Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen behördliche und gerichtliche Entscheidungen, nach denen Restitutionsansprüche nach § 1 Abs. 2 des Vermögensgesetzes (im folgenden: VermG) nicht an der Unvollständigkeit einer Kettenerbausschlagung scheitern, wenn das vererbte Grundstück tatsächlich in Volkseigentum übernommen worden ist.
I.
Die Beschwerdeführer sind durch den Nachlaßpfleger vertretene, namentlich nicht bekannte Erben dritter Ordnung eines 1980 in Leipzig verstorbenen verwitweten und kinderlosen Erblassers. Zum Nachlaß gehörte das mit einem Wohnhaus bebaute streitgegenständliche Grundstück. Sowohl der testamentarisch eingesetzte Haupterbe als auch dessen Kind schlugen die Erbschaft aus. Das Staatliche Notariat ordnete daraufhin die Nachlaßpflegschaft an. Gesetzliche Erben erster Ordnung waren nicht vorhanden; die ermittelten Erben zweiter Ordnung schlugen die Erbschaft ebenfalls aus. Weitere Erben wurden nicht ermittelt. Infolgedessen wurde ein Erbschein zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik ausgestellt und das streitgegenständliche Grundstück als „Eigentum des Volkes” in das Grundbuch eingetragen.
1991 beantragte der testamentarisch eingesetzte Haupterbe die Rückübertragung des Grundstücks. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen gab dem Antrag nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 VermG statt. 1992 wurde der Haupterbe als Eigentümer des Grundstücks in das Grundbuch eingetragen. In der Folgezeit veräußerte er das Grundstück.
1995 bestellte das Nachlaßgericht einen Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben. Da Erben dritter Ordnung bekannt wurden, die die Erbschaft nicht ausgeschlagen hatten, zog es den zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik ausgestellten Erbschein als unrichtig ein. Im Anschluß daran forderte der Nachlaßpfleger das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen vergeblich auf, den Rückübertragungsbescheid aufzuheben. Widerspruch und Klage blieben ebenfalls erfolglos. Die Revision der Beschwerdeführer hat das Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen (vgl. NJW 1998, S. 255 = VIZ 1997, S. 641):
Der Revision sei zwar darin beizupflichten, daß die Beschwerdeführer und die inzwischen namentlich bekannten Erben dritter Ordnung aus zivilrechtlicher Sicht vor dem Fiskus der Deutschen Demokratischen Republik als Erben berufen gewesen seien. Nicht anders als im Bürgerlichen Gesetzbuch habe das im Streitfall anwendbare Erbrecht des Zivilgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: ZGB) auf dem Prinzip des sogenannten „Anfallserwerbs” beruht. Dementsprechend habe § 404 ZGB bestimmt, daß der Erwerb der Erbschaft durch den Ausschlagenden als nicht erfolgt gelte, wenn die Erbschaft ausgeschlagen worden sei; anstelle des Ausschlagenden seien, soweit kein Ersatzerbe bestimmt gewesen sei, die Erben getreten, die berufen gewesen wären, wenn der Ausschlagende im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr gelebt hätte.
Diese erbrechtliche Position der Beschwerdeführer sei jedoch nicht geeignet, den Restitutionsanspruch des erstausschlagenden Erben zu Fall zu bringen. Wie das Vermögensrecht allgemein als eine auf eigenen Wertungen beruhende Sonderrechtsordnung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise parallele wie kollidierende zivilrechtliche Ansprüche verdränge, so schließe auch § 1 Abs. 2 VermG auf erbrechtliche Grundlagen gestützte Ansprüche nachberufener Erben aus.
§ 1 Abs. 2 VermG betreffe Akte der Selbstschädigung zugunsten des Volkseigentums, die durch die damaligen Verhältnisse erzwungen worden seien und daher vom Vermögensgesetz als wiedergutzumachendes Unrecht bewertet würden. Der Tatbestand der Vorschrift sei in dem Sinne zweigliedrig, als sich der Akt der Selbstschädigung in der als wiedergutmachungswürdig erachteten Übernahme des Vermögensgegenstands in Volkseigentum vollendet haben müsse. Hätten Verzicht, Schenkung oder Erbausschlagung nicht zum Eigentumserwerb des Staates, sondern eines privaten Dritten geführt, fehle es zwar nicht an der ökonomischen Zwangslage, aber an der anstößigen Wirkung eines damit verbundenen „Abwanderns” des Vermögenswerts in staatliches Eigentum.
