Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den EuGH. Aufenthalt. Ausländergleichbehandlung. Bewegungsfreiheit. fiskalisches Interesse. Flüchtling. Inländergleichbehandlung. migrationspolitisches Interesse. Person mit subsidiärem Schutzstatus. Sozialhilfe. subsidiär Schutzberechtigte. Vorabentscheidung. Wohnsitzauflage
Leitsatz (amtlich)
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung der Frage, ob Wohnsitzauflagen für subsidiär Schutzberechtigte mit Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar sind (Parallelentscheidung zum Beschluss vom 19. August 2014 – BVerwG 1 C 1.14).
Normenkette
AEUV Art. 20, 45, 78, 267; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 12 Abs. 2, § 25 Abs. 2-3, § 60 Abs. 2; GFK Art. 23; GFK Art. 26; GR-Charta Art. 18; IBPR Art. 12; Protokoll Nr. 4 zur EMRK Art. 2; Richtlinie 2011/95/EU Art. 2 Buchst. d, g, Art. 18, 20 Abs. 1-2, Art. 29, 33
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 28.03.2014; Aktenzeichen 2 LC 14/14) |
VG Stade (Entscheidung vom 07.01.2014; Aktenzeichen 6 A 970/13) |
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:
1) Stellt die Auflage, den Wohnsitz in einem räumlich begrenzten Bereich (Gemeinde, Landkreis, Region) des Mitgliedstaats zu nehmen, eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Sinne von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU dar, wenn der Ausländer sich ansonsten im Staatsgebiet des Mitgliedstaats frei bewegen und aufhalten kann?
2) Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar, wenn sie darauf gestützt wird, eine angemessene Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten auf deren jeweilige Träger innerhalb des Staatsgebiets zu erreichen?
3) Ist eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar, wenn sie auf migrationsoder integrationspolitische Gründe gestützt wird, etwa um soziale Brennpunkte durch die gehäufte Ansiedlung von Ausländern in bestimmten Gemeinden oder Landkreisen zu verhindern? Reichen insoweit abstrakte migrationsoder integrationspolitische Gründe aus oder müssen solche Gründe konkret festgestellt werden?
Tatbestand
I
Die Klägerin erstrebt die Aufhebung der Wohnsitzauflage, die ihrer Aufenthaltserlaubnis vom 3. Dezember 2012 beigefügt worden ist.
Die Klägerin stammt nach ihren eigenen Angaben aus Syrien. Sie reiste im September 2000 zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern nach Deutschland ein und führte hier erfolglos ein Asylverfahren durch. In der Folgezeit wurde sie zunächst geduldet und war ab November 2003 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis bzw. einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Sie bezog von Beginn ihres Aufenthalts bis heute Leistungen der sozialen Sicherung und erhielt die Auflage, ihren Wohnsitz im Bereich des Landkreises S. zu nehmen.
Auf erneuten Antrag stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. November 2012 fest, dass bei ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Syriens vorliegt. Am 3. Dezember 2012 erteilte ihr der Beklagte eine bis zum 2. Dezember 2014 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die u.a. die folgende Nebenbestimmung enthält: „Der Wohnsitz ist nur im Bereich des Landkreises S. zu nehmen.” Der Beklagte hat sich bei seiner Entscheidung von den Ziffern 12.2.5.2.1 und 12.2.5.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz leiten lassen.
Die Klägerin hat im Februar 2013 Anfechtungsklage erhoben, mit der sie die Streichung der Wohnsitzauflage, hilfsweise Neubescheidung begehrt hat. Mit Urteil vom 7. Januar 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom 28. März 2014 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die aufgrund von § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verfügte Wohnsitzauflage keine Ermessensfehler erkennen lasse. Sie entspreche der Erlasslage wegen des Bezugs öffentlicher Leistungen und verstoße weder gegen Völker- noch gegen Unionsrecht. Zwar gehe die Richtlinie 2011/95/EU in Art. 20 ff. vom Grundsatz der Gleichbehandlung von Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten aus. Art. 33 der Richtlinie bleibe jedoch hinter den Gewährleistungen des Art. 26 GFK zurück, denn in der Genfer Flüchtlingskonvention werde ausdrücklich zwischen dem Recht der Wahl des Aufenthaltsorts und der Bewegungsfreiheit unterschieden. Da die Richtlinie diese Formulierungen nicht übernommen habe, sei davon auszugehen, dass man bewusst sprachlich differenziert habe. Zudem hätten etliche Staaten schon gegen die in Art. 26 GFK eröffnete freie Wahl des Wohnsitzes Vorbehalte angemeldet. Unabhängig davon ermögliche Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU generell Einschränkungen, die auch für andere rechtmäßig im Aufnahmestaat lebende Drittstaatsangehörige gälten. Der in Art. 23 GFK niedergelegte Grundsatz fürsorgerechtlicher Gleichbehandlung für Flüchtlinge sei nicht in vergleichbarem Maße in Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU übernommen worden.
