Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitrag. Berufsfreiheit. Familienlastenausgleich. „generativer Beitrag”. Gleichheitsgrundsatz. Kapitaldeckung. Kindererziehung. Mindestbeitrag. Mutterschutz. „offenes Deckungsplanverfahren”. Umlagefinanzierung
Leitsatz (amtlich)
Bundesverfassungsrecht zwingt ein berufsständisches Versorgungswerk mit Pflichtmitgliedschaft, das sich nach dem „offenen Deckungsplanverfahren” finanziert, grundsätzlich nicht, für Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung eine beitragsfreie Mitgliedschaft vorzusehen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 1, 4, Art. 12 Abs. 1; RAVG Bad.-Württ. §§ 7-8, 13; Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 23.01.2001; Aktenzeichen 9 S 902/00) |
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 09.11.1999; Aktenzeichen 1 K 1755/98) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wurde 1986 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und war als Mitglied des beklagten Versorgungswerks während ihrer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis von der Angestelltenversicherungspflicht befreit. Vom 25. Dezember 1996 bis zum 6. April 1997 hatte die Klägerin Mutterschutz und nahm im Anschluss daran Erziehungsurlaub ohne Entgelt bis zum 8. Februar 2000. Am 16. Juli 1999 begann die Mutterschutzfrist wegen ihres zweiten Kindes.
Da die Klägerin auf ihre Zulassung verzichtet hatte, wurde diese mit Bescheid vom 27. Mai 1997 widerrufen. Im Mai 1998 wurde die Klägerin erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und am 19. Mai 1998 in die Liste der zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen.
Mit Schreiben vom 23. November 1997, eingegangen beim Beklagten am 27. November 1997, beantragte die Klägerin „beitragsfreie Mitgliedschaft während meines Erziehungsurlaubs gemäß § 10 Abs. 2 der Satzung”. Daraufhin erließ das beklagte Versorgungswerk einen Feststellungsbescheid vom 24. Februar 1998, dass ein wirksamer Antrag nach § 10 Abs. 2 der Satzung nicht gestellt sei, weil nach Ausscheiden aus der Anwaltschaft nur die Fortsetzung der Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten, nicht aber eine beitragsfreie Mitgliedschaft beantragt werden könne. Außerdem sei die Klägerin nicht mehr Mitglied des Versorgungswerks. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies das beklagte Versorgungswerk durch Bescheid vom 20. Mai 1998 mit der Maßgabe zurück, dass der Antrag vom 27. November 1997 abgelehnt werde.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat die Klage mit dem Antrag,
den Bescheid vom 24. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 1998 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin über den 27. Mai 1997 hinaus während ihres Erziehungsurlaubs beitragsloses Mitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte Baden-Württemberg sei,
durch Urteil vom 9. November 1999 abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die von ihm zugelassene Berufung mit dem mit Einverständnis des beklagten Versorgungswerks geänderten Antrag,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 9. November 1999 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 24. Februar 1998 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihre beitragsfreie Mitgliedschaft für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 16. Juli 1999 festzustellen,
durch Urteil vom 23. Januar 2001 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Der im Berufungsverfahren gestellte Verpflichtungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 16. Juli 1999 keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihre beitragsfreie Mitgliedschaft feststelle. Die Bestimmungen der §§ 11 ff. RAVwS gingen unausgesprochen davon aus, dass jedes Mitglied (ausgenommen bei Berufsunfähigkeit) beitragspflichtig sei, und zwar auch bei aufrechterhaltener Mitgliedschaft nach Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer nach § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS. Dies verstoße nicht gegen die gesetzliche Ermächtigung für die Beitragserhebung in § 8 RAVG. Denn auch diese Vorschrift gehe vom Grundsatz der Beitragspflicht aller Mitglieder aus. Auch sonst verlange das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz vom Beklagten als Satzungsgeber nicht, beitragsfreie Mitgliedschaften vorzusehen. Ob es das Gesetz dem Satzungsgeber gestatte, solche Mitgliedschaften zu begründen, brauche nicht untersucht zu werden.
