Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 10a D 210/97.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 292 376,60 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen ergibt nicht, dass die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfüllt sind.
1. Das Normenkontrollgericht verneint die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 BauGB. Es sieht in dem von der angegriffenen Entwicklungssatzung bezeichneten Entwicklungsbereich (§ 165 Abs. 6 Satz 2 BauGB) weder einen Ortsteil noch einen anderen Teil des Gemeindegebietes, für den die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 BauGB vorliegen. Das gegen diese Auffassung gerichtete Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Nach § 165 Abs. 2 BauGB sollen Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebiets entsprechend ihrer „besonderen Bedeutung” für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde entwickelt werden. Es ist zwar zutreffend, dass durch die Einbeziehung der „anderen” Teile des Gemeindegebiets – neben den Ortsteilen – die Entwicklungsmaßnahme nach jetzigem Recht kleinteiliger sein kann als früher nach dem Städtebauförderungsgesetz. Gleichwohl muss auch ein solches „anderes Gebiet” ein beträchtliches Eigengewicht haben, das im Gesamtgefüge der Gemeinde deutlich wahrnehmbar ist. Nicht jedes neue Baugebiet kommt danach als Entwicklungsbereich in Frage, sondern nur ein solches Gebiet, das eine besondere Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde hat. Dabei sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts neben den quantitativen auch qualitative Anforderungen zu erfüllen (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 – BVerwG 4 CN 2.97 – BVerwGE 107, 123 ≪126≫ = NVwZ 1998, 1297; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 – BVerwG 4 BN 22.98 – Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 5 = NVwZ 1998, 1298). Die von der Beschwerde ihrem Vorbringen zugrunde gelegte Annahme, für die Beurteilung des erforderlichen Eigengewichts der Entwicklungsmaßnahme ließe sich im Sinne interpretatorischer Differenzierung ein abschließender Katalog von Prüfkriterien sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht entwickeln, trifft nicht zu.
1.1 Hinreichend geklärt ist, dass eine auch quantitative Betrachtung keineswegs ausscheidet. Diese lässt auch einen Vergleich der Flächengröße des Entwicklungsbereiches im Verhältnis zur Gesamtfläche des Gemeindegebietes zu. Je kleiner der projektierte Entwicklungsbereich im Gesamtgefüge der Gemeinde ist, umso stärker werden im Rahmen wertender Betrachtung qualitative Merkmale maßgebend sein. Einer weiteren Klärung bedarf es nicht. Es ist ersichtlich eine Frage der Umstände des Einzelfalles, welche Bedeutung insoweit einer rechnerischen Betrachtung im Rahmen der wertenden Beurteilung zukommt. Das vorinstanzliche Gericht hat dies übrigens beachtet. Entgegen der unterstellenden Annahme der Beschwerde hat es seine tatrichterliche Beurteilung nicht nur von einem Flächenvergleich und damit von quantitativen Merkmalen abhängig gemacht.
1.2 Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob die Zahl der Wohneinheiten ein Kriterium sein kann, um den Gebietscharakter im Sinne des § 165 Abs. 2 BauGB kennzeichnen zu können. Es ist bereits zweifelhaft, ob das Vorbringen der Beschwerde zulässig ist. Die Beschwerde kritisiert im Wesentlichen nur die tatrichterliche Beurteilung.
Das mag hier dahinstehen. Der von der Beschwerde ihrem Vorbringen zugrunde gelegte Klärungsbedarf besteht nicht. Zielsetzung einer städtebaulichen Maßnahme kann selbstverständlich auch die Befriedigung des Bedarfs an Wohnstätten sein. Die Wohnbebauung ist vielfach sogar ein besonders nahe liegendes Ziel städtebaulicher Entwicklungspolitik (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BauGB). Nicht jedes zulässige städtebauliche Ziel begründet indes für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde – für sich genommen – bereits eine „besondere Bedeutung” im Sinne des § 165 Abs. 2 BauGB. Eine Entwicklungsmaßnahme nach § 165 BauGB setzt vielmehr einen qualifizierten städtebaulichen Handlungsbedarf voraus, der aus Gründen des öffentlichen Interesses ein planmäßiges und aufeinander abgestimmtes Vorgehen im Sinne einer Gesamtmaßnahme erfordert (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 a.a.O., BVerwGE S. 125). Das gilt auch für das Ziel, Wohneinheiten zu schaffen. Die Zahl der vorgesehenen Wohneinheiten kann – neben anderen Kriterien – als geeignetes Beurteilungskriterium zu berücksichtigen sein, um für das „andere Gebiet” im Sinne des § 165 Abs. 2 BauGB ein beträchtliches Eigengewicht feststellen zu können, das im Gesamtgefüge der Gemeinde deutlich wahrnehmbar ist. Das Normenkontrollgericht hat in dieser Weise das Vorhaben der Antragsgegnerin geprüft. Wenn das Gericht hierbei den Umfang der vorgesehenen Wohneinheiten als nicht ausreichend angesehen hat, um – im Zusammenhang mit anderen Kriterien – das erforderliche Eigengewicht bejahen zu können, ist dies Gegenstand seiner tatrichterlichen Würdigung.
