Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbeschäftigung des Jugendvertreters. maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zumutbarkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Jugendvertreters beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses; nach diesem Zeitpunkt frei werdende Arbeitsplätze sind nicht zu berücksichtigen.
Normenkette
BPersVG § 9
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 30.11.2005; Aktenzeichen 18 LP 17/03) |
VG Braunschweig (Entscheidung vom 19.08.2003; Aktenzeichen 10 A 7/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. November 2005 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 83 Abs. 2 NdsPersVG i.V.m. § 92a Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Grundsatzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Den in der Rechtsbeschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
1. In Abschnitt 1 ihrer Beschwerdebegründung wirft die Beteiligte zu 1 sinngemäß die Frage auf, ob sich die Begründetheit eines Auflösungsbegehrens des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG nach dem Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses oder nach dem Zeitpunkt der letzten Anhörung in der gerichtlichen Tatsacheninstanz beurteilt. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht, weil sie in der Senatsrechtsprechung geklärt ist.
Nach ständiger und gefestigter Senatsrechtsprechung ist für die Beurteilung der Frage, ob dem Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 BPersVG unter Berücksichtigung aller Umstände die Weiterbeschäftigung des Jugendvertreters zugemutet werden kann, der Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses maßgeblich (vgl. Beschlüsse vom 30. Oktober 1987 – BVerwG 6 P 25.85 – BVerwGE 78, 223 ≪225 ff.≫; vom 2. November 1994 – BVerwG 6 P 39.93 – BVerwGE 97, 68 ≪75≫; vom 2. November 1994 – BVerwG 6 P 48.93 – Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 11 S. 14; vom 9. September 1999 – BVerwG 6 P 5.98 – BVerwGE 109, 295 ≪298≫; vom 17. Mai 2000 – BVerwG 6 P 8.99 – Buchholz 250 § 9 BPersVG Nr. 19 S. 10; vom 1. November 2005 – BVerwG 6 P 3.05 – juris Rn. 21). Diese Rechtsprechung findet in der Kommentarliteratur zum Bundespersonalvertretungsgesetz einhellige Zustimmung (vgl. Faber, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber, Bundespersonalvertretungsgesetz, § 9 Rn. 59; Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler, Bundespersonalvertretungsgesetz, 5. Auflage 2004, § 9 Rn. 15; Ilbertz/Widmaier, Bundespersonalvertretungsgesetz, 10. Auflage 2004, § 9 Rn. 16; Fischer/Goeres/Gronimus, in: GKÖD Bd. V K § 9 Rn. 53). Sie steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sinngleichen Regelung in § 78a Abs. 4 BetrVG (vgl. Urteile vom 16. Januar 1979 – 6 AZR 153/77 – AP Nr. 5 zu § 78a BetrVG 1972 Bl. 180 R, 181; vom 15. Januar 1980 – 6 AZR 361/79 – BAGE 32, 285 ≪290≫; Beschlüsse vom 29. November 1989 – 7 ABR 67/88 – BAGE 63, 319 ≪325≫; vom 24. Juli 1991 – 7 ABR 68/90 – BAGE 68, 187 ≪194≫; vom 16. August 1995 – 7 ABR 52/94 – AP Nr. 25 zu § 78a BetrVG 1972 Bl. 876; vom 6. November 1996 – 7 ABR 54/95 – BAGE 84, 294 ≪296≫; vom 12. November 1997 – 7 ABR 63/96 – BAGE 87, 105 ≪107≫).
Die vorbezeichnete Rechtsprechung beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass sowohl der Feststellungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BPersVG als auch der Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG an denselben Vorgang anknüpfen, nämlich die Überleitung des Jugendvertreters vom Berufsausbildungsverhältnis in das durch die gesetzliche Fiktion des § 9 Abs. 2 BPersVG begründete Arbeitsverhältnis, und übereinstimmend darauf abzielen, den Arbeitgeber von der Erfüllung des Weiterbeschäftigungsanspruchs von vornherein, jedenfalls aber alsbald freizustellen, wenn ihm die Weiterbeschäftigung nicht zuzumuten ist. Deswegen kann maßgeblich für die Unzumutbarkeitsfrage nur der Zeitpunkt sein, zu dem das Arbeitsverhältnis nach § 9 Abs. 2 oder 3 BPersVG begründet werden soll (vgl. Beschluss vom 30. Oktober 1987 a.a.O. S. 225; BAG, Beschluss vom 29. November 1989 a.a.O. S. 325).
Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung gebieten es nicht, die vorbezeichnete Frage erneut als klärungsbedürftig zu betrachten. Sie stützen sich im Wesentlichen auf die Anmerkung von Strieder (BB 1983, 579) zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Januar 1980 (a.a.O.) und auf den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 30. März 1988 – 3 TaBV 100/87 (DB 1988, 2057). Die dort vorgenommene Kritik an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist überholt. Sie bezog sich darauf, dass das Bundesarbeitsgericht damals noch im Feststellungsbegehren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG und im Auflösungsbegehren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG unterschiedliche Streitgegenstände gesehen hatte, von denen das erstere Begehren auch nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses den Eintritt der Fiktion nach § 78a Abs. 2 BetrVG hindern sollte. Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht aber bereits in seinem Beschluss vom 29. November 1989 aufgegeben (a.a.O. S. 324 ff.). Seitdem gilt: Wird über einen Feststellungsantrag bis zur Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht rechtskräftig entschieden, so gilt beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 78a Abs. 2 oder 3 BetrVG ein Arbeitsverhältnis als begründet. In einem solchen Fall bedarf es keiner förmlichen Antragsänderung; vielmehr wandelt sich der Feststellungsantrag seinem Gegenstand nach ohne Weiteres in einen Auflösungsantrag um (a.a.O. S. 329). Zu einem entsprechenden Ergebnis war mit im Wesentlichen übereinstimmender Begründung der Senat bereits zuvor in seiner Rechtsprechung zu § 9 BPersVG gelangt; er hatte sich dabei auch mit der entgegenstehenden Auffassung von Strieder auseinander gesetzt (vgl. Beschluss vom 30. Oktober 1987 a.a.O. S. 225 ff.).
Die zur Stützung ihrer Auffassung von der Beteiligten zu 1 weiter angeführten Meinungsäußerungen aktueller betriebsverfassungsrechtlicher Kommentierungen (Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz, 23. Auflage 2006, § 78a Rn. 44; Kittner, in: Däubler/Kittner/Klebe, Betriebsverfassungsgesetz, 8. Auflage 2002, § 78a Rn. 39; aber in Abweichung von der Vorauflage bereits Übereinstimmung mit BAG: Kreutz, in: GK-BetrVG, 5. Auflage 1995, § 78a Rn. 96; ebenso jetzt: Oetker, in: GK-BetrVG, 8. Auflage 2005, § 78a Rn. 127) enthalten keine neuen, in der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht bedachten Gesichtspunkte. Insbesondere sind danach für das Abstellen auf das Ausbildungsende als maßgeblichen Zeitpunkt – jedenfalls seit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 29. November 1989 (a.a.O.) und dem Senatsbeschluss vom 30. Oktober 1987 (a.a.O.) – nicht Kündigungsschutzgesichtspunkte wesentlich, sondern der systematische Zusammenhang zwischen dem Auflösungsbegehren des Arbeitgebers nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BPersVG und dem Beginn des gesetzlich fingierten Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 2 BPersVG. Angesichts dessen bedeutet es auch keinen immanenten Widerspruch, wenn nach dieser Rechtsprechung die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Auflösungsentscheidung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt (vgl. BAG, Beschluss vom 29. November 1989 a.a.O. S. 330; Beschluss vom 12. November 1997 – 7 ABR 73/96 – BAGE 87, 110 ≪114≫).
