Verfahrensgang
KG Berlin (Beschluss vom 28.06.2012; Aktenzeichen 4 Ws 61/12, 141 AR 305/12) |
LG Berlin (Entscheidung vom 14.12.2011; Aktenzeichen (539) 234 Js 2053/11 KLs (29/11)) |
Tenor
1. Der Beschluss des Kammergerichts vom 28. Juni 2012 – 4 Ws 61/12 – 141 AR 305/12 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Das Verfahren wird an das Kammergericht zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung von Akteneinsicht an ein Presseunternehmen im Strafverfahren.
1. Mit Urteil vom 19. September 2011 verurteilte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Die Revision des Beschwerdeführers verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 28. März 2012 als unbegründet.
2. Der Fall erregte in der Öffentlichkeit erhebliche Aufmerksamkeit und wurde zum Gegenstand ausführlicher medialer Berichterstattung. Unter anderem veröffentlichte die B. in ihrer Druckausgabe vom 24. August 2011 einen Bericht über den ersten Verhandlungstag. Neben dem Text wurde ein Bild des Beschwerdeführers abgedruckt, das diesen auf der Anklagebank mit unkenntlich gemachter Augenpartie zeigte. In diese Abbildung war eine Porträtaufnahme des Beschwerdeführers eingefügt worden.
3. Mit Schreiben vom 7. Dezember 2011 beantragte ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter der B. GmbH Akteneinsicht in die Strafakte. Zur Begründung führte er aus, der Beschwerdeführer habe gegen die B. GmbH eine zivilrechtliche Klage erhoben. Gegenstand sei die Berichterstattung über das Strafverfahren.
Mit Verfügung vom 14. Dezember 2011 gewährte der Vorsitzende der 39. Strafkammer – Jugendkammer – des Landgerichts Berlin ohne weitere Begründung und vorbehaltlich des Nachweises einer Vollmacht die begehrte Akteneinsicht. Nach Vorlage einer Vollmacht erfolgte am 4. Januar 2012 die Übersendung eines Aktendoppels. Die Akteneinsicht umfasste die vollständige Verfahrensakte, nicht jedoch den Bundeszentralregisterauszug des Beschwerdeführers und das diesen betreffende forensisch-psychiatrische Gutachten.
4. Von der Gewährung der Akteneinsicht erfuhr der Beschwerdeführer erst durch die Klageerwiderung der B. GmbH im Zivilprozess. Daraufhin legte der Verteidiger des Beschwerdeführers am 5. März 2012 Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Dezember 2011 ein und beantragte die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Er rügte insbesondere, die Entscheidung des Vorsitzenden verletze den Beschwerdeführer in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die B. GmbH habe kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 475 Abs. 1 Satz 1 StPO an der Akteneinsicht dargelegt. Außerdem habe der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung der Akteneinsicht. Der Vorsitzende der Jugendkammer half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Kammergericht zur Entscheidung vor.
5. Mit Beschluss vom 28. Juni 2012 verwarf das Kammergericht die Beschwerde als unzulässig, weil sie nicht statthaft sei. Das Kammergericht führte aus, „gemäß § 478 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StPO” seien „ausschließlich Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Auskünften und Akteneinsicht für Privatpersonen und andere Stellen (§ 475 StPO) anfechtbar”. Zudem könne das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe zwar zur Annahme eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme führen. Jedoch setze die Zulässigkeit des Feststellungsantrages die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels vor Eintritt der Erledigung voraus. Diese sei hier nicht gegeben.
6. Parallel zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde wandte sich der Verteidiger des Beschwerdeführers gegen diesen Beschluss mit einem als „Gegenvorstellung” bezeichneten Schreiben vom 9. August 2012 an das Kammergericht Berlin. In dem Schreiben rügte er eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG, da das Kammergericht die Beschwerde fehlerhaft als unstatthaft verworfen habe. Das Gericht sei offensichtlich von einer unzutreffenden, seit dem Jahr 2009 überholten Gesetzeslage ausgegangen. Seit der Novellierung des § 478 StPO im Zuge des 2. Opferrechtsreformgesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2280) sei die Beschwerde gegen die Entscheidung des Vorsitzenden statthaft.
7. Das Kammergericht verwarf die Gegenvorstellung mit Beschluss vom 29. August 2012 als unzulässig. Eine Änderung unanfechtbarer Entscheidungen sei gesetzlich nur zugelassen, wenn das rechtliche Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sei (§§ 33a, 356a StPO). Dies sei aber nicht der Fall, weil der Senat keine Umstände berücksichtigt habe, zu denen der Beschwerdeführer nicht angehört worden wäre. Seine Ausführungen enthielten lediglich eine eigene tatsächliche und rechtliche Bewertung des beanstandeten Geschehens. Die Unanfechtbarkeit der beanstandeten Entscheidung (§ 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 StPO) dürfe nicht durch Anerkennung eines außergesetzlichen Rechtsbehelfs umgangen werden. Im Übrigen habe die Entscheidung des Senats vom 28. Juni 2012 „auf der Anwendung der im Zeitpunkt dieser Entscheidung geltenden Gesetzesfassung, konkret der Sätze 1 und 2 des § 478 Abs. 3 StPO”, beruht.
