Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheit, Verlust des Rechts zur Ablehnung im Widerspruchsverfahren. Unzulässige Rechtsausübung, Ablehnung von Vergleichsverhandlungen gegenüber der Hauptfürsorgestelle (§ 17 Abs. 3 SchwbG). Hauptfürsorgestelle, Prüfungsmaßstab bei ordentlicher Kündigung eines Schwerbehinderten. Schwerbehinderter, Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines –. Ermessensentscheidung, Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte
Leitsatz (amtlich)
1. Im Verfahren vor dem Widerspruchsausschuß bei der Hauptfürsorgestelle kann ein Beteiligter ein Ausschußmitglied wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn er sich, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in die mündliche Verhandlung eingelassen hat.
2. Hat ein Beteiligter dem Widerspruchsausschuß vor der mündlichen Verhandlung ausdrücklich mitgeteilt, er werde sich auf weitere Vergleichsverhandlungen nicht einlassen, so steht seinem nachträglichen Begehren, die ergangene Verwaltungsentscheidung wegen Unterbleibens von Vergleichsbemühungen der Verwaltungsbehörde (§ 17 Abs. 3 SchwbG) aufzuheben, jedenfalls das Verbot unzulässiger Rechtsausübung entgegen.
3. Im Zustimmungsverfahren nach § 15 SchwbG hat die Hauptfürsorgestelle grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist; sie muß jedoch der Frage einer Mitverantwortung des Schwerbehinderten für Spannungen zu seinem Arbeitgeber nachgehen, derentwegen dieser die Kündigung beabsichtigt.
Normenkette
VwVfG § 71 Abs. 3 S. 3; ZPO § 43; SchwbG F. 1986 § 15; SchwbG F. 1986 § 17 Abs. 3; SchwbG F. 1986 § 43 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. September 1990 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der 1928 geborene Kläger ist aufgrund eines Feststellungsbescheides des Versorgungsamts F. vom 3. Juni 1903 rückwirkend seit dem 1. Juni 1981 als schwerbehindert anerkannt mit einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 v.H.
Im Dezember 1976 stellte die Beigeladene den Kläger als kaufmännischen Leiter ihres Betriebes ein. Im Oktober 1982 kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos, weil der Kläger weisungswidrig eine Bilanz kopiert habe. Die hiergegen vom Kläger angestrengte arbeitsgerichtliche Klage hatte Erfolg. Die Beigeladene kündigte im November 1982 das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ein weiteres Mal fristlos, diesmal, weil der Kläger die für ihn geltende Arbeitszeitregelung ständig mißachtet habe. Auch gegen diese weitere Kündigung erhob der Kläger erfolgreich Kündigungsschutzklage.
Nach Abschluß dieses zweiten arbeitsgerichtlichen Verfahrens beantragte die Beigeladene im Oktober 1985 bei der Hauptfürsorgestelle des Beklagten die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Diese Kündigung wollte die Beigeladene deshalb aussprechen, weil der Kläger im Zuge der vorangegangenen arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen gegen die Geschäftsführung unhaltbare Vorwürfe erhoben sowie unangemessen, teilweise unsachlich und sogar beleidigend argumentiert habe. Nach Erteilung der Zustimmung kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31. Dezember 1986. Der Kläger focht die Zustimmung des Beklagten zu seiner Kündigung erfolgreich verwaltungsgerichtlich an. Auch seine arbeitsgerichtliche Klage gegen die Kündigung hatte Erfolg.
Nach Ergehen des Berufungsurteils in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragte die Beigeladene, die seit der außerordentlichen Kündigung die Arbeitsangebote des Klägers nicht mehr annahm, ihm aber den vereinbarten Arbeitslohn weiterzahlte, bei dem Beklagten erneut, einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger zuzustimmen, die sie im wesentlichen auf die gleichen Gründe zu stützen beabsichtige, aus denen sie die vorausgegangene Kündigung ausgesprochen habe. Ihr Vertrauen in die Loyalität des Klägers sei infolge der für die Kündigung ursächlichen Vorkommnisse erloschen. Im übrigen sei der vom Kläger früher besetzte Arbeitsplatz wegrationalisiert.
Das Arbeitsamt Lörrach erhob keine Bedenken gegen die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung. Der Betriebsrat äußerte sich in der Sache nicht. Ein Vertrauensmann der Schwerbehinderten war im Betrieb der Beigeladenen nicht gewählt.
