Entscheidungsstichwort (Thema)
Disziplinare Ahndung außerdienstlicher Körperverletzungen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der wiederholten Ausübung körperlicher Gewalt in einer Ehe zwischen zwei Soldaten bildet die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Zumessungserwägungen.
2. Die Kameradschaftspflicht nach § 12 SG ist nicht darauf angelegt, in die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen einer Soldatin und einem Soldaten hineinzuwirken.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Urteil vom 29.10.2020; Aktenzeichen N 6 VL 12/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 29. Oktober 2020 aufgehoben.
Der frühere Soldat wird in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels der Reserve herabgesetzt.
Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der frühere Soldat, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Tatbestand
Rz. 1
Das Verfahren betrifft die Ahndung einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt und mehrfacher außerdienstlicher Körperverletzungen.
Rz. 2
1. Der frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss. Nach seinem ersten Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit legte er erfolgreich eine Prüfung zum... ab. Im August 2010 trat er erneut als Feldwebel für zunächst sechs - später verlängert auf zwölf - Jahre in die Bundeswehr ein, wurde im... verwendet, erhielt 2011 eine Leistungsprämie und wurde zuletzt 2012 zum Hauptfeldwebel befördert. Nach seinem ersten Auslandseinsatz in Afghanistan wurde er 2012 an das... versetzt.
Rz. 3
Am 21. März 2012 wurde er letztmalig planmäßig im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "7,80" Punkten beurteilt. Er bewahre auch in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf und treffe stets schlüssige und richtige Entscheidungen. Er besitze eine sehr gute und schnelle Auffassungsgabe und verfüge über weit überdurchschnittliche geistige Anlagen. Er sei kompromiss- und konfliktfähig. Der nächsthöhere Vorgesetzte bestätigte, dass der frühere Soldat über ein enormes Fachwissen verfüge, welches er absolut gewinnbringend anwende. Er sei psychisch und physisch voll belastbar, was er im Auslandseinsatz eindrucksvoll bewiesen habe. Die Förderungsmöglichkeit bestehe bis in die höchsten Laufbahnverwendungen. Dementsprechend wurde in der Laufbahnbeurteilung vom 22. November 2012 auch seine Übernahme als Berufssoldat befürwortet. Von Oktober 2013 bis Februar 2014 fand sein zweiter Auslandseinsatz statt.
Rz. 4
Ab Mai 2013 häuften sich seine familiären Probleme. Der frühere Soldat ist Vater von vier minderjährigen Mädchen. Das älteste Kind wurde 2010 außerehelich geboren. Aus seiner 2011 geschlossenen und mittlerweile geschiedenen Ehe mit Frau Oberfeldwebel A. gingen 2012 Zwillinge und 2015 eine weitere Tochter hervor. Die Zwillinge kamen zu früh zur Welt, wobei ein Mädchen von Geburt an behindert ist. Ende 2014 wurde bei dem früheren Soldaten anlässlich eines vierwöchigen freiwilligen stationären Aufenthalts im Bundeswehrkrankenhaus Berlin eine mittelschwere Depression diagnostiziert. Beginnend ab 2015 bis 2016 absolvierte er eine ambulante Therapie. Der vorläufige Abschluss seiner ambulanten Therapie erfolgte 2017 durch eine neunwöchige Reha-Maßnahme.
Rz. 5
Die Dienstzeit des früheren Soldaten endete im April 2018. Der als Leumundszeuge vernommene Hauptmann Fl. bestätigte, dass sich der frühere Soldat auch in seinen letzten Dienstjahren dienstlich gut geführt habe. Er sei sehr loyal und kameradschaftlich, nie aggressiv oder gar betrunken im Dienst gewesen. Er sei, sofern er nicht krankheitsbedingt gefehlt habe, ein Spitzenmann gewesen. Die angeschuldigten Pflichtverletzungen passten nicht zu dem Eindruck, den er im Dienst von dem früheren Soldaten gewonnen habe.
Rz. 6
Die Auskünfte aus dem Zentralregister und dem Disziplinarbuch weisen keine Eintragungen auf. Der frühere Soldat erhielt bis September 2020 Übergangsgebührnisse. Seine Übergangsbeihilfe wurde teilweise einbehalten. Der frühere Soldat führt derzeit eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Er wohnt bei seiner Partnerin und deren Tochter in H. Der frühere Soldat lebt in Privatinsolvenz, die noch etwa drei Jahre andauert. Er arbeitet als... in Teilzeit und erzielt daraus Einkünfte zwischen 1 300 und 1 450 € netto im Monat; an Kindesunterhalt entrichtet er monatlich etwa 230 € bis 280 €. Aufgrund seiner psychischen Belastungen ist ihm eine Vollzeitarbeit nicht möglich.
Rz. 7
2. Nach Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens im März 2015 legte die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 7. April 2017 folgendes Fehlverhalten zur Last:
"1. Der [frühere] Soldat führte in der Nacht des 24. Februar 2014 gegen 2:33 Uhr in einem, wie er hätte erkennen können, alkoholbedingt fahruntüchtigen Zustand (Blutkonzentration 1,64 Promille um 3:15 Uhr), einen privaten Pkw auf der...
2. Im Zeitraum von Mai 2013 bis September 2014 misshandelte der [frühere] Soldat wissentlich und willentlich im alkoholisierten Zustand seine Ehefrau, die Zeugin Oberfeldwebel A., und andere, indem er
a) im Mai 2013 zu einem nicht mehr genauer feststellbaren Zeitpunkt seine Ehefrau in ihrer damaligen Wohnung,..., durch eine Glasscheibe schubste, die dabei zu Bruch ging.
b) im Februar 2014, wohl am Abend des 24. Februar 2014, seine Ehefrau in seiner ehemaligen Wohnung in der..., so kräftig schubste, dass diese hinfiel und sich durch den Sturz schmerzhafte Prellungen zuzog.
c) im Juni/Juli 2014, wohl am 6. Juni 2014, in seiner ehemaligen Wohnung in der... seine Ehefrau mit dem Kopf gegen eine Tür stieß, wodurch diese einen schmerzhaften "Cut" unter dem rechten Auge erlitt.
