Verfahrensgang
VG Leipzig (Aktenzeichen 1 K 569/97) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 25. Juni 1999 wird zurückgewiesen, soweit die gegen die Rücknahme des Restitutionsbescheides vom 14. Oktober 1991 gerichtete Klage abgewiesen worden ist.
Das genannte Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig wird aufgehoben, soweit die Klage gegen die Rücknahme des Restitutionsbescheides vom 22. April 1991 abgewiesen worden ist.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2 trägt zu einem Sechzigstel der Kläger. Die Beigeladenen zu 1 und 3 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
1. Der Kläger wendet sich gegen einen Rücknahmebescheid des Beklagten vom 21. März 1997, der sich auf zwei vermögensrechtliche Bescheide bezieht, mit denen ihm Grundstücke nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes (VermG) restituiert worden waren. Der Rücknahmebescheid bezieht sich auf insgesamt vier Grundstücke, die sämtlich in der Gemarkung … liegen. Drei dieser Grundstücke (Flur 3 Flurstück 22, Flur 2 ehemaliges Flurstück 3/3 ≪jetzt Teilfläche des Flurstücks 3/9≫ und Flur 4 ehemaliges Flurstück 18/2 ≪jetzt Teilfläche des Flurstücks 17/5≫) waren dem Kläger mit Bescheid vom 22. April 1991 zurückübertragen worden; die Rückübertragung des vierten Grundstücks (Flur 3 Flurstück 24) erfolgte durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1991. Die Rücknahme ist hinsichtlich der ehemaligen Flurstücke 3/3 und 18/2 auf den Ausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG gestützt worden: Das ehemalige Flurstück 3/3 sei Teil der Start- und Landebahn des Flughafens Leipzig; das ehemalige Flurstück 18/2 liege im Sicherheitsbereich der Rollfeldringstraße. In Bezug auf die Flurstücke 22 und 24 wird in dem angefochtenen Bescheid bemerkt, beide Grundstücke hätten dem Kläger nie gehört.
Die hiergegen gerichtete, im Wesentlichen auf einen Verstoß gegen die Fristvorschrift des § 48 Abs. 4 VwVfG gestützte Klage hatte nur in Bezug auf das Flurstück 22 Erfolg. Ansonsten sei, so hat das Verwaltungsgericht die Klageabweisung im Übrigen begründet, die für die Rücknahme einzuhaltende Jahresfrist beachtet worden.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil gerichtete Beschwerde bleibt erfolglos, soweit das Verwaltungsgericht den Teil der Klage abgewiesen hat, der sich gegen die Rücknahme der durch den Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1991 ausgesprochenen Restitution des Flurstücks 24 richtete. Für diesen Teil des Urteils liegen Zulassungsgründe nicht vor. Von den in der Beschwerdebegründung bezeichneten Verfahrensfehlern ist allenfalls die Behauptung einschlägig, das angefochtene Urteil sei mangels eines ausreichenden Tatbestandes nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO). Das ist für den hier in Rede stehenden Punkt unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, die zur Rücknahme berufene Sachbearbeiterin habe „erst bei ihren Recherchen im Frühjahr 1997 festgestellt, dass dem Kläger mit dem Flurstück Nr. 24 etwas zurückübertragen worden war, was ihm nie gehört hatte”. Damit ist hinreichend erkennbar, von welchem Sachverhalt das Verwaltungsgericht in diesem Punkte bei seiner Entscheidung ausgegangen ist.