Mit ihrer Revision trägt die Klägerin vor, dass die Richtlinie 2011/95/EU nicht hinter den Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention zurückbleibe. Die freie Wahl des Wohnsitzes für Flüchtlinge gelte über Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU auch für subsidiär Schutzberechtigte. Die in Art. 29 Abs. 2 der Richtlinie verwendete Formulierung „im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige” sei weit zu verstehen, so dass in vergleichbaren Situationen mit subsidiär Schutzberechtigten nicht anders umgegangen werden dürfe als mit eigenen Staatsangehörigen. Für Deutsche gebe es aber keine „sozialhilferechtliche Residenzpflicht”.
Der Beklagte verteidigt die Berufungsentscheidung. Der Richtliniengeber habe das aus der Genfer Flüchtlingskonvention abzuleitende Verbot, Flüchtlingen zur angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten Wohnsitzauflagen zu erteilen, nicht in die Richtlinie übernommen und jedenfalls nicht auf Personen mit subsidiärem Schutzstatus erstreckt.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und teilt im Wesentlichen die Rechtsauffassung des beklagten Landkreises.
Entscheidungsgründe
II
Der Rechtsstreit ist auszusetzen. Es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen (Art. 267 AEUV). Die Fragen betreffen die Auslegung der Art. 33 und 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9 – CELEX: 32011L0095). Da es um die Auslegung von Unionsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Es wird darauf hingewiesen, dass die Fragen Gegenstand von zwei weiteren – gleichlautenden – Vorabentscheidungsersuchen sind (vgl. Beschlüsse vom 19. August 2014 – BVerwG 1 C 1.14 und BVerwG 1 C 3.14).
1. Für die rechtliche Beurteilung des Anfechtungsantrags gegen die im Dezember 2012 erteilte Wohnsitzauflage als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz maßgeblich (Urteil vom 15. Januar 2013 – BVerwG 1 C 7.12 – BVerwGE 145, 305 = Buchholz 402.242 § 23 AufenthG Nr. 5, jeweils Rn. 9). Zu diesem Zeitpunkt (Beschluss vom 28. März 2014) galt bereits das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 6. September 2013 (BGBl I S. 3556). Des Weiteren waren die hier maßgeblichen Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95/EU gemäß Art. 41 der Richtlinie in Kraft getreten, und die Umsetzungsfrist für sie war gemäß Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU abgelaufen. Die Richtlinie wurde durch das Gesetz vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3474) in nationales Recht umgesetzt. Danach bilden folgende nationale Vorschriften, die – soweit hier einschlägig – auch derzeit noch unverändert gelten, den rechtlichen Rahmen dieses Rechtsstreits:
§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3, § 12 Abs. 1 und 2 sowie § 25 Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3474), lauten:
§ 5 Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
- der Lebensunterhalt gesichert ist.
(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach […] § 25 Abs. 1 bis 3 […] ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2 […] abzusehen.
§ 12 Geltungsbereich; Nebenbestimmungen
(1) Der Aufenthaltstitel wird für das Bundesgebiet erteilt. Seine Gültigkeit nach den Vorschriften des Schengener Durchführungsübereinkommens für den Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien bleibt unberührt.
(2) Das Visum und die Aufenthaltserlaubnis können mit Bedingungen erteilt und verlängert werden. Sie können, auch nachträglich, mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden.
§ 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen
(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft […] oder subsidiären Schutz […] zuerkannt hat.