d) am 8. August 2014 zwischen 17:00 Uhr und 18:00 Uhr auf seine Frau in seiner Wohnung,..., mit der Faust unkontrolliert einschlug, wodurch er diese mehrmals am Kopf traf. Als seine Ehefrau vor ihm stand, schubste er sie so kräftig, dass sie rücklings über einen dort befindlichen Stuhl fiel und sich sturzbedingt Prellungen zuzog.
e) am 9. August 2014 gegen 11:00 Uhr zunächst in seiner Wohnung,..., seine Ehefrau kräftig gegen die Wand drückte. Als diese sich wehrte, stieß er sie erneut gegen die Wand, wodurch sie mit dem Hinterkopf dagegen schlug. Dann warf er sie heftig auf das Ehebett, setzte sich mit dem Gesicht zu ihr gewandt auf ihren Brustkorb und fixierte sie, indem er mit seinen Knien auf ihre Arme drückte. Seine somit wehrlose Ehefrau schlug er auf den Hinterkopf, hielt ihr für kurze Zeit mit der Hand den Mund und die Nase zu und ließ erst nach ca. einer Minute von ihr ab.
f) im September 2014, wohl am frühen Abend des 11. September 2014, zunächst seine Ehefrau in seiner Wohnung,..., mit dem Handballen so kräftig gegen den Hinterkopf schlug, dass der Kopf nach vorne schnellte. Kurz darauf versuchte er seine Ehefrau, die in der Wohnung befindliche Treppe hinunterzustoßen. Anschließend verließ er, nur mit einer Hose und Unterhemd bekleidet, seine Wohnung und lief in Gegenwart von Nachbarn hinter dem Zeugen Oberstabsgefreiten D. her, schlug diesen zumindest einmal mit der Faust ins Gesicht und versuchte, ihn über einen Zeitraum von ca. 15 Minuten, in welchem er dem Zeugen im Garten des Wohnhauses fortlaufend hinterherlief, erneut zu schlagen.
3. Der [frühere] Soldat fasste wissentlich und willentlich im alkoholisierten Zustand (Blutalkoholkonzentration 1,68 Promille um 23:06 Uhr) am Abend des 28. Juli 2015 gegen 21:50 Uhr an der U-Bahnstation... die Zeugin C. ans Kinn, drückte ihre Wangen zusammen und den Kopf ruckartig so nach hinten, dass diese Schmerzen und eine kurzzeitige Gedächtnislücke erlitt. Nachdem der [frühere] Soldat durch Mitarbeiter der U-Bahnwache in deren Betriebsraum verbracht worden war, äußerte er gegenüber dem Mitarbeiter der U-Bahnwache M.: 'Du scheiß Ausländerschwein, du dreckiger Türke, du mieser Bastard, du bist doch zu blöd für einen richtigen Beruf'."
Rz. 8
3. Der frühere Soldat wurde bezüglich des Anschuldigungspunktes 1 vom Amtsgericht... mit Strafbefehl vom 29. April 2014 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt. Am 23. Juni 2014 erging in gleicher Angelegenheit eine Absehensverfügung. Zu den Anschuldigungspunkten 2.d) - f) kam es zu strafrechtlichen Ermittlungen, die hinsichtlich der Tatkomplexe 2.d) und 2.e) nach § 154a Abs. 1 StPO von der Staatsanwaltschaft und hinsichtlich des Vorwurfes 2.f) vom Amtsgericht... gegen Zahlung von 1 800 € nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Das sachgleich zu Anschuldigungspunkt 3 durchgeführte Strafverfahren wurde im Berufungsverfahren vom Landgericht... gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung von 3 600 € eingestellt.
Rz. 9
4. Das Truppendienstgericht Nord hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom 29. Oktober 2020 die Übergangsbeihilfe um 1/20 gekürzt. Dabei hat es ihn von der Mehrzahl der vorgeworfenen Pflichtverletzungen freigestellt. Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 sei er aus Rechtsgründen freizustellen, weil eine einmalige fahrlässige Trunkenheitsfahrt noch keine disziplinarische Relevanz besitze. Hinsichtlich der Vorwürfe 2.a) bis 2.d) fehle der Tatnachweis. Das Gericht habe durchgreifende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der als Hauptbelastungszeugin vernommenen Ehefrau. Nachgewiesen seien nur die Teilvorwürfe der Anschuldigungspunkte 2.e) und 2.f), die der frühere Soldat eingeräumt habe. In Bezug auf den Anschuldigungspunkt 3 stehe jedoch das vorgeworfene Verhalten nach der Zeugenvernehmung weitgehend mit Ausnahme von drei Beleidigungen fest.
Rz. 10
Der frühere Soldat habe mit der wiederholten außerdienstlichen Körperverletzung ein Dienstvergehen begangen, das im Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden sei. Es gebe jedoch erhebliche Milderungsgründe, die den Übergang zu der verhängten Ruhegehaltskürzung rechtfertigten. Insbesondere sei zugunsten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, dass er in einer unglücklichen Ehe - an der Seite einer frustrierten, selbstsüchtigen und zu Aggressionen neigenden Ehefrau - gefangen gewesen sei. Spätestens seit dem zweiten Auslandseinsatz sei er gesundheitlich angeschlagen gewesen und habe mental überfordert Zuflucht zum Alkohol genommen. Trotz familiärer Belastung habe er gute dienstliche Leistungen erbracht und zwei Auslandseinsätze absolviert. Außerdem seien mildernd die sachgleichen strafrechtlichen Sanktionen und die Überlänge des gerichtlichen Disziplinarverfahrens einzustellen.
Rz. 11
5. Die form- und fristgerecht eingereichte Berufung begründet die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Wesentlichen damit, dass der frühere Soldat zu Unrecht von den Anschuldigungspunkten 1 und 2.a) bis 2.d) freigestellt worden sei. Der frühere Soldat habe fast alle angeschuldigten Pflichtverletzungen begangen. Die an sich gebotene Degradierung um mindestens zwei Dienstgrade sei wegen der überlangen Verfahrensdauer und der guten Leistungen des früheren Soldaten auf einen Dienstgrad zu reduzieren.
Rz. 12
6. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der Zeugenaussagen und der weiteren Beweisaufnahme wird auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung hingewiesen.
Entscheidungsgründe
Rz. 13
Die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist begründet. Da sie unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach erweist sich eine Herabsetzung des früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Oberfeldwebels der Reserve als angemessen.
