Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragserwerb. Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch beantragten Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit. Staatsangehörigkeitsverlust. Kenntnis deutscher Staatsangehörigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Deutscher verliert seine Staatsangehörigkeit durch den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag nach § 25 Abs. 1 StAG nur, wenn ihm der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.
Normenkette
GG Art. 16 Abs. 1; StAG § 25
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 08.06.2007; Aktenzeichen 12 A 2053/05) |
VG Köln (Urteil vom 13.04.2005; Aktenzeichen 10 K 1576.04) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die in der Russischen Föderation lebenden Kläger begehren die Verpflichtung der Beklagten (Bundesrepublik Deutschland), der Klägerin zu 1 (zukünftig: Klägerin) einen Staatsangehörigkeitsausweis zu erteilen und ihre minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2 und 3, in diesen Staatsangehörigkeitsausweis aufzunehmen.
Die Klägerin ist im Jahre 1970 in der ehemaligen Sowjetunion (Region Alma Ata, damalige Kasachische Sowjetrepublik) geboren. Sie behauptet, gemäß § 5 RuStAG deutsche Staatsangehörige nach ihrem Vater zu sein. Mit Bescheid vom 22. November 2002 lehnte das Bundesverwaltungsamt den entsprechenden Antrag der Kläger mit der Begründung ab, es sei nicht nachgewiesen, dass der Vater der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe; jedenfalls habe die Klägerin eine etwa innegehabte deutsche Staatsangehörigkeit im Jahre 1995 durch Antragserwerb der russischen Staatsangehörigkeit verloren.
Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. April 2005 abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die Klägerin zwar über ihren Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, diese aber wieder verloren habe, weil sie in der Folge ihrer im Jahre 1992 erfolgten Übersiedlung nach Russland die russische Staatsangehörigkeit nach dem einschlägigen russischen Recht auf Antrag erworben habe; dies ergebe sich aus einer von der Klägerin vorgelegten russischen Bescheinigung vom 16. September 2003.
Durch Beschluss vom 8. Juni 2007 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen mit folgender Begründung:
Es könne offen bleiben, ob die Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit von ihrem Vater erworben habe, weil sie diese durch den Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit spätestens im April 1995 gemäß § 25 Abs. 1 RuStAG in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung (Art. 4 Nr. 5 des Gesetzes vom 29. Juni 1977, BGBl I S. 1101) verloren habe.
Unstreitig sei zunächst, dass die – damals volljährige – Klägerin 1995 die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation erworben habe. Dieser Erwerb sei auch nicht (lediglich) kraft Gesetzes erfolgt, wie es Art. 13 des russischen Gesetzes über die Staatsbürgerschaft vom 28. November 1991 für den Fall des ständigen Aufenthalts auf dem Territorium der Russischen Föderation im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des vorbezeichneten Gesetzes vorgesehen habe. Die Klägerin sei (erst) im Oktober 1992 (aus Tadschikistan kommend) in die Russische Föderation eingereist. Vielmehr könne sie nach der vorgelegten Bescheinigung die russische Staatsangehörigkeit nur nach Art. 18 Buchst. d dieses Gesetzes erworben haben. Danach konnte im Wege des Registrierungsverfahrens die russische Staatsbürgerschaft u.a. durch Bürger der früheren UdSSR erworben werden, welche nach dem 6. Februar 1992 auf das Territorium der Russischen Föderation gelangt waren, wenn sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ihren Wunsch erklärten, die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation zu erwerben. Aus der Bescheinigung ergebe sich deshalb, dass die Klägerin zu 1 die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation aufgrund einer entsprechenden Erklärung erworben habe, die als Antrag im Sinne des § 25 Abs. 1 RuStAG zu werten sei.
Da für eine die Freiheit der Willensentschließung ausnahmsweise ausschließende Fallgestaltung nichts ersichtlich sei, müsse davon ausgegangen werden, dass ein Fall freiwilliger Hinwendung zu einem anderen Staat vorliege, der es rechtfertige, den gesetzlich zur Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit vorgesehenen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit anzunehmen.
Solange ein Betroffener die Alternative habe, auf den Erwerb der neuen Staatsangehörigkeit zu verzichten, was bei der Klägerin der Fall gewesen sei, bleibe die notwendige Entscheidungsfreiheit des Betroffenen unberührt. Es könne aufgrund der Ausführungen der Klägerin auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Annahme der neuen Staatsangehörigkeit die einzige Möglichkeit dargestellt habe, das wirtschaftliche Existenzminimum und damit das Überleben zu sichern, was einen freiwilligen Erwerb ausschlösse. Im Rahmen des § 25 Abs. 1 RuStAG unbeachtlich sei schließlich die Behauptung der Klägerin, sie habe zum Zeitpunkt des Erwerbs der russischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis vom Bestehen einer deutschen Staatsangehörigkeit gehabt.
