Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Eintritt der Billigungsfiktion, wenn die Äußerungsfrist infolge unvollständiger Unterrichtung des Personalrats nicht zu laufen begann.
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers des Jobcenters, der Zuweisung einer Tätigkeit bei dem Jobcenter an Beschäftigte des kommunalen Trägers nach § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzustimmen, wird vom personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmungstatbestand der Zuweisung erfasst.
2. Die unvollständige Unterrichtung des Personalrats über die mitbestimmungspflichtige Maßnahme hat zur Folge, dass die gesetzliche Äußerungsfrist des Personalrats nicht zu laufen beginnt und die Billigungsfiktion nicht eintreten kann.
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Beschluss vom 06.05.2021; Aktenzeichen 8 A 2/20.PB) |
VG Dresden (Entscheidung vom 15.11.2019; Aktenzeichen 8 K 634/19.PB) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten gegen den Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. Mai 2021 wird zurückgewiesen.
Gründe
I
Rz. 1
Die Verfahrensbeteiligten streiten über die Verletzung des Mitbestimmungsrechts des Antragstellers (des Personalrats des Jobcenters V.) im Zusammenhang mit der Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an Beschäftigte des kommunalen Trägers (des Landkreises V.).
Rz. 2
In dem von der Beteiligten (der Geschäftsführerin) geleiteten Jobcenter waren mehrere Stellen durch den kommunalen Träger zu besetzen. In den Auswahlverfahren wurde die jeweils zu besetzende Stelle vom Personalamt des kommunalen Trägers in Abstimmung mit dem Jobcenter ausgeschrieben. Das Personalamt des kommunalen Trägers sichtete die eingehenden Bewerbungen und lud die als geeignet eingeschätzten Bewerberinnen und Bewerber zu Auswahlgesprächen ein. Diese Gespräche fanden in den Räumlichkeiten des Jobcenters statt. An ihnen nahmen neben der zuständigen Mitarbeiterin des Personalamtes des kommunalen Trägers die Beteiligte und die Gleichstellungsbeauftragte des Jobcenters teil. Die Beteiligte konnte anlässlich der Auswahlgespräche Einblick in die Bewerbungsunterlagen der eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber nehmen. Die Entscheidung, die Stellen mit den vorgenannten Beschäftigten des kommunalen Trägers zu besetzen, wurde von der Mitarbeiterin des Personalamtes und der Beteiligten einvernehmlich getroffen.
Rz. 3
Die Beteiligte beabsichtigte dementsprechend, der vom kommunalen Träger vorgesehenen Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an Frau Po., Frau T. und Frau Pi. zuzustimmen. Hierzu bat sie ihrerseits den Antragsteller im Januar 2019 um Zustimmung im Rahmen seiner Mitbestimmung. Des Weiteren ersuchte sie den Antragsteller im Mai 2019 um die Zustimmung zu ihrer Zustimmung zu der vom kommunalen Träger beabsichtigten Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an Frau G. Ihren Zustimmungsersuchen an den Antragsteller fügte die Beteiligte jeweils eine von der Mitarbeiterin des Personalamtes des kommunalen Trägers unter der Bezeichnung "Gesprächsnotiz" verfasste Zusammenfassung über die geführten Auswahlgespräche bei.
Rz. 4
Der Antragsteller beanstandete, durch die Gesprächsnotiz nicht umfassend informiert und unterrichtet worden zu sein, sodass die Frist zur Zustimmungsverweigerung nicht zu laufen beginne. Die Beteiligte trat dem entgegen und lehnte das Ersuchen des Antragstellers ab, ihm die vollständigen Bewerbungsunterlagen aller Bewerberinnen und Bewerber vorzulegen. Der Antragsteller hielt den Einwand der unzureichenden Unterrichtung aufrecht und verweigerte vorsorglich seine Zustimmung unter Berufung auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG a. F. Die Beteiligte sah die Mitteilung der Zustimmungsverweigerung bezüglich der beabsichtigten Zuweisung von Frau T. und Frau Pi. als verspätet an. Darüber hinaus wertete sie die Zustimmungsverweigerungen in allen vier Stellenbesetzungsverfahren als unbeachtlich und ging von einer Zustimmungsfiktion aus. In der Folgezeit führte der kommunale Träger die Zuweisungen durch.
Rz. 5
Der Antragsteller hat das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren eingeleitet. Das Verwaltungsgericht hat seinem Begehren antragsgemäß stattgegeben und festgestellt, dass das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nach § 75 Abs. 1 Nr. 4a BPersVG a. F. im Zusammenhang mit der Zuweisung von Frau Po., Frau T., Frau Pi. und Frau G. in das Jobcenter V. verletzt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zurückgewiesen.