Dass keine Beitragsfreiheit bestehe, sei verfassungsrechtlich auch in Ansehung andersartiger Regelungen in der gesetzlichen Rentenversicherung, welcher die Klägerin unterläge, falls sie nicht durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wegen des Bestehens der berufsständischen Versorgung durch den Beklagten davon befreit wäre, nicht zu beanstanden. Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem Gebot der Familienförderung des Art. 6 Abs. 1 GG fordere keine beitragsfreie Mitgliedschaft in dem Versorgungswerk. Zwischen den Sozialleistungssystemen bestünden Unterschiede, welche die Ungleichbehandlung (noch) rechtfertigten.
Die gesetzliche Rentenversicherung beruhe, anders als die berufsständische Versorgung der Rechtsanwälte, auf dem aus dem so genannten Generationenvertrag folgenden Umlageprinzip. Danach würden die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen aus demselben Zeitraum gedeckt (§ 153 Abs. 1 SGB VI). Der Alterssicherung der Rechtsanwälte liege dagegen das so genannte offene Deckungsplanverfahren zugrunde, welches bewirke, dass die Versorgungsleistungen grundsätzlich aus den von den Mitgliedern selbst angesammelten Beiträgen finanziert würden. Die individuelle Beitragsleistung der Mitglieder erhalte damit ein höheres Gewicht als in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Gesetz- und Satzungsgeber der berufsständischen Versorgung dürfe daher eher auf Beitragsleistungen auch während Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten bestehen als derjenige der gesetzlichen Rentenversicherung. Denn der Träger der berufsständischen Versorgung sei ausschließlich auf Beiträge der Mitglieder angewiesen. Er erhalte insbesondere keine Bundes- oder Landeszuschüsse zum Ausgleich „versicherungsfremder” Leistungen wie Rentenanwartschaften für Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten, wie dies bei der gesetzlichen Rentenversicherung der Fall sei.
Zur Begründung der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend: Die Regelung des Landesrechts über grundsätzliche Beitragspflicht aller Mitglieder des Versorgungswerks verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1 und 4 sowie Art. 12 Abs. 1 GG. Der dem Satzungsgeber eingeräumte weite Gestaltungsspielraum werde durch höherrangiges Recht begrenzt. Er sei ohne hinreichenden Grund von dem Regelungsmodell des Sozialversicherungsrechts abgewichen, das Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung auf der Beitragsseite angemessen berücksichtige. Monetäre Aspekte dürften nicht zur Hinnahme des Fehlens eines angemessenen Lastenausgleichs im Regelwerk des Beklagten führen. Sie habe keine freie Wahl des Rentenversicherungsträgers gehabt, so dass der Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers von vornherein eingeschränkt gewesen sei. Die Satzung des Beklagten werde dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG nicht gerecht. Außerdem werde unter Zugrundelegung des Finanzierungssystems des Beklagten dem Unterschied zwischen Männern und Frauen nicht hinreichend Rechnung getragen, weil Mutterschaft und Kindererziehung auf Frauen zukomme. Auch auf der Leistungsseite werde sie ungerechtfertigt behandelt, weil sie infolge reduzierter Beiträge während der Mutterschutz- und Erziehungszeiten Einbußen bei der Altersrente hinnehmen müsse. Mit den Kinder erziehenden Rechtsanwältinnen werde eine recht große Gruppe der Mitglieder des Beklagten unangemessen benachteiligt, was auch vor Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen sei.
Das beklagte Versorgungswerk tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil verletzt kein revisibles Recht.
1. Wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, strebt sie allein die Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung ihrer „beitragsfreien Mitgliedschaft” vom 1. Januar 1997 bis zum 16. Juli 1999 an. Nicht zu entscheiden ist daher, ob sie während des gesamten Zeitraums Mitglied mit allen Rechten und Pflichten war.
2. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Landesrecht geben § 7 Abs. 2 Satz 2 RAVG, § 10 Abs. 2 Satz 2 der Satzung des Beklagten (RAVwS) in Verbindung mit §§ 11 ff. RAVwS keinen Anspruch auf den Erlass eines die beitragsfreie Mitgliedschaft der Klägerin feststellenden Verwaltungsakts. Danach gehen die Bestimmungen der §§ 11 ff. RAVwS ohne Verstoß gegen die gesetzliche Ermächtigung für die Beitragserhebung in § 8 RAVG „unausgesprochen” davon aus, dass jedes Mitglied (vor Erreichen der Altersgrenze) ausgenommen bei Berufsunfähigkeit gemäß § 15 Abs. 8 Nr. 4 RAVwS beitragspflichtig ist. Auch im Übrigen verlange das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz vom Beklagten als Satzungsgeber nicht, beitragsfreie Mitgliedschaften vorzusehen. Nach der Auslegung der Satzung durch den Verwaltungsgerichtshof besteht kein Anspruch auf Feststellung der Beitragsfreiheit während Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten. Bei der revisionsgerichtlichen Prüfung ist grundsätzlich von dem Inhalt des irrevisiblen Landesrechts auszugehen, den das Berufungsgericht durch Auslegung ermittelt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. Urteil vom 23. August 1994 – BVerwG 1 C 18.91 – BVerwGE 96, 293 ≪295≫).
3. Das so verstandene Landesrecht steht mit Bundesrecht in Einklang.
a) Als wertentscheidende Grundsatznorm enthält Art. 6 Abs. 1 GG eine Verpflichtung des Staates zum besonderen Schutz und der Förderung der Familie. In dieser Funktion und in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip fordert Art. 6 Abs. 1 GG Regelungen zu einem „Familienlastenausgleich”, gibt allerdings nicht vor, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich zu erfolgen hat. Neben dem Verfassungsauftrag zur Schaffung eines wirksamen Familienlastenausgleichs hat der Gesetzgeber die allgemeine Haushaltslage sowie andere Belange des Gemeinwohls zu beachten; insoweit besteht grundsätzlich Gestaltungsfreiheit (BVerfG, Urteile vom 7. Juli 1992 – 1 BvL 51/86 u.a. – BVerfGE 87, 1 ≪35 f.≫ und vom 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94 – NJW 2001, 1712 ≪1713≫). Bei Beitragsregelungen muss der zuständige Normgeber jedoch den besonderen Schutz beachten, den der Staat nach Art. 6 Abs. 1 GG der Familie schuldet (BVerfG, Urteile vom 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94 – a.a.O., S. 1713 und vom 7. Juli 1992, a.a.O., S. 36). Bei umlagefinanzierten Alterssicherungssystemen werden bei Gleichheit von Beitragslast und Leistungsansprüchen Versicherte mit Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern in spezifischer Weise benachteiligt. Der Nachteil, den erziehende Versicherte erleiden, liegt in dem um die Kostenlast der Kindererziehung erhöhten Gesamtbeitrag zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Versicherungssystems. Während alle Mitglieder im Umlageverfahren durch die Beitragszahlungen die aktuellen Versorgungsleistungen finanzieren, wird von Versicherten mit Kindern durch die Aufziehung der künftigen Beitragszahler zusätzlich ein „generativer Beitrag” erbracht (BVerfG, Urteile vom 7. Juli 1992, a.a.O., S. 36 ff. und vom 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94 – a.a.O., S. 1715 und – 1 BvR 1681/94 u.a. – NJW 2001, 1707 ≪1709≫). In einem Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtbeitrag, den Kindererziehende in die Versicherung einbringen, und dem Geldbeitrag der Kinderlosen kann eine mit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbare Benachteiligung liegen, die durch Entlastung bereits bei der Bemessung der Beiträge auszugleichen ist. Der von Verfassungs wegen gebotene Ausgleich zwischen erziehenden und nicht erziehenden Mitgliedern kann nicht erst durch unterschiedliche Leistungen bei Eintritt des Versorgungsfalls erfolgen. Denn die für die Beiträge der nachwachsenden Generation maßgeblichen Erziehungsleistungen der heute versicherungspflichtigen Elterngeneration belasten diese in ihrer Erwerbsphase und müssen daher auch in diesem Zeitraum durch Beitragsentlastung ausgeglichen werden (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94 – a.a.O., S. 1716). Allerdings verfügt der Normgeber über einen gewissen Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Beitragsrechts; eine Verpflichtung zur vollständigen Entlastung Versicherter mit Kindern von der Beitragspflicht besteht nicht (BVerfG, Urteile vom 3. April 2001 – 1 BvR 1629/94, a.a.O., S. 1716 und vom 7. Juli 1992, a.a.O., S. 40).