Auf der Grundlage des Aufenthaltsgesetzes hat der Bundesminister des Innern mit Zustimmung des Bundesrates eine Verwaltungsvorschrift erlassen, die die Ausländerbehörden bei der Anwendung des Gesetzes zu beachten haben (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 – GMBl 2009, 878). Danach ist eine Aufenthaltserlaubnis, die aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wird, in dem Fall, in dem der Begünstigte Leistungen der sozialen Sicherung bezieht, mit einer wohnsitzbeschränkenden Auflage zu verbinden. Die einschlägigen Nummern der Verwaltungsvorschrift lauten wie folgt:
12.2.5.2.1 Die wohnsitzbeschränkende Auflage stellt insbesondere ein geeignetes Mittel dar, um mittels einer regionalen Bindung die überproportionale fiskalische Belastung einzelner Länder und Kommunen durch ausländische Empfänger sozialer Leistungen zu verhindern. Entsprechende Auflagen können auch dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Entsprechende Maßnahmen sind auch gerechtfertigt, um Ausländer mit einem besonderen Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort zu binden, damit sie dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können.
12.2.5.2.2 Vor diesem Hintergrund werden wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt und aufrechterhalten bei Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes bzw. Niederlassungserlaubnissen nach § 23 Absatz 2, soweit und solange sie Leistungen nach dem SGB II oder XII oder dem AsylbLG beziehen. Hierzu zählen auch Aufenthaltserlaubnisse nach §§ 104a und 104b.
2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.
a) Die Klägerin ist Inhaberin des subsidiären Schutzstatus im Sinne von Art. 2 Buchst. g und Art. 18 der Richtlinie 2011/95/EU; dieser beruht auf der Anerkennungsentscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. November 2012. Ihr Aufenthalt war jedoch während der gesamten Dauer – beginnend im Jahr 2000 – mit der Auflage verbunden, den Wohnsitz in einer bestimmten Kommune zu nehmen. Eine entsprechende Auflage ist der angefochtenen Aufenthaltserlaubnis vom 3. Dezember 2012 beigefügt, deren Aufhebung die Klägerin erstrebt.
b) Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann ein Aufenthaltstitel, der in der Regel für das gesamte Bundesgebiet erteilt wird (§ 12 Abs. 1 AufenthG), mit Auflagen, insbesondere einer räumlichen Beschränkung, verbunden werden. Die Erteilung einer Wohnsitzauflage ist grundsätzlich zulässig, weil sie gegenüber der in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausdrücklich genannten räumlichen Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis einen geringeren Eingriff darstellt (vgl. Urteil vom 15. Januar 2008 – BVerwG 1 C 17.07 – BVerwGE 130, 148 = Buchholz 402.22 Art. 26 GK Nr. 3, jeweils Rn. 13). Sie ordnet zwar eine Pflicht zur Wohnungsnahme und -nutzung an diesem Ort an, schränkt die Möglichkeit, sich im Bundesgebiet im Übrigen frei zu bewegen und aufzuhalten, aber nicht ein. Die Entscheidung, ob eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Auflage verbunden wird, steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Ihre Entscheidung ist daher nur darauf überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Der Beklagte hat sich – wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat (BA S. 6 f.) – bei seiner Ermessensausübung von den Ziffern 12.2.5.2.1 und 12.2.5.2.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministerium des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl 2009, 878 ≪960≫) leiten lassen, wonach Inhabern von Aufenthaltstiteln aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (vgl. Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes), soweit und solange sie Leistungen der sozialen Sicherung beziehen, zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialleistungslasten wohnsitzbeschränkende Auflagen erteilt werden sollen. Eine Bindung der Ermessensentscheidung der einzelnen Ausländerbehörden durch einheitliche Verwaltungsvorschriften ist nach nationalem Recht zulässig.