Rz. 6
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beteiligte habe das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nach § 75 Abs. 1 Nr. 4a BPersVG a. F. verletzt, indem sie seine Zustimmungsverweigerung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG a. F. für unbeachtlich gehalten, die von ihr beabsichtigten Zustimmungen nach § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an die genannten Beschäftigten des kommunalen Trägers gemäß § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. mangels (beachtlicher) Verweigerung innerhalb von zehn Arbeitstagen als gebilligt angesehen und kein Stufenverfahren nach § 69 Abs. 3 BPersVG a. F. in Gang gesetzt habe. Soweit der Antragsteller die Zustimmung zu der Entscheidung der Beteiligten, der Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an Frau Po. und Frau G. zuzustimmen, innerhalb dieser Frist verweigert habe, seien seine hierfür angegebenen Gründe beachtlich gewesen, sodass die Zustimmungsfiktion des § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. nicht ausgelöst worden sei. Denn es sei nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass der Antragsteller insoweit Rügen auch im Hinblick auf das der Zuweisung vorangegangene Auswahlverfahren geltend machen könne. Die Beteiligte sei nach dem tatsächlichen Verfahrensablauf bei den Auswahlentscheidungen als gleichberechtigte Partnerin in dem hierfür zuständigen Gremium tätig gewesen. Die von ihr mitgetragenen Auswahlentscheidungen könnten vom Antragsteller überprüft werden. Nachdem nicht ausgeschlossen sei, dass bereits Fehler bei der Vorauswahl des Bewerberfeldes auf die Auswahlentscheidung selbst durchschlügen, sei auch nicht von der Hand zu weisen, dass dem Antragsteller in Bezug auf die Unterlagen, die sich auf die der jeweiligen Auswahlentscheidung selbst vorangehenden Schritte bezögen, ein Einsichts- und in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung ein Prüfungsrecht zustehe. Daher sei festzustellen, dass jedenfalls die Zuständigkeit des Antragstellers im Hinblick auf die Überprüfung der Auswahlentscheidung nicht offensichtlich ausgeschlossen, sondern vielmehr vertretbar sei und nicht auf einen Missbrauch des Verweigerungsrechts hinweise. Soweit der Antragsteller im Zusammenhang mit der Zuweisung von Frau T. und Frau Pi. die Frist von zehn Arbeitstagen nicht eingehalten habe, gelte im Ergebnis nichts anderes. Denn in diesen Fällen habe die Frist mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung nicht zu laufen begonnen, sodass die nach Ablauf der zehn Arbeitstage ausgesprochenen Zustimmungsverweigerungen ebenfalls beachtlich gewesen seien.
Rz. 7
Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Beteiligte die Abänderung der vorinstanzlichen Beschlüsse und die Ablehnung der Feststellungsanträge des Antragstellers. Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts, konkret des § 78 Abs. 1 Nr. 7 i. V. m. § 70 Abs. 2 und 3 sowie des § 78 Abs. 5 BPersVG (neuer Fassung).
Rz. 8
Der Antragsteller verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II
Rz. 9
Die zulässige Rechtsbeschwerde der Beteiligten ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss beruht nicht auf der unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm (§ 108 Abs. 2 Bundespersonalvertretungsgesetz - BPersVG - vom 9. Juni 2021 ≪BGBl. I S. 1614≫ i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass die konkreten Feststellungsanträge begründet sind.