Bei Anlegung des aufgezeigten Maßstabs ist die Entscheidung des Satzungsgebers, Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung nicht von der Beitragserhebung auszunehmen, nicht zu beanstanden. Das ergibt sich sowohl aus dem hauptsächlich durch das Ziel der Kapitalansammlung geprägten Finanzierungssystem des Beklagten als auch aus der dem zuständigen Normgeber selbst im Falle eines reinen Umlageverfahrens zustehenden Entscheidungsfreiheit bei der Gestaltung des erforderlichen Familienlastenausgleichs. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hat die Beitragsleistung der Mitglieder im Finanzierungssystem des Beklagten ein höheres Gewicht als bei einem Umlageverfahren. Bei dem von dem Beklagten angewandten, in § 13 RAVG angelegten und in § 40 RAVwS konkretisierten sog. offenen Deckungsplanverfahren leisten Versicherte mit Kindern nicht im Unterschied zu Kinderlosen einen so erheblichen „generativen Beitrag” zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems, dass eine völlige Beitragsfreistellung während der Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten von Verfassungs wegen gefordert ist. Das offene Deckungsplanverfahren beruht nicht auf dem reinen Kapitaldeckungsprinzip, sondern steht gewissermaßen zwischen dem reinen Umlageverfahren und jenem Prinzip. Insbesondere zur Finanzierung einer Leistungsdynamik werden Beitragsteile wie im Umlageverfahren unmittelbar verwendet und insoweit nicht zur Kapitalbildung eingesetzt. Für die Abstimmung von Beiträgen und Leistungen bezieht das offene Deckungsplanverfahren dabei über den Bestand der vorhandenen Leistungsempfänger und beitragszahlenden Mitglieder hinaus auch den künftigen Neuzugang mit ein. Die dauernde Leistungsfähigkeit wird dadurch sichergestellt, dass in der versicherungstechnischen Bilanz die künftigen Leistungen dem im gleichen Zeitraum vorhandenen Vermögen und den zu erwartenden Beiträgen gegenüber gestellt werden. Aus dem Gesagten folgt, dass von einem „generativen Beitrag” in Form von Kindererziehung im Rahmen der versicherungstechnischen Äquivalenz des offenen Deckungsplanverfahrens nur hinsichtlich der umlagefinanzierten, nicht hinsichtlich der kapitalgedeckten Elemente die Rede sein kann. Wie die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt haben, spielt die Umlagefinanzierung im Versorgungssystem des Beklagten nur eine verhältnismäßig geringe Rolle (bei etwa 10 v.H. der Leistungen). Der dafür geleistete „generative Beitrag” Kindererziehender erfordert jedenfalls keine vollständige Beitragsfreistellung während der Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten, auch wenn die umlagefinanzierten Leistungselemente das Finanzierungssystem des Beklagten in gewisser Weise mitprägen. Dabei kann auf sich beruhen, ob die Regelung zur Berücksichtigung von Kinderbetreuungszeiten des § 22 a RAVwS neben der Hinterbliebenenversorgung bereits Ausdruck eines wirksamen Familienlastenausgleichs ist, was die Revision und der Verwaltungsgerichtshof verneinen. Selbst wenn einem wirksamen Familienlastenausgleich hierdurch noch nicht Genüge getan ist, verbleiben mehrere Möglichkeiten zur Nachbesserung; angesichts des Gestaltungsspielraums des Satzungsgebers folgt aus Art. 6 Abs. 1 GG für sich allein keine Verpflichtung, einen weiteren Ausgleich gerade durch Beitragsfreistellung während Mutterschutz- und Erziehungszeiten herbeizuführen (vgl. BVerfG, Urteile vom 7. Juli 1992, a.a.O., S. 35 zur gesetzlichen Rentenversicherung und vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94 u.a. – a.a.O., S. 1709 sowie – 1 BvR 1629/94 – a.a.O., S. 1713 zur privaten und sozialen Pflegeversicherung).