Die in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen und als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Rechtsfragen beziehen sich ebenfalls mit nur einer Ausnahme nicht auf den in Rede stehenden Urteilsteil. Einen solchen Bezug hat allein das Vorbringen der Beschwerde, die Rücknahme einer auf § 48 VwVfG gestützten eigentumsverschaffenden Restitution müsse an Art. 14 Abs. 3 GG scheitern. Die Beschwerde bemerkt zwar, dies gelte jedenfalls für „nicht durch staatliche Leistung erworbenes, sondern im Wege der Restitution zurück erlangtes, ursprünglich rechtmäßiges Eigentum”, hat aber ihre Fragestellung nicht entsprechend eingeschränkt. Angesichts des Umstandes, dass das Flurstück 24 nie im Eigentum des Klägers stand, erscheint es dem Senat im Blick auf die Vorschrift des § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO lediglich angezeigt darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Beschwerde erstens den Enteignungsbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG verkennt und es zweitens auf der Hand liegt, dass bei einer Fallgestaltung wie der vorliegenden nicht ernstlich zweifelhaft ist, dass Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG die Rücknahme der Grundstücksrestitution nach Maßgabe einer Regelung, wie sie der Gesetzgeber in § 48 VwVfG getroffen hat, ohne weiteres zulässt.
2. Im Übrigen ist die Beschwerde begründet. Auf die Darlegungen des Klägers zur behaupteten Rechtsgrundsätzlichkeit der Sache ist dabei nicht einzugehen. Die in der Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen setzen sämtlich voraus, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum Lauf der Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG auf zutreffenden tatsächlichen Feststellungen beruhen. Daran fehlt es jedoch, denn die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge, das Verwaltungsgericht habe insoweit sich seine Rechtsüberzeugung fehlerhaft gebildet und damit gegen § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen, greift durch. Dies ergibt sich aus Folgendem: Das Verwaltungsgericht hat zu dem Teil des Urteils, der die ehemaligen Flurstücke 18/2 und 3/3 betrifft, ausgeführt, nach Zustellung des vom erkennenden Senat im Vorprozess erlassenen Urteils vom 14. Dezember 1996 – BVerwG 7 C 63.94 – habe das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen zwar Kenntnis davon gehabt, dass der Ausgangsverwaltungsakt zurückgenommen werden müsse; die genaue Lage der genannten Flurstücke sei jedoch noch unbekannt gewesen. Desgleichen habe die Kenntnis gefehlt, in welchen neu gebildeten Flurstücken diese aufgegangen seien. Die zur Rücknahme berufene Sachbearbeiterin habe erst nach Eingang der „im Laufe des Frühjahrs 1997” zur Akte gelangten … „Grundbuchauszüge zu Blatt …” (vgl. Urteilsabdruck Seite 13 und 14) genaue Kenntnis zur Lage der Grundstücke erlangt und erst dann feststellen können, dass „beide Flurstücke … gänzlich vom Flughafen in Anspruch genommen” worden seien.
Diese Ausführungen lassen wesentlichen Akteninhalt unberücksichtigt. Die Beschwerde weist zutreffend darauf hin, dass der Beklagte mit der Klageerwiderung die Fotokopie eines vom Sächsischen Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen an das Sächsische Staatsministerium der Finanzen gerichteten Schreibens vom 13. August 1996 beigefügt hatte. Aus diesem Schreiben, das als „Bearbeiter” die mit der Rücknahme der Restitutionsbescheide befasste Frau J. auswies, geht hervor, dass diese bei Abfassung des Briefes darüber informiert war, in welchen neu gebildeten Flurstücken die ehemaligen Flurstücke 18/2 und 3/3 aufgegangen waren. In dem Schreiben heißt es, bislang sei über das „Flurstück Nr. 18/2 (jetzt Teilfläche des Flurstücks Nr. 17/5) und Flurstück Nr. 3/3 (jetzt Teilfläche des Flurstücks Nr. 3/9), jeweils Gemarkung …, … nicht entschieden” worden. Das drängt geradezu die Annahme auf, dass die in dem angefochtenen Urteil enthaltene Feststellung, die „in den Bänden I bis III der Verwaltungsakten