Rz. 10
1. Das hier zulässigerweise auf konkrete Feststellung der Verletzung des Mitbestimmungsrechts gerichtete Begehren des Antragstellers ist - entgegen der Auffassung der Beteiligten - materiell-rechtlich nicht anhand der am 15. Juni 2021 in Kraft getretenen Fassung des Bundespersonalvertretungsgesetzes, sondern auf der Grundlage seiner Fassung zu beurteilen, die im Zeitpunkt der streitigen Maßnahmen anzuwenden war. Dies sind - wie von den Verfahrensbeteiligten zu Recht nicht in Abrede gestellt wird - die jeweils nach § 44g Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl. I S. 850) - SGB II -, vor dem hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juli 2014 (BGBl. I 1306) erforderlichen Zustimmungen der Beteiligten zu der von dem kommunalen Träger im Januar und Mai 2019 beabsichtigten Zuweisungen einer Tätigkeit beim Jobcenter an Frau Po., Frau T., Frau Pi. und Frau G. (a). Die Verfahrensbeteiligten streiten zu Recht nicht über die Mitbestimmungspflichtigkeit dieser Zustimmungen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Zustimmung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers des Jobcenters nach § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II bei der Zuweisung einer Tätigkeit an Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit vom Mitbestimmungstatbestand der Zuweisung im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes erfasst wird (stRspr zur Zuweisung nach § 75 Abs. 1 Nr. 4a BPersVG a. F., die nach neuem Recht - unter unveränderten Voraussetzungen - in § 78 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 2 BPersVG geregelt ist, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 24. September 2013 - 6 P 4.13 - BVerwGE 148, 36 Rn. 22, vom 20. September 2020 - 5 P 7.19 - Buchholz 250 § 77 BPersVG Nr. 23 Rn. 9, vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 14 und vom 18. April 2023 - 5 P 4.22 - Rn. 6). Dies gilt wegen der Vergleichbarkeit der Konstellationen und der Interessenlage auch für die Zustimmung der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers des Jobcenters nach § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Zuweisung einer Tätigkeit im Jobcenter an Beschäftigte des kommunalen Trägers. Die Beteiligte hat dieses Mitbestimmungsrecht in allen vier Stellenbesetzungsverfahren verletzt (b).
Rz. 11
a) Die Prüfung der Begründetheit der konkreten Feststellungsanträge bezüglich der Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an Frau Po., Frau T., Frau Pi. und Frau G. richtet sich nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) in der durch Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes vom 19. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2362) geänderten Fassung - BPersVG a. F. -.
Rz. 12
Im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren sind Rechtsänderungen während des Rechtsbeschwerdeverfahrens in gleicher Weise zu berücksichtigen, wie sie die Vorinstanz berücksichtigen müsste, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde entschiede (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 15 m. w. N.). Dementsprechend ist in einer Fallkonstellation wie der hier vorliegenden, in der es zunächst darum geht, ob eine Maßnahme als gebilligt gilt, insoweit auf das seinerzeit geltende Recht abzustellen. Denn der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt bestimmt sich grundsätzlich nach dem materiellen Recht, hier also nach dem materiellen (Bundes-)Personalvertretungsrecht. Nach diesem gilt die zu einer von der Dienststelle beabsichtigten Maßnahme beantragte Zustimmung als erteilt, wenn der Personalrat seine Zustimmung nicht innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist schriftlich (nach Maßgabe des in diesem Zeitpunkt geltenden Rechts nicht unter Angabe beachtlicher Gründe) verweigert (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F., der einen mit der aktuellen Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 4 BPersVG übereinstimmenden Wortlaut und Regelungsgehalt ≪vgl. BT-Drs. 19/26820 S. 113≫ aufweist). Der Eintritt der Zustimmungsfiktion bewirkt die Beendigung des konkreten Mitbestimmungsverfahrens mit der Konsequenz, dass für eine Fortsetzung oder Nachholung kein Raum mehr ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 13 und vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 18, jeweils m. w. N.). Aus diesem Grund ist über die Anträge des Antragstellers, die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts festzustellen, nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz in der vorstehend genannten Fassung zu entscheiden.
Rz. 13
b) Die Beteiligte hat das Mitbestimmungsrecht des Antragsstellers nach § 75 Abs. 1 Nr. 4a BPersVG a. F. verletzt. In diesem Zusammenhang steht zwischen den Verfahrensbeteiligten zu Recht außer Streit, dass der Antragsteller den beabsichtigten Zustimmungsentscheidungen der Beteiligten nicht explizit zugestimmt hat und seine erforderliche Zustimmung auch nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist. Der Streit der Verfahrensbeteiligten konzentriert sich vielmehr auf die Frage, ob die Beteiligte davon ausgehen durfte, dass ihre Zustimmung gemäß § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Zuweisung einer Tätigkeit an die genannten Beschäftigten jeweils durch den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. gedeckt gewesen ist mit der Folge, dass sie mit der Erklärung ihrer Zustimmung das Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nicht verletzt hätte. Das ist zu verneinen.