b) Auch Art. 6 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG zwingt nicht zu der von der Klägerin für erforderlich gehaltenen Beitragsfreistellung. Art. 6 Abs. 4 GG enthält ein Schutzgebot, das auch darauf abzielt, wirtschaftliche Belastungen der Mutter, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, auszugleichen. Die jeder Mutter geschuldete Fürsorge umfasst die Verpflichtung des Staates, Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen. Bei der Frage, wie der Gesetzgeber im Einzelnen den Verfassungsauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG erfüllt, hat er weitgehend Gestaltungsfreiheit. Er ist nicht verpflichtet, dem Fördergebot ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange nachzukommen (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Februar 1982 – 1 BvL 116/78 – BVerfGE 60, 68 ≪74≫ und vom 2. April 1996 – 2 BvR 169/93 – NVwZ 1997, 54 f.). Ein Gemeinwohlbelang von hoher Bedeutung ist die finanzielle Stabilität des Versorgungsträgers. Die Beurteilung, in welcher Weise und in welchem Umfang Durchbrechungen der generellen Beitragspflicht aus sozialen Gesichtspunkten zugelassen werden können, ohne die Leistungsfähigkeit des beklagten Versorgungswerks ernsthaft zu gefährden, ist grundsätzlich Aufgabe des Normgebers. Die Satzung berücksichtigt den Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 4 GG im hier maßgeblichen Zeitraum bereits in gewissem Umfang durch eine Anrechnung von Kinderbetreuungszeiten (§ 22 a). Sollte die finanzielle Lage einen weiteren Ausgleich ermöglichen, so stünden dem Beklagten hierfür, wie bereits erwähnt, mehrere Mittel zur Verfügung. Eine Verpflichtung zur Freistellung von jeglicher Beitragslast während des Mutterschutzes lässt sich daher aus Art. 6 Abs. 4 GG nicht herleiten.
c) Soweit die Klägerin als zugelassene Rechtsanwältin Pflichtmitglied der Beklagten war, ist die landesrechtliche Regelung über die Pflichtzugehörigkeit und die damit verbundene Beitragsbelastung ferner am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (Urteil vom 5. Dezember 2000 – BVerwG 1 C 11.00 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 44). Soweit die Klägerin dagegen im Zeitraum vom Zulassungswiderruf (27. Mai 1997) bis zur erneuten Zulassung im Mai 1998 nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war, knüpft die Beitragsbelastung nicht an die Berufsausübung, sondern an die beantragte Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft im beklagten Versorgungswerk an. Insoweit kommt ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Betracht.
aa) Mindestbeitragsregelungen, die zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Pflichtmitglieder eines Versorgungswerks betreffen, haben berufsregelnden Charakter (Urteil vom 5. Dezember 2000, – BVerwG 1 C 11.00 – a.a.O.). Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG bedürfen je nach ihrer Wirkung unterschiedlich gewichtiger Rechtfertigungsgründe.
Der vom Beklagten erhobene Mindestbeitrag entsprach, wie sich den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Unterlagen ergibt, gemäß § 11 Abs. 3 RAVwS in der Fassung vom 29. November 1991 (Die Justiz 1994, S. 5) demjenigen für versicherungspflichtige Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung der Angestellten. Der Mindestbeitrag bestimmte sich nach §§ 112 Abs. 3 lit b), 114 Angestelltenversicherungsgesetz – AVG – i.V.m. § 2 Abs. 1 der Verordnung über das Entrichten von Beiträgen zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten – RV–BEVO – in den bis 31. Dezember 1991 geltenden Fassungen und errechnete sich nach dem für die Angestelltenversicherung geltenden Vomhundertsatz von der Einkommensgrenze für geringfügige Tätigkeit im Sinne von § 8 SGB IV. Der Beklagte behielt diesen Beitragssatz nach Entfallen des Mindestbeitrags für versicherungspflichtige Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung infolge Aufhebung des AVG und In-Kraft-Treten des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs zum 1. Januar 1992 bei. Auch nachdem dem aufgehobenen Recht durch Satzungsänderung vom 26. Juni 1998 (Die Justiz 1999, 167) Rechnung getragen wurde, übersteigt der seit 1. Januar 1999 geltende Berechnungsmodus, ein Dreizehntel des Regelpflichtbeitrags nach § 11 Abs. 1 RAVwS, den bisherigen Mindestbeitrag nur unwesentlich. Der Mindestbeitrag lag danach in einer Größenordnung von 120 bis 130 DM monatlich und kam damit einer Berufswahlregelung nicht nahe.