Der erstausschlagende Erbe – er sei vorrangig wiedergutmachungsberechtigt, weil sich der Restitutionsanspruch wie eine Anfechtung der Erbausschlagung auswirke – sei auch dann in der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Weise geschädigt, wenn das überschuldete Grundstück in Volkseigentum übernommen worden sei, ohne daß zuvor alle dem Staat vorgehenden Erben die Erbschaft ausgeschlagen hätten, die Übernahme in Volkseigentum mithin nicht der damaligen erbrechtlichen Lage entsprochen habe. Auch in diesen Fällen habe der erstausschlagende Erbe das Grundstück an das Volkseigentum verloren und sei daher nach der gesetzlichen Wertung schutzbedürftig.
Ein anderes Verständnis des § 1 Abs. 2 VermG würde die Vorschrift praktisch jeden Anwendungsbereichs berauben. In den meisten Fällen seien unbekannte Erben entfernterer Ordnungen vorhanden gewesen. Wenn der Gesetzgeber in Kenntnis dessen, daß in all diesen Fällen nur eine Erbvermutung für den Fiskus gemäß § 1964 BGB bestanden habe, den Restitutionstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG geschaffen habe, so mache dies deutlich, daß das Tatbestandsmerkmal der Übernahme in Volkseigentum auch und gerade die auf der Grundlage der gesetzlichen Erbvermutung erfolgte tatsächliche Inbesitznahme für das Volkseigentum meine.
§ 1 Abs. 2 VermG sei somit eine spezialgesetzliche Ausprägung des das gesamte Vermögensrecht beherrschenden Rechtsgedankens, daß ein wiedergutzumachendes Unrecht nicht erst dann anzunehmen sei, wenn der staatliche Zugriff auf das Vermögen nach der maßgebenden Rechtslage in jeder Beziehung wirksam erfolgt sei. Im Gegenteil sei es für zahlreiche vom Gesetzgeber als wiedergutmachungsbedürftig bewertete Sachverhalte staatlichen Vermögensunrechts typisch, daß Vermögenswerte nicht rechtswirksam entzogen worden seien. Schon für das alliierte Rückerstattungsrecht habe der Bundesgerichtshof den Standpunkt vertreten, daß Wiedergutmachungsansprüche ungeachtet einer etwaigen Nichtigkeit der vermögensentziehenden Maßnahme bereits bei einem tatsächlichen, während des Bestehens der nationalsozialistischen Herrschaft unangreifbaren Vermögensverlust entstanden seien. Allein diese Betrachtungsweise trage der Situation in Staatswesen Rechnung, die keine rechtsstaatlichen Sicherungen gegenüber bestimmten von Staats wegen gewollten oder geduldeten Vermögensentziehungen gekannt hätten. Aus diesem Grund habe das Bundesverwaltungsgericht die zum alliierten Rückerstattungsrecht entwickelte Rechtsprechung zum tatsächlich unangreifbaren Vermögensverlust für den Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes übernommen.
Ein Vorrang des Erbrechts vor dem Tatbestand des § 1 Abs. 2 VermG lasse sich nicht mit rechtssystematischen Erwägungen begründen. In diesem Zusammenhang mache die Revision geltend, die isolierte Restitution eines Grundstücks oder Gebäudes führe zu einer mit erbrechtlichen Grundsätzen unvereinbaren Aufspaltung des Nachlasses. Während der übergangene nachberufene Erbe Eigentümer des nicht von § 1 Abs. 2 VermG erfaßten Nachlasses bleibe, erhalte der Erstausschlagende das Grundstück oder Gebäude zurück, ohne in eine Erbenstellung mit den daraus folgenden Rechten und Pflichten, etwa der Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten, einzurücken. Dies sei indes keine Besonderheit der sogenannten unvollständigen Kettenerbausschlagung, trete vielmehr – ein begründetes Rückgabebegehren vorausgesetzt – auch dann ein, wenn sämtliche nacheinander berufenen Erben ausgeschlagen hätten, so daß der Nachlaß wirksam in Volkseigentum übergegangen sei.