Verfassungsrecht gebiete nichts anderes, zumal § 13 StAG für ehemalige deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland die Möglichkeit einer Wiedereinbürgerung eröffne.
Zur Begründung ihrer Revision machen die Kläger vor allem geltend, dass die Klägerin mit ihrer Familie nach dem (spätestens mit dem Ende des Jahres 1991 vollendeten) Zerfall der Sowjetunion im Besitze einer sowjetischen und einer deutschen Staatsangehörigkeit ihren bisherigen Aufenthalt in der früheren Sowjetrepublik Tadschikistan infolge Verfolgung fluchtartig verlassen habe und nach Russland geflohen sei. In der Folge sei lediglich ihre bisherige sowjetische Staatsbürgerschaft in eine russische umgewandelt worden. Deshalb könne schon keine Rede von einer Hinwendung zu einem (neuen) anderen Staat sein, und noch weniger könne von einer Abwendung vom deutschen Staat gesprochen werden, zumal der Klägerin damals noch nicht einmal die Möglichkeit der Innehabung einer deutschen Staatsangehörigkeit bewusst gewesen sei. Der Fall der Staatennachfolge und des damit verbundenen Wechsels von Staatsangehörigkeiten müsse aus dem Anwendungsbereich von § 25 StAG herausfallen, weil das Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hier verfehlt werde.
Die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses verteidigen den angefochtenen Beschluss.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Kläger ist begründet.
Die Berufungsentscheidung ist mit Bundesrecht nicht vereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG (in der hier maßgeblichen und noch anzuwendenden Fassung vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618), der im vorliegenden Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 StAG (in der heute gültigen Fassung vom 19. August 2007, BGBl I 1970) übereinstimmt, auch dann eintreten kann, wenn der deutsche Staatsangehörige zum Zeitpunkt des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsanghörigkeit keine Kenntnis davon gehabt hat, Deutscher zu sein. § 25 Abs. 1 RuStAG ist – ebenso wie heute nach § 25 Abs. 1 StAG – auf derartige Fallgestaltungen nicht anwendbar.
Da das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – tatsächliche Feststellungen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Klägerin zu 1 im Wege der Legitimation aufgrund der Eheschließung ihrer Eltern im Jahre 1971 nach § 5 Abs. 1 RuStAG unterlassen hat, kann der Senat in der Sache nicht abschließend selbst entscheiden. Er verweist die Sache deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG verlor ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgte, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorlagen, unter denen nach § 19 RuStAG die Entlassung beantragt werden konnte. Auch nach der geltenden Fassung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG verliert ein Deutscher – nunmehr aber unabhängig davon, wo er seinen Wohnsitz oder seinen dauernden Aufenthalt hat – seine Staatsangehörigkeit mit dem Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit, wenn dieser Erwerb auf seinen Antrag oder auf den Antrag des gesetzlichen Vertreters erfolgt, der Vertretene jedoch nur, wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen nach § 19 StAG die Entlassung beantragt werden könnte. Diese Bestimmungen erfassen nicht den Fall, dass der Betroffene – wie die Klägerin zu 1 nach den bisherigen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Berufungsverfahren – im Zeitpunkt des Antragserwerbs der ausländischen Staatsangehörigkeit keine Kenntnis vom Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit gehabt hat und hiervon nach den gesamten Umständen des Falles auch keine Kenntnis hätte haben müssen. Diese den Anwendungsbereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG einschränkende Auslegung ergibt sich nicht nur aus der Vorschrift selbst (2.), sondern ist zugleich mit Rücksicht auf den grundrechtlichen Schutz der Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich geboten (3.).
2. § 25 Abs. 1 StAG (und ebenso bereits § 25 Abs. 1 RuStAG) ordnen für den Fall des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nicht bedingungslos an, sondern enthalten einschränkende Voraussetzungen.