Die danach die Berufsausübung betreffende Regelung über den Mindestbeitrag der hier vorliegenden Größenordnung ist durch gewichtige Allgemeininteressen gerechtfertigt. Die Pflichtmitgliedschaft bezweckt die Versorgung der Rechtsanwälte und dient durch deren wirtschaftliche Absicherung der Erhaltung eines leistungsfähigen Anwaltstandes. Die kollektive Versicherung ist wirtschaftlich nur durchführbar, wenn grundsätzlich alle Anwälte ihr angehören. Maßnahmen wie Mindestbeitragsregelungen, die der finanziellen Stabilität des Versorgungsträgers dienen, sind erforderlich, wobei es der Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers unterliegt, den Kreis der Mitglieder so weit und die Befreiungstatbestände so eng zu fassen, dass im Hinblick auf eine angemessene Versorgung eine möglichst leistungsfähige Solidargemeinschaft entsteht (vgl. Urteil vom 29. Januar 1991 – BVerwG 1 C 11.89 – BVerwGE 87, 324 ≪328 f.≫). Einer in der Erhebung des Mindestbeitrags im Einzelfall liegenden unzumutbaren Belastung kann durch eine Härtefallregelung (vgl. § 15 Abs. 4 und 5 der Satzung) ausreichend Rechnung getragen werden. Die hier vorliegende maßvolle Höhe des Mindestbeitrags erfordert keine Erwägungen dahin, ob innerhalb der von der Mindestbeitragsregelung Betroffenen nicht nur einzelne durch Härteregelungen zu erfassende Sonderfälle, sondern bestimmte Gruppen typischer Fälle ohne zureichenden Grund wesentlich stärker als andere belastet werden (dazu Urteil vom 5. Dezember 2000, a.a.O.). Denn bei typisierender Betrachtung kann ein derartiger Mindestbeitrag die Berufsausübung generell nicht unangemessen behindern.
bb) Liegen die strengen Voraussetzungen für einen Eingriff in die Berufsfreiheit vor, so ist für die Zeit der auf freiwilliger Grundlage fortgeführten Mitgliedschaft bei der Beklagten mit entsprechender Mindestbeitragsverpflichtung auch der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt.
d) Die landesrechtliche Regelung, wie sie der Verwaltungsgerichtshof dargelegt hat, verletzt auch nicht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
aa) Die Klägerin macht geltend, dass der Beklagte bei Erlass der Satzung ohne hinreichenden Grund von dem Regelungsmodell des SGB VI abgewichen sei, indem er die Regelungen über beitragsfreie Anrechnungszeiten beim Mutterschutz (§ 54 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4, § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) und über Beitragszeiten mit fingierten Beitragsleistungen bei der Kindererziehung (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 a, § 55 Abs. 1 Satz 2, § 56 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1 SGB VI) nicht übernommen habe. Sie sei daher zumindest auf der Beitragsseite, im Übrigen aber auch auf der Leistungsseite gegenüber Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung schlechter gestellt.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch geklärt, dass der Gleichheitssatz den Normgeber nur in seinem Kompetenzbereich bindet. Der Landesgesetzgeber ist daher nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG gehindert, bei seiner Rechtsetzung von Vorschriften des Bundes oder denen anderer Länder abzuweichen, die diese für vergleichbare Sachverhalte in ihrem Gesetzgebungsbereich erlassen haben (BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1960 – 1 BvR 239/52 – BVerfGE 10, 354 ≪371≫; Urteil vom 23. August 1994 – BVerwG 1 C 18.91 – BVerwGE 96, 293 ≪301≫ = GewArch 1995, 22 ≪24≫). Aus dem Gleichheitssatz lässt sich deshalb keine Pflicht des Landesgesetzgebers herleiten, die Beitragslast im berufsständischen Versorgungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen (Beschluss vom 4. Juli 1995 – BVerwG 1 B 89.95 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 29).
