Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 28.09.2011; Aktenzeichen 2 S 1082/11) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. September 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 051,22 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
1. Die auf die Zulassungsgründe eines Verfahrensmangels (a) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (b) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
a) Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die von dem Beklagten erhobenen Verfahrenrügen verhelfen der Beschwerde nicht zum Erfolg.
Rz. 3
aa) Der geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.
Rz. 4
Der Beklagte bezieht sich insoweit auf die von ihm als Annahme einer “fehlenden Wahlmöglichkeit” bezeichnete Erwägung des Verwaltungsgerichtshofs (UA S. 12), es sei lebensfremd anzunehmen, der Beihilfeberechtigte könne im Verhandlungswege gegenüber der Einrichtung, in die er sich zur Behandlung begeben wolle, durchsetzen, dass in Abweichung von der von der Einrichtung vorgesehenen Vertragsgestaltung neben dem Tagessatz nicht noch weitere Leistungen mit der Folge berechnet würden, dass der nach § 7 Abs. 7 Satz 4 der Verordnung des Finanz- und Wirtschaftsministeriums über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen (Beihilfeverordnung – BVO BW) vom 28. Juli 1995 (GBl S. 561) beihilfefähige Betrag nicht überschritten werde (UA S. 12). Er ist der Auffassung, die Vorinstanz habe deshalb gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, weil die Frage der Möglichkeit der Durchsetzung einer anderen Vertragsgestaltung weder im erst- noch im zweitinstanzlichen Verfahren erörtert worden sei, sodass er keine Möglichkeit gehabt habe, die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs zu widerlegen. Damit beanstandet der Beklagte, die angegriffene Entscheidung erweise sich als Überraschungsurteil. Dies ist nicht der Fall.
Rz. 5
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführung der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Beteiligten müssen demgemäß auch Gelegenheit erhalten, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen und Rechtsfragen sachgemäß, zweckentsprechend und erschöpfend erklären zu können. Hier war der Beklagte nicht gehindert, während des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens auch zu der hier in Rede stehenden Frage vorzutragen. Der Verwaltungsgerichtshof war nicht verpflichtet, den Beklagten vorab darauf hinzuweisen, dass er in seinem Urteil die von dem Beklagten beanstandete Auffassung vertreten werde. Die Hinweispflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (vgl. Urteil vom 11. November 1970 – BVerwG 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264 ≪266 f.≫ und Beschluss vom 10. Mai 2011 – BVerwG 8 B 87.10 – juris Rn. 5 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, keine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung (vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 – BVerwG 5 B 54.08 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 60 Rn. 8 m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 a.a.O. Rn. 8; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪144≫ und vom 7. Oktober 2003 – 1 BvR 10/99 – BVerfGE 108, 341 ≪345 f.≫). Das war hier nicht der Fall. Bereits im erstinstanzlichen Urteil wurde – wenn auch nicht entscheidungstragend – die Frage erörtert, ob es dem Beihilfeberechtigten möglich ist, mit der Einrichtung eine Preisvereinbarung zu treffen, die der zwischen dieser Einrichtung und dem Sozialversicherungsträger getroffenen Vereinbarung im Sinne von § 7 Abs. 7 Satz 4 BVO BW entspricht (UA S. 8). Es lag deshalb nicht fern, dass diese Frage auch im Berufungsverfahren Bedeutung erlangt.
Rz. 6
bb) Auch die Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO lässt die Zulassung der Revision nicht zu.
Rz. 7
Nach Ansicht des Beklagten hat das Berufungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts dadurch verletzt, dass es sich im Zusammenhang mit der Annahme, es sei lebensfremd, dass der Beihilfeberechtigte im Verhandlungswege eine ihm günstige Preisgestaltung erzielen könne, einer eigenen Sachkunde berühmt habe, die es offensichtlich nicht besitze. Diese Rüge ist nicht in einer dem Substantiierungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise begründet.