Rz. 14
Nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. gilt eine Maßnahme, zu welcher die Dienststellenleitung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 BPersVG a. F. die Zustimmung des Personalrats beantragt hat, als gebilligt, wenn nicht der Personalrat fristgerecht - d. h. gemäß § 69 Abs. 2 Satz 3 BPersVG a. F. innerhalb einer Frist von zehn Arbeitstagen - die Zustimmung unter Angabe von Gründen schriftlich verweigert. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Frist des § 69 Abs. 2 Satz 3 BPersVG a. F. mit dem Eingang des jeweiligen Zustimmungsantrags der Beteiligten beim Antragsteller mangels dessen vollständiger Unterrichtung über die mitbestimmungspflichtige Maßnahme nicht in Lauf gesetzt worden ist (aa). Dem Antragsteller ist die Berufung hierauf nicht deshalb verwehrt, weil er sich auch zur Sache eingelassen hat (bb). Bereits die fehlende Ingangsetzung der Äußerungsfrist durch die Beteiligte hat zur Folge, dass die Billigungsfiktion des § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. nicht zur Anwendung gelangen kann (cc). Auf die vom Oberverwaltungsgericht weiter geprüfte Frage, ob die Maßnahmen auch deshalb nicht als gebilligt gelten, weil die vom Antragsteller für die (vorsorgliche) Verweigerung der Zustimmung jeweils angegebenen Gründe beachtlich sind, kommt es daher nicht mehr an.
Rz. 15
aa) Die Äußerungsfrist des Personalrats nach § 69 Abs. 2 Satz 3 BPersVG a. F. beginnt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erst mit der vollständigen Unterrichtung durch die Dienststellenleitung über die mitbestimmungspflichtige Maßnahme zu laufen (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 7. April 2010 - 6 P 6.09 - BVerwGE 136, 271 Rn. 20 m. w. N., vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 17, vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 20 und vom 18. April 2023 - 5 P 4.22 - Rn. 8; vgl. zum NPersVG auch BAG, Urteil vom 1. Juni 2022 - 7 AZR 232/21 - PersV 2023, 98 Rn. 22: Voraussetzung "ordnungsgemäßer Unterrichtung"). Der Beginn der Äußerungsfrist mit der von ihr erfassten Billigungsfiktion hängt dementsprechend davon ab, ob eine den Anforderungen des § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 BPersVG a. F. genügende Unterrichtung des Personalrats erfolgt ist. Nach diesen Bestimmungen ist die Personalvertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten, die hierfür erforderlichen Unterlagen sind ihr vorzulegen. Die Unterrichtung des Personalrats ist entsprechend dem Sinn und Zweck des in § 69 Abs. 2 BPersVG a. F. geregelten Mitbestimmungsverfahrens im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 BPersVG a. F. umfassend und damit vollständig, wenn dem Personalrat die Kenntnisse vermittelt werden, die er zu einer sachgerechten Entscheidung über den Gegenstand des Mitbestimmungsverfahrens benötigt. Die Unterrichtung muss so umfassend erfolgen, dass er alle entscheidenden Gesichtspunkte kennt, die für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts von Bedeutung sein können. Hält der Personalrat die ihm erteilten Auskünfte nicht für ausreichend, ist er unter Umständen gehalten, noch innerhalb der Äußerungsfrist ergänzende Informationen zu der von der Leiterin oder dem Leiter der Dienststelle beabsichtigten Maßnahme zu verlangen. Ein Anspruch auf Erfüllung des Auskunftsverlangens besteht allerdings nur in dem Umfang, in dem der Personalrat die Kenntnis der Unterlagen zur Durchführung seiner Aufgaben benötigt (etwa BVerwG, Beschlüsse vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 17 und vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 20, jeweils m. w. N.).
Rz. 16
Im Fall einer Zuweisungsentscheidung bezieht sich die Verpflichtung zur vollständigen Unterrichtung des Personalrats unter Berücksichtigung dieser Grundsätze grundsätzlich auf alle Fakten und Unterlagen, die für die Zuweisungsentscheidung der Leiterin oder des Leiters der Dienststelle maßgebend waren. Maßgebend in diesem Sinne können Fakten und Unterlagen nur dann gewesen sein, wenn die Leiterin oder der Leiter der Dienststelle, welcher der Personalrat zugeordnet ist, die der Zuweisungsentscheidung zugrunde liegende Auswahlentscheidung selbst getroffen oder sich die von anderen getroffene Auswahlentscheidung dadurch zu eigen gemacht haben, dass sie diese anhand der ihr zugrunde gelegten Auswahlunterlagen überprüft, inhaltlich nachvollzogen oder gewürdigt haben. Nicht vorgelegt werden müssen solchen Unterlagen, welche die Dienststellenleitung ihrer Entscheidung tatsächlich nicht zugrunde gelegt hat (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 18 ff. und vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 21 ff., jeweils m. w. N.).