Das dargestellte Regelungskonzept des Vermögensgesetzes sei verfassungsrechtlich unbedenklich. § 1 Abs. 2 VermG sei mit der Garantie des Eigentums und des Erbrechts in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur vereinbar, sondern trage dieser Gewährleistung in besonderer Weise Rechnung. Denn er setze mit der Einräumung vermögensrechtlicher Ansprüche zugunsten des erstausschlagenden Erben denjenigen wieder in seine frühere Rechtsstellung ein, der auch nach erbrechtlichen Grundsätzen in erster Linie von der durch die ökonomische Zwangslage bewirkten „kalten Enteignung” betroffen gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die im Verwaltungs- und im Verwaltungsstreitverfahren ergangenen Entscheidungen. Sie rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 3 GG, jeweils auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, und aus Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Zur Begründung ihrer Rüge eines Verstoßes gegen Art. 14 GG führen die Beschwerdeführer aus:
Mit dem Tod des Erblassers im Jahre 1980 seien sie kraft Gesetzes in dessen bisherige Rechtsstellung eingetreten und als Erben Eigentümer aller zum Nachlaß gehörenden Vermögenswerte, also auch des streitgegenständlichen Grundstücks, geworden. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts werde ihnen dieses Eigentum an dem Grundstück ebenso wie ein ihnen statt dessen zustehender zivilrechtlicher Ersatzanspruch nach dem Verkauf des Grundstücks durch den Haupterben endgültig entzogen. Mit der Interpretation des § 1 Abs. 2 VermG als einen ihr Erb- und Eigentumsrecht verdrängenden Tatbestand messe das Bundesverwaltungsgericht dem Vermögensgesetz die Wirkung einer Enteignung bei, für die ihnen kein Entschädigungs- oder Ersatzanspruch gewährt werde. Die Enteignung diene auch nicht dem Wohl der Allgemeinheit, erfolge vielmehr zugunsten eines privaten Dritten, dem keine dem Gemeinwohl dienende Aufgabe zugewiesen sei. Außerdem verstoße § 1 Abs. 2 VermG als Enteignungsgesetz gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, nach dem sich ein Eigentumseingriff von derart elementarer Tragweite eindeutig aus dem Gesetz selbst ergeben müsse. Mit der Auslegung des § 1 Abs. 2 VermG als ein in die Zuordnung des Eigentums an die Beschwerdeführer eingreifendes Gesetz werde der durch Art. 79 Abs. 3 GG verbürgte Kernbereich der Eigentumsgarantie verletzt.
Dem Vermögensgesetz liege kein einheitlicher Restitutionsgedanke zugrunde. Während die Mehrzahl der Rückerstattungstatbestände durch den Gedanken des Teilungs- oder auch Diskriminierungsunrechts motiviert sei, gehe es bei § 1 Abs. 2 VermG um die Korrektur des Ergebnisses einer verfehlten Mieten- und Wirtschaftspolitik. Die Vorschrift habe deshalb ordnungspolitische Funktion. Ein korrekturwürdiges Ergebnis – die Übernahme des Grundstücks in Volkseigentum – sei aber nicht eingetreten, wenn der Staat aufgrund der Erbausschlagung nicht Erbe geworden sei. In diesem Fall sei es gerade beim Eigentum eines Privaten geblieben. Dementsprechend habe der Gesetzgeber für die Fälle des § 1 Abs. 2 VermG auch keine Entschädigung nach dem Entschädigungsgesetz vorgesehen, wenn das Grundstück nicht zurückgegeben werden könne.
Der Eingriff in ihr Eigentum und ihr Erbrecht werde nicht durch Art. 143 Abs. 3 GG gedeckt. Dieser sei schon nach seinem Wortlaut nicht anwendbar. Ein Eingriff in ihre Eigentümer- und Erbenstellung habe nach der maßgeblichen Rechtslage der Deutschen Demokratischen Republik nicht stattgefunden. Sie seien Eigentümer und Erben geblieben.