Der Beklagte erteilte durch Bescheid vom 11. April 1988 seine Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung. Die Beigeladene kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Ablauf des 31. Dezember 1989. Der Kläger erhob hiergegen beim Arbeitsgericht Kündigungsschutzklage, über die noch nicht entschieden ist.
Der Kläger legte ferner gegen den Bescheid des Beklagten Widerspruch ein. Der Widerspruchsausschuß bei dem Beklagten beraumte für den 5. Dezember 1988 eine mündliche Verhandlung an. Mit einem vor dieser Verhandlung eingegangenen Schriftsatz vom 25. November 1988 erklärte der Kläger u.a., er werde sich nicht auf Vergleichsgespräche einlassen, da die Beigeladene einen Vergleich nicht wolle, sondern Verhandlungen hierüber nur zum Schein führe.
In der mündlichen Verhandlung vom 5. Dezember 1988 rügte der Kläger, in dem dort eingangs gehaltenen Sachbericht sei der Schriftsatz vom 25. November 1988 nicht wiedergegeben worden. Auf Antrag der Beigeladenen setzte der Widerspruchsausschuß die Entscheidung aus, um der Beigeladenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 1988 lehnte der Kläger den Vorsitzenden und ein weiteres Mitglied des Widerspruchsausschusses wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Nach Anhörung der abgelehnten Mitglieder wies der Widerspruchsausschuß den Befangenheitsantrag durch Beschluß vom 26. Januar 1989 zurück, der dem Kläger durch Bescheid vom 30. Januar 1989 mitgeteilt wurde.
Durch Bescheid vom 21. Februar 1989 wies der Widerspruchsausschuß auch den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 11. April 1988 zurück. Die daraufhin erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Ob der Beklagte, wie vom Kläger geltend gemacht, seine Pflicht verletzt habe, in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, könne offenbleiben; denn ein Verstoß gegen § 17 Abs. 3 SchwbG mache die Zustimmung zur Kündigung nicht rechtswidrig, weil diese Vorschrift keine Verfahrensrechte der Beteiligten begründe, sondern nur auf eine allgemeine Amtspflicht hinweise. Nicht entschieden zu werden brauche, ob der Widerspruchsbescheid deshalb an einem beachtlichen Verfahrensmangel leide, weil der Kläger habe befürchten dürfen, Mitglieder des Widerspruchsausschusses seien befangen. Denn der Kläger habe seine Befugnis verloren, die Besorgnis der Befangenheit von Mitgliedern des Widerspruchsausschusses zu rügen; obwohl er den von ihm gerügten Sachverhalt schon während der Sitzung des Widerspruchsausschusses gekannt habe, habe er sich in eine ausführliche Verhandlung zur Sache eingelassen und erst nach Schluß der Sitzung die Ausschußmitglieder abgelehnt.
Die Zustimmung zur Kündigung sei auch inhaltlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte habe diese Zustimmung maßgeblich darauf gestützt, daß das Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zerrüttet und der Kläger dafür zumindest mitverantwortlich sei. Liege ein solcher Sachverhalt vor, dürften die Interessen des Arbeitgebers ermessensfehlerfrei höher bewertet werden als die Interessen des Schwerbehinderten. Zu Unrecht rüge der Kläger, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Beigeladenen sei in Wirklichkeit nicht zerrüttet, diese Zerrüttung dürfe ihm jedenfalls nicht angelastet werden. Daß die Beigeladene seit Ende Oktober 1982 beharrlich die Arbeitsangebote nicht angenommen und dem Kläger bis Ende 1989 lieber das volle Gehalt ohne Gegenleistung gezahlt habe, lasse nur den Schluß auf eine unheilbare Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu. Eine Zerrrüttung liege bereits dann vor, wenn ein Partner der Beziehung zu keiner Versöhnung bereit sei. Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer sei nicht etwa praktisch schutzlos, wenn die fehlende Versöhnungsbereitschaft nur des Arbeitgebers ausreiche, um von einer zerstörten Vertrauensbasis auszugehen. Denn eine Zustimmung zur Kündigung sei nur dann ermessensfehlerfrei, wenn die objektive Zerrüttung zumindest auch vom Schwerbehinderten herbeigeführt worden sei. Von einer solchen, seine Interessen entscheidend vermindernden Mitverantwortlichkeit des Klägers habe der Beklagte ausgehen dürfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt eine Verletzung der §§ 15, 17 Abs. 3, 43 Abs. 3 SchwbG.
Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht widerspricht der Auffassung des Berufungsgerichts, daß hier eine pflichtgemäße Ermessensausübung der Hauptfürsorgestelle vorliege.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Gründe der Berufungsentscheidung rechtfertigen die Zurückweisung der Berufung nicht. Die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung des Beklagten zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hängt jedoch noch von der Frage ab, ob die jener Zustimmung zugrunde liegende Annahme des Beklagten zutrifft, daß der Kläger für die fortbestehende Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Arbeitsvertragsparteien überwiegend verantwortlich sei. Da die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen zur abschließenden Beurteilung dieser Frage nicht ausreichen, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, daß die durch Bescheid vom 21. Februar 1909 erteilte Zustimmung des Beklagten zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers, die gemäß § 15 SchwbG in der hier anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl. I S. 1421) im Ermessen des Beklagten stand, nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist.
Insoweit macht der Kläger zum einen geltend, die Entscheidung des Widerspruchsausschusses sei rechtswidrig, weil an ihr Mitglieder mitgewirkt hätten, deren Befangenheit zu besorgen gewesen sei. Soweit diese Rüge auf Vorgänge vor und während der mündlichen Verhandlung des Widerspruchsausschusses gestützt wird, hat das Berufungsgericht in Anwendung eines die Regelungen des § 43 Abs. 3 SchwbG ergänzenden und auch in § 43 ZPO zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgrundsatzes zutreffend angenommmen, daß der Kläger sein Rügerecht verloren habe. § 43 ZPO gilt nicht nur im Zivilprozeß, sondern allgemein im Prozeßrecht (vgl. § 54 Abs. 1 VwGO, § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 49 Abs. 1 ArbGG; § 25 StPO enthält eine in manchem sogar strengere Regelung, die den Besonderheiten des Verfahrensablaufs im Strafprozeß angepaßt ist). Soweit das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht dem Beteiligten ein Ablehnungsrecht einräumt, nämlich bei förmlichen Verwaltungsverfahren vor einem Ausschuß (§ 71 Abs. 3 Satz 1 VwVfG), korrespondiert dem Ablehnungsrecht eine Rügeobliegenheit des Beteiligten: Eine Ablehnung ist unzulässig, wenn der Beteiligte sich, ohne den ihm bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in die mündliche Verhandlung eingelassen hat (§ 71 Abs. 3 Satz 3 VwVfG). § 71 Abs. 3 Satz 3 VwVfG ist ebenso wie die ihm entsprechenden prozeßrechtlichen Vorschriften nur die besondere Ausprägung eines allgemeinen, das ganze Recht beherrschenden Gedankens. Die genannten Vorschriften stellen eine unwiderlegliche Vermutung dafür auf, daß ein Beteiligter mit der Person des zur Entscheidung berufenen Richters, Beamten oder Ausschußmitglieds einverstanden ist, wenn er sich vor diesem trotz eines ihm bekannten Ablehnungsgrundes in eine Verhandlung einläßt oder Anträge stellt (so zu § 43 ZPO: Baumbach/Hartmann, ZPO, 50. Aufl. 1992, § 43 Anm. 2 A). Regelungen des besonderen Verwaltungsverfahrensrechts, die zwar wie § 43 Abs. 3 Satz 1 SchwbG ein Ablehnungsrecht konstituieren, aber keine Aussage über korrespondierende Rügeobliegenheiten enthalten, finden in diesem allgemeinen Rechtsgrundsatz eine lückenfüllende Ergänzung.
Anders als der Kläger meint, steht § 44 a VwGO einer solchen Ergänzung des § 43 Abs. 3 SchwbG nicht entgegen. Im hier interessierenden Zusammenhang ist „behördliche Verfahrenshandlung” im Sinne des § 44 a VwGO der beschluß, mit dem der Widerspruchsausschuß über ein Ablehnungsgesuch entscheidet. Dieser Beschluß kann nicht mit einem Rechtsbehelf selbständig angefochten werden; vielmehr kann der Beteiligte erst mit seiner Klage gegen den Bescheid der Hauptfürsorgestelle (in der Fassung des Widerspruchsbescheids) geltend machen, an der Widerspruchsentscheidung hätten befangene (und deshalb zu Recht abgelehnte) Mitglieder des Widerspruchsausschusses mitgewirkt. Auf diesen möglichen Rechtswidrigkeitsgrund kann der Kläger sich mit seiner Klage gegen die Sachentscheidung aber nur dann berufen, wenn er sich sein Ablehnungsrecht durch rechtzeitige Geltendmachung des Ablehnungsgrundes im Verwaltungsverfahren erhalten hat.
