Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 03.07.2007; Aktenzeichen 2 L 299/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 3. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 259,86 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers kann keinen Erfolg haben.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Rücknahme dreier Trennungsgeldbewilligungsbescheide und die Rückforderung des auf ihrer Grundlage gezahlten Trennungsgeldes als rechtmäßig angesehen. Dem Kläger sei zu Unrecht Trennungsgeld bewilligt worden, weil er seine uneingeschränkte Umzugsbereitschaft nicht nachgewiesen habe. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 und 3 Nr. 3 VwVfG MV könne er sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil ihm hinsichtlich seiner Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide jedenfalls grobe Fahrlässigkeit zur Last fiele. Der Kläger habe die von ihm erwartete Sorgfalt in besonders schwerer Weise verletzt, weil er aufgrund seiner dienstlichen Zuständigkeit für Trennungsgeldfragen über die Bewilligungsvoraussetzungen im Bild hätte sein müssen. Ihm hätte sich aufdrängen müssen, dass er die erforderlichen Bemühungen um eine angemessene Wohnung am neuen Dienstort nicht ausreichend nachgewiesen habe.
1. Der Kläger wirft als rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Frage auf, nach welchen Grundsätzen Personen mit juristischer oder beruflicher Vorbildung sich nicht auf eine ständige Verwaltungspraxis verlassen könnten und eigene Maßnahmen zu deren Überprüfung ergreifen müssten, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit im Sinne von § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG zu vermeiden.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, worin der allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bestehen soll (Urteil vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr).
Auch im Rahmen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG gilt der Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 Abs. 2 BGB. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Bedeutungsgehalt dieses Begriffs und des darauf aufbauenden Rechtsbegriffs der groben Fahrlässigkeit sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts übereinstimmt, hinreichend geklärt:
Der Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Grobe Fahrlässigkeit erfordert ein besonders schwerwiegendes und auch subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, das über das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich hinausgeht (vgl. Urteile vom 17. September 1964 – BVerwG 2 C 147.61 – BVerwGE 19, 243 ≪248≫ und vom 17. Februar 1993 – BVerwG 11 C 47.92 – BVerwGE 92, 81 ≪84≫; Beschluss vom 22. November 2006 – BVerwG 2 B 47.06 – juris Rn. 4; BSG, Urteil vom 20. September 1977 – 8/12 RKg. 8/76 – Der Betrieb 1978, 307 ≪308≫; BGH, Urteile vom 30. Januar 2001 – VI ZR 49/00 – NJW 2001, 2092 ≪2093≫ und vom 29. Januar 2003 – IV ZR 173/01 – NJW 2003, 1118 ≪1119≫; stRspr).
Ob Fahrlässigkeit als einfach oder grob zu bewerten ist, hängt vom Ergebnis der Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab und entzieht sich deshalb weitgehend einer Anwendung fester Regeln. Die Abwägung ist Sache der tatrichterlichen Würdigung und mit der Revision nur beschränkt angreifbar. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob in der Tatsacheninstanz der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit grundlegend verkannt worden ist oder beim Bewerten des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht geblieben sind (vgl. Urteil vom 17. September 1964 a.a.O.; BGH, Urteile vom 8. Februar 1989 – IVa ZR 57/88 – NJW 1989, 1354 und vom 29. Januar 2003 a.a.O.; stRspr).
Auf der Grundlage dieser seit langem gefestigten Rechtsprechung, der das Oberverwaltungsgericht gefolgt ist, hat der Kläger einen allgemeinen Bedarf an einer revisionsgerichtlichen Klärung nicht aufgezeigt. Die von ihm aufgeworfene Frage nach den Sorgfaltsanforderungen an Personen mit einschlägiger juristischer oder beruflicher Vorbildung ist einer weiteren den Fall übergreifenden Klärung nicht zugänglich. Es ist allgemein anerkannt, dass eine derartige Vorbildung als bedeutsamer subjektiver Tatumstand bei der Bewertung des Fahrlässigkeitsvorwurfs zu berücksichtigen ist. Bedeutung und Auswirkungen dieses Umstands hängen von der Würdigung aller im Einzelfall festgestellten Umstände durch das Tatsachengericht ab.
2. Der Kläger hält eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO für gegeben, weil das Oberverwaltungsgericht von dem Urteil des Senats vom 28. Oktober 2004 – BVerwG 2 C 13.03 – Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 110 = ZBR 2005, 130 abgewichen sei. Der Senat habe entschieden, dass der Begünstigte, an dessen Sorgfalt aufgrund seiner beruflichen Stellung als Universitätsprofessor besondere Anforderungen gestellt werden durften, damit habe rechnen müssen, kein Trennungsgeld mehr zu erhalten, weil ihn die Bewilligungsbehörde auf die Unzulänglichkeit seiner Bemühungen um eine Wohnung am Dienstort hingewiesen habe. Damit habe der Senat für die Frage der persönlichen Sorgfalt des Begünstigten auf die Verwaltungspraxis abgestellt. Demgegenüber habe das Oberverwaltungsgericht auf die persönlichen Fähigkeiten des Begünstigten abgestellt und vom Kläger eine kritische Bewertung der Verwaltungspraxis verlangt.
Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26; stRspr).
Derjenige Teil der Gründe des Senatsurteils vom 28. Oktober 2004 a.a.O., auf den sich der Kläger in der Beschwerdebegründung bezieht, lautet wie folgt:
“Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, der Kläger sei in mehreren Schreiben auf die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Trennungsgeld hingewiesen worden. Ihm sei – zusätzlich durch den Zahlungseinstellungsbescheid vom 6. Juli 1995 – deutlich gemacht worden, dass seine bisherigen Bemühungen, eine Wohnung zu finden, nicht genügen. Deshalb habe er damit rechnen müssen, dass er nicht wieder Trennungsgeld erhalten werde. Falls darin nicht bereits die den Senat bindende Feststellung liegt, dass der Kläger nicht auf die Weitergewährung des Trennungsgeldes vertraut hat, so hat das Verwaltungsgericht jedenfalls zutreffend die Schutzwürdigkeit eines etwaigen Vertrauens verneint. Aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, dass der Kläger im Hinblick auf den Bewilligungsbescheid vom 13. Juli 1994 Dispositionen getroffen hat, die er auch künftig nicht rückgängig machen könnte.”
Diese Ausführungen sind nach ihrem Inhalt offensichtlich nicht geeignet, die vom Kläger behauptete Divergenz zu begründen. Zum einen hat der Senat damit keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, vielmehr die Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils in Auszügen wiedergegeben. Zum anderen befassen sich die Ausführungen des Senats nicht mit dem hier entscheidungserheblichen Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Kugele, Dr. Heitz, Thomsen
Fundstellen