Rechtmäßig ist es nach nationalem Recht auch – sofern keine Sonderregelungen wie die der Art. 26 und 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) greifen – gegenüber Ausländern die Aufenthaltserlaubnis mit Wohnsitzauflagen zum Zweck der angemessenen Verteilung der Sozialhilfelasten zu verbinden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht für die Aufnahme größerer Gruppen von Ausländern – z.B. Bürgerkriegsflüchtlinge oder jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion – entschieden. Denn es dient einem gewichtigen öffentlichen Interesse, innerhalb der föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland einer Überlastung einzelner Bundesländer und Kommunen durch ein Verteilungsverfahren und entsprechende Wohnsitzbeschränkungen beim Bezug von Leistungen der sozialen Sicherung entgegenzuwirken (Urteile vom 15. Januar 2013 – BVerwG 1 C 7.12 – BVerwGE 145, 305 = Buchholz 402.242 § 23 AufenthG Nr. 5, jeweils Rn. 16 und vom 19. März 1996 – BVerwG 1 C 34.93 – BVerwGE 100, 335 ≪342≫ = Buchholz 402.240 § 12 AuslG 1990 Nr. 9 S. 40). Abweichendes ergibt sich nach der Rechtsprechung des vorlegenden Senats für anerkannte Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention, weil diese in Art. 23 GFK bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen für Flüchtlinge die „gleiche Behandlung” vorsieht wie für eigene Staatsangehörige, für die entsprechende Wohnsitzauflagen aus fiskalischen Gründen nicht vorgesehen sind. Daher darf anerkannten Flüchtlingen – anders als Staatenlosen, Kontingentflüchtlingen und sonstigen Inhabern von Aufenthaltserlaubnissen aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen – die Wahl des Wohnsitzes nicht zum Zweck der angemessenen Verteilung der Sozialhilfelasten eingeschränkt werden (vgl. Urteil vom 15. Januar 2008 a.a.O., jeweils Rn. 18 ff.). Es ist also entscheidungserheblich, ob Wohnsitzbeschränkungen gegenüber subsidiär Schutzberechtigten zum Zweck der angemessenen Verteilung von Sozialhilfelasten verhängt werden dürfen.
c) Die gegenüber der Klägerin angeordnete Beschränkung des Wohnsitzes verstößt nicht gegen die völkerrechtlichen Regelungen in Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 16. September 1963 (BGBl 1968 II S. 423, 1109) und in Art. 12 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II S. 1533, 1976 II S. 1068).
Nach Art. 2 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK hat nur derjenige, der sich „rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält”, das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Nur soweit der Aufenthalt rechtmäßig ist, gelten die in Absatz 3 der Vorschrift normierten Grenzen für eine Beschränkung der in Absatz 1 gewährten Freiheit. Wurde der Aufenthalt von Anfang an nur – wie hier – mit der verfügten Wohnsitzbeschränkung gestattet, ist er auch nur in diesem Umfang rechtmäßig; die aufschiebende Wirkung des gegen die Wohnsitzauflage eingelegten Rechtsbehelfs verhindert lediglich deren Vollziehung, berührt aber nicht die Wirksamkeit der Wohnsitzauflage. Dass die räumliche Beschränkung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bestimmt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Entscheidung vom 20. November 2007 – Nr. 44294/04 – Omwenyeke/ Deutschland – m.w.N. – ergangen zur räumlichen Beschränkung eines Asylbewerbers auf das Gebiet der Stadt Wolfsburg), des vorlegenden Gerichts (vgl. Urteil vom 19. März 1996 a.a.O. ≪346≫ bzw. S. 44) und der Kommentarliteratur (vgl. Grabenwarter, European Convention on Human Rights – Commentary – 2014, S. 412 Rn. 3). Die Wohnsitzbeschränkung ist dann nicht am Maßstab einer Einschränkung nach Absatz 3 von Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zu messen, weil sie bereits für den rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von Absatz 1 konstitutiv ist. Das Gleiche gilt für die Auslegung von Art. 12 IPBPR. Denn der Aufenthalt ist von vornherein nur mit der Wohnsitzauflage rechtmäßig gewesen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IPBPR. Die Auflage ist daher nicht am Maßstab von Art. 12 Abs. 3 IPBPR zu messen. Die von der Klägerin dagegen zitierte Kommentierung zu Art. 12 IPBPR (UN Human Rights Committee (HRC), CCPR General Comment No. 27: Article 12 (Freedom of Movement), 2 November 1999, CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 – marginal 12) bezieht sich auf Art. 12 Abs. 3 IPBPR und nicht auf den hier maßgeblichen Art. 12 Abs. 1 IPBPR.
Ist die angefochtene Wohnsitzauflage nach nationalem Recht und nach völkerrechtlichen Normen rechtmäßig, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob ihr Art. 33 und/oder Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU entgegensteht. Im Einzelnen stellen sich in diesem Zusammenhang die folgenden Vorlagefragen 1 bis 3. Sie bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, da er zur Entscheidung auslegungsbedürftiger Fragen der hier maßgeblichen Richtlinie 2011/95/EU berufen ist.