Rz. 14
1. Zur Überzeugung des Senats steht in tatsächlicher Hinsicht fest, dass der frühere Soldat die vorgeworfenen Pflichtverletzungen weitgehend - wie angeschuldigt - begangen hat. Lediglich beim Anschuldigungspunkt 2.f) ist nicht erwiesen, dass der frühere Soldat vorsätzlich versucht hat, seine damalige Ehefrau die Treppe hinunterzustoßen. Ferner ist bei Anschuldigungspunkt 3 nur eine von vier angeschuldigten Beleidigungen belegt.
Rz. 15
a) Dass der frühere Soldat - wie unter Anschuldigungspunkt 1 beschrieben - eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt begangen hat, folgt aus den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts... vom 29. April 2014. Diese Feststellungen können im Disziplinarverfahren nach § 84 Abs. 2 WDO zugrunde gelegt werden, weil der frühere Soldat dagegen keine substantiierten Einwendungen vorgetragen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - Buchholz 449 § 46 SG Nr. 23 Rn. 11 m.w.N.). Der frühere Soldat stellt seinen Trunkenheitszustand (1,64 Promille) nicht infrage. Seine Einlassung, er habe das Fahrzeug nicht bewegt und nur auf Anraten seiner Anwältin gegen den Strafbefehl keinen Einspruch eingelegt, ist nicht näher substantiiert. Ausweislich des dem früheren Soldaten vorgehaltenen Aktenvermerks des Polizeireviers... vom 20. März 2014 haben die Polizeibeamten Fa. und B. gesehen, wie der frühere Soldat am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat, und sein Fahrzeug gestoppt.
Rz. 16
b) In Bezug auf den Anschuldigungspunkt 3 steht die angeschuldigte Körperverletzung gegenüber der Zeugin C. aufgrund der erstinstanzlichen Aussage der Zeugin und der Einlassungen des früheren Soldaten fest. Gegen die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin hat der frühere Soldat keine Einwendungen erhoben; solche sind auch nicht ersichtlich; schließlich hat die Zeugin sein Verhalten damit relativiert, dass sie ihn verbal herausgefordert, dass sie ihm verziehen und dass jeder mal einen schlechten Tag habe. Soweit der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung vorgetragen hat, er sei von der Zeugin C. angerempelt und provoziert worden, stellt dies den Tatbestand nicht infrage. Dies gilt umso mehr, als er sich bei ihr vor dem Amtsgericht... am 1. März 2016 und vor dem Landgericht... am 13. Juli 2016 entschuldigt und den von ihm ausgehenden körperlichen Angriff eingeräumt hat. Vor dem Amtsgericht... hat er sein Verhalten mit seinem Alkoholkonsum erklärt, der nach den polizeilichen Feststellungen um 23:06 Uhr noch 1,68 Promille betrug. Die im Berufungsverfahren erstmals abgegebene Erklärung, er habe an diesem Tag zum ersten Mal von der Vergewaltigung seiner Schwestern durch seinen Bruder erfahren, überzeugt wenig. Sie wirkt konstruiert, weil der frühere Soldat in vorangegangenen Vernehmungen einmal seine ehelichen Probleme und ein anderes Mal die Ablehnung durch seinen Vater als Ursache des Alkoholkonsums und der eigenen Aggressivität benannt hat.
Rz. 17
Was die Beleidigungen des U-Bahn-Wachpersonals betrifft, kann aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen W. vor dem Truppendienstgericht lediglich festgestellt werden, dass er den Zeugen M. als "Ausländerschwein" bezeichnet hat. Andere Beleidigungen haben die Zeugen nicht mehr erinnern können, sodass der frühere Soldat hinsichtlich der übrigen angeschuldigten Beleidigungen freizustellen ist.
Rz. 18
c) Hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 2 hat der frühere Soldat das Geschehen in tatsächlicher Hinsicht überwiegend eingeräumt. Er hat die von ihm ausgeübte körperliche Gewalt nur in geringem Umfang bestritten. Insbesondere hat er den Anschuldigungspunkt 2.c), den Schlag auf den Hinterkopf beim Anschuldigungspunkt 2.e) sowie den Versuch, die Zeugin A. von der Treppe zu stoßen beim Anschuldigungspunkt 2.f), in Abrede gestellt. Im Übrigen hat er sich auf vorangegangene Provokationen und Schläge seitens seiner Ehefrau als Rechtfertigungsgrund berufen.
Rz. 19
aa) Soweit der frühere Soldat die nahezu durchgehend nicht in Abrede gestellten körperlichen Übergriffe auf die Zeugin A. damit begründet, lediglich auf deren körperliche Attacken und Bedrohungen reagiert und sich durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt verteidigt zu haben, handelt es sich um eine Schutzbehauptung. Ungeachtet dessen, dass bei Ehegatten unter bestimmten Umständen die Grenzen einer erforderlichen Verteidigungshandlung enger zu ziehen sind als bei der Abwehr von rechtswidrigen Eingriffen Dritter (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01 - NStZ-RR 2002, 203 ≪204≫), hält der Senat diese Einlassungen im Hinblick auf die glaubwürdigen Aussagen der Zeugin A., deren durch Fotografien dokumentierten Verletzungen und die in vorangegangenen Verfahren vom früheren Soldaten selbst ausgesprochenen Entschuldigungen nicht für glaubwürdig.
Rz. 20
Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche persönliche Gewissheit des Tatrichters erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Dabei können rein abstrakte oder theoretische Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt, das für die Verurteilung nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit nicht in Frage stellen. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein (BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 2 WD 20.18 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 66 Rn. 31 m.w.N.). Dabei ist das Tatgericht nicht schon aufgrund des Zweifelsgrundsatzes an einer Verurteilung gehindert, wenn "Aussage gegen Aussage" steht und außer der Aussage des einzigen Belastungszeugen keine weiteren belastenden Indizien vorliegen. Bei einer derartigen Sachlage muss allerdings die Aussage dieses Zeugen einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterzogen werden. Das gilt insbesondere dann, wenn er in der Verhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Dann muss das Gericht regelmäßig auch außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe ermitteln, die es ermöglichen, der Zeugenaussage dennoch zu glauben. Gelingt dies nicht, ist der Soldat nach dem Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" freizusprechen (BVerwG, Urteil vom 10. September 2020 - 2 WD 3.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 83 Rn. 17).