a) Bereits der Wortlaut des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG enthält mit dem Verweis auf § 19 StAG eine bedeutsame Einschränkung. Danach kann der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Personen, die unter elterlicher Sorge oder unter Vormundschaft stehen, regelmäßig nur mit Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts eintreten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 StAG). Diese gesetzliche Genehmigung ist nur ausnahmsweise entbehrlich bei Kindern, “wenn der Vater oder die Mutter die Entlassung für sich und zugleich kraft elterlicher Sorge für ein Kind beantragt und dem Antragsteller die Sorge für die Person dieses Kindes zusteht” (§ 19 Abs. 2 StAG). Aus dieser Verweisung auf § 19 StAG wird deutlich, dass der Gesetzgeber in § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG von dem Bekanntsein der deutschen Staatsangehörigkeit als stillschweigende Voraussetzung für den gesetzlichen Verlust ausgeht, indem er bei handlungsunfähigen Personen eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung vorsieht, die ohne Kenntnis der deutschen Staatsangehörigkeit, deren gesetzlicher Verlust droht, nicht eingeholt werden kann.
b) In einem engen Zusammenhang mit § 25 Abs. 1 RuStAG/StAG hat der Gesetzgeber seit jeher den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Antragserwerb einer anderen Staatsangehörigkeit für denjenigen ausgeschlossen, der “vor dem Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit erhalten hat” (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StAG). Darin kommt zum einen zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber schon immer eine Doppelstaatsangehörigkeit nicht ausnahmslos ausgeschlossen, sondern im Einzelfall die Hinnahme mehrfacher Staatsangehörigkeit ermöglicht hat. Nur wer ohne Beibehaltungsgenehmigung eine ausländische Staatsangehörigkeit beantragt und erwirbt, verliert kraft Gesetzes seine deutsche Staatsangehörigkeit.
Auch die Möglichkeit, eine Beibehaltungsgenehmigung zu beantragen, setzt zum anderen stillschweigend voraus, dass der Betroffene seine deutsche Staatsangehörigkeit kennt. Nur dann kann er eine Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StAG beantragen, um sich vor dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zu schützen oder – im Falle der Ablehnung der Beibehaltungsgenehmigung – seinen Schritt noch einmal zu überdenken.
c) Für die Rechtslage nach § 25 StAG gilt nichts anderes. Die Änderungen der Bestimmung in den Jahren 1999 und 2004 weisen vielmehr darauf hin, dass der Gesetzgeber – abgesehen von der Streichung der Inlandsklausel in Abs. 1 Satz 1 zur Vermeidung des sofortigen Wiedererwerbs einer zum Zwecke der Einbürgerung aufgegebenen ausländischen Staatsangehörigkeit – der Vermeidung doppelter oder mehrfacher Staatsangehörigkeit insgesamt ein geringeres und den privaten Interessen an der Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit ein größeres Gewicht beimisst als früher.
Durch die Einfügung der Sätze 3 und 4 in § 25 Abs. 2 StAG (durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. b des Gesetzes vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618 mit Wirkung vom 1. Januar 2000) hat der Gesetzgeber materielle Voraussetzungen für die Beibehaltungsgenehmigung normiert. Danach sind bei der Entscheidung über einen Antrag auf Beibehaltungsgenehmigung “die öffentlichen und privaten Belange abzuwägen” (Satz 3); bei einem Antragsteller, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat, ist “insbesondere zu berücksichtigen, ob er fortbestehende Bindungen an Deutschland glaubhaft machen kann” (Satz 4). Die Vermeidung oder Beseitigung von Mehrstaatigkeit hat spätestens seit dieser Änderung keinen grundsätzlichen Vorrang mehr; vielmehr sind die privaten Interessen des Einzelnen an der Begründung oder Beibehaltung einer doppelten oder mehrfachen Staatsangehörigkeit prinzipiell gleichrangig mit dem öffentlichen Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit abzuwägen.
Die geänderte Zielrichtung des § 25 StAG wird schließlich auch durch die Einfügung des Satzes 2 in § 25 Abs. 1 StAG in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) deutlich. Danach tritt seit Ende August 2007 der automatische Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach Satz 1 auch dann nicht ein, “wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staates erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Abs. 3 StAG abgeschlossen hat”. Insoweit hat der Gesetzgeber das öffentliche Interesse an der Vermeidung oder Beseitigung von Mehrstaatigkeit weiter relativiert und die gesetzliche Verlustregel für alle EU-Staaten und zukunftsoffen für weitere Fallgruppen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4, § 12 Abs. 3 StAG außer Kraft gesetzt.