Soweit der Kläger die Rüge der Befangenheit auf die Tätigkeit des Ausschußvorsitzenden als Geschäftsführer eines Arbeitgeberverbandes stützt, kann offenbleiben, ob ihm auch dieser Ablehnungsgrund bereits im Zeitpunkt der Verhandlung vom 5. Dezember 1988 bekannt war. Denn diese Rüge ist jedenfalls unbegründet, weil die genannte Tätigkeit nicht geeignet war, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden zu rechtfertigen. Das läßt sich aufgrund der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Akten ohne weiteres feststellen. Danach hat sich der Vorsitzende des Widerspruchsausschusses zu dem Ablehnungsgesuch des Klägers sinngemäß dahin geäußert: Er sei Geschäftsführer eines Verbandes der Metallindustrie für Nordwürttemberg und Nordbaden. Die Beigeladene gehöre diesem Verband nicht an, sie könne – wenn überhaupt – nur dem Verband der Metallindustrie Südbaden angehören, der in keinerlei rechtlicher Verbindung zu jenem stehe. Dies wurde dem Kläger durch den Bescheid vom 30. Januar 1989 inhaltlich bekanntgegeben; er ist dem sachlich nicht entgegengetreten. Danach bestand keine irgendwie geartete Beziehung zwischen der Beigeladenen und dem Vorsitzenden des Widerspruchsausschusses in dessen Funktion als Geschäftsführer eines Industrieverbandes.
Daß der Vorsitzende als Geschäftsführer eines solchen Verbandes gewissermaßen die Arbeitgeberseite repräsentierte, stellt für sich allein keinen Ablehnungsgrund dar; denn das Gesetz selbst sieht die Mitwirkung von „Repräsentanten” der Arbeitgeberseite vor (§ 41 SchwbG).
Als Fehler des Verwaltungsverfahrens beanstandet der Kläger des weiteren, der Widerspruchsausschuß habe entgegen § 17 Abs. 3 SchwbG nicht auf eine gütliche Einigung hingewirkt. Diese Rüge greift im Ergebnis schon deshalb nicht durch, weil der Kläger dem Widerspruchsausschuß vor der dortigen mündlichen Verhandlung ausdrücklich mitgeteilt hatte, er werde sich auf weitere Vergleichsverhandlungen nicht einlassen. Unter diesen Umständen steht seinem nachträglichen Begehren, die ergangene Verwaltungsentscheidung wegen Unterbleibens von Vergleichsbemühungen der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedenfalls das Verbot unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Danach kann die Ausübung eines Rechtes unzulässig sein, wenn der Beteiligte sich zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzt (venire contra factum proprium; vgl. BGHZ 63, 140 ≪144 f.≫). Widersprüchliches Verhalten ist rechtsmißbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist (vgl. BGHZ 94, 344 ≪354≫) oder wenn besondere Umstände die Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen; letzteres ist der Fall, wenn das frühere Verhalten zu dem späteren in unlösbarem Widerspruch steht (vgl. BGHZ 50, 191 ≪196≫). Der Kläger hat für sich die Beteiligung an Vergleichsgesprächen abgelehnt. Damit in nicht zu lösendem Widerspruch steht es, wenn er nunmehr das Unterbleiben von Vergleichsbemühungen als Verletzung seiner Rechte rügt.
