Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 27.03.1995; Aktenzeichen 7 S 326/94)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. März 1995 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ist unbegründet. Die als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu.

1. Die mit der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob “ein ‘begründeter Fall’ i.S.d. § 29 BSHG auch dann (vorliege), wenn die Verwertbarkeit des Vermögens des Hilfeempfängers oder einer in § 28 BSHG genannten Person zum Zeitpunkt der Erteilung der Kostenzusage nicht feststeht”, ist schon deshalb nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO klärungsbedürftig, weil sie, soweit sie überhaupt verallgemeinerungsfähig ist, sich bereits aufgrund der – an sich auch von der Beschwerde berücksichtigten – Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten läßt. Der Senat hat nämlich § 29 BSHG auf den Fall angewandt, daß die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Hilfeempfängers zunächst unbekannt waren (BVerwGE 52, 16 ≪19≫) und damit zu erkennen gegeben, daß nicht schon die “offene Frage” (BVerwG a.a.O.) einer Verwertbarkeit von Vermögen der Anwendung von § 29 BSHG entgegenstehen kann. Ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht dies anders zu beurteilen ist, wenn – wie die Beschwerde vorträgt – “der Sozialhilfeträger nur aus Erleichterungsgründen zu § 29 BSHG greift, insbesondere um die Einkommens- und Vermögensüberprüfung der in § 28 BSHG genannten Personen aufzuschieben”, kann hier auf sich beruhen; denn daß ein solcher Fall hier vorliege, ist von der Vorinstanz nicht festgestellt worden. Im Gegenteil hat der Verwaltungsgerichtshof zum Vorliegen eines “begründeten Falles” festgestellt, daß es dem Beklagten vor der notwendig gewordenen Heimaufnahme der Hilfeempfängerin und der vorausgehenden, vom Heimträger verlangten Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers wegen der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen sei, sich über die Verwertbarkeit des Vermögens, insbesondere des Hausgrundstücks, die erforderliche Klarheit zu verschaffen (S. 6 des Berufungsurteils).

Wenn die Beschwerde geltend macht, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts “(beschränke) sich auf den Fall, daß sich der Sozialhilfeträger unverzüglich nach Erteilung der Kostenzusage darum bemüht, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu ermitteln”, so ergibt sich auch daraus kein (weiterer) Bedarf nach einer revisionsgerichtlichen Klärung; denn die Rechtslage läßt sich insoweit ohne weiteres dem Gesetz entnehmen (vgl. zum Fehlen der grundsätzlichen Bedeutung in solchen Fällen z.B. Beschluß des Senats vom 31. Juli 1987 – BVerwG 5 B 49.87 – ≪Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14≫). Es ergibt sich nämlich unmittelbar aus dem Gesetz und dessen Systematik, daß die von der Beschwerde genannte Beschränkung den Anwendungsbereich des § 29 BSHG nicht betrifft: Die Vorschrift regelt in ihrem Satz 1 die Ermächtigung des Sozialhilfeträgers zur Hilfegewährung. Dieser Ermächtigung bedarf es aufgrund des für das Sozialrecht geltenden Gesetzesvorbehalts (s. § 31 SGB I). Erst in Satz 2 ist die Verpflichtung zum Ersatz der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers geregelt. Es kann demgemäß allenfalls die Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs betreffen, wenn der Sozialhilfeträger nicht unverzüglich Klarheit über die Erfüllung dieser Voraussetzungen herbeiführt. Allenfalls in diesem Zusammenhang kann die Zumutbarkeit eines Vermögenseinsatzes im Sinne des Satzes 1 eine Rolle spielen. Demgegenüber bleibt die Ermächtigung des Sozialhilfeträgers, auf der Grundlage von § 29 Satz 1 BSHG Hilfe zu gewähren, von den Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs nach Satz 2 dieser Vorschrift unberührt. Die Voraussetzungen für die Annahme eines “begründeten Falles” im Sinne des Satzes 1 hängen somit von den Voraussetzungen des Satzes 2 nicht ab.

Die Frage, “welche Anforderungen im einzelnen an die Anwendbarkeit des § 29 BSHG in Fällen des Nichtfeststehens der Verwertbarkeit des Vermögens zum Zeitpunkt der Erteilung der Kostenzusage zu stellen sind”, kann sich demzufolge nur auf eine Anwendung von Satz 2 jener Vorschrift beziehen. Sie läßt sich aber ebensowenig in grundsätzlicher, d.h. in einer der Verallgemeinerung fähigen Weise beantworten wie die hiermit zusammenhängende, von der Revision für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, “in welchem Umfang sich der Sozialhilfeträger um die Feststellung der Verwertbarkeit des Vermögens zu bemühen und innerhalb welchen Zeitraums eine abschließende Stellungnahme hierzu zu erfolgen (hat)”.

Zur Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann schließlich auch nicht der Hinweis der Beschwerde darauf führen, daß das Verwaltungsgericht Karlsruhe und der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg den Standpunkt verträten, nur “wenn die Verwertbarkeit des Vermögens feststehe, … (dürfe) erweiterte Hilfe i.S.d. § 29 BSHG gewährt werden, … es liege kein ‘begründeter Fall’ i.S.d. § 29 BSHG vor, wenn ungeklärt sei, ob der Hilfeempfänger bzw. die in § 28 BSHG genannten Personen verwertbares Vermögen besitzen, (oder) wenn der Sozialhilfeträger nur aus Erleichterungsgründen zur Aufschiebung der Einkommens- oder Vermögensüberprüfung der in § 28 BSHG genannten Personen zu § 29 BSHG greife”. Allein die Abweichung einzelner Verwaltungsgerichte von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet regelmäßig noch keinen Bedarf an einer (erneuten) revisionsgerichtlichen Klärung der betreffenden rechtlichen Problematik. Dies hätte für den Rechtsstandpunkt zu gelten, § 29 BSHG sei bei zunächst noch ungeklärten Einkommens- oder Vermögensverhältnissen von vornherein unanwendbar. Soweit es um die rechtliche Relevanz einer verzögerlichen Ermittlung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse durch den Sozialhilfeträger geht, so ist, wie bereits dargelegt, das Berufungsgericht von einem derartigen Sachverhalt im vorliegenden Fall nicht ausgegangen. Insbesondere hat es keine Ermittlungen darüber angestellt, aus welchen Gründen die Klägerinnen vom Beklagten erst im Jahre 1991 zum Aufwendungsersatz herangezogen worden sind. Der bloße Zeitablauf genügt für die Feststellung verzögerlicher Ermittlungen nicht. Was die Beschwerde hierzu vorträgt, findet in den im Falle eines Revisionsverfahrens für das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs demgegenüber bislang keine Grundlage. Es kann aber die Revision nicht zugelassen werden, wenn es den Sachverhalt, auf dessen Grundlage sich die für klärungsbedürftig gehaltene(n) Rechtsfrage(n) stellen würde(n), erst noch zu ermitteln gilt. Hat demgemäß das Berufungsgericht Tatsachen, die vorliegen müßten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochene Rechtsfrage sich in einem Revisionsverfahren stellen könnte, nicht festgestellt, kann die Revision nicht im Hinblick auf diese Rechtsfrage wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden (s. auch Beschluß des Senats vom 30. Juni 1992 – BVerwG 5 B 99.92 – ≪Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309≫).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel, Dr. Franke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1622090

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