2. Des weiteren liege dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine willkürliche und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Auslegung des § 1 Abs. 2 VermG zugrunde. Enteignungen, Eigentumsverzichte und Schenkungen zugunsten des Volkseigentums hätten immer den Erwerb zu Volkseigentum zur Folge gehabt. Anders sei die Rechtslage bei Erbausschlagungen gewesen. Hier sei der Staat nur Eigentümer geworden, wenn keine Erben, die die Erbschaft nicht ausgeschlagen hätten, vorhanden gewesen seien. Wenn aber bei den anderen Tatbestandsalternativen stets die rechtswirksame Übernahme in Volkseigentum Tatbestandsvoraussetzung sei, dann sei es willkürlich, bei der Tatbestandsalternative der Erbausschlagung auf die rein faktische Inbesitznahme des überschuldeten Mietwohngrundstücks abzustellen.
3. Schließlich sei Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Sie hätten vorgetragen, daß die Deutsche Demokratische Republik gerade das Erbrecht, sowohl ihrer Bürger wie auch von Ausländern, geschützt habe. Die Entziehung von Teilen der Erbmasse sei von Staats wegen nicht gewollt gewesen. Die Deutsche Demokratische Republik habe den Erben, auch den in Westdeutschland ansässigen, gerichtlichen Schutz gewährt. In seinem Urteil unterstelle das Bundesverwaltungsgericht jedoch die entgegengesetzte Sachlage als zutreffend. Auf ihr Vorbringen gehe es mit keinem Wort ein.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Rechte der Beschwerdeführer angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
1. Die Beschwerdeführer rügen in erster Linie eine Verletzung ihres durch Art. 14 GG gewährleisteten Eigentumsrechts. Bei der Entscheidung über diese Rüge kann dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß gegen Art. 14 GG schon deshalb ausgeschlossen ist, weil das Vermögensgesetz in seiner ursprünglichen Fassung bereits am 29. September 1990 in der Deutschen Demokratischen Republik, also vor deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland, in Kraft getreten (vgl. dazu Kimme, in: ders., Offene Vermögensfragen, Vor §§ 1, 2 VermG Rn. 3 ≪Stand: Juni 1993≫) und das Eigentum der Beschwerdeführer deshalb mit dem vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen Rückübertragungsanspruch der ausschlagenden Erben belastet in den Geltungsbereich des Grundgesetzes gelangt ist. Jedenfalls ist die Regelung des § 1 Abs. 2 VermG wegen Art. 143 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, und zwar auch dann nicht, wenn sie in der Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht zum Entzug noch vorhandener – auf Erbgang beruhender – Eigentumspositionen führt.
Art. 143 Abs. 3 GG sichert den verfassungsrechtlichen Bestand des Art. 41 des Einigungsvertrags (im folgenden: EV) und der Regelungen zu seiner Durchführung auch insoweit, als diese vorsehen, daß Eingriffe in das Eigentum im Beitrittsgebiet nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es ist verfassungsgerichtlich geklärt, daß diese Bestandsgarantie nicht nur für Rechtssätze gilt, die Art. 41 Abs. 1 EV und den zu seiner Durchführung bestimmten Vorschriften unmittelbar entnommen werden können. Art. 143 Abs. 3 GG verleiht vielmehr auch solchen Rechtssätzen verfassungsrechtliche Bestandskraft, die erst im Wege der Gesetzesauslegung als Inhalt des jeweiligen Regelungswerks erkannt werden (vgl. BVerfGE 95, 48 ≪60≫). Dabei ist der Begriff des Eingriffs in Art. 143 Abs. 3 GG nicht so auszulegen, daß er nur solche Eingriffe umfaßt, die auch bei korrekter Anwendung der in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Rechtsnormen unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Auslegungsgrundsätze zur endgültigen Entziehung des Eigentums geführt hätten. Vielmehr sichert Art. 143 Abs. 3 GG – im Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 95, 48 ≪60 ff.≫) – den verfassungsrechtlichen Bestand auch solcher Rechtsnormen, die die Rückgängigmachung eines jedenfalls faktisch eingetretenen Eigentumsverlusts ausschließen und damit zum Verlust eventuell noch vorhandener formaler Rechtspositionen führen (vgl. BVerfG, Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, S. 221 ≪222≫).
