Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzerschwerung durch verspätete Urteilsausfertigung
Beteiligte
Rechtsanwälte Marion Burghardt und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. Mai 2001 – 5 Sa 1707/00 – verletzt den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Es wird aufgehoben.
Die Sache wird an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin zurückverwiesen.
Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 EUR (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein landesarbeitsgerichtliches Berufungsurteil, das in vollständig abgefasster Form erst mehr als sieben Monate nach der Verkündung der Geschäftsstelle übergeben wurde.
I.
Der Beschwerdeführer ist bei dem im Ausgangsverfahren beklagten Land als Sportlehrer im Schuldienst angestellt. Nachdem er mehrere Arbeitsunfälle erlitten hatte, hielt ihn das Land während der Zeit vom 1. April 1998 bis zum 31. Mai 1999 für arbeitsunfähig. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer beim Arbeitsgericht die Feststellung der Vergütungspflicht des Landes für diesen Zeitraum. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers durch ein im Verhandlungstermin vom 29. Mai 2001 verkündetes Urteil zurück; die Revision ließ es nicht zu. Das Urteil wurde der Geschäftsstelle in vollständig abgefasster Form erst am 7. Januar 2002, mithin mehr als sieben Monate nach der Verkündung, übergeben.
II.
Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts. Zur Begründung beruft er sich auf die Entscheidung der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – (NZA 2001, S. 982).
III.
Zur Verfassungsbeschwerde sind die Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Berufliche Bildung und Frauen sowie das im Ausgangsverfahren beklagte Land angehört worden. Sie haben keine Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
B.
I.
Die Kammer nimmt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 c BVerfGG die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit nach Maßgabe der Gründe stattzugeben. Die für die Beurteilung wesentlichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die einschlägigen verfassungsrechtlichen Fragen zur Bedeutung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits entschieden.
Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfGE 41, 23 ≪25 f.≫; 69, 381 ≪385≫). Gleichzeitig gebietet die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Pflicht zur Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und zur Herstellung von Rechtssicherheit, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 60, 253 ≪269≫; 88, 118 ≪124≫).
2. Nach diesem Maßstab verletzt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).
Eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind, kann keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein, um das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt, erschwert damit für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise.
Wegen der weiteren Begründung wird verwiesen auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – (AP Nr. 33 zu Art. 20 GG = NZA 2001, S. 982).
II.
1. Die angegriffene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist aufzuheben und die Sache – zur Vermeidung weiterer Verzögerungen – an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückzuverweisen.
2. Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten, weil sich die Verfassungsbeschwerde als begründet erwiesen hat (§ 34 a Abs. 2 BVerfGG). Die Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 707093 |
NZA 2002, 998 |
EzA-SD 2002, 13 |
EzA |
NJ 2002, 253 |