d) Auch wenn der Verweis auf § 19 StAG und das Institut der Beibehaltungsgenehmigung nach § 25 Abs. 2 StAG die Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG nahelegt, dass der gesetzliche Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit die Kenntnis von ihrem Besitz voraussetzt, bleibt die bisherige ständige Rechtsprechung zu den objektiven Anforderungen der Bestimmung im Übrigen unberührt. Die Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG ist danach nicht ausgeschlossen, wenn dem deutschen Staatsangehörigen zwar seine deutsche Staatsangehörigkeit, nicht aber die Rechtsfolgen seines Handelns im Falle des Antragserwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit bekannt waren oder wenn er diese Rechtsfolge nicht bedacht hat oder nicht wollte oder wenn er die mit seinem Handeln objektiv verbundene Hinwendung zu einer fremden und Abwendung von seiner deutschen Staatsangehörigkeit subjektiv nicht bezweckte (vgl. Beschluss vom 13. Oktober 2000 – BVerwG 1 B 53.00 – Buchholz 130 § 25 StAG Nr. 11 und Urteil vom 21. Mai 1985 – BVerwG 1 C 12.84 – Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr. 5).
e) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist schließlich der Hinweis auf die Möglichkeit der Wiedereinbürgerung nach § 13 StAG nicht geeignet in Frage zu stellen, dass die Rechtsfolge des automatisch kraft Gesetzes eintretenden Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG deren Kenntnis bei dem Handelnden voraussetzt. Das ergibt sich für die Klägerin zu 1 (und ggf. den Kläger zu 2, s.u. 4.) schon daraus, dass nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag die Ermessenspraxis des Beklagten in Fällen der vorliegenden Art eine Wiedereinbürgerung nach einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG ausnahmslos nicht zulässt.
3. § 25 Abs. 1 StAG ist danach entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts auf den Fall der Klägerin zu 1 nur anwendbar, wenn feststeht, dass ihr bei dem festgestellten Antragserwerb der russischen Staatsangehörigkeit im Jahre 1995 eine damals etwa bestehende – bisher nur vom Verwaltungsgericht bejahte, vom Oberverwaltungsgericht lediglich unterstellte – deutsche Staatsangehörigkeit nach ihrem Vater bekannt war oder Grund für die Annahme besteht, ihr hätte die deutsche Staatsangehörigkeit bekannt sein müssen. Nur dann kann auch davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit objektiv die – die gesetzliche Verlustfolge legitimierende – selbstverantwortliche Entscheidung für die Hinwendung zu einer fremden (hier: russischen) Staatsangehörigkeit zum Ausdruck gebracht hat. Fehlte es der Klägerin hingegen an jeglichem Bewusstsein, deutsche Staatsangehörige zu sein, ist § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (RuStAG) auf den Antragserwerb im Jahre 1995 nicht anwendbar. Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich auch aus den grundrechtlichen Anforderungen des Art. 16 Abs. 1 GG an die gesetzliche Ausgestaltung von Verlustgründen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die gesetzliche Regelung des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (§ 25 Abs. 1 RuStAG), die den Verlust der Staatsangehörigkeit an den freiwilligen, antragsgemäßen Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit knüpft, verfassungsrechtlich grundsätzlich bedenkenfrei (BVerfG, Kammer-Beschluss vom 8. Dezember 2006 – 2 BvR 1339/06 – InfAuslR 2007, 162 Rn. 12 f. unter Bezugnahme auf das Urteil vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – BVerfGE 116, 24 ≪44≫; vgl. auch BVerfG, Kammer-Beschluss vom 10. August 2001 – 2 BvR 2101/00 – NVwZ 2001, 1393). Eine nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit ist danach jede, aber auch nur die Verlustzufügung, welche die – für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame – Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung der Verlässlichkeit und Gleichheit des Zugehörigkeitsstatus liegt insbesondere in jeder Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann (vgl. a.a.O. BVerfGE 116, 24 ≪44≫). Zur Verlässlichkeit des grundrechtlich geschützten Staatsangehörigkeitsstatus gehört danach auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfG a.a.O. S. 45).
b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wäre es nicht vereinbar, § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG (§ 25 Abs. 1 RuStAG) auch auf einen Fall wie den der Klägerin zu 1 anzuwenden, der – nach den bisher getroffenen und für das vorliegende Verfahren bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts – der (unterstellte) Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit nicht bekannt und bewusst gewesen ist und der ihnen nach den gesamten Umständen des vorliegenden Falles auch nicht bekannt sein musste.