Rz. 21
Zwar besteht bei den unter Anschuldigungspunkt 2 genannten Pflichtverletzungen eine Situation, in der die Aussage des früheren Soldaten weitgehend gegen die Aussage der Zeugin A. steht, sodass deren Aussage einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen ist. Es gibt jedoch auch außerhalb ihrer Aussage zahlreiche Indizien, die es nahelegen, nicht dem früheren Soldaten, sondern der Zeugin zu glauben. In der Berufungshauptverhandlung hat die Zeugin A. nicht den Eindruck hinterlassen, den der frühere Soldat von ihr vermitteln wollte. Die Zeugin hat um Fassung ringend ausgesagt, gehofft zu haben, nach der erstinstanzlichen Verhandlung mit diesem Lebensabschnitt abschließen zu können. Gleichwohl hat sie zu den einzelnen Anschuldigungspunkten glaubhaft und ersichtlich in dem Bemühen ausgesagt, die Geschehnisse noch einmal zu rekapitulieren, ohne sie zu dramatisieren. Dabei war nachvollziehbar, dass sie sich wegen des mehrjährigen Zurückliegens der Vorfälle und deren Vielzahl nicht mehr an alle Details erinnern konnte. Sie hat bei ihren Aussagen darauf jeweils hingewiesen und keinen Belastungseifer erkennen lassen. Insbesondere hat sie auch Verhaltensweisen eingeräumt, die der frühere Soldat ihr vorgeworfen hat, insbesondere das Durchsuchen seiner Kleidung, dass Verstecken von Schlüsseln und das Zurückschubsen im Streit.
Rz. 22
Bei der Würdigung ihrer Aussagen hält es der Senat für durchaus glaubwürdig, dass sie als der kräftemäßig unterlegene Eheteil nicht mit gewaltsamen Attacken begonnen hat. Für die Glaubwürdigkeit dieser Aussage spricht, dass es von den Verletzungen der Zeugin A. teils eigene und teils polizeiliche Fotoaufnahmen gibt, während es für den vom früheren Soldaten angeblich erlittenen "Cut" oder für andere von seiner früheren Ehefrau zugefügte Verletzungen keine Beweise gibt. Vor allem handelt es sich nicht um eine einmalige körperliche Auseinandersetzung, sondern um eine Reihe gleich gelagerter gewaltsamer Übergriffe. Es ist realitätsfern, anzunehmen, dass eine physisch unterlegene Ehefrau auch nach mehrfachen Verletzungen in vorangegangenen Konflikten von sich aus die körperliche Auseinandersetzung mit dem eindeutig stärkeren Ehemann sucht. Ferner hat der frühere Soldat sich im Strafverfahren vor dem Amtsgericht..., das wegen einer zwischenzeitlichen ehelichen Versöhnung nach § 153a StPO eingestellt worden ist, ausdrücklich auch bei seiner früheren Ehefrau für seine gewaltsamen Übergriffe entschuldigt. Schließlich passen auch die angeschuldigten Abläufe, soweit sie vom früheren Soldaten eingeräumt werden, teilweise nicht zu seiner Notwehrargumentation.
Rz. 23
Die Glaubwürdigkeit der Zeugin A. wird nicht dadurch erschüttert, dass ihr erster Ehemann beim Truppendienstgericht ausgesagt hat, sie neige nach seinen Erfahrungen zu Gewalttätigkeiten und verfüge über ein schauspielerisches Talent. Denn diese Aussage des früheren Ehemannes ist ebenso wenig belegt wie seine Mutmaßung, dass die Zeugin schizophren sei. Vielmehr zeigen diese Aussagen einen nicht geringen Belastungseifer des ersten Ehemanns, der seine Ursache in dem Umstand haben dürfte, dass sich die Zeugin von ihm getrennt und gegen seinen Willen die eheliche Lebensgemeinschaft beendet hat. Ein entscheidendes Gewicht kann seiner wenig glaubwürdigen Aussage schon deswegen nicht zukommen, weil dieser Zeuge weder die angeschuldigten Abläufe kennt noch das Aggressionspotenzial des früheren Soldaten einzuschätzen vermag.
Rz. 24
Schließlich spricht für die Annahme, dass der frühere Soldat nicht in Notwehr gehandelt hat, sein erwiesenes Verhalten gegenüber weiteren Personen in den Anschuldigungspunkten 2.f) und 3. Selbst der Verteidiger des früheren Soldaten hat eingeräumt, dass es beim Anschuldigungspunkt 2.f) keine Notwehrlage mehr geben konnte, als der frühere Soldat den Zeugen D. nach einer Verfolgungsjagd im Garten ins Gesicht schlug. Ebenso wenig kann sich der frühere Soldat bei seinem gewaltsamen Übergriff auf die Zeugin C. an der U-Bahn-Station (Anschuldigungspunkt 3) auf eine Notwehrlage berufen. Vielmehr zeigt sich in diesen beiden Situationen ein Verhaltensmuster, das auch den gewaltsamen Übergriffen des früheren Soldaten in der Ehe (Anschuldigungspunkt 2) zugrunde lag. Er verlor nämlich immer dann, wenn er erheblich Alkohol konsumiert hatte, bei Vorhaltungen, unerwünschten Verhaltensweisen oder Widerworten seines Gegenübers die Fassung und wurde gewalttätig. Dass der frühere Soldat in den Jahren 2013 bis 2015 ein massives Alkoholproblem hatte, hat er selbst eingeräumt und dies ist auch aufgrund der in den Akten befindlichen Alkoholmessungen (beim Anschuldigungspunkt 1 - 1,64 Promille und Anschuldigungspunkt 3 - 1,68 Promille) erwiesen. Dass der frühere Soldat dann die Kontrolle über seine Aggressionen verlieren konnte, wenn er sich provoziert fühlte, trat bei den Vorfällen im Garten und an der U-Bahn-Station offen zutage.