Rz. 8
Es steht im tatrichterlichen Ermessen des Berufungsgerichts darüber zu befinden, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines Sachverständigen benötigt. Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens kann nur dann als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden, wenn das Gericht für sich eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten und für das zur Nachprüfung berufene Revisionsgericht überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 14. September 1992 – BVerwG 7 B 130.92 – Buchholz 406.401 § 31 BNatSchG Nr. 2 = NVwZ 1993, 583 und vom 24. November 1997 – BVerwG 1 B 224.97 – juris Rn. 6, jeweils m.w.N.). Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Rz. 9
Die von ihr beanstandete Annahme stellt (auch) eine Tatsachenfeststellung dar. Der Verwaltungsgerichtshof leitet sie aus mehreren Indizien ab. Aus seiner Sicht spricht gegen das Bestehen einer relevanten Verhandlungsmacht des Beihilfeberechtigten, dass es selbst dem Land nicht gelungen sei, entsprechende Vereinbarungen mit den Verbänden der betroffenen Einrichtungen abzuschließen. Es sei deshalb nicht ersichtlich, weshalb dies dem einzelnen Beihilfeberechtigten gelingen könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass es für einzelne Rehabilitationsmaßnahmen oft nur wenige in Betracht kommende spezialisierte Einrichtungen gebe und sich der Betroffene in einer Notlage befinde, die seine Verhandlungsposition weiter schwäche. Schließlich sei dem Beihilfeberechtigten oftmals nicht einmal bewusst, dass er erhebliche Aufwendungen selbst tragen müsse. Die von dem Verwaltungsgerichtshof angeführten Indizien sind geeignet, den aus ihnen gezogenen Schluss zu tragen. Deshalb wäre der Beklagte gehalten gewesen, sich mit den vom Verwaltungsgerichtshof angeführten Hilfstatsachen substantiiert auseinanderzusetzen. Er beschränkt sich hingegen darauf, die Richtigkeit des aus ihnen gezogenen Schlusses in Frage zu stellen. Damit ist aber ein Verfahrensmangel wegen einer eigenständigen Feststellung des Gerichts trotz fehlender oder jedenfalls zweifelhafter Sachkunde nicht ausreichend dargetan.
Rz. 10
b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Rz. 11
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 15). Das Begründungserfordernis gebietet auch, dass sich die Beschwerde substantiiert mit den die angebliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung betreffenden Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt (vgl. Beschluss vom 11. November 2011 – BVerwG 5 B 45.11 – juris Rn. 3). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Rz. 12
Der Beklagte möchte die Frage geklärt wissen:
“Verstößt die Regelung des § 7 Abs. 7 S. 4 BVO, nach der die Höhe der beihilfefähigen Leistungen einer Heilbehandlung auf den für Sozialversicherte vereinbarten Pauschaltagessatz begrenzt wird, gegen Art. 33 Abs. 5 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG und die hierzu entwickelten höchstrichterlichen Rechtssätze der alimentations- bzw. beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht, sowie den im Beihilferecht angelegten Grundsatz der Sachgesetzlichkeit?”
Rz. 13
Diese Frage bezieht sich (auch) auf den vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). In dem angefochtenen Urteil wird die Gleichheitswidrigkeit insbesondere damit begründet, es sei lebensfremd anzunehmen, der Beihilfeberechtigte besitze die Möglichkeit, im Verhandlungswege mit der Einrichtung eine bestimmte Preisgestaltung durchzusetzen. Von dieser Feststellung wäre in einem Revisionsverfahren wegen § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen, weil sie – wie aufgezeigt – nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen ist. Die Grundsatzrüge genügte deshalb nur dann dem Substantiierungsgebot, wenn der Beklagte (vorsorglich) dargelegt hätte, dass auch bei Nichtbestehen einer relevanten Verhandlungsmacht des Beihilfeberechtigten eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1GG nicht zu besorgen wäre. An einer solchen Darlegung fehlt es.
Rz. 14
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Fleuß
Fundstellen