Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 29.05.2008; Aktenzeichen 11 LC 141/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionszulassung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Danach kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.
a) Die Klägerin möchte im Zusammenhang mit der “Rechtsfigur eines polizeilichen Notstandes im Hinblick auf das Versammlungsrecht” geklärt wissen, “welche Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen sind, also wie konkret die zu erwartende Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erscheinen muss, insbesondere hinsichtlich der Schwere der zu befürchteten Gefährdung und der Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts”. Diese Frage führt deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil sie – soweit sie einer grundsätzlichen Beantwortung zugänglich ist – in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt ist. Die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes sind nicht klärungsbedürftig (vgl. Beschluss vom 21. August 1985 – BVerwG 1 B 11.85 – Buchholz 402.44 VersG Nr. 6 S. 12). Dies gilt auch hinsichtlich des für das Einschreiten erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrades. Das Einschreiten gegen eine Versammlung auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) – VersG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 1978 (BGBl I S. 1789), zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. August 1999 (BGBl I S. 1818), unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes setzt eine hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose sowie die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbaren Mittel, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten ermöglichen, voraus (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 – 1 BvR 233, 341/81 – BVerfGE 69, 315 ≪360 ff.≫, vgl. auch Kammerbeschluss vom 18. August 2000 – 1 BvQ 23/00 – NJW 2000, 3053 und BVerwG, Urteil vom 23. März 1999 – BVerwG 1 C 12.97 – NVwZ 1999, 991 ≪992≫). Der Wahrscheinlichkeitsgrad, der auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 VersG zum Eingreifen gegen den Nichtstörer im Rahmen des polizeilichen Notstandes erforderlich ist, liegt nicht unter dem Wahrscheinlichkeitsgrad, der – lägen die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht vor – für den Eingriff gegen den Störer erforderlich wäre (Beschluss vom 21. August 1985 a.a.O. S. 12). Ob die hohe Wahrscheinlichkeit in der Gefahrenprognose das Verbot oder die Beschränkung einer Versammlung rechtfertigt, ist eine Frage des konkreten Einzelfalles. Ihr kommt deshalb eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
b) Die Klägerin hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, “welche Anforderungen an die Darlegungslast der insoweit beweisbelasteten Behörde (zu) stellen sind, also insbesondere, wie konkret die vorliegenden Gefahrenindizien geschildert werden müssen, welche Gefahren aus diesen Indizien im Einzelnen abgeleitet werden, wie konkret die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Gefahren ist und aus welchen Gründen den befürchteten Gefahren durch die verfügbaren polizeilichen Einsatzkräfte nicht begegnet werden kann und ob die Behörde auch verpflichtet ist, darzulegen, welche Zahl an Polizeikräften verfügbar ist, aus welchen Gründen eine höhere Zahl von Einsatzkräften nicht angefordert werden kann und weshalb die verfügbaren Einsatzkräfte nicht ausreichen, um den prognostizierten Gefahren zu begegnen”. Diese Fragen entziehen sich einer über den Einzelfall hinausgehenden Beantwortung im Rahmen eines Revisionsverfahrens. Es ist allein auf der Grundlage des konkreten Einzelfalles zu entscheiden, ob nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Klägerin ist der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht habe ihren in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt. Sie beanstandet insoweit eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO. Diese Rüge rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Für die ordnungsgemäße Begründung einer Rüge mangelhafter Sachaufklärung muss substantiiert u.a. dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände, die für das Gericht entscheidungserheblich waren, Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Vorinstanz zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O. und Urteil vom 21. Juni 2006 – BVerwG 6 C 19.06 – NVwZ 2006, 1175 Rn. 25). Wird die Ablehnung eines Beweisantrags auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, ist es mit Blick auf die Begründungspflicht des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO geboten, sich in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit allen die Ablehnung des Beweisantrages tragenden Erwägungen substantiiert auseinanderzusetzen. Die Rüge der Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO ist schon deshalb nicht ausreichend begründet, weil sich die Klägerin nicht mit allen die Ablehnung des Beweisantrages tragenden Gründen auseinandergesetzt hat.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt, Beweis darüber zu erheben, dass die Polizei bei ihrer Planung stets den Erlass einer Allgemeinverfügung auch im Zusammenhang mit dem Castor-Transport nach Gorleben im November 2004 vorausgesetzt habe. Insoweit hat sie die Beiziehung sämtlicher die polizeiliche Einsatzplanung anlässlich des Castor-Transports im Jahr 2004 bei der Beklagten vorliegenden Verwaltungsvorgänge beantragt. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht (S. 6) hat das Gericht die Ablehnung des Beweisantrags u.a. mit den Erwägungen begründet, die polizeiliche Einsatzplanung sei für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der von der Bezirksregion Lüneburg als Versammlungsbehörde erlassenen Allgemeinverfügung nicht entscheidungserheblich und die beizuziehenden Unterlagen seien nicht hinreichend bestimmt bezeichnet. Damit setzt sich die Klägerin in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde auseinander. Der Begründung des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass das Gericht dem Beweisantrag aus einem weiteren selbständig tragenden Grund nicht nachgegangen ist. Das Gericht legt auf den Seiten 30 f. des Urteilabdrucks dar, dass die auf den Beweis der Behauptung, der Erlass der versammlungsrechtlichen Allgemeinverfügung hätte von vornherein festgestanden, gerichteten Beweisanträge als sogenannte Beweisermittlungs- bzw. -ausforschungsanträge unsubstantiiert und nicht geeignet seien, eine Pflicht zur Beweiserhebung auszulösen. Diese Erwägung bezieht sich nicht nur auf in dem Parallelverfahren 11 LC 138/06 gestellte Beweisanträge, denen sich die Klägerin angeschlossen hat, und die in diesem Zusammenhang das Oberverwaltungsgericht ausdrücklich in Bezug genommen hat. Sie erstreckt sich auch auf den hier in Rede stehenden Beweisantrag, der (ebenfalls) auf den Beweis der Behauptung gerichtet war, dass der Erlass der Allgemeinverfügung von vornherein geplant gewesen sei. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Begründung des angefochtenen Urteils. So werden einschränkungslos die “on der Klägerin gestellten Beweisanträge”, die im Zusammenhang mit der Behauptung standen, dass der Erlass einer Allgemeinverfügung von vornherein festgestanden habe, als Beweisermittlungs- bzw. -ausforschungsanträge bezeichnet. Die daran anschließenden und auf den hier in Rede stehenden Beweisantrag beschränkten Erwägungen zu der mangelnden Entscheidungserheblichkeit und der Unbestimmtheit des Antrags werden jeweils mit dem Begriff “zudem” eingeleitet. Damit wird unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Antrag nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Beweisermittlungs- bzw. -ausforschungsantrags, sondern auch unter denjenigen der mangelnden Entscheidungserheblichkeit und Unbestimmtheit keinen Erfolg hatte. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält keine Erwägungen zu der Ablehnung des Beweisantrages unter dem Gesichtspunkt der Beweisermittlung bzw. der -ausforschung.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Hahn, Dr. Graulich, Vormeier
Fundstellen