Leitsatz (amtlich)
Ist die Berufungsfrist nach § 115 Abs. 1 Satz 1 WDO nach der Aktenlage nicht offensichtlich gewahrt, muss in einem Wiedereinsetzungsantrag angegeben werden, wann der Antragsteller selbst Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses, das der Fristwahrung entgegenstand, erlangt hat; nur innerhalb der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragene Zulässigkeitsvoraussetzungen können später ergänzt und verdeutlicht werden.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Entscheidung vom 25.06.2019; Aktenzeichen TDG S 4 VL 27/18) |
Tenor
Auf den Antrag des früheren Soldaten wird ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der bis zum 6. Januar 2020 gesetzten Äußerungsfrist und wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
1. Das Truppendienstgericht hat dem früheren Soldaten mit ihm am 9. Juli 2019 zugestellten Urteil vom 25. Juni 2019 das Ruhegehalt aberkannt. Der Verteidiger des früheren Soldaten hat am 2. Oktober 2019 beim Truppendienstgericht unter Vorlage einer vom 8. August 2019 datierenden Berufungsschrift die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er unter anwaltlicher Versicherung seiner Angaben ausgeführt, er habe unter dem 8. August 2019 für den früheren Soldaten Berufung eingelegt. Am 2. Oktober 2019 habe er erfahren, dass die Berufungsschrift beim Truppendienstgericht nicht eingegangen sei. Der frühere Soldat habe von einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung ausgehen dürfen, weil er eine Kopie der Berufungsschrift erhalten habe. Erst nachdem die Übergangsgebührnisse nicht ausgezahlt worden seien, habe der frühere Soldat durch einen Anruf beim Truppendienstgericht erfahren, dass die Berufungsschrift dort nicht vorliege, und daraufhin ihn, den Verteidiger, angerufen. Der Vorsitzende der... Kammer des Truppendienstgerichts... hat die Sache mit Verfügung vom 7. Oktober 2019 unter Hinweis darauf, dass er die Berufung für unzulässig halte, dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Rz. 2
2. Der Senat hat mit Beschluss vom 8. Januar 2020 die Berufung des früheren Soldaten wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt, weil der frühere Soldat innerhalb einer bis zum 6. Januar 2020 gesetzten Äußerungsfrist nicht glaubhaft gemacht habe, den Antrag fristgerecht gestellt zu haben. Denn aus den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag ergebe sich nicht, wann genau er selbst erfahren habe, dass die Berufungsschrift beim Truppendienstgericht nicht eingegangen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den Beschluss vom 8. Januar 2020 Bezug genommen.
Rz. 3
3. Der frühere Soldat hat am 15. Januar 2020 eine "Gegenvorstellung" gegen den Senatsbeschluss vom 8. Januar 2020 erhoben und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Äußerungsfrist beantragt. Er hat eidesstattlich versichert, am 20. Dezember 2019 seinem Verteidiger eine weitere eidesstattliche Versicherung zur Vorlage an den Senat gesandt zu haben, wonach er in der letzten Septemberwoche 2019 erfahren habe, dass seine Berufung beim Truppendienstgericht nicht eingegangen sei; er habe keinen Postrückläufer erhalten und nun erst erfahren, dass seine eidesstattliche Versicherung bei der Kanzlei nicht eingegangen sei.
Rz. 4
4. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Äußerungsfrist für zulässig und begründet und ist der Ansicht, dem früheren Soldaten sei als Folge davon eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Der frühere Soldat begehrt mit seiner Eingabe vom 15. Januar 2020 bei sachgerechter Auslegung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der am 6. Januar 2020 abgelaufenen Äußerungsfrist und weiterhin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist.