Das hat das Bundesverfassungsgericht gerade für Rückübertragungsfälle nach dem Vermögensgesetz entschieden, das zur Umsetzung der gemäß Art. 41 Abs. 1 EV zum Bestandteil des Einigungsvertrags gewordenen Gemeinsamen Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 und damit zur Durchführung des Art. 41 EV geschaffen worden ist (vgl. BVerfGE 94, 12 ≪46≫; BVerfG, Beschluß der 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 1998, a.a.O.). Auch § 1 Abs. 2 VermG in der hier zu beurteilenden Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht unterfällt danach dem Geltungsbereich des Art. 143 Abs. 3 GG. Die Vorschrift regelt die Rückübertragung von Grundstücken, die infolge niedriger Mieten und darauf beruhender unmittelbar bevorstehender oder eingetretener Überschuldung unter anderem durch Erbausschlagung in Volkseigentum übernommen wurden, und gehört damit zu den der Durchführung des Art. 41 EV dienenden Vorschriften (vgl. Eckwert Nr. 4 der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990 i.V.m. den Erläuterungen der Bundesregierung in BTDrucks 11/7831, S. 34 f.). Nach dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts bestimmt sie für den Fall der sogenannten Kettenerbausschlagung, daß von mehreren Ausschlagenden grundsätzlich der erstausschlagende Erbe vorrangig rückübertragungsberechtigt ist (vgl. BVerwGE 95, 106). Aus der Regelung des § 1 Abs. 2 VermG folgt nach der angegriffenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber auch, daß nachrangige Erben, die vor dem Fiskus der Deutschen Demokratischen Republik erbberechtigt gewesen wären, jedoch, weil unbekannt, nicht berücksichtigt worden sind, Ansprüche auf Herausgabe des der Vorschrift des § 1 Abs. 2 VermG unterfallenden Vermögenswerts nicht mehr geltend machen können, wenn vorrangige Erben die Rückübertragung beantragt haben. Angesichts der besonderen „Konkurrenzlage” zwischen den mehreren Erben, die das Bundesverwaltungsgericht zugunsten desjenigen auflöst, der nach allgemeinen erbrechtlichen Grundsätzen in erster Linie von der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten ökonomischen Zwangssituation betroffen war, kann auch insoweit ein Eingriff in einen durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbereich der Eigentumsgarantie nicht angenommen werden.
2. Die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen wäre allerdings anders zu beurteilen, wenn das Bundesverwaltungsgericht – wie von den Beschwerdeführern geltend gemacht – bei Auslegung des § 1 Abs. 2 VermG gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen hätte (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪96≫).
Ein solcher Verstoß liegt aber nur dann vor, wenn die angegriffene Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13≫). Die Rechtslage muß in krasser Weise verkannt worden sein (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪14≫). Dies ist hier nicht der Fall.
Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Auffassung vom Vorrang des Restitutionsanspruchs des erstausschlagenden Erben eingehend und nachvollziehbar begründet. Die dieser Auffassung zugrunde liegende Wertung wird im Schrifttum von vielen Stimmen geteilt. Danach gebührt demjenigen von mehreren in Betracht kommenden Erben, der die Erbschaft als Erstberechtigter ausgeschlagen, mithin auch als erster in der in § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Zwangslage gestanden hat, das „bessere Recht” des Geschädigten (so Kuchinke, VIZ 1998, S. 9 ≪11≫). Denn es erschiene wenig interessengerecht, wenn ein nachrangig berufener Erbe, der erst nach der politischen Wende im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik überhaupt von seinem Erbe erfahren oder Interesse daran gezeigt hat, berechtigt wäre, das Eigentum herauszuverlangen, obwohl der vorrangig berufene Erbe, der eine stärkere Beziehung zum Erblasser und damit in der Regel wohl auch zu dem fraglichen Vermögenswert gehabt haben dürfte und das Erbe aus Gründen ausgeschlagen hat, die nach dem Willen des Gesetzgebers zu einem Wiedergutmachungsanspruch führen können, einen Rückübertragungsantrag gestellt hat (vgl. beispielsweise – neben Kuchinke, a.a.O. – Förster, OV spezial 1995, S. 279 ff.; Hartkopf, OV spezial 1996, S. 88 ≪89 f.≫; Otto/Steffens, DtZ 1996, S. 6 ff.; Rettler, OV spezial 1995, S. 354 ff.; Vogt/ Kobold, DtZ 1993, S. 226 ≪229≫; a.A. dagegen etwa Grün, VIZ 1996, S. 681 ≪685 ff.≫ und Kettel, DtZ 1994, S. 20 ff.).