Rz. 25
bb) Nach allem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der frühere Soldat bei den von ihm eingeräumten körperlichen Auseinandersetzungen nicht in Notwehr gehandelt, sondern auch die von ihm nicht eingeräumten Tathandlungen zu den Anschuldigungspunkten 2.a), 2.c) und 2.e) begangen hat. Zu Anschuldigungspunkt 2.c) hat die Zeugin A. plastisch ausgeführt, der frühere Soldat habe sie völlig überraschend während eines Telefonats mit ihrer Mutter von hinten gestoßen. Auch bei Anschuldigungspunkt 2.e) hat sie den Vorwurf glaubhaft bestätigt, dass der frühere Soldat sie nicht nur auf dem Ehebett gewaltsam fixiert, sondern auch auf den Hinterkopf geschlagen habe. Dabei hat sie den Ablauf anschaulich beschrieben und nachvollziehbar dargelegt, dass der frühere Soldat sie gewaltsam auf das Ehebett geworfen, sich auf sie gesetzt, mit seinen Oberschenkeln ihre Arme fixiert, ihr mit einer Hand den Mund zugehalten und mit der anderen auf den Hinterkopf geschlagen hat. Soweit der frühere Soldat die gewaltsamen Übergriffe mit Ausnahme des Schlagens auf den Hinterkopf zugibt, besteht kein Anlass, der verharmlosenden Darstellung seines Aggressionsausbruches zu folgen.
Rz. 26
Nicht erwiesen ist indes der unter Anschuldigungspunkt 2.f) genannte Versuch, die Zeugin A. die Treppe hinunterzustoßen. Zwar hat die Zeugin glaubhaft ausgesagt, sie habe mit dem Rücken zur Treppe gestanden, als der frühere Soldat ihr einen "Schwinger" verpasst habe. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass der frühere Soldat wissentlich und willentlich versucht hat, sie die Treppe hinunter zu werfen. Selbst ein bedingter Vorsatz würde voraussetzen, dass der angeschuldigte frühere Soldat den Sturz von der Treppe als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkannt (Wissenselement) und billigend in Kauf genommen hat (Willenselement). Im vorliegenden Fall bestehen jedoch bereits erhebliche Zweifel daran, dass der frühere Soldat den Sturz von der Treppe als mögliche Folge seines Tuns vorhergesehen hat. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass er dies auch gewollt hat. Der frühere Soldat hat dies bestritten. Ein entsprechender Wille kann auch nicht aus anderen Umständen - der Persönlichkeit des Täters, dessen psychischer Verfassung bei der Tatbegehung, seiner Motivlage und der für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände, insbesondere der konkreten Angriffsweise - hergeleitet werden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 - 4 StR 312/20 - NStZ 2022, 101 Rn. 5 ff.). Denn der frühere Soldat hat bei seinen Wutausbrüchen zwar wiederholt einfache Körperverletzungen begangen, nicht aber gezielt schwere Schädigungen seiner Opfer in Kauf genommen. Der Senat legt daher in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" die Einlassung des früheren Soldaten zugrunde, weil entlastende Umstände schon dann beachtlich sind, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2017 - 2 WD 1.16 - juris Rn. 68).
Rz. 27
2. Der frühere Soldat hat damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Denn er hat schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt. Dass seine Alkoholisierung zu seiner Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB geführt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. In dem zu Anschuldigungspunkt 3 geführten Strafverfahren ist auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens lediglich eine alkoholbedingt eingeschränkte Schuldfähigkeit festgestellt worden.
Rz. 28
a) Er hat gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F. verstoßen. Eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens, die die dienstliche Stellung eines Soldaten erfordert, ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine Straftat begangen wird, die zumindest mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich sanktioniert werden kann (BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2020 - 2 WD 10.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 77 Rn. 19). Die disziplinarische Relevanz des erwiesenen Verhaltens folgt bereits aus den vom früheren Soldaten begangenen Körperverletzungen, für die § 223 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorsieht. Disziplinarisch relevant ist auch die fahrlässig begangene Trunkenheitsfahrt. Zwar droht § 316 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StGB dafür nur eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr an, so dass isoliert betrachtet eine Straftat im unteren Bereich vorliegt. Es handelt sich hierbei jedoch um eine Pflichtverletzung, die nach dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens nicht isoliert von den übrigen Pflichtverletzungen betrachtet werden darf. Sie steht insbesondere im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Körperverletzung gemäß Anschuldigungspunkt 2.b), weil der frühere Soldat unmittelbar nach dem gewalttätigen Übergriff auf seine Ehefrau alkoholisiert am Straßenverkehr teilnahm. Entsprechendes gilt für die im Zusammenhang mit der Körperverletzung gegenüber der Zeugin C. stehende Beleidigung des Zeugen M., für die § 185 StGB nur einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht.
Rz. 29
b) Da § 17 Abs. 2 Satz 2 SG a.F. eine abschließende Regelung für Verfehlungen strafrechtlichen Gehalts außerhalb des Dienstes bildet, liegt ein zusätzlicher Verstoß gegen die allgemeine Pflicht zum treuen Dienen aus § 7 SG nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 50).
Rz. 30
c) Ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Vorgesetzten nach § 10 Abs. 3 SG ist ebenfalls nicht anzunehmen. Zwar bekleidete der frühere Soldat zu den Tatzeitpunkten als Hauptfeldwebel einen höheren Dienstgrad als seine damalige Ehefrau, die lediglich den Rang eines Oberfeldwebels innehatte. Es bestand bei den außerdienstlichen ehelichen Streitigkeiten aber kein "Verhältnis der besonderen militärischen Unterordnung", woraus sich eine Fürsorgepflicht des Vorgesetzten ableiten ließe. Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 SG besteht außerhalb des Dienstes grundsätzlich keine Befehlsbefugnis allein aufgrund des Dienstgrades. Im Einklang damit räumt die auf § 1 Abs. 3 Satz 2 SG gestützte Vorgesetztenverordnung dienstgradhöheren Unteroffizieren mit Portepee eine außerdienstliche Befehlsbefugnis gegenüber dienstgradniedrigeren nur in hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen ein. Im Übrigen spricht vieles dafür, dass ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht auch aufgrund der nachfolgenden Überlegungen ausgeschieden wäre, weil sich die Vorfälle im höchstpersönlichen Bereich privater Lebensgestaltung zutrugen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2022 - 2 WD 2.21 - Rn. 27 f.).