Rz. 17
In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe hat die Beteiligte den Antragsteller durch die mit dem Zustimmungsantrag vorgelegte Zusammenfassung über die im jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren geführten Auswahlgespräche ("Gesprächsnotiz") nicht ausreichend unterrichtet. Sie hätte ihm zwar - entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts - nicht die Bewerbungsunterlagen von allen Bewerberinnen und Bewerbern, die sich um die jeweils ausgeschriebene Stelle beworben haben, aber die Bewerbungsunterlagen der Bewerberinnen und Bewerber vorlegen müssen, die zum Auswahlgespräch eingeladen worden sind.
Rz. 18
(1) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG i. V. m. § 559 Abs. 2 ZPO) war die Zustimmung der Beteiligten nach § 44g Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Zuweisung einer Tätigkeit beim Jobcenter an die genannten Beschäftigten des kommunalen Trägers jeweils abhängig von der (abschließenden) Auswahlentscheidung am Ende der geführten Auswahlgespräche. Diese Entscheidung hat die Beteiligte nach Sichtung der Bewerbungsunterlagen der eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber und unter aktiver Teilnahme an den Gesprächen als gleichberechtigte Partnerin zusammen mit der Mitarbeiterin des Personalamtes des kommunalen Trägers getroffen. Die Beteiligte hat also (mit)entschieden, wem von den zum Auswahlgespräch eingeladenen Bewerberinnen und Bewerbern die Tätigkeit beim Jobcenter zugewiesen werden soll und ihrer Entscheidung auch die Bewerbungsunterlagen der betreffenden Bewerberinnen und Bewerber zugrunde gelegt. Durch die gleichberechtigte Beteiligung der Beteiligten an der (abschließenden) Auswahlentscheidung sollte - wie das Oberverwaltungsgericht weiter festgestellt hat - verhindert werden, dass diese ihre Zustimmung zu der anschließend vom kommunalen Träger auszusprechenden Zuweisung verweigert, weil die ausgewählte Bewerberin oder der ausgewählte Bewerber ihrer Ansicht nach den Stellenanforderungen nicht entspricht. Dementsprechend konnte die Beteiligte den Antragsteller nur dann vollständig unterrichten, wenn sie ihm die Bewerbungsunterlagen der im jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren zum Auswahlgespräch eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber vorlegte.
Rz. 19
(2) Die Unterrichtungspflicht der Beteiligten erstreckte sich indessen nicht auch auf die Bewerbungsunterlagen der nicht zu einem solchen Gespräch eingeladenen Bewerberinnen und Bewerber. Aufgrund der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist davon auszugehen, dass die Beteiligte sich die Entscheidung des kommunalen Trägers, welche Bewerberinnen und Bewerber mangels Eignung nicht in die Auswahlgespräche einbezogen werden, sondern vorab aus dem jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren ausscheiden, nicht wie im oben dargelegten Sinne zu eigen gemacht hat. Denn deren Bewerbungsunterlagen haben ihr nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Übrigen auch tatsächlich nicht vorgelegen.
Rz. 20
bb) Der Umstand, dass die Äußerungsfrist mangels vollständiger Unterrichtung des Antragstellers nicht zu laufen begann, ist hier nicht deshalb unbeachtlich, weil sich der Antragsteller im jeweiligen Stellenbesetzungsverfahren auch in der Sache geäußert und seine Zustimmung zu der beantragten Maßnahme (vorsorglich) verweigert hat. Dabei gibt der vorliegende Fall keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob ein Personalrat auf den durch den Unterrichtungsanspruch nach § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 BPersVG a. F. vermittelten Schutz vor einem Beginn der Äußerungsfrist mit der von ihr erfassten Billigungsfiktion (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 25 und vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 28, jeweils m. w. N.) überhaupt verzichten kann. Denn den Zustimmungsverweigerungsschreiben des Antragstellers ist jedenfalls weder ein derartiger Verzicht noch ein Verzicht auf die vollständige Unterrichtung als solche zu entnehmen.