Auch die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, daß Absatz 2 des § 1 VermG wie die übrigen Tatbestände dieser Vorschrift einen Wiedergutmachungstatbestand darstelle und nicht lediglich ordnungspolitische Funktion habe, wie die Beschwerdeführer (in Übereinstimmung mit Motsch, in: ders./Rodenbach/Löffler/Schäfer/Zilch, Kommentar zum Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, § 1 EntschG Rn. 62 ≪Grundwerk≫) meinen, entspricht einer in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Kuchinke, VIZ 1998, S. 9 ≪11 f.≫) und ist im Hinblick auf die Zwangslage, in der sich der erstausschlagende Erbe als erster befunden hat, zumindest gut vertretbar, mithin auf keinen Fall willkürlich.
Der Vorwurf der Willkür kann aber auch nicht darauf gestützt werden, daß das Bundesverwaltungsgericht vom eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 2 VermG abgewichen sei. Der Wortlaut der Vorschrift „in Volkseigentum übernommen”) steht der Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zwingend entgegen; er läßt vielmehr auch die Annahme zu, daß es auf die faktische Übernahme in Volkseigentum ankommen soll. Auch die Erläuterungen der Bundesregierung zu § 1 Abs. 2 VermG nötigen nicht zu einem anderen Verständnis. Zwar heißt es dort, daß eine Erbausschlagung wirksam bleibe, wenn durch sie andere Erben „zum Zuge gekommen” sind (vgl. BTDrucks 11/7831, S. 35). Ob damit ein rechtliches oder ein tatsächliches Zum-Zuge-Kommen gemeint ist, bleibt dabei aber offen.
Eine Verletzung des Willkürverbots läßt sich schließlich nicht damit begründen, daß die Schädigungen, die auf einer Erbausschlagung beruhen, nicht anders behandelt werden dürften als Schädigungen, die nach einer der übrigen Tatbestandsalternativen des § 1 Abs. 2 VermG eingetreten sind. Einmal kommt auch bei Enteignungen, Eigentumsverzichten und Schenkungen in Betracht, daß der Übergang in Volkseigentum nicht wirksam erfolgt ist und somit nur ein faktischer Übergang in Volkseigentum stattgefunden hat. Zum anderen führt auch der Umstand, daß in der Folge von Enteignungen, Eigentumsverzichten und Schenkungen an den Staat jedenfalls in der Regel Volkseigentum wirksam entstanden sein dürfte, während es bei Erbausschlagungen wohl häufiger nur zu einer tatsächlichen Begründung von Volkseigentum gekommen ist, nicht notwendig dazu, daß bei allen Tatbestandsvarianten zwingend auf die rechtlich wirksame Entstehung von Volkseigentum abgestellt werden müßte. Nicht jede, sondern nur die im jeweiligen Zusammenhang wesentliche Abweichung im tatsächlichen Bereich kann eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung erfordern (vgl. dazu etwa BVerfGE 84, 133 ≪158≫). Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, daß es für die Annahme eines Rückübertragungsanspruchs nach dem Vermögensgesetz gerade nicht wesentlich ist, ob es zu einer rechtlich wirksamen oder nur zu einer tatsächlichen Begründung von Volkseigentum gekommen ist, ist von daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch nicht den Anspruch der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Zwar verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs das Gericht, die Ausführungen von Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪145≫). Art. 103 Abs. 1 GG ist aber erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, daß das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Es ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (vgl. BVerfGE 86, 133 ≪145 f.≫).
Gemessen daran ist Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer, daß der Erbe eines in der Deutschen Demokratischen Republik belegenen Grundstücks die Einsetzung in sein Eigentum hätte bewirken können, wenn er von seinem Erbe erfahren hätte, in den Gründen der angegriffenen Entscheidung nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Es brauchte dies aber auch nicht zu tun, weil seine Entscheidung ersichtlich nicht von der Antwort auf diese Frage abhing. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht darauf abgestellt, daß Erben keinen Rechtsschutz hätten erlangen können. Es hat vielmehr lediglich ausgeführt, daß es für Sachverhalte staatlichen Vermögensunrechts typisch sei, daß Vermögenswerte nicht rechtswirksam entzogen würden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Grimm, Hömig
Fundstellen
Haufe-Index 1210320 |
NJW 1998, 2583 |
FamRZ 1998, 949 |
VIZ 1998, 371 |
WM 1998, 1340 |
NJ 1998, 364 |