8. Absatz 3 des § 478 StPO hatte in der bis zum 30. September 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.) folgenden Wortlaut:
In den Fällen des § 475 kann gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Absatz 1 gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 beantragt werden. Die Entscheidung des Vorsitzenden ist unanfechtbar. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.
Die in dem entscheidungserheblichen Zeitraum geltende Fassung des § 478 Absatz 3 StPO (im Folgenden: n. F.) lautete:
In den Fällen des § 475 kann gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Absatz 1 gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.
Entscheidungsgründe
II.
Mit seiner fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie von Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Die Entscheidung des Vorsitzenden der Jugendkammer ohne vorherige Anhörung des Beschwerdeführers verletze ihn in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Bei Anwendung des § 475 StPO habe die Auskunft erteilende oder Akteneinsicht gewährende Stelle die schutzwürdigen Interessen derjenigen Personen, deren Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden, gegen das Informationsinteresse des Antragstellers abzuwägen. Dies sei nicht geschehen. Weder habe die B. GmbH ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt, noch sei das schutzwürdige Interesse des Beschwerdeführers an der Verweigerung der Akteneinsicht ausreichend berücksichtigt worden. Zudem sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Betroffenen vor Erteilung der Auskünfte und erst recht vor Gewährung von Akteneinsicht rechtliches Gehör zu gewähren, um eine effektive Wahrnehmung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu ermöglichen.
2. Der Beschluss des Kammergerichts vom 28. Juni 2012 verletze ihn in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG sowie in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Die Verwerfung der Beschwerde als unstatthaft durch das Kammergericht basiere auf einer seit der Gesetzesänderung im Jahre 2009 unvertretbaren, objektiv willkürlichen Rechtsanwendung und stelle daher einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Hierdurch habe das Kammergericht zugleich die Beschreitung des Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert und damit gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Schließlich liege auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG vor, weil das Kammergericht die Beschwerde aus nicht mehr vertretbaren Gründen als unzulässig verworfen und sich deshalb mit dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht befasst habe.
III.
1. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt, die B. GmbH und der Vorsitzende der 39. Strafkammer des Landgerichts Berlin Stellung genommen. Nach Auffassung des Generalbundesanwalts hat die Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Entscheidung des Kammergerichts Aussicht auf Erfolg. Die B. GmbH hält die Verfassungsbeschwerde teilweise bereits für unzulässig, jedenfalls für unbegründet. Der Vorsitzende der 39. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat klarstellende Ausführungen zu Umfang sowie Art und Weise der Akteneinsichtsgewährung gemacht. Der Beschwerdeführer hat auf die Stellungnahmen erwidert.
2. Dem Bundesverfassungsgericht hat die Strafakte zu dem Aktenzeichen 234 Js 2053/11 vorgelegen.
IV.
Die Verfassungsbeschwerde wird zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen den Beschluss des Kammergerichts richtet, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine der Verfassungs-beschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt. Danach ist die insoweit zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Sinn offensichtlich begründet (§ 93b i.V.m. § 93c Abs. 1 BVerfGG). Der Beschluss des Kammergerichts verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
1. Ein verfassungsgerichtliches Eingreifen gegenüber Entscheidungen der Fachgerichte unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Willkürlich ist ein Richterspruch nicht bereits dann, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler aufweisen. Hinzukommen muss vielmehr, dass Rechtsanwendung oder Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht. Dabei enthält die Feststellung von Willkür keinen subjektiven Schuldvorwurf. Willkür ist vielmehr in einem objektiven Sinne zu verstehen (vgl. BVerfGE 62, 189 ≪192≫; 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; stRspr). Es muss sich um eine krasse Fehlentscheidung (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪14≫) oder um einen besonders schweren Rechtsanwendungsfehler – wie die Nichtbe-rücksichtigung einer offensichtlich einschlägigen Norm oder die krasse Missdeutung des Inhalts einer Norm (vgl. BVerfGE 87, 273 ≪279≫) – handeln.
2. Nach diesen Maßstäben beruht der Beschluss des Kammergerichts auf einer objektiv willkürlichen Gesetzesauslegung.
a) Dies gilt jedenfalls dann, falls das Kammergericht die Entscheidung auf Grundlage des § 478 Abs. 3 StPO a. F. getroffen hat. Denn die Anwendung einer außer Kraft getretenen Norm ist mit der Nichtanwendung einer offensichtlich einschlägigen Norm vergleichbar. Trotz der anders lautenden, ausdrücklichen Erklärung des Kammergerichts im die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers verwerfenden Beschluss vom 29. August 2012 spricht vieles für eine irrtümliche Anwendung des veralteten Gesetzestextes.