Rz. 31
d) Der frühere Soldat hat gegenüber seiner früheren Ehefrau auch nicht die Kameradschaftspflicht verletzt. Zwar ist die Pflicht zur Kameradschaft nach § 12 Satz 1 SG für den Zusammenhalt der Bundeswehr wesentlich. Sie gilt daher nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Dienstes (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 2 WD 23.20 - juris Rn. 28). Sie gebietet gemäß § 12 Satz 2 SG, die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten. Sie verbietet es, durch gewaltsame Übergriffe das Recht auf körperliche Unversehrtheit einer anderen Soldatin oder eines anderen Soldaten zu verletzen (BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 - 2 WD 2.21 - juris Rn. 26). Allerdings ist die Kameradschaftspflicht des § 12 SG nicht darauf angelegt, in die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen einer Soldatin und einem Soldaten hineinzuwirken und das Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft gleichsam durch militärische Regeln zu überlagern. Die eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1353 BGB beruht auf einer höchstpersönlichen Verbundenheit zwischen zwei Menschen, auf wechselseitiger Fürsorge, Verantwortung und Gleichberechtigung, so dass sich die Regeln für dieses Zusammenleben nicht nach militärischen Kategorien bestimmen. Daher ist der Anwendungsbereich des § 12 SG dahingehend zu reduzieren, dass die darin verankerte Kameradschaftspflicht im außerdienstlichen Bereich des ehelichen Zusammenlebens zwischen zwei Bundeswehrangehörigen nicht gilt. Demzufolge ist durch die Ausübung häuslicher Gewalt die Kameradschaftspflicht des § 12 SG nicht verletzt, auch wenn Gewalt den für die eheliche Lebensgemeinschaft maßgeblichen zivilrechtlichen Bestimmungen ebenfalls widerspricht. Hingegen ist festzustellen, dass der frühere Soldat durch den tätlichen Übergriff auf den Oberstabsgefreiten D. seine Kameradschaftspflicht aus § 12 SG verletzt hat.
Rz. 32
3. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des früheren Soldaten zu berücksichtigen. Im Einzelfall geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus.
Rz. 33
a) Auf der ersten Stufe ist im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als "Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen" zu bestimmen. Bei außerdienstlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzungen bildet den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Herabsetzung im Dienstgrad jedenfalls dann, wenn eine brutale körperliche Misshandlung im Sinne der §§ 224 bis 227 StGB vorliegt. Dasselbe gilt, wenn in der Verletzungshandlung in der Intensität der Schutzgutverletzung eine kriminelle Energie zum Ausdruck kommt, die mit derjenigen einer gefährlichen Körperverletzung vergleichbar ist und die wegen des Maßes an Disziplinlosigkeit in vergleichbarer Weise Zweifel an der Integrität eines Soldaten weckt. Davon ist insbesondere bei mehrfachen Wiederholungen einfacher Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB auszugehen, wie sie dem früheren Soldaten zur Last gelegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2019 - 2 WD 22.18 - juris Rn. 20).
Rz. 34
b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme gebieten. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet. Ein Bemessungsspielraum besteht vorliegend insoweit, als bei dem Soldaten als früheren Zeitsoldaten, der nach § 1 Abs. 3 SG als Soldat im Ruhestand gilt, eine Degradierung gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 3, § 62 Abs. 1 Satz 4 WDO bis in den niedrigsten Mannschaftsdienstgrad zulässig wäre.
Rz. 35
aa) Für eine mildere Disziplinarmaßnahme sprechen nur wenige gewichtige Umstände. Dazu zählen die überdurchschnittlichen dienstlichen Leistungen des früheren Soldaten. Er hat sich vor dem Dienstvergehen eine Leistungsprämie erdient und zwei Auslandseinsätze in Afghanistan absolviert. Seine dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2012 bewegt sich mit 7,8 Punkten im obersten Wertungsbereich. Auch nach dem Dienstvergehen hat er sein überdurchschnittliches Leistungsniveau nach Auskunft des Leumundszeugen beibehalten. Dies führt allerdings nicht dazu, dass der klassische Milderungsgrund der Nachbewährung zu seinen Gunsten eingreifen würde. Denn der frühere Soldat ist noch während des im März 2015 eingeleiteten disziplinargerichtlichen Verfahrens im Juli 2015 erneut durch den gewaltsamen Übergriff auf die Zeugin C. an der U-Bahn-Station nebst Beleidigung des Zeugen M. disziplinarisch in Erscheinung getreten. Er hat damit nicht erkennen lassen, die durch frühere Pflichtverletzungen begründeten Zweifel an seiner charakterlichen Integrität und fachlichen Eignung durch besonders korrekte Pflichterfüllung ausräumen zu wollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 - 2 WD 10.12 - juris Rn. 48).
Rz. 36
Mildernd ist auch in gewissem Umfang zu berücksichtigen, dass die seinerzeitige Ehefrau durch ihr Verhalten - etwa durch die Durchsuchung seiner Kleidung, durch den Vorwurf der ehelichen Untreue im Auslandseinsatz oder das Wegnehmen und Verstecken des Autoschlüssels - in einigen Fällen erheblich dazu beigetragen hat, dass die Ehestreitigkeiten sich hochschaukelten. Ihre Verhaltensweise wirkte angesichts der angespannten Situation auf den früheren Soldaten provozierend, weswegen die Verfehlungen oft im Zustand hoher Erregung in einem eskalierenden Streit erfolgten. Dies kann dem früheren Soldaten zugutegehalten werden (vgl. BVerwG Urteil vom 21. Juni 2018 - 2 WD 4.18 - juris Rn. 30). Das Verhalten der früheren Ehefrau erlangt allerdings nicht das Gewicht einer vorwerfbaren Tatprovokation, die ein gewichtiger Milderungsgrund sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2016 - 2 WD 20.15 - juris Rn. 38). Denn das Aussprechen eines Untreue-, Drogen- oder Alkoholmissbrauchsverdachts gegenüber dem Ehepartner mag Verärgerung auslösen, kann aber nicht im Rechtssinne als vorwerfbare Provokation von gewaltsamen Übergriffen gewertet werden. Nichts anderes gilt für das Verstecken der Fahrzeugschlüssel. Dies erfolgte nach den glaubhaften Aussagen der Zeugin A. in Situationen, in denen der frühere Soldat erheblich alkoholisiert war, und diente damit dazu, Schaden von ihm und von der Allgemeinheit abzuwenden. Dass es solche Situationen gegeben hat, hat er selbst nicht in Abrede gestellt.