Rz. 6
1. Der nach § 91 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO i.V.m. § 44 Satz 1, § 45 StPO zulässige Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der am 6. Januar 2020 abgelaufenen Äußerungsfrist ist begründet. Der frühere Soldat hat glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an der Einhaltung der Äußerungsfrist gehindert gewesen zu sein. Er hat eidesstattlich versichert, seinem Verteidiger bereits am 20. Dezember 2019 eine weitere eidesstattliche Versicherung mit den vom Senat bis zum 6. Januar 2020 erbetenen Angaben zum Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung über den Nichteingang der Berufungsschrift beim Truppendienstgericht gesandt zu haben. Da er glaubhaft gemacht hat, weder einen Postrückläufer noch eine Mitteilung seines Verteidigers über einen Nichteingang seiner eidesstattlichen Versicherung erhalten zu haben, durfte er unter Zugrundelegung der üblichen Postlaufzeiten davon ausgehen, dass die eidesstattliche Versicherung seinen Verteidiger rechtzeitig vor Ablauf der Äußerungsfrist erreichen und dieser sie fristgerecht dem Senat vorlegen würde. Etwaige Versäumnisse seines Verteidigers sind ihm nicht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2013 - 2 WDB 7.13 - juris Rn. 7 m.w.N.).
Rz. 7
2. Da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Äußerungsfrist Erfolg hat, ist das Verfahren in den Zustand zu versetzen, der bestanden hätte, wenn die Äußerungsfrist nicht versäumt worden wäre. Damit ist dem früheren Soldaten auf der Grundlage seiner eidesstattlichen Versicherung mit den Angaben zum Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung über den Nichteingang der Berufungsschrift beim Truppendienstgericht auch die von ihm weiterhin begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist zu gewähren.
Rz. 8
a) Dieser Wiedereinsetzungsantrag ist nunmehr - anders als bei Erlass des Senatsbeschlusses vom 8. Januar 2020 - zulässig. Der frühere Soldat hat insbesondere glaubhaft gemacht, ihn gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses - hier der Kenntnis vom Nichteingang der Berufungsschrift beim Truppendienstgericht - gestellt zu haben.
Rz. 9
Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Betroffene persönlich Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses erlangt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 2 WDB 4.19 - juris Rn. 5 m.w.N.). Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - die Frist nach Aktenlage nicht offensichtlich gewahrt ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags, dass der Antragsteller mitteilt, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist. Die Angaben zu dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller selbst vom Wegfall des Hindernisses erfahren hat, müssen innerhalb der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags gemacht werden, weil sie Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags sind; später können nur noch rechtzeitig vorgetragene Zulässigkeitsvoraussetzungen ergänzt und verdeutlicht werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 2 WDB 4.19 - juris Rn. 6 m.w.N.).
Rz. 10
Nach den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag vom 2. Oktober 2019 erschien es zwar möglich, dass der frühere Soldat weniger als zwei Wochen vor dem Wiedereinsetzungsantrag erfahren hatte, dass die Berufungsschrift beim Truppendienstgericht nicht eingegangen war. Der frühere Soldat hatte dies aber innerhalb der ihm gesetzten Äußerungsfrist nicht verdeutlicht und glaubhaft gemacht. Dies hat er nunmehr nachgeholt, indem er eidesstattlich versichert hat, "in der letzten Septemberwoche" erfahren zu haben, dass seine Berufung beim Truppendienstgericht nicht eingegangen war.
Rz. 11
b) Der Wiedereinsetzungsantrag hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist ist auch begründet. Der frühere Soldat hat glaubhaft gemacht, ohne Verschulden an einer Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen zu sein. Die Berufungsfrist endete mit Ablauf des 9. August 2019 (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 2 WDB 4.19 - juris Rn. 2). Der Verteidiger des früheren Soldaten hat anwaltlich versichert, unter dem 8. August 2019 Berufung beim Truppendienstgericht eingelegt zu haben. Der frühere Soldat hat eidesstattlich versichert, dass ihm die Berufungsschrift in Kopie zuging. Dass sie beim Truppendienstgericht nicht einging, hat er nicht zu vertreten. Etwaige Versäumnisse seines Verteidigers sind ihm nicht zuzurechnen (s. o.).
Rz. 12
3. Mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist wird der Beschluss des Senats vom 8. Januar 2020 gegenstandslos (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 44 Rn. 25). Das Verfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 2 WD 10.20 fortgeführt.
Fundstellen