1.3 In entsprechender Weise ist die von der Beschwerde aufgeworfene Frage zu beurteilen, welche Bedeutung Einrichtungen der Infrastruktur für die Annahme eines „anderen Gebietes” von besonderer Bedeutung gemäß § 165 Abs. 2 BauGB haben. Auch hier hat das Normenkontrollgericht in tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalles geprüft, ob die Entwicklungsmaßnahme der Antragsgegnerin ein beträchtliches Eigengewicht besitzt, das im Gesamtgefüge der Gemeinde deutlich wahrnehmbar ist. Das wird verneint. Der gewählte rechtliche Ansatz des vorinstanzlichen Gerichtes ist mithin nicht zu beanstanden und wirft keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, die erst in einem Revisionsverfahren zu klären sind. Dass Maßnahmen, welche gerade die Infrastruktur des Entwicklungsbereiches oder anderer Teile des Gemeindegebietes betreffen, besonders bedeutsam sein können, ergibt sich aus § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB.
1.4 Das Normenkontrollgericht hat die besondere Bedeutung im Sinne des § 165 Abs. 2 BauGB auch insoweit verneint, als die Antragsgegnerin ein ehemaliges Kasernengelände (3,3 ha) auf der Grundlage eines Umnutzungskonzeptes zu einem qualitativ hochwertigen Wohngebiet mit preiswertem Wohnraum entwickeln möchte. Die Beschwerde wirft hierzu die Frage auf, ob gefordert werden dürfe, dass alle Teilbereiche einer Entwicklungsmaßnahme in funktionaler Beziehung zueinander stehen.
Die aufgeworfene Frage ist bereits hinreichend geklärt. Die städtebauliche Entwicklungssatzung (§ 165 Abs. 6 BauGB) ist Ausdruck einer auf Durchführung angelegten Gesamtmaßnahme (vgl. § 165 Abs. 1 und § 166 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Soll eine Entwicklungsmaßnahme auf voneinander getrennten Teilflächen verwirklicht werden, ist der Gesamtmaßnahmecharakter nur gewahrt, wenn die Teilflächen untereinander in einer funktionalen Beziehung stehen, die die gemeinsame Überplanung und einheitliche Durchführung zur Erreichung des Entwicklungsziels nahe legt (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 a.a.O., BVerwGE S. 127). Das gilt auch, wenn ein vorhandener Bestand durch eine geeignete Entwicklungsmaßnahme „überplant” werden soll. Die Gemeinde ist durchaus befugt, ein bislang baulich genutztes Gebiet, das innerhalb eines größeren, grundlegend neu zu strukturierenden Bereichs liegt, in den Bereich einer Entwicklungsmaßnahme gemäß § 165 BauGB einzubeziehen. Auch dies ist hinreichend geklärt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 2000 – BVerwG 4 BN 51.00 – Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 7 = BauR 2001, 375 zur Einbeziehung eines sanierungsbedürftigen Gebiets). Als Entwicklungsbereich gemäß § 165 BauGB kann auch eine Fläche mit vorhandener Bebauung festgelegt werden, wenn diese beseitigt und der Bereich einer grundlegend neuen städtebaulichen Entwicklung zugeführt werden soll (BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 a.a.O.). Umgekehrt ergibt sich aus der von der Gemeinde angenommenen städtebaulichen Erforderlichkeit einer planerisch abzusichernden Umnutzung nicht bereits, dass dies eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Sinne der §§ 165 ff. BauGB rechtfertigt. Dies alles hat das Normenkontrollgericht für die Frage der Umnutzung des ehemaligen Kasernengeländes nicht verkannt. Es hat nach Maßgabe der tatsächlichen Umstände verneint, dass das Kasernengelände gerade im Zusammenhang mit anderen Flächen des Entwicklungsbereiches Teil eines grundlegend neuen städtebaulichen Entwicklungskonzeptes ist. Soweit die Beschwerde dem vorinstanzlichen Gericht in der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse die Ausübung einer Art eigenen Planungsermessens vorhält, ist dieser Vorhalt nicht berechtigt.