Abgesehen davon ist die Übernahme der dem Familienlastenausgleich dienenden Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung in das Versorgungswerk der Rechtsanwälte durch Art. 3 Abs. 1 GG schon deswegen nicht geboten, weil hier – wie bereits dargelegt – das offene Deckungsplanverfahren gilt und daher der generative Beitrag der Mitglieder mit Kindern weitaus geringer ins Gewicht fällt als im System des Umlageverfahrens, welches in der gesetzlichen Rentenversicherung gilt (vgl. § 153 SGB VI).
bb) Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt auch nicht im Vergleich zu den nach dem Satzungsrecht der Beklagten gegebenen Freistellungen von der Beitragspflicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Da die zu vergleichenden Lebenssachverhalte einander nie in allen, sondern stets nur in einigen Merkmalen gleichen, ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 10. März 1998 – 1 BvR 178/97 – BVerfGE 97, 332 ≪344≫; BVerwG, Beschluss vom 29. Februar 2000 – BVerwG 1 B 82.99 – Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 41, S. 4). Bei zulässiger Einbeziehung in ein Pflichtversorgungssystem billigt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetz- bzw. Satzungsgeber bei der Ausgestaltung und Abgrenzung von begünstigenden Ausnahme- oder Befreiungstatbeständen einen besonders weiten Spielraum zu, dessen Grenzen allerdings bei willkürlicher Diskriminierung und Privilegierung erreicht sind (BVerfG, Beschlüsse vom 28. November 1997 – 1 BvR 324/93 – NJW-RR 1999, 134 und vom 9. Februar 1977 – 1 BvL 11/74 u.a. – BVerfGE 44, 70 ≪91≫; BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 – BVerwG 5 C 69.79 – Buchholz 430.4. Versorgungsrecht Nr. 11, S. 10). Weitere Grenzen des Gestaltungsspielraums ergeben sich, wenn sich die Ungleichbehandlung auf grundrechtlich gesicherte Freiheiten auswirkt, namentlich auf die durch die Zwangsmitgliedschaft in einem öffentlich-rechtlichen Verband eingeschränkte allgemeine Handlungsfreiheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 – 1 BvR 1237/85 – BVerfGE 89, 365 ≪376≫) oder auf den Schutz der Familie (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 – 1 BvL 51/86 u.a. – BVerfGE 87, 1 ≪36 f.≫).
Die in der Satzung vorgesehenen Ausnahmen von der Beitragspflicht halten sich im Rahmen der dem Beklagten als Satzungsgeber nach Art. 3 Abs. 1 GG eingeräumten Gestaltungsfreiheit. Die Ausnahmen betreffen ausschließlich Mitglieder, die Berufsunfähigkeits- oder Altersrente beziehen (§ 15 Abs. 8 Nr. 3 und 4, § 21 Abs. 7 Satz 2 RAVwS). Es ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht, dass sie gegenüber den aus der Beitragspflicht herausgenommenen Mitgliedern ohne hinreichenden Grund ungleich behandelt wird. Die Ausnahmen finden ihre Rechtfertigung offensichtlich darin, dass der Grund für die Beitragspflicht, die Absicherung der klassischen Versicherungsfälle der Berufsunfähigkeit und des Alters mit Eintritt des Versorgungsfalles entfällt.
e) Faktische Nachteile, die typischerweise vor allem Frauen treffen, lösen allerdings eine Pflicht nach Art. 3 Abs. 2 GG aus, auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Frauen und Männern hinzuwirken. Der Regelungsgehalt von Art. 3 Abs. 2 GG geht insoweit über die Diskriminierungsverbote nach Abs. 1 und 3 hinaus (BVerfG, Beschluss vom 28. Januar 1992, a.a.O.). Aber auch insoweit hat der Normgeber die bereits erwähnte Gestaltungsspielfreiheit, die es ausschließt, eine Pflicht zur Begründung einer beitragsfreien Mitgliedschaft anzunehmen.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Büge, Graulich, Vormeier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.01.2002 durch Klebba Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 738164 |
NVwZ 2002, 1126 |
NZA 2002, 797 |
GewArch 2002, 461 |
KammerForum 2002, 382 |