Rz. 21
Der Antragsteller ist darin jeweils zunächst auf das Schreiben der Beteiligten eingegangen, mit dem diese auf seine nach Eingang des Zustimmungsantrags erhobene Rüge der unzureichenden Unterrichtung über die beabsichtigte Zuweisung und sein Ersuchen, ihm die vollständigen Bewerbungsunterlagen aller Bewerberinnen und Bewerber vorzulegen, geantwortet hat. Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, auch durch diese Antwortschreiben nicht vollumfänglich informiert worden zu sein. Er hat seine Forderung nach Vorlage der Bewerbungsunterlagen aller Bewerberinnen und Bewerber wiederholt und geltend gemacht, dass die Frist zur Zustimmungsverweigerung nicht zu laufen begonnen habe. Die anschließend erklärte Verweigerung der Zustimmung hat er überdies ausdrücklich als "vorsorgliche" Zustimmungsverweigerung bezeichnet. Damit wollte er erkennbar den Eintritt der Billigungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. für den Fall verhindern, dass die Äußerungsfrist des § 69 Abs. 2 Satz 3 BPersVG a. F. entgegen der von ihm vertretenen Auffassung in Gang gesetzt worden sein sollte. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Antragsteller durch die vorsorgliche Verweigerung der Zustimmung des Schutzes begeben wollte, der ihm durch seinen Anspruch auf vollständige Unterrichtung, ohne die die Äußerungsfrist nicht in Lauf gesetzt wird, vermittelt wird.
Rz. 22
cc) Bereits der Umstand, dass die Äußerungsfrist des § 69 Abs. 2 Satz 3 BPersVG a. F. mangels vollständiger Unterrichtung des Personalrats nicht in Lauf gesetzt worden ist, führt dazu, dass die Billigungsfunktion des § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG a. F. nicht eintreten kann (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 11. November 2009 - 6 PB 25.09 - PersV 2010, 183 ≪185≫ m. w. N. und zur vergleichbaren Fragestellung bei § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG etwa BAG, Beschlüsse vom 28. Januar 1986 - 1 ABR 10/84 - BAGE 51, 42 ≪47 f.≫ und vom 14. Dezember 2004 - 1 ABR 55/03 - BAGE 113, 109 ≪113 ff.≫; s. a. zur vergleichbaren Fragestellung bei fehlendem Fristbeginn infolge eines fehlenden Zustimmungsantrags BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2012 - 6 P 9.11 - Buchholz 251.4 § 87 HmbPersVG Nr. 3 Rn. 9).
Rz. 23
Das folgt aus dem in § 69 BPersVG a. F. geregelten Verfahrensablauf. Die den Anforderungen des § 68 Abs. 2 Satz 1 und 2 BPersVG a. F. entsprechende Unterrichtung des Personalrats ist Voraussetzung dafür, dass dieser seine Rechte nach § 77 Abs. 2 BPersVG a. F. wahrnehmen kann. Nach dieser Bestimmung kann der Personalrat die Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme nur aus den dort genannten Gründen verweigern. Die Prüfung, ob ein Zustimmungsverweigerungsgrund im Sinne des § 77 Abs. 2 BPersVG a. F. vorliegt, ist dem Personalrat nur möglich, wenn die Dienststellenleitung ihn zuvor über die mitbestimmungspflichtige Maßnahme ordnungsgemäß unterrichtet hat. Dem Zweck der Unterrichtungspflicht, dem Personalrat eine sachgerechte Ausübung des Mitbestimmungsrechts zu ermöglichen, würde es grundsätzlich zuwiderlaufen, wenn sich die Dienststellenleitung, obwohl sie ihre Pflicht zur rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung des Personalrats nicht erfüllt, darauf berufen könnte, dass eine Maßnahme als gebilligt gilt, wenn sich der Personalrat nicht geäußert oder für seine Zustimmungsverweigerung nicht einen im Gesetz genannten Grund angegeben hat. Das gilt umso mehr, als die Verletzung der Unterrichtungspflicht keinen Gesetzesverstoß im Sinne des § 77 Abs. 2 Nr. 1 BPersVG a. F. darstellt, weshalb der Personalrat nicht berechtigt ist, die Zustimmung allein wegen mangelnder Unterrichtung zu verweigern (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 27. April 2022 - 5 P 9.20 - juris Rn. 25 und vom 3. Mai 2022 - 5 P 1.22 - BVerwGE 175, 285 Rn. 28, jeweils m. w. N.). Es entspricht vielmehr dem Zweck der Unterrichtungspflicht, dass sich der nicht ordnungsgemäß unterrichtete Personalrat nicht auf eine Sachentscheidung nach § 77 Abs. 2 BPersVG a. F. einzulassen braucht.
Fundstellen
Haufe-Index 15760837 |
BVerwGE 2024, 192 |
NVwZ-RR 2023, 718 |
DÖV 2023, 823 |
JZ 2023, 476 |
LKV 2023, 317 |
NZA-RR 2023, 490 |
öAT 2023, 197 |