2. Das Normenkontrollgericht hat die Entwicklungssatzung ferner wegen Verletzung des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB für rechtswidrig angesehen. Auch hiergegen wendet sich die Beschwerde. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt indes auch insoweit nicht in Betracht.
2.1 Die Beschwerde hält es im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO für klärungsbedürftig, ob für städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen zur Schaffung von Wohnstätten, die lediglich die Bereitstellung von Bauland und Wohnungen für wirtschaftlich Schwächere zum Ziel haben, der Nachweis des erhöhten Wohnbedarfs zu fordern ist. Die so gestellte Frage rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Neben den in § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB benannten Gründen, aufgrund derer die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme vom Wohl der Allgemeinheit erfordert werden kann, kommt eine Vielzahl weiterer öffentlicher Interessen in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 16. Februar 2001 – BVerwG 4 BN 55.00 – Buchholz 406.11 § 165 BauGB Nr. 9 = NVwZ 2001, 1050). Dazu kann nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles auch das Ziel gehören, für die Befriedigung von Wohnbedürfnissen – wie § 9 Abs. 1 Nr. 7 BauGB verdeutlicht – auch Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus vorzusehen (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – BVerwG 4 N 2.91 – BVerwGE 91, 318 ≪325≫ = DVBl 1993, 444). Vom Wohl der Allgemeinheit erfordert wird die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme indes nur, wenn die Maßnahme durch ein dringendes, im Verhältnis zu entgegenstehenden öffentlichen – wie auch privaten – Interessen überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Die danach gebotene Bilanzierung, die zur Annahme eines solchermaßen qualifizierten öffentlichen Interesses führt, ist nicht mit planerischer Abwägung gleichzusetzen. Das in § 165 Abs. 1 BauGB vorausgesetzte öffentliche Interesse an der einheitlichen Vorbereitung und zügigen Durchführung der städtebaulichen Maßnahmen muss vor dem Hintergrund bewertet werden, dass der Gesetzgeber der Gemeinde damit zugleich das Enteignungsrecht zum Erwerb grundsätzlich aller Grundstücke im Entwicklungsbereich vor Aufstellung verbindlicher Bebauungspläne verleiht (§ 169 Abs. 3 BauGB). Das Gesetz schließt es damit aus, das Instrument der Entwicklungssatzung, weil es kraft Gesetzes auch enteignungsrechtliche Vorwirkung hat, für städtebauliche Maßnahmen einzusetzen, die mit dem allgemeinen Städtebaurecht bewältigt werden können (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1998 a.a.O., BVerwGE S. 125). Das Normenkontrollgericht ist diesen Grundsätzen gefolgt.
2.2 Die Beschwerde formuliert des Weiteren als Fragen von grundsätzlicher Bedeutung, welche Bedeutung das angestrebte Ziel der Konversion des ehemaligen Kasernengeländes im Hinblick auf § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB habe. Auch dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision.
Mit ihren Fragen knüpft die Beschwerde lediglich an tatsächliche Gesichtspunkte an, welche das Normenkontrollgericht gewürdigt hat. In der Sache kritisiert sie damit das angegriffene Urteil. Insoweit fehlt es bereits an der Klärungsbedürftigkeit. Die aufgeworfenen Fragen lassen sich nicht in grundsätzlicher, für eine Vielzahl von Fällen bedeutsamer Weise beantworten, wie dies der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt. Mit der erhobenen Grundsatzrüge kann zudem eine inhaltliche Nachprüfung nicht erreicht werden. Die dem Vorbringen der Beschwerde zugrunde liegende Annahme, der beabsichtigten Konversion ehemals militärisch genutzter Flächen komme im Rahmen der §§ 165 ff. BauGB von vornherein ein besonderes Gewicht zu und rechtfertige daher eher eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme, trifft nicht zu. Der städtebaulich unerwünschte Zustand, der durch eine Nutzungsaufgabe eingetreten ist, legt zwar eine Umnutzung nahe. Dieses legitime Ziel begründet aber – für sich genommen – noch nicht, dass deshalb die durchaus strengen Anforderungen des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB erfüllt sind. Das Normenkontrollgericht hat den Nachweis als nicht erbracht angesehen, dass die Antragsgegnerin eine beabsichtigte Konversion nicht mit den Mitteln des allgemeinen Städtebaurechts bewältigen könnte. Diese Betrachtungsweise wirft als solche keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Berkemann, Jannasch
Fundstellen
ZfBR 2002, 597 |
BRS 2002, 869 |