Die Kenntnis von der deutschen Staatsangehörigkeit ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, auf der Grundlage eines freien Willensentschlusses selbstverantwortlich darüber bestimmen zu können, dass mit der Entscheidung für den antragsabhängigen Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit die daran geknüpfte gesetzliche Rechtsfolge des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit eintritt. In den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 GG fällt auch die dem Einzelnen nicht bekannte und von ihm nicht “gelebte” Staatsangehörigkeit. Dies schließt es von Verfassungs wegen allerdings nicht aus, dass der Gesetzgeber den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch den antragsabhängigen Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit auch für Fälle vorsieht, in denen die deutsche Staatsangehörigkeit dem Einzelnen nicht bekannt ist. Dies bedarf jedoch einer eindeutigen, die öffentlichen und privaten Interessen ausgleichenden gesetzlichen Regelung, wie sie § 25 StAG – nach den Ausführungen unter 1. bereits im Wege der Auslegung des einfachen Rechts – gerade nicht enthält.
c) Die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts dazu, dass der Klägerin zu 1 im Jahre 1995 ihre deutsche Staatsangehörigkeit hätte bekannt sein können, weil sie “hinreichende Anhaltspunkte für ihre deutsche Staatsangehörigkeit” gehabt habe (BA S. 21), rechtfertigen keine andere Beurteilung, zumal das Oberverwaltungsgericht selbst die angeblich für die Klägerin zu 1 erkennbare deutsche Staatsangehörigkeit nicht geklärt, sondern ausdrücklich offen gelassen hat (BA S. 4). Anhaltspunkte dafür, dass die die Klägerin zu 1 ihre – bis heute ungeklärte – deutsche Staatsangehörigkeit nach ihrem Vater damals gekannt hat oder nach den gesamten Umständen hätte kennen müssen, sind weder festgestellt noch erkennbar. Im Übrigen liegt die Annahme eher fern, der Klägerin zu 1 könne im April 1995, als sie die russische Staatsangehörigkeit beantragte, um in Russland legal leben zu können und nicht in das vom Bürgerkrieg erschütterte Tadschikistan zurückkehren zu müssen, im Bewusstsein des etwaigen Besitzes der deutschen Staatsangehörigkeit gehandelt haben. Dann hätte ihr nämlich zur Verbesserung ihrer Lebenssituation schon damals die Wohnsitznahme in Deutschland offen gestanden.
4. Sollte die Klägerin zu 1 die deutsche Staatsangehörigkeit 1971 nach ihrem Vater erworben haben, ist – wovon das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeht (BA S. 22) – der 1991 geborene Kläger zu 2 zwar von Geburt an (jedenfalls auch) deutscher Staatsangehöriger geworden (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 StAG), könnte aber die deutsche Staatsangehörigkeit entgegen der Ansicht des Beklagten nach § 25 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 2 RuStAG/StAG im Jahre 1995 wieder verloren haben. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Klägerin zu 1 die deutsche Staatsangehörigkeit tatsächlich ihrerseits nach § 25 Abs. 1 Satz 1 RuStAG/StAG wieder verloren hätte. Das ist, wie ausgeführt, nach den bisherigen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht anzunehmen.
Auch der Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der 1999 geborenen Klägerin zu 3 hängt davon ab, ob die Klägerin zu 1 deutsche Staatsangehörige geworden und geblieben ist.
5. Ausführungen zu der Frage, derentwegen der Senat die Revision zugelassen hat, unter welchen Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 25 Abs. 1 RuStAG (§ 25 Abs. 1 StAG) verloren geht, wenn der Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit (hier: der Russischen Föderation) im Zusammenhang mit dem Untergang des Staates der früheren Staatsangehörigkeit (hier: Sowjetunion) steht, sind danach nicht mehr veranlasst.
Für den Fall, dass das Oberverwaltungsgericht im erneuten Berufungsverfahren die deutsche Staatsangehörigkeit und deren Kenntnis durch die Klägerin zu 1 feststellen sollte, bemerkt der Senat, dass von § 25 Abs. 1 StAG umfasst sein kann, über die Vermeidung einer Mehrstaatigkeit hinaus auch deren Reduzierung im Einzelfall herbeizuführen. Dann bliebe aber gleichwohl zu bedenken und zu prüfen, ob diese gesetzliche Zielsetzung auch für den besonderen Fall der grundlegenden Änderung der staatsrechtlichen Verhältnisse (hier: Zerfall der Sowjetunion) Geltung beansprucht, wenn der aufnehmende Staat (hier: Russische Föderation) eine bestimmte (dem zerfallenen Gesamtstaat zugehörige) Personengruppe privilegieren will, weil er für sie in der Nachfolge des zerfallenen Staates eine besondere Verantwortung übernimmt und ein Antragserfordernis etwa nur anstelle eines Widerspruchrechts bei gesetzlichem Erwerb vorsieht.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen
BVerwGE 2009, 121 |
FamRZ 2008, 1616 |
DÖV 2008, 825 |
InfAuslR 2008, 361 |
ZAR 2008, 362 |
BayVBl. 2008, 762 |
DVBl. 2008, 1061 |
FuBW 2009, 64 |