2. In Abschnitt 2 der Beschwerdebegründung wird die Frage aufgeworfen, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung einer Jugendvertreterin dann zuzumuten ist, wenn zwar nicht im Zeitpunkt der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses, wohl aber wenige Wochen später eine Stelle frei wird. Diese Frage ist entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 1 bereits durch die unter 1. zitierte ständige höchstrichterliche Rechtsprechung beantwortet, wonach die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses beurteilt. Es kommt daher darauf an, ob zu diesem Zeitpunkt ein ausbildungsadäquater Vollzeitdauerarbeitsplatz vorhanden ist. Die Berücksichtigung eines später frei werdenden Arbeitsplatzes ist daher ausgeschlossen, und zwar unabhängig davon, wie sicher die Prognose ist.
Abweichendes ergibt sich nicht aus dem in der Beschwerdebegründung zitierten Senatsbeschluss vom 2. November 1994 – BVerwG 6 P 48.93 – (a.a.O. S. 14). In dieser Entscheidung ist der Senat der Auffassung der Vorinstanz entgegengetreten, welche die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung von einer Prognose über den voraussichtlichen weiteren Arbeitsanfall beim Arbeitgeber abhängig machen wollte. Der Senat hat demgegenüber klargestellt, dass allein darauf abzustellen ist, ob im Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses Arbeitsplätze vorhanden waren. Die weiteren Ausführungen bekräftigen, dass die Bezugnahme auf diesen Zeitpunkt eine sichere Entscheidungsgrundlage vermittelt, die Personalbedarfprognosen wegen der damit typischerweise verbundenen Unsicherheit vorzuziehen ist. Sie besagen nicht, dass Entwicklungen nach Ausbildungsende je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit oder dem Ausmaß des zeitlichen Abstandes berücksichtigt werden könnten, und sie lassen eine derartige Möglichkeit auch nicht offen.
Die Beteiligte zu 1 übersieht zudem, dass die Zulassung von – wie auch immer gesicherten – Prognosen nicht nur zugunsten der Jugendvertreterin wirken könnte, sondern auch zugunsten des Arbeitgebers erfolgen müsste. Letzteres wäre aber schon im Ansatz mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar. Die Kontinuität der Amtsführung eines personalvertretungsrechtlichen Organs würde in erheblichem Maße beeinträchtigt, wenn eine Jugendvertreterin nur wegen eines künftig erst auftretenden Ereignisses an der Fortsetzung ihrer Amtstätigkeit gehindert würde (vgl. BAG, Beschluss vom 16. August 1995 a.a.O. Bl. 876 R).
Die Maßgeblichkeit des Ausbildungsendes für die gerichtliche Entscheidung nach § 9 Abs. 4 BPersVG erschöpft sich gleichwohl nicht in einer strengen Stichtagsregelung. Dem Arbeitgeber kann es nämlich im Einzelfall zumutbar sein, den Jugendvertreter auf Dauer in einem Arbeitsverhältnis zu beschäftigen, weil er einen kurz vor der Beendigung der Berufsausbildung freigewordenen Arbeitsplatz wiederbesetzt hat, statt ihn für einen nach § 9 BPersVG geschützten Auszubildenden freizuhalten. Das gilt regelmäßig bei einer Besetzung, die innerhalb von drei Monaten vor dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses vorgenommen wird. Der Arbeitgeber muss nämlich innerhalb des Dreimonats-Zeitraumes des § 9 Abs. 2 BPersVG mit einem Übernahmeverlangen rechnen (vgl. Beschluss vom 1. November 2005 a.a.O. Rn. 39; BAG, Beschluss vom 12. November 1997 – 7 ABR 63/96 – a.a.O. S. 108). Die Effektivität des durch § 9 BPersVG gewährleisteten qualifizierten Diskriminierungsschutzes wird somit nicht durch Berücksichtigung jenseits des Ausbildungsendes liegender Entwicklungen hergestellt, sondern durch die Einbeziehung tatsächlicher Vorgänge vor diesem Zeitpunkt mit Blick auf die in § 9 Abs. 2 BPersVG getroffene Fristenregelung.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Büge, Vormeier
Fundstellen
Haufe-Index 1535292 |
ZTR 2006, 397 |
PersV 2006, 307 |
NPA 2007 |