Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründungsfrist. Verlängerung. Postulationsfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Mangel in der Vertretung führt nicht zur Unwirksamkeit einer gleichwohl durch das Gericht verfügten Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung.
Normenkette
VwGO § 67 Abs. 1, § 124a Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Zwischenurteil vom 15.05.2001; Aktenzeichen 1 S 1639/00) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 23.06.1999; Aktenzeichen 1 K 1478/99) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Zwischenurteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Unterrichtung über eine – von ihm behauptete – polizeiliche Datenerhebung. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zur Unterrichtung des Klägers darüber verpflichtet, ob er in einem bestimmten Zeitraum von einer Maßnahme nach § 22 Abs. 2 oder Abs. 3 PolG BW betroffen war.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zugelassen. Der Zulassungsbeschluss ist dem Beklagten am 3. August 2000 zugestellt worden. Am 10. August 2000 ist beim Berufungsgericht ein Schriftsatz einer Mitarbeiterin des Beklagten eingegangen, welche nicht die Befähigung zum Richteramt besitzt und die darin wegen urlaubsbedingter Abwesenheit des Sachbearbeiters um stillschweigende Verlängerung der Frist für die Einreichung der Begründung um zwei Wochen bittet. Der stellvertretende Vorsitzende des zuständigen Senats hat am 11. August 2000 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. September 2000 verfügt. Am 25. September 2000 ist die Begründung eingegangen.
Der Kläger hat daraufhin die Zulässigkeit der Berufung gerügt und die Ansicht vertreten, die Berufungsbegründungsfrist sei nicht eingehalten worden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Zwischenurteil die Zulässigkeit der Berufung festgestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, zwar unterliege der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dem Vertretungszwang nach § 67 VwGO, der nicht eingehalten worden sei. Dies führe jedoch ebenso wenig wie der Umstand, dass die Begründungsfrist über den beantragten Zeitraum hinaus verlängert worden sei, zur Unwirksamkeit der Fristverlängerung. Eine von einem verfassungsmäßig bestellten Gericht oder seinem Vorsitzenden im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassene Entscheidung könne nicht deshalb als nichtig angesehen werden, weil prozessrechtliche Voraussetzungen nicht gegeben seien. Dem Grundsatz des Vertrauensschutzes komme maßgebliche Bedeutung zu, weil derjenige, dem die Frist verlängert worden sei, davon ausgehen dürfe, innerhalb der gewährten Fristverlängerung seine Berufungsbegründung fristwahrend abgeben zu können.
Der Kläger erstrebt mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision die Verwerfung der Berufung des Beklagten und trägt zur Begründung vor: Die vom Verwaltungsgerichtshof herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei nicht auf den Verwaltungsprozess übertragbar. Der Beklagte könne sich als juristische Person des öffentlichen Rechts ferner nicht auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes berufen. Von Bedeutung in diesem Zusammenhang sei auch die Verwendung der Bezeichnung „Sachbearbeiter” im Antrag, die Frist zur Begründung der Berufung zu verlängern.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zu Recht für zulässig erachtet. Insbesondere ist die Berufung fristgerecht begründet worden.
1. a) Zwar unterliegt der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist dem Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 1 VwGO, dem der Beklagte hier nicht genügt hat. Jedoch bleibt der Mangel ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der verfügten Fristverlängerung.
Ein Antrag auf Verlängerung einer Frist hat für die Behauptung des rechtlichen Standpunktes dasselbe Gewicht wie die innerhalb der Frist vorzunehmende Rechtshandlung und muss deshalb denselben Formerfordernissen wie die Prozesshandlung genügen, auf die er sich bezieht. Der Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung (§ 124 a Abs. 3 Satz 3 VwGO) ist daher ebenso wie die Begründung der Berufung selbst von einem Vertreter i.S. des § 67 Abs. 1 VwGO zu stellen. Dies entspricht auch der einhelligen Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur (vgl. z.B. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 1999, § 124 a Rn. 89; Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 a Rn. 95; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 124 a Rn. 259). Für den Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist nach § 120 FGO verlangt der Bundesfinanzhof ebenfalls die Einhaltung des für ihn geltenden Vertretungszwangs (vgl. Beschluss vom 20. Oktober 1982 – 1 R 61/82 – BFHE 136, 575).
Ein Mangel in der Vertretung führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit einer gleichwohl durch das Gericht verfügten Fristverlängerung. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass eine von einem Gericht oder seinem Vorsitzenden im Rahmen seiner Zuständigkeit erlassene Entscheidung nicht deswegen als nichtig angesehen werden kann, weil prozessrechtliche Voraussetzungen nicht gegeben sind. Vielmehr knüpft an dieses Rechtshandeln ein Vertrauensschutz (BGH, Urteil vom 14. Juli 1953 – V ZR 87/52 – LM ZPO § 554 Nr. 3; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997 – VIII ZB 32/97 – NJW 1998, 1155).
Entgegen der Ansicht der Revision weist der Verwaltungsprozess gegenüber dem Zivilprozess keine Besonderheiten auf, die zu einer abweichenden Beurteilung führen würden. Die Prozesshandlungsvoraussetzungen wie die hier in Rede stehende Postulationsfähigkeit sind hier wie dort von Amts wegen zu prüfen. Soweit die Revision vorträgt, juristische Personen des öffentlichen Rechts könnten sich nicht auf die Wirksamkeit einer von ihnen durch rechtsfehlerhaftes Handeln herbeigeführten gerichtlichen Entscheidung berufen, verkennt sie, dass diese Wirksamkeit in erster Linie der Verfahrenssicherheit dient und auf der Legitimation des Gerichts zur Verfahrensleitung beruht. Unter diesen Aspekten kommt es nicht darauf an, welcher der Beteiligten durch sein (Fehl-)Verhalten den Anstoß zu der gerichtlichen Entscheidung gegeben hat. Im Übrigen wäre es auch aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit nicht gerechtfertigt, die öffentliche Hand als Verfahrensbeteiligte anders zu behandeln als sonstige Beteiligte.
b) Keiner Entscheidung bedarf, ob der Vorsitzende des Gerichts befugt ist, die Frist zur Begründung der Berufung, wie hier geschehen, über den beantragten Zeitpunkt hinaus zu verlängern. Selbst wenn diese Frage zu verneinen sein sollte, würde dies aufgrund der dargelegten Erwägungen die Wirksamkeit der Fristverfügung gleichfalls nicht berühren (vgl. BAGE 11, 251; 12, 220 ≪225≫).
c) Soweit die Revision die Frage aufwirft, ob die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Vorsitzenden unter den vorstehend erörterten Umständen – fehlende Postulationsfähigkeit der Bediensteten einer juristischen Person – auch dann wirksam sei, wenn die unterzeichnende Person im Antragsschriftsatz als „Sachbearbeiterin” bezeichnet werde, hat sie keinen rechtlichen Gesichtspunkt aufgezeigt, der über das Gesagte hinausführte. Im Übrigen liegt auf der Hand, dass die Bezeichnung als Sachbearbeiter(in) nichts über die Fähigkeit besagt, einen Träger öffentlicher Verwaltung wirksam zu vertreten.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Gerhardt, Büge, Graulich
Fundstellen
DÖV 2003, 125 |
DVBl. 2002, 1554 |