haratsch/ Schmahl/Weiß, Der Staat im Recht, 2013, S. 425 ≪435≫; Höpfner, EuZA 2011, S. 97 ≪109≫). Solche Unterschiede in der praktischen Anwendung der Maßstäbe bestehen tatsächlich jedoch nicht. Beide Senate stimmen – unbeschadet zum Teil abweichender Formulierungen – in der Sache überein (vgl. BVerfGE 128, 157 ≪187 f.≫; 129, 78 ≪107≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 28. Januar 2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 –, Urteils-umdruck, S. 65 f., Rn. 183 ff.).
Einen über die Willkürkontrolle hinausgehenden strengeren Maßstab gebieten zudem weder das Unionsrecht (1) noch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (2).
(1) Eine unionsrechtliche Pflicht, einen Verstoß gegen Art. 267 AEUV umfassend zu kontrollieren, besteht nicht. Art. 267 Abs. 3 AEUV fordert kein zusätzliches Rechtsmittel zur Überprüfung der Einhaltung der Vorlagepflicht (vgl. BVerfGE 126, 286 ≪316≫ m.w.N.; hierzu auch Betz, Die verfassungsrechtliche Absicherung der Vorlagepflicht, 2013, S. 244 ff., 260 ff., 267 ff.). So hat der Gerichtshof der Europäischen Union zur Reichweite des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, das ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (vgl. EuGH, Urteil vom 27. November 2001, Rs. C-424/99, Kommission ./. Österreich, Slg. 2001, S. I-9285 ff., Rn. 45 m.w.N.) und nunmehr auch in Art. 47 GRCh verankert ist, entschieden, es sei Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, mit dem die Einhaltung dieses Rechts gewährleistet werden könne (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002, Rs. C-50/00 P, Union de Pequenos Agricultores, Slg. 2002, S. I-6677 ff., Rn. 41 und 45; Urteil vom 1. April 2004, Rs. C-263/02 P, Jégo-Quéré, Slg. 2004, S. I-3425 ff., Rn. 31). Nichts anderes folgt aus dem Effektivitätsgebot oder dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV). Hiernach sind die nationalen Gerichte lediglich verpflichtet, die vorgefundenen nationalen Verfahrensvorschriften möglichst so auszulegen und anzuwenden, dass natürliche und juristische Personen die Rechtmäßigkeit jeder nationalen Entscheidung oder anderen Maßnahme, mit der eine Gemeinschaftshandlung allgemeiner Geltung auf sie angewandt wird, gerichtlich anfechten und sich dabei auf die Ungültigkeit dieser Handlung berufen können (vgl. EuGH, Urteil vom 1. April 2004, Rs. C-263/02 P, Jégo-Quéré, Slg. 2004, S. I-3425 ff., Rn. 32 m.w.N.; vgl. auch BVerfGK 13, 506 ≪513 ff.≫).
(2) Auch aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt sich nichts anderes. Die Konvention und die sie konkretisierende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind zwar auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen bei der Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze heranzuziehen (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪366 ff.≫). Dies gilt auch für das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter.
Die Ablehnung eines Antrags auf Vorlage einer Rechtssache an den Gerichtshof der Europäischen Union kann zwar gegen die Garantie eines fairen Verfahrens verstoßen (Art. 6 Abs. 1 EMRK), dies jedoch allenfalls dann, wenn sie willkürlich ist (EGMR, Entscheidung vom 1. Februar 2005, Beschwerde-Nr. 73711/01, Matheis ./. Deutschland; Entscheidung vom 13. Februar 2007, Beschwerde-Nr. 15073/03, John ./. Deutschland, EuGRZ 2008, S. 274 ≪276≫; Entscheidung vom 8. Dezember 2009, Beschwerde-Nr. 54193/07, Herma ./. Deutschland, NJW 2010, S. 3207 ≪3208≫; Urteil vom 20. September 2011, Beschwerde-Nr. 3989/07, 38353/07, Ullens de Schooten u. Rezabek/Belgien, NJOZ 2012, S. 2149 ≪2150 f.≫, jeweils m.w.N.). Die von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Willkürprüfung deckt sich somit mit den konventionsrechtlichen Anforderungen an ein faires Verfahren und stellt diese vollumfänglich sicher.
b) Nach diesen Maßstäben ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt. Im Rahmen der insoweit anerkannten FaIlgruppen kommt allein die der Unvollständigkeit der Rechtsprechung in Betracht. Das Oberlandesgericht hat Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht unvertretbar gehandhabt. Es hatte selbst keine Zweifel an der richtigen Beantwortung der Frage und ist in seiner Entscheidung offenkundig auch nicht bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union abgewichen.
Dass das Oberlandesgericht keine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union herbeigeführt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Unbeschadet der nicht weiter aufgeklärten Frage, ob der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit überhaupt eröffnet war, hat es sich jedenfalls mit der einschlägigen und gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Warenverkehrsfreiheit auseinandergesetzt und sich bei seiner Entscheidung an dieser orientiert. Es ist dabei von der Annahme ausgegangen, dass die Vorschriften der Verordnung über Fertigpackungen als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen, jedoch durch zwingende Erfordernisse – namentlich des Verbraucherschutzes und der Lauterkeit des Handelsverkehrs – gerechtfertigt seien. Auf dieser Grundlage hat es im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2007 – 3 C 12/06 –, juris, Rn. 28 f.) in vertretbarer Weise die Überzeugung gebildet, dass die Rechtslage in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt. Der Vortrag der Beschwerdeführerin, der Gerichtshof habe die Vereinbarkeit der Verordnung über Fertigpackungen mit der Warenverkehrsfreiheit noch nicht geprüft, ist nicht ausreichend, um eine eindeutig vorzugswürdige Gegenauffassung zu der vom Oberlandesgericht vertretenen Rechtsansicht darzulegen.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
IV.
Der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin ist abzulehnen, weil die von ihr formulierte Vorlagefrage für die Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht erheblich ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Gerhardt, Huber
Fundstellen
Haufe-Index 6786297 |
NJW 2014, 2489 |