befindlichen Grundbuch- und Grundakten-Auszüge” seien erst im Frühjahr 1997 bei der Sachbearbeiterin eingegangen, handgreiflich falsch sein muss. Diese konnte die neuen Flurstücksbezeichnungen nur kennen, wenn sie über den Inhalt des Grundbuchblattes … informiert war. Der Beklagte versucht zwar, sich dieser Schlussfolgerung mit der Bemerkung zu entziehen, dass die Zitatstelle zu der genauen Lage der Flurstücke nichts aussage, „sondern diese schlicht als ‚Teilflächen’ der anderen Flurstücke” bezeichne. Dieser Hinweis ist nicht nachvollziehbar. Über die genaue Lage ehemaliger Flurstücke innerhalb neu gebildeter Flurstücke, in die sie einbezogen worden sind, geben nicht Grundbuchauszüge sondern Katasterunterlagen Auskunft. Die in Rede stehende Feststellung des Verwaltungsgerichts steht auch in einem offenkundigen Gegensatz zu den Ausführungen auf Seite 32 und 33 des angefochtenen Bescheides. Dort wird ausgeführt, dass die für die Kenntnis der aktuellen Flurstücksbezeichnungen erforderlichen „Grundbuchrecherchen im Mai/Juni 1996” vorgelegen hätten und man daher „erstmalig Mitte 1996 mit unwiderlegbarer Sicherheit” davon habe ausgehen können, dass die beiden ehemaligen Flurstücke 3/3 und 18/2 „in den Betrieb des Flughafens mit einbezogen” worden seien. Angesichts dessen hatte das Verwaltungsgericht allen Anlass, sich wegen des Vorgehens der Sachbearbeiterin näher zu vergewissern. Stattdessen hat es pauschal „auf den Inhalt der Verwaltungsakten von Band VI” verwiesen und nicht einmal ansatzweise zu erkennen gegeben, woher es seine Kenntnis geschöpft hat, die das Grundbuchblatt 59 betreffenden Grundbuchauszüge seien erst im Laufe des Frühjahrs 1997 bei der Sachbearbeiterin eingegangen. Auf dem darin liegenden Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO beruht das angefochtene Urteil. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt die in § 48 Abs. 4 VwVfG vorgeschriebene Jahresfrist zu laufen begonnen hat. Auf die insoweit einschlägigen Erklärungen in dem angefochtenen Bescheid und in der Klageerwiderung kann der Senat – etwa in entsprechender Anwendung des in § 144 Abs. 4 VwGO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens – nicht zurückgreifen, weil den darin gemachten Angaben die abweichende, wenn auch fehlerhafte Feststellung des Verwaltungsgerichts ebenso entgegensteht wie das einschlägige Vorbringen des Klägers. Es ist zudem nicht Aufgabe eines Revisionsgerichts, sich aus den zahlreichen Beiakten etwaige weitere entscheidungserhebliche Einzelheiten herauszusuchen. Vielmehr muss das Tatsachengericht aus den beigezogenen Verwaltungsvorgängen selbst diejenigen Tatsachen herausfiltern, die es seiner Entscheidung zugrunde legen und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien würdigen will (vgl. BVerwGE 108, 301 ≪305≫).
Im Blick auf das vorstehend Ausgeführte kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die weiteren von der Beschwerde bezeichneten Verfahrensfehler vorliegen.
Der Senat hat von seiner Befugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch gemacht und demgemäß in dem Umfang, in dem die Beschwerde begründet ist, das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Leipzig zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Der Senat hat erwogen, ob es im Blick aus gemäß § 17 VermG möglicherweise bestehen gebliebene, mit dem unbefristet genehmigten Betrieb des Flughafens zusammenhängende Nutzungsrechte gerechtfertigt sein könnte, den Streitwert auf einen Betrag von unter einer Million DM festzusetzen. Da jedoch für mit derartigen Nutzungsrechten belastetes Grundeigentum ein Wert von zirka 6 DM/m² nicht unangemessen hoch erscheint und die Beteiligten in Kenntnis der verwaltungsgerichtlichen Streitwertfestsetzung zusätzliche Ausführungen in diesem Punkte nicht gemacht haben, hat der Senat von weiteren Ermittlungen abgesehen und sich der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht angeschlossen.
Unterschriften
Dr. Franßen, Gödel, Kley
Fundstellen