Das Kammergericht hat die den teilweisen Ausschluss der Beschwerde regelnde Vorschrift des § 478 Abs. 3 Satz 3 StPO n. F. weder im angegriffenen Beschluss vom 28. Juni 2012 noch in seinem Beschluss vom 29. August 2012 zur Begründung seiner Entscheidung angeführt, sondern allein auf die Sätze 1 und 2 des Absatzes 3 der Vorschrift Bezug genommen. Diese Sätze regeln aber nicht (mehr) den Ausschluss der Beschwerde. Auch die seitens des Kammergerichts angeführten Fundstellen sprechen für eine irrtümliche Anwendung des veralteten Gesetzestextes. Eine vom Kammergericht in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamburg führte zur Begründung den genauen Wortlaut des damaligen Beschwerdeausschlusses gemäß § 478 Abs. 3 Satz 2 StPO a. F. an (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 3. Januar 2002 – 2 Ws 258/01 –, juris, Rn. 3 f.; vgl. auch Rübenstahl, StraFo 2013, S. 341). Die zusätzlich vom Kammergericht zitierte Literatur war teilweise veraltet – so war der von dem Kammergericht zitierte Karlsruher Kommentar auf dem Stand des Jahres 2008 – oder nahm ersichtlich irrtümlich die veraltete Gesetzeslage in Bezug (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. 2011, § 304 Rn. 5; siehe hierzu Rübenstahl, StraFo 2013, S. 341 ≪342 Fn. 6≫).
b) Doch selbst wenn das Kammergericht – so wie von ihm angegeben – § 478 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StPO n. F. angewendet haben sollte, ist die Entscheidung objektiv willkürlich.
Nach § 304 Abs. 1 StPO ist die Beschwerde gegen Verfügungen des Vorsitzenden zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht. Ein derartiger Ausschluss der Beschwerde ist nach dem Wortlaut in § 478 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StPO n. F. nicht (mehr) angeordnet. Angesichts der klaren Regelung des § 304 Abs. 1 StPO („… ausdrücklich einer Anfechtung entzieht”) kann nicht etwa im Wege eines Umkehrschlusses, auf den sich das Kammergericht im Übrigen auch nicht beruft, aus der Anordnung des Rechtsbehelfs in § 478 Abs. 3 Satz 1 StPO n. F. gegen die Entscheidung des Staatsanwaltes nach § 478 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO auf das Fehlen eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung des Vorsitzenden nach § 478 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO geschlossen werden.
Zudem spricht die Entstehungsgeschichte des § 478 Abs. 3 StPO n. F. gegen einen Ausschluss der Beschwerde (vgl. auch Rübenstahl, StraFo 2013, S. 341 ≪342≫): Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Vorsitzenden wurde als „nicht mehr sachgerecht” angesehen, weshalb der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit entfallen sollte (vgl. BTDrucks 16/12098, S. 36, 40). Auch wenn die Gesetzesbegründung dabei in erster Linie auf die Anfechtungsmöglichkeit bei Versagung der Akteneinsicht abgestellt hat, ist aus den Gesetzesmaterialien nicht ersichtlich, dass für die umgekehrte Situation – die Gewährung der Akteneinsicht – etwas anderes gelten sollte.
Soweit die – vom Kammergericht ohnehin nicht angeführte – Vorschrift des § 478 Abs. 3 Satz 3 StPO n. F. „die Entscheidung des Gerichts” für unanfechtbar erklärt, gilt dies aufgrund des nachfolgenden Nebensatzes „solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind” jedenfalls nicht für Entscheidungen des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 478 Rn. 4; Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 478 Rn. 5; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 478 Rn. 14; Rübenstahl, StraFo 2013, S. 341).
c) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die angegriffene Entscheidung des Kammergerichts auf der objektiv unvertretbaren Rechtsauffassung beruht, weil die Beschwerde nicht aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig oder unbegründet gewesen wäre.
3. Da die Entscheidung des Kammergerichts wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG aufzuheben ist, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob der Beschwerdeführer in weiteren von ihm geltend gemachten Rechten verletzt worden ist.
V.
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die Verfügung des Strafkammervorsitzenden richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Das Kammergericht hat bislang noch keine Entscheidung in der Sache getroffen und wird – nach Klärung des Feststellungsinteresses – umfassend zu prüfen haben, ob die Gewährung der Akteneinsicht rechtswidrig war. Es besteht kein Anlass, der fachgerichtlichen Prüfung und Entscheidung durch das Kammergericht vorzugreifen. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
VI.
Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG war der Beschluss des Kammergerichts aufzuheben und die Sache an das Kammergericht zurückzuverweisen.
VII.
Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Landau, Kessal-Wulf, König
Fundstellen
Haufe-Index 8256275 |
NJW 2015, 3503 |
NPA 2016 |
StV 2016, 537 |
StraFo 2015, 375 |