1. Vorlagefrage:
Geht es im vorliegenden Fall um die Frage, ob die gegenüber einer Person mit subsidiärem Schutzstatus verfügte Wohnsitzauflage mit Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar ist, ist zunächst zu klären, ob eine solche Wohnsitzauflage überhaupt eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit im Sinne von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU darstellt, wenn der betroffene Ausländer ansonsten Freizügigkeit im Mitgliedstaat genießt. In seiner zu Wohnsitzauflagen für Flüchtlinge (Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU) ergangenen Entscheidung stellte sich diese Frage für das vorlegende Gericht nicht, weil Art. 26 GFK die freie Wohnsitzwahl ausdrücklich gewährleistet.
a) Der hiervon abweichende Wortlaut des Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU schließt eine Auslegung nicht aus, wonach unter den Begriff der Bewegungsfreiheit auch die Freiheit der Wohnsitznahme fällt. Wenig Aussagekraft hat insoweit indes die in der deutschen Sprachfassung gewählte Überschrift „Freizügigkeit innerhalb eines Mitgliedstaats”, die für eine weite Auslegung der Bewegungsfreiheit spricht, denn in anderen Sprachfassungen ist nur von „Freedom of Movement” oder „Liberté de circulation” die Rede.
Gegen eine Auslegung, die die Freiheit der Wohnsitzwahl von der Bewegungsfreiheit erfasst ansieht, könnte streiten, dass in anderen Normen des Unionsrechts und des Völkerrechts die Wohnsitzwahl und das Recht zum Aufenthalt gesondert neben der Bewegungsfreiheit garantiert werden. So wird nicht nur in Art. 26 GFK, sondern auch in Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK und in Art. 12 IPBPR die freie Wohnsitzwahl gesondert neben der Bewegungsfreiheit genannt. Auch andere Regelungen führen die Bewegungsfreiheit und das Recht zum Aufenthalt nebeneinander auf, wobei das Recht zum Aufenthalt die Wahl des Wohnsitzes umfasst (Art. 20 und 45 AEUV). Aus der Gesamtschau der Regelungen ist für das vorlegende Gericht aber offen, ob die Wohnsitzwahl notwendigerweise ein aliud oder ein Mehr gegenüber der Bewegungsfreiheit darstellt.
b) In seiner Rechtsprechung zu Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK sieht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschränkungen der Wohnsitzwahl als Einschränkung der Bewegungsfreiheit an. Der EGMR ordnet Wohnsitzauflagen und andere Einschränkungen der Bewegungsfreiheit einheitlich dem Begriff der Bewegungsfreiheit („restrictions à la liberté de circuler”) im Sinne von Art. 2 des Protokolls zu, obwohl in der Vorschrift das Recht geschützt wird, sich „frei zu bewegen” und den „Wohnsitz zu nehmen” (Urteil vom 20. April 2010 – Nr. 19675/06 – Villa/Italien – Rn. 41 bis 43; Gegenstand des Urteils ist auch eine Wohnsitzauflage). Der EGMR sieht sogar zwischen dem Entzug der Freiheit im Sinne von Art. 5 EMRK und ihrer Einschränkung im Sinne von Art. 2 des Protokolls keinen Wesensunterschied, sondern nur einen graduellen Unterschied (différence de degré ou d'intensité – Rn. 41). Auch in seinem Urteil vom 22. Februar 2007 (Nr. 1509/02 – Tatishvili/Russland – Rn. 46) betreffend die Verweigerung einer Wohnsitzregistrierung gegenüber einem ethnischen Georgier durch Russland („Propiska”) misst der EGMR die Beschränkungen synonym an der „Bewegungsfreiheit” wie an der „freien Wahl des Wohnsitzes”.
c) Von erheblichem Gewicht für die Auslegung von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU sind Sinn und Zweck der Regelung. Diese sieht keine unterschiedliche Behandlung von anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten vor. Wenn aber Art. 33 der Richtlinie die Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge in gleicher Weise wie für subsidiär Schutzberechtigte regelt und Flüchtlingen nach Art. 26 GFK die Bewegungsfreiheit und die Freiheit der Wohnsitzwahl garantiert wird, könnte dies dafür sprechen, dass die durch Art. 33 Richtlinie geschützte Bewegungsfreiheit in ihrem Schutzumfang nicht hinter der des Art. 26 GFK zurückbleibt.