Rz. 37
Bei den gewaltsamen Übergriffen des früheren Soldaten lag auch nicht der Entschuldigungsgrund der persönlichkeitsfremden Augenblickstat vor. Es handelt sich nicht um einen einmaligen Vorfall eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2021 - 2 WD 23.20 - juris Rn. 36). Vielmehr liegen mehrfach wiederholte Gewalttätigkeiten des früheren Soldaten vor. Das den Taten zugrundeliegende Verhaltensmuster des früheren Soldaten, seinen Problemen mit übermäßigem Alkoholkonsum zu begegnen, sich dann bei Widerreden provoziert zu fühlen und darauf mit Gewalt zu reagieren, spricht gegen die Persönlichkeitsfremdheit seines Handelns.
Rz. 38
Allerdings ist mildernd einzustellen, dass sich der frühere Soldat im Tatzeitraum in einer erheblichen psychischen Belastungssituation befand. Einerseits war er bei seinem zweiten Auslandseinsatz beruflich stark gefordert. Andererseits war sein Ehe- und Familienleben dadurch belastet, dass die Zwillinge als Frühchen zur Welt kamen und dass eines der beiden Mädchen gesundheitlich erheblich beeinträchtigt war. In dieser Lage gelang es ihm und seiner früheren Ehefrau nicht, miteinander konstruktiv die schwierige Situation zu bewältigen. Vielmehr entwickelte sich ein eher destruktives Gegeneinander. Es gab ein Wechselbad von lautstarken Ehekonflikten und Versöhnungsversuchen, wodurch der frühere Soldat in dieser Zeit psychisch stark belastet war.
Rz. 39
Dies stellt jedoch noch keine seelische Ausnahmesituation im Sinne eines klassischen Milderungsgrundes dar. Denn dazu muss die Situation von so außergewöhnlichen Belastungen geprägt sein, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden kann (BVerwG, Urteil vom 5. Dezember 2019 - 2 WD 29.18 - Buchholz 449 § 46 SG Nr. 23 Rn. 25). Eine derartige Zuspitzung der Probleme ist zu den Tatzeiten nicht anzunehmen. Dagegen spricht, dass der frühere Soldat nicht alkoholsüchtig war, nach eigenen Angaben nur eine mittelschwere Depression hatte und seinen Pflichten im Dienst uneingeschränkt nachkommen konnte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2018 - 2 WD 4.18 - juris Rn. 32). Er hätte die auf alkoholbedingter Enthemmung basierenden Gewalttätigkeiten, die sich - wie der Anschuldigungspunkt 3 zeigt - auch außerhalb familiärer Belastungssituationen ereigneten, durchaus vermeiden können.
Rz. 40
bb) Nicht zulasten, aber auch nicht zugunsten des früheren Soldaten kann gewichtet werden, dass er keine besondere Unrechtseinsicht und keine erhebliche Reue gezeigt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - juris Rn. 39). Zwar hat er in seinem letzten Wort sein Verhalten bedauert und sich in früheren Gerichtsverhandlungen bei seiner Ehefrau, dem Oberstabsgefreiten D. und der Zeugin C. entschuldigt. Dies hat ihn aber nicht davon abgehalten, bei praktisch allen Anschuldigungspunkten den Opfern seiner gewaltsamen Übergriffe vorzuwerfen, der rechtswidrige Angriff oder doch eine gravierende Tatprovokation sei von ihnen ausgegangen. Er habe sich lediglich in Notwehr verteidigt. Eine selbstkritische Unrechtseinsicht ist kaum zu erkennen.
Rz. 41
Nicht mildernd einzustellen ist auch der Umstand, dass der frühere Soldat in drei Strafverfahren bereits Geldstrafen oder Geldzahlungen zum Ausgleich des Unrechts geleistet hat. Da Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen, findet eine Berücksichtigung strafrechtlicher Sanktionen nur im gesetzlich vorgesehenen Umfang statt. Bei früheren Soldaten kann eine Geldstrafe oder Sanktion nach § 153a StPO die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gemäß § 16 Abs. 1 WDO nur dann hindern, wenn das Dienstvergehen - das ist die Summe der zu beurteilenden Pflichtverletzungen - insgesamt lediglich eine einfache Disziplinarmaßnahme oder eine Kürzung des Ruhegehalts erfordert. Eine die disziplinare Maßnahmebemessung darüber hinaus limitierende Wirkung kommt dieser Vorschrift nicht zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. September 2021 - 2 WD 11.21 - juris Rn. 48).
Rz. 42
Ebenso wenig ist mildernd zu berücksichtigen, dass das Verhalten des früheren Soldaten durch alkoholbedingte Enthemmung geprägt war. Die Strafgerichte sind zwar beim Anschuldigungspunkt 3 zutreffend davon ausgegangen, dass der frühere Soldat aufgrund seiner Alkoholisierung nur eingeschränkt schuldfähig im Sinne des § 21 StGB gewesen ist. Nicht anderes dürfte für die anderen angeschuldigten Taten gelten. Im Fall einer alkoholbedingt eingeschränkten Steuerungsfähigkeit steht jedoch eine Maßnahmemilderung nach § 21 StGB analog im Ermessen des Wehrdienstgerichts. Liegt dem Verhalten lediglich ein Alkoholmissbrauch, nicht aber eine Alkoholerkrankung zugrunde, gilt bei der Ausübung dieses Ermessens der Grundsatz, dass ein Soldat für Art und Umfang seines Alkoholkonsums selbst verantwortlich ist. Denn ein Soldat, der sich in einem Ausmaß berauscht, das seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert ist, dokumentiert damit, dass er nicht willens oder in der Lage ist, den Alkoholkonsum so rechtzeitig einzustellen, dass es zu einer Enthemmung nicht kommt. Begeht er in diesem Zustand wie hier Straßenverkehrs- und Gewaltdelikte, wirft er damit nicht nur Zweifel daran auf, ob er im innerdienstlichen Bereich die Grenzen rechtmäßiger Gewaltanwendung wahren kann. Vielmehr begründet er zugleich Zweifel, dass er seinen Dienstpflichten im Umgang mit Alkohol jederzeit genügen wird (BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 2 WD 2.15 - juris Rn. 34).