In materiellrechtlicher Hinsicht geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Hauptfürsorgestelle die arbeitsrechtliche Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung grundsätzlich nicht zu prüfen habe. Auch das ist aus der Sicht des Bundesrechts nicht zu beanstanden. Bundesrecht verletzt jedoch die das Berufungsurteil tragende Annahme, die Frage, in wessen Verantwortungsbereich die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen den Arbeitsvertragsparteien falle, sei – auch wenn die Kündigung des Schwerbehinderten hierauf gestützt werden soll – als eine arbeitsrechtliche abschließend von den Arbeitsgerichten zu entscheiden. Bei der Ausübung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 SchwbG trifft die Hauptfürsorgestelle, soweit nicht die besonderen Voraussetzungen des § 19 SchwbG erfüllt sind, eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 39 Abs. 1 SGB I nur durch Sinn und Zweck des Schwerbehindertengesetzes gebunden ist (vgl. BVerwGE 8, 46 ≪49≫; 19, 327 ≪328≫). Dieses ist in erster Linie ein „Fürsorgegesetz”, das mit seinen Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz vor allem die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen soll (vgl. BVerwGE 29, 140 ≪141≫; Beschluß des erkennenden Senats vom 12. Juni 1978 – BVerwG 5 B 79.77 – ≪Buchholz 436.6 § 14 SchwbG Nr. 9≫). Der Zweck des § 15 SchwbG geht deshalb dahin, den Schwerbehinderten vor den besonderen Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, daß er gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (vgl. BVerwGE 23, 123 ≪127≫; 29, 140 ≪142≫). Das hat auch Leitlinie bei der Ermessensentscheidung zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zuzustimmen ist. Diese Entscheidung erfordert deshalb eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes (BVerwGE 48, 264 ≪266 f.≫; st.Rspr.). Sie bestimmt die Grenzen dessen, was zur Verwirklichung der dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Fürsorge dem Arbeitgeber zugemutet werden darf.
Bei dieser Abwägung muß die Hauptfürsorgestelle berücksichtigen, ob und inwieweit die Kündigung die besondere, durch sein körperliches Leiden bedingte Stellung des einzelnen Schwerbehinderten im Wirtschaftsleben berührt. Dagegen ist es grundsätzlich nicht Aufgabe der Hauptfürsorgestelle, bei ihrer Entschließung die allgemeinen sozialen Interessen des einzelnen Schwerbehinderten als Arbeitnehmer zu wahren. Der besondere Schutz des § 15 SchwbG ist dem Schwerbehinderten nämlich zusätzlich zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz gegeben. Das bedeutet, daß der Schwerbehinderte, wenn die Hauptfürsorgestelle der Kündigung zugestimmt hat, noch den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes in Anspruch nehmen und eine arbeitsgerichtliche Nachprüfung herbeiführen kann, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne dieses Gesetzes ist (vgl. BT-Drucksache I/3430, S. 32). Deshalb hat die Hauptfürsorgestelle nicht – gleichsam parallel zum Arbeitsgericht – über die Frage der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu befinden (vgl. BVerwGE 8, 46 ≪48 f.≫). Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können vielmehr nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Kündigenden diejenige Rechtsstellung zurückzugeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe (vgl. Sellmann, SchwbG 1954, § 14 RdNr. 56; Gröninger/Thomas, SchwbG 1991, § 18 Rdnr. 7).
Die von der Revision angesprochene Frage, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt war, war hiernach von der Hauptfürsorgestelle grundsätzlich nicht zu prüfen. Eine Pflicht hierzu folgt entgegen der Ansicht des Oberbundesanwalts auch nicht aus § 20 SGB X. Die dort geregelte Amtsermittlungspflicht der Behörde gewinnt ihre Konturen und ihre Reichweite aus dem materiellen Recht. Ihr läßt sich deshalb von vornherein nichts dafür entnehmen, auf welche Umstände es nach materiellem Recht für die Entscheidung ankommen soll. Offenbleiben kann im vorliegenden Fall, ob die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung dann verweigern muß, wenn die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (vgl. BAGE 48, 122 ≪152≫). Denn ein solcher Fall liegt hier gerade nicht vor. Zwar meint der Kläger, die ordentliche Kündigung, die die Beigeladene aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen hat, sei arbeitsrechtlich bereits deshalb offensichtlich unwirksam, weil die Beigeladene ihn wegen des mit der Kündigung beanstandeten Verhaltens nicht vorher abgemahnt habe. Er muß jedoch selbst einräumen, daß das Arbeitsrecht ordentliche Kündigungen aus verhaltensbedingten Gründen ausnahmsweise auch ohne vorherige Abmahnung zuläßt (vgl. hierzu: KR-Wolf, 3. Aufl. 1989, Grunds.Rz. 219, 219 a). Aus dem Fehlen der Abmahnung kann deshalb nicht auf die offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung geschlossen werden. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, der eine Abmahnung entbehrlich machte, haben die Arbeitsgerichte zu entscheiden.