Zielsetzung der Richtlinie 2011/95/EU ist ein gemeinsames europäisches Asylsystem, dessen Schutzstandards mit den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention im Einklang stehen. Das ergibt sich aus der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Richtlinie, aus ihren Erwägungsgründen und möglicherweise auch aus Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie. Diese ist auf Art. 78 Abs. 1 und 2 Buchst. a und b AEUV gestützt. Diese Vorschrift lautet wie folgt (Unterstreichungen durch das vorlegende Gericht):
Artikel 78
(1) Die Union entwickelt eine gemeinsame Politik im Bereich Asyl, subsidiärer Schutz und vorübergehender Schutz, mit der jedem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz benötigt, ein angemessener Status angeboten und die Einhaltung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung gewährleistet werden soll. Diese Politik muss mit dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 und dem Protokoll vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie den anderen einschlägigen Verträgen im Einklang stehen.
(2) Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem, das Folgendes umfasst:
- einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus für Drittstaatsangehörige;
- einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die keinen europäischen Asylstatus erhalten, aber internationalen Schutz benötigen.
Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie einen „Asylstatus” für Drittstaatsangehörige schaffen will (und nicht nur Anerkennungsvoraussetzungen), der „im Einklang steht” mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Das Ziel der vollständigen Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention kommt auch in Erwägungsgrund 16 der Richtlinie zum Ausdruck. Dieser ergänzt den Erwägungsgrund 10 der Vorgänger-Richtlinie 2004/83/EG um das Ziel, „die Anwendung der Artikel 1, … 18, … der Charta zu fördern”. Nach Art. 18 GR-Charta soll aber das Asylrecht „nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 …” gewährleistet werden.
Die Begründung der Kommission für die heutige Richtlinie 2011/95/EU vom 21. Oktober 2009 (KOM(2009)551 endgültig, S. 6 f.) lautet (Unterstreichungen durch das vorlegende Gericht):
„Mit dem Vorschlag soll vor allem Folgendes erreicht werden:
– Höhere Schutzstandards bei den Schutzgründen und dem Inhalt des zu gewährenden Schutzes im Einklang mit internationalen Normen, insbesondere zur Gewährleistung der uneingeschränkten und umfassenden Anwendung des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des New Yorker Protokolls vom 31. Januar 1967 („Genfer Flüchtlingskonvention”) und der uneingeschränkten Achtung der EMRK und der EU-Charta der Grundrechte („EU-Charta”).
Das könnte dafür sprechen, dass auch der Inhalt des durch die Richtlinie zu gewährenden Schutzes (Art. 20 bis 35) die „uneingeschränkte und umfassende” Anwendung der GFK sicherstellen soll. Das ist in den Beratungen zur Richtlinie zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen worden.
Bei dieser Auslegung, die sich an den Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert, umfasst der Schutz der Bewegungsfreiheit im Sinne von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU auch die Freiheit der Wohnsitzwahl und bleibt insoweit im Schutzniveau nicht hinter Art. 26 GFK zurück. Die Garantie der Bewegungsfreiheit im Sinne von Art. 33 der Richtlinie gälte dann gemäß Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie auch in gleicher Weise für anerkannte Flüchtlinge wie für Personen mit subsidiärem Schutzstatus.
d) Allerdings darf man auch nicht aus dem Blick verlieren, dass der im Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU (Art. 20 bis 35) geregelte „Inhalt des internationalen Schutzes” thematisch nicht in vollem Umfang die Gewährleistungen der Art. 12 bis 34 GFK abdeckt. Darüber hinaus fällt auf, dass nicht nur die Rechte in Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU (Bewegungsfreiheit) und Art. 26 GFK („Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen”) unterschiedlich formuliert sind, sondern auch deren Schranken: Während Art. 33 der Richtlinie als Vergleichsgruppe ganz allgemein andere Drittstaatsangehörige heranzieht, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhalten, stellt Art. 26 GFK insoweit auf die Bestimmungen ab, die allgemein für Ausländer unter den gleichen Umständen (vgl. Art. 6 GFK) gelten. Diese Befunde sprechen dagegen, dass die Richtlinie 2011/95/EU auch die Rechte der Flüchtlinge ohne Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Genfer Flüchtlingskonvention selbständig und abschließend regeln will. Wenn und soweit die Richtlinie hinter der Genfer Flüchtlingskonvention zurückbliebe, genössen anerkannte Flüchtlinge weiterhin deren in nationales Recht transformierten Rechte, da gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU die Bestimmungen dieses Kapitels nicht die in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Rechte berühren.