Rz. 43
cc) Den mildernden Umständen stehen jedoch gewichtige erschwerende Umstände entgegen, die bei einer Gesamtabwägung an sich für eine Herabsetzung um zwei Dienstgrade sprechen. Der frühere Soldat hat nicht nur wiederholt, sondern mehrfach vorsätzliche Körperverletzungen sowie eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung und eine Beleidigung begangen. Die gewaltsamen Übergriffe richteten sich nicht nur gegen seine damalige Ehefrau im Rahmen von Ehestreitigkeiten, sondern auch gegen eine fremde Person und gegen einen Kameraden. Mit dem Führen eines Fahrzeugs in erheblich alkoholisiertem Zustand (Blutalkoholkonzentration von 1,64 Promille) war eine nicht geringe Gefährdung der Allgemeinheit verbunden. Art und Schwere der zur Last gelegten außerdienstlichen Pflichtverletzungen sprechen daher mit Gewicht für eine mehrfache Degradierung.
Rz. 44
Dies gilt auch für die Beweggründe des früheren Soldaten. Das Motiv, Konflikte unter Einsatz von Gewalt zu lösen, ist in hohem Maße sozialschädlich und gefährdet das Zusammenleben in der Gesellschaft, das auf eine friedliche Konfliktlösung angewiesen ist (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2018 - 2 WD 4.18 - juris Rn. 26). Eine besondere Disziplinlosigkeit liegt zudem darin, dass der frühere Soldat selbst nach Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens erneut pflichtwidrig gehandelt hat (zur disziplinaren Vorbelastung: BVerwG, Urteil vom 20. Januar 2022 - 2 WD 2.21 - Rn. 39).
Rz. 45
Hinzu tritt, dass er als Hauptfeldwebel gemäß § 10 Abs. 1 SG zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet war. Diese Verpflichtung relativierte sich auch nicht dadurch, dass die Pflichtverletzungen außerdienstlich begangen wurden. Denn es ist nicht erforderlich, dass es der Soldat innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit fehlen lässt. Es genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m.w.N.).
Rz. 46
Das Dienstvergehen hatte auch negative Folgen. Es verursachte nicht nur den drei geschädigten Personen Schmerzen, sondern strahlte auch auf den dienstlichen Bereich aus, weil die frühere Ehefrau und der Oberstabsgefreite D. ebenfalls Soldaten waren. Die Probleme wurden in der Dienststelle bekannt und die frühere Ehefrau musste jedenfalls einmal aus gesundheitlichen Gründen vom Dienst befreit werden.
Rz. 47
dd) Zugunsten des früheren Soldaten ist allerdings - gleichsam auf der dritten und letzten Stufe der Zumessungserwägungen - die unangemessen lange Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu berücksichtigen. Für diese Verletzung des in Art. 6 EMRK und dem Rechtsstaatsprinzip verankerten Anspruchs auf eine gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Zeit schuldet der Staat dem früheren Soldaten einen Ausgleich, der hier durch eine Reduzierung der Degradierungstiefe um einen Dienstgrad erfolgt.
Rz. 48
Die vorliegende Verfahrensdauer ist bei Berücksichtigung der maßgeblichen Bemessungsfaktoren - insbesondere der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens, dem prozessualen Verhalten des Betroffenen und Dritter sowie der Prozessförderung des Gerichts - überlang (vgl. zu den Maßstäben BVerwG, Urteil vom 14. September 2017 - 2 WA 2.17 D - BVerwGE 159, 366 Rn. 13). Zwar war das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht schwierig. Das Truppendienstgericht konnte im Rahmen seines prozessualen Gestaltungsspielraums eine umfassende Zeugenvernehmung für erforderlich halten. In rechtlicher Hinsicht war das Verfahren aber mit Ausnahme der Frage, ob ein außerdienstliches Fehlverhalten innerhalb der ehelichen Gemeinschaft einen Verstoß gegen die Kameradschaftspflicht begründet, durch die vorhandene Rechtsprechung weitgehend vorgeklärt. Daher liegt insgesamt ein Verfahren mittelschwerer Art vor. Da in dem Disziplinarverfahren zudem die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme im Raum stand, war es für den betroffenen Soldaten von erheblicher Bedeutung, sodass eine Erledigung innerhalb eines Jahres pro Instanz angemessen gewesen wäre.
Rz. 49
Im vorliegenden Fall hat das Truppendienstgericht über die im April 2017 eingegangene Anschuldigung erst Ende Oktober 2020 - mithin erst nach über dreieinhalb Jahren - entschieden, was auf eine Überlänge von zweieinhalb Jahren hindeutet. Dabei muss man allerdings den weder dem Staat noch dem früheren Soldaten zurechenbaren Umstand außen vorlassen, dass die für Anfang 2020 terminierte Sache bedingt durch die Covid-19-Pandemie vom Vorsitzenden der Truppendienstkammer verschoben werden musste und erst im Oktober 2020 verhandelt werden konnte (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 2. April 2020 - 1 Ws 32/20 - juris Rn. 50 ff.). Auch bei Berücksichtigung der pandemiebedingten Verzögerung verbleibt eine Überlänge des truppendienstgerichtlichen Verfahrens von einem Jahr und neun Monaten. Diese Überlänge erklärt sich mit der allgemein bekannten Arbeitsüberlastung der Truppendienstgerichte, die als struktureller Mangel dem Staat zuzurechnen ist (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2020 - 2 WD 9.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 38 Rn. 38). Hinzu kommt eine etwa zweimonatige Überlänge des Berufungsverfahrens, sodass eine unangemessene Verfahrensdauer von knapp zwei Jahren besteht. Sie wird dadurch wiedergutgemacht, dass der frühere Soldat nur um eine Stufe zum Oberfeldwebel der Reserve degradiert wird.
Rz. 50
4. Die Absehensverfügung wird durch die gerichtliche Disziplinarmaßnahme gegenstandslos (BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2020 - 2 WD 2.19 - Buchholz 450.2 § 18 WDO 2002 Nr. 1 Rn. 42 m.w.N.).
Rz. 51
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 138 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, § 139 Abs. 1 Satz 2, § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO. Es liegen keine Gründe vor, die es unbillig erscheinen lassen, dass der frühere Soldat die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen trägt.
Fundstellen
ZBR 2022, 357 |
JZ 2022, 425 |