Ausgehend von dieser Rechtsauffassung, die auch dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt, hatte der Beklagte, um seine Ermessensentscheidung in sachgerechter Weise treffen zu können, anknüpfend an den Antrag der Beigeladenen und von ihm ausgehend von Amts wegen all das zu ermitteln und dann auch zu berücksichtigen, was erforderlich war, um die gegensätzlichen Interessen von Kläger und Beigeladener gegeneinander abwägen zu können (vgl. BVerwGE 48, 264 ≪266≫; Beschluß des erkennenden Senats vom 28. September 1983 – BVerwG 5 B 6.83 – ≪Beschlußabdruck S. 3≫). Da die Kündigung im vorliegenden Fall auf nachhaltige Störungen des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Kläger und der Beigeladenen gestützt werden sollte, gehörte hierzu auch die Klärung, in wessen Verantwortungsbereich diese Störungen fielen (vgl. BVerwGE 39, 36 ≪38≫; Beschluß des Senats vom 12. Juni 1978, a.a.O.).
Insoweit geht der Widerspruchsbescheid ohne jede Einschränkung davon aus, daß der Kläger wegen in Schriftsätzen seiner Prozeßbevollmächtigten aus früheren Kündigungsschutzprozessen enthaltenen ehrverletzenden oder gar beleidigenden Vorwürfen gegen den Geschäftsführer der Beigeladenen „wenn nicht allein, so doch überwiegend verantwortlich” sei. Offengelassen hat der Beklagte nur, ob das Verhalten des Klägers „auch unter arbeitsrechtlichen Maßstäben nach dem Kündigungsschutzgesetz eine Kündigung rechtfertigt”. Ob die die Zustimmung tragende Annahme überwiegender Verantwortlichkeit des Klägers der Sach- und Rechtslage entspricht, ob also die Hauptfürsorgestelle bei ihrer Ermessensausübung von zutreffenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist, hat das Berufungsgericht seinerseits jedoch nicht abschließend geprüft, sondern offengelassen. Zur Begründung hat es die Auffassung vertreten, daß es sich auch dabei um nicht einfach zu beantwortende arbeitsrechtliche Fragen handele, deren Klärung letztlich den Arbeitsgerichten überlassen bleiben könne. Damit verkennt das Berufungsgericht jedoch, daß die Mitverantwortung des Arbeitnehmers für Spannungen zu seinem Arbeitgeber – unbeschadet ihrer möglicherweise auch im Rahmen des § 1 Abs. 2 KSchG bestehenden Relevanz – ein Gesichtspunkt ist, der bei einer wegen solcher Spannungen beabsichtigten Kündigung für die Ermessensentscheidung über die Zustimmung nach § 15 SchwbG berücksichtigt werden darf und hier auch tragend berücksichtigt wurde. Die Rechtmäßigkeit der getroffenen Ermessensentscheidung hängt daher davon ab, ob die Annahme des Beklagten zutrifft, daß der Kläger für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und der Beigeladenen zumindest überwiegend verantwortlich sei. Das Berufungsgericht hätte deshalb den Einwänden des Klägers gegen seine vom Beklagten angenommene überwiegende Mitverantwortung nachgehen und insbesondere klären müssen, ob die in Rede stehenden Vorwürfe aus den Schriftsätzen seiner Prozeßbevollmächtigten dem Kläger als eigene Äußerungen zugerechnet werden können und – wenn ja – ob sie durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt waren. Die Beantwortung dieser Fragen, die jedenfalls nicht nur arbeitsrechtlicher Art sind, sondern zumindest auch die richtige Erfassung der spezifischen Belange des schwerbehinderten Klägers bei ihrer Abwägung gegen die Belange der Beigeladenen durch den Beklagten betreffen, hängt von Umständen ab, die der Kläger in den Nrn. 5 und 6 seines in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrags angesprochen hat und die sich im übrigen aus Ablauf und Umfeld der vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren ergeben. Da das angefochtene Urteil hierzu – aus seiner Sicht folgerichtig – keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen enthält, bedarf es zu deren Nachholung und tatrichterlicher Würdigung der Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel, Dr. Storost
Fundstellen
Haufe-Index 1212099 |
BVerwGE, 287 |