2. Vorlagefrage:
Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist, stellt sich die Frage, ob Wohnsitzauflagen nach Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen erteilt werden dürfen wie sie allgemein für Drittstaatsangehörige gelten, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates aufhalten, oder ob insoweit für Personen mit subsidiärem Schutzstatus dieselben Ausnahmen für räumliche Beschränkungen gelten, die das Bundesverwaltungsgericht für anerkannte Flüchtlinge aus Art. 26 GFK hergeleitet hat.
a) Nach Art. 33 der Richtlinie gestatten die Mitgliedstaaten die Bewegungsfreiheit „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen” wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Maßstab für die Rechtmäßigkeit von Wohnsitzbeschränkungen ist daher, ob sie auch für andere sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhaltende Drittstaatsangehörige angeordnet werden dürfen.
Nach deutschem Aufenthaltsrecht dürfen Wohnsitzauflagen Drittstaatsangehörigen allgemein und ohne Beschränkung auf bestimmte Gruppen auferlegt werden (§ 12 Abs. 2 AufenthG). Nach der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 werden sie grundsätzlich gegenüber Inhabern eines Aufenthaltstitels, der aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erteilt wird, verfügt, wenn der Begünstigte Leistungen der sozialen Sicherung bezieht. Eine derartige Einschränkung auf Drittstaatsangehörige, deren Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen gestattet wird, beruht auf dem im deutschen Aufenthaltsrecht verankerten Trennungsprinzip. Dieses besagt, dass sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts und dessen Beschränkungen nach dem Zweck des Aufenthalts bestimmen, an den der Gesetzgeber in den einzelnen Abschnitten des Aufenthaltsgesetzes in unterschiedlicher Weise ausdifferenzierte Regelungen knüpft. Der Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit oder zum Zweck der Ausbildung unterliegt deshalb anderen Voraussetzungen und Beschränkungen als der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen. Insbesondere hinsichtlich des Erfordernisses, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass der Lebensunterhalt gesichert ist, d.h. ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestritten werden kann (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG), werden Ausländer aus der zuletzt genannten Gruppe im Aufenthaltsgesetz privilegiert. So ist gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG u.a. bei anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten von dem Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung abzusehen. Das macht deutlich, warum die Allgemeine Verwaltungsvorschrift bei der Auferlegung von Wohnsitzbeschränkungen wegen des Bezugs von Leistungen der sozialen Sicherung aus Sicht des vorlegenden Gerichts ohne Rechtsverstoß auf Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen abstellt und nicht auf alle Drittstaatsangehörigen ungeachtet des Zwecks ihres Aufenthalts. Denn bei den übrigen Drittstaatsangehörigen geht der Gesetzgeber prinzipiell davon aus, dass diese ihren Lebensunterhalt selbst sichern können, so dass kein Anlass für eine entsprechende Regelung in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift bestand.
b) Mit Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU könnte es aber unvereinbar sein, Personen mit subsidiärem Schutzstatus bei der Anordnung von Wohnsitzauflagen auch dann wie andere Drittstaatsangehörige zu behandeln, wenn und weil anerkannte Flüchtlinge insoweit nach der Genfer Flüchtlingskonvention einen stärkeren Schutz genießen. Denn gegenüber anerkannten Flüchtlingen dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Wohnsitzauflagen nicht allein zum Zweck der angemessenen Verteilung öffentlicher Sozialhilfelasten verfügt werden (Urteil vom 15. Januar 2008 – BVerwG 1 C 17.07 – BVerwGE 130, 148 = Buchholz 402.22 Art. 26 GK Nr. 3, jeweils Rn. 18 ff.). Dies ergibt sich aus Art. 23 GFK, wonach anerkannte Flüchtlinge bei der Gewährung von Leistungen der öffentlichen Fürsorge „die gleiche Behandlung” erhalten müssen wie die Staatsangehörigen des Aufnahmestaates. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die „gleiche Behandlung” im Sinne von Art. 23 GFK ein weit gefasster Ausdruck, der nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe einschließt, sondern auch voraussetzt, dass in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen.
Eine entsprechende Regelung findet sich in der Richtlinie 2011/95/EU jedoch nicht. Art. 29 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, international schutzberechtigten Personen die „notwendige Sozialhilfe” wie eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, fordert jedoch nicht, sie auch hinsichtlich der Modalitäten der Zahlung gleichzubehandeln, wie das in Art. 23 GFK geregelt ist. Insofern sieht das vorlegende Gericht einen Unterschied zwischen der allgemein für international Schutzberechtigte geltenden Regelung des Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU und der auf anerkannte Flüchtlinge beschränkten Regelung des Art. 23 GFK. Daraus folgt aber nicht notwendigerweise, dass eine unterschiedliche Behandlung von anerkannten Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutzstatus bei der Anordnung von Wohnsitzauflagen im Fall des Bezugs öffentlicher Sozialleistungen nach Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU gerechtfertigt ist. Hierzu bedarf es vielmehr einer Klärung durch den Gerichtshof.
3. Vorlagefrage:
Es bedarf des Weiteren der Klärung, ob eine Wohnsitzauflage gegenüber Personen mit subsidiärem Schutzstatus mit der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar ist, wenn sie auf migrations- oder integrationspolitische Gründe gestützt wird.
a) Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 sieht die Verfügung einer Wohnsitzauflage gegenüber Ausländern, denen der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen gestattet wird, im Fall des Bezugs sozialer Leistungen auch dann vor, wenn dies aus migrations- oder integrationspolitischen Gründen geboten erscheint. Erforderlich ist, dass entsprechende Auflagen dazu beitragen, einer Konzentrierung sozialhilfeabhängiger Ausländer in bestimmten Gebieten und der damit einhergehenden Entstehung von sozialen Brennpunkten mit ihren negativen Auswirkungen auf die Integration von Ausländern vorzubeugen. Entsprechende Maßnahmen sind aber auch gerechtfertigt, um Ausländer mit einem besonderen Integrationsbedarf an einen bestimmten Wohnort zu binden, damit sie dort von den Integrationsangeboten Gebrauch machen können. Auch auf diesen Zweck hat sich der Beklagte bei der Verhängung der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Wohnsitzauflage gegen die Klägerin berufen.
Das vorlegende Gericht hält Wohnsitzauflagen aus den in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift genannten migrations- und integrationspolitischen Gründen auch gegenüber anerkannten Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutzstatus für prinzipiell gerechtfertigt. Für die Rechtmäßigkeit derartiger Wohnsitzbeschränkungen gegenüber Flüchtlingen spricht unter anderem, dass bereits die Verfasser der Genfer Flüchtlingskonvention das Bedürfnis für zeitliche und räumliche Beschränkungen des Aufenthalts von Flüchtlingen aus migrationspolitischen Gründen für notwendig hielten. Im Rahmen der Beratungen zum späteren Art. 26 GFK (damals Art. 21 des Entwurfs) im Ad-Hoc-Committee vom 27. Januar 1950 wiesen Delegierte mehrerer Staaten auf die Notwendigkeit hin, eine Konzentration von Flüchtlingen in Grenzregionen zum Herkunftsstaat zu verhindern (Takkenberg/Tahbaz, Travaux Préparatoires, Vol. I, S. 251 ff. Rn. 74, 76 und 86 f.). Dies wurde unter anderem damit begründet, die Zahl der in Grenzregionen schon vorhandenen Minderheiten nicht weiter ansteigen zu lassen und der Gefahr zu begegnen, dass sich die Flüchtlinge an Bestrebungen beteiligen, die gegen die nationale Einheit gerichtet sind (Rn. 87). Das Komitee einigte sich schließlich auf die in Art. 26 GFK aufgenommene Regelung, wonach rechtmäßig im Land befindlichen Flüchtlingen nur solche zeitlichen und räumlichen Beschränkungen auferlegt werden sollen, die allgemein für Ausländer gelten (Rn. 93 und 119).
b) Nach der Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts, die zur Rechtmäßigkeit von Wohnsitzauflagen nach der Genfer Flüchtlingskonvention ergangen ist, reicht jedoch eine bloß abstrakte Möglichkeit migrations- und integrationspolitischer Gründe nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass von den zuständigen Behörden die migrations- oder integrationspolitischen Gründe beschrieben, z.B. mögliche soziale Brennpunkte benannt und die Eignung von Wohnsitzauflagen, einen Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten, jedenfalls in Umrissen angegeben werden, ohne dass die dabei anzuerkennende generelle Einschätzungsprärogative der Verwaltung von dieser Darlegungsverpflichtung berührt wird (vgl. Urteil vom 15. Januar 2008 a.a.O. Rn. 23). Ob diese Grundsätze auch im Rahmen von Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU gelten, und zwar für Personen mit subsidiärem Schutzstatus, bedarf einer Entscheidung des Gerichtshofs.
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft, Dr. Fleuß, Ri'inBVerwG Dr. Rudolph ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben. Prof. Dr. Berlit
Fundstellen