Entscheidungsstichwort (Thema)

Erklärungserwerb. Verfassungsmäßigkeit. Erklärungsfrist. Verschulden. Hindernis. Erwerbsberechtigter. Erklärungsberechtigter. Ausland. Informationspflicht. Rechtsunkenntnis. Anlaß. Zeitraum. Nacherklärungsfrist. Vertrauensschutz. Auslandsvertretung

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfall des verschuldeten Versäumnisses der Erklärungsfrist zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 (Parallelsache zum Urteil vom 24. Oktober 1995 – BVerwG 1 C 29.94 –).

 

Normenkette

RuStAÄndG Art. 3; GG Art. 3 Abs. 1; VwGO § 60 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Urteil vom 14.12.1992; Aktenzeichen 25 A 3153/91)

VG Köln (Entscheidung vom 16.07.1991; Aktenzeichen 10 K 4005/90)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 22.01.1999; Aktenzeichen 2 BvR 729/96)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger sind schweizerische Staatsbürger. Sie wurden 1970, 1973 und 1974 in der Schweiz als eheliche Kinder einer Deutschen und eines Schweizers geboren.

Durch Schreiben vom 14. April 1988 wandte sich die Mutter der Kläger an das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Genf mit der Bitte um Aufklärung, ob ihre Kinder deutsche Pässe erhalten könnten. Unter dem 20. April 1988 teilte das Generalkonsulat mit, im Jahre 1974 sei das Staatsangehörigkeitsrecht geändert worden. Danach gelte für Kinder, die zwischen dem 1. April 1954 und dem 31. Dezember 1974 geboren worden seien, Art. 3 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsänderungsgesetzes 1974. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten seien bis zum 31. Dezember 1977 befristet gewesen.

Am 6. Oktober 1988 gaben die Eltern der Kläger für diese Erklärungen über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 ab. Das Generalkonsulat leitete diese Erklärungen an die Stadt Wuppertal weiter mit dem Bemerken, die Mutter der Kläger habe glaubhaft versichert, von der Gesetzesregelung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 nichts gewußt zu haben. Die Klägerin zu 3 gab mit Schreiben vom 10. Juni 1989 eine eigene Erklärung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ab.

Das Bundesverwaltungsamt lehnte durch Bescheid vom 15. November 1989 die Anträge der Kläger ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt durch Bescheid vom 14. September 1990 zurück und führte aus, es könne nicht festgestellt werden, daß die Eltern der Kläger ohne Verschulden außerstande gewesen seien, die Erklärungsfrist einzuhalten. Bloße Rechtsunkenntnis könne nicht als unverschuldete Fristversäumung angesehen werden. Es sei in einem Land wie der Schweiz jederzeit möglich und bei bestehender Interessenlage zumutbar gewesen, sich durch die Medien über das Geschehen in der benachbarten Bundesrepublik zu informieren, so daß die Betroffenen die Möglichkeit gehabt hätten, ihren staatsangehörigkeitsrechtlichen Status in angemessener Frist zu klären.

Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage stattgegeben und festgestellt, daß die Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung erworben hätten.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 1992 das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet, da die Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Erklärung erworben hätten. Die Kläger erfüllten zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 RuStAÄndG 1974. Jedoch hätten sie die in Art. 3 Abs. 6 vorgesehene Erklärungsfrist versäumt. Die Befristung bis zum 31. Dezember 1977 begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Den Klägern, deren Erziehungsberechtigte die Drei-Jahres-Frist in einer den Klägern zurechenbaren Weise nicht eingehalten hätten, habe auch eine Nachfrist nach Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 nicht zugestanden. Die Eltern der Kläger seien nicht ohne Verschulden außerstande gewesen, die Erklärungsfrist nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 einzuhalten. Ihre fehlende Kenntnis davon, daß die Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung bis zum 31. Dezember 1977 hätten erwerben können, schließe ein Verschulden grundsätzlich nicht aus. Eine vergleichbare Regelung habe der Gesetzgeber in den Vorschriften über die im gerichtlichen oder im Verwaltungsverfahren geltenden Fristbestimmungen getroffen. Den Vorschriften der § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, § 32 Abs. 3 VwVfG liege die gesetzgeberische Bewertung zugrunde, daß der nicht über seine Rechte belehrte Betroffene von sich aus gehalten sei, nötigenfalls Rat einzuholen. Unterbleibe dies und unterlasse der Betroffene deshalb aus Unkenntnis einen ihm zustehenden Rechtsbehelf, sei es gerechtfertigt, ihn von der Wahrnehmung seiner Rechte auszuschließen. Die in Art. 3 Abs. 6 und 7 RuStAÄndG 1974 gesetzten großzügig bemessenen Fristen berücksichtigten hinreichend den Umstand, daß ein im Ausland lebender Berechtigter zusätzliche Zeit dafür benötige, von der Möglichkeit der Rechtsausübung Kenntnis zu erlangen und sich über die vorzunehmenden Schritte zu vergewissern. Allein der Umstand, daß ein Berechtigter im Ausland lebe und deshalb keine Informationen über die Rechtsänderung erhalten haben wolle, könne nicht entschuldigend wirken. Im Falle der Kläger hätte es lediglich der Kontaktaufnahme mit dem Generalkonsulat bedurft, um innerhalb der nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 vorgegebenen Drei-Jahres-Frist Kenntnis über die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zu erlangen. Der Umstand, daß die Kläger und ihre Eltern in dem „französisch geprägten” Teil der Schweiz gelebt hätten und deutschsprachige Medien vor Ort nicht präsent gewesen seien, könne demnach nicht zur Annahme führen, daß die Eltern der Kläger keine Möglichkeit gehabt hätten, sich über die Rechtsentwicklung in Deutschland auf dem laufenden zu halten. Das Verschulden ihrer Eltern, die sich vor dem Jahre 1988 nicht über die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit informiert hätten und so den ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen seien, hätten sich die Kläger nach der – verfassungsrechtlich unbedenklichen – Vertretungsregelung des Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 zurechnen zu lassen.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vom Senat zugelassenen Revision. Sie machen im wesentlichen geltend: Das Berufungsgericht habe den Begriff des „Verschuldens” in Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 in einer mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise ausgelegt. Verfassungsrechtlich unbedenklich sei allein eine Auslegung des Verschuldensbegriffes, die ein unverschuldetes Hindernis auch für denjenigen Erklärungsberechtigten anerkenne, der die gesetzlichen Regelungen des Art. 3 RuStAÄndG 1974 weder kannte noch kennen mußte. Den Erklärungsberechtigten, denen bis zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Mai 1974 (BVerfGE 37, 217) verfassungswidrig die deutsche Staatsangehörigkeit vorenthalten worden sei, stehe ein Anspruch auf uneingeschränkten Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu. Sie hätten in die Lage versetzt werden müssen, nunmehr eigenverantwortlich und aus ihrem Willen entscheiden zu können, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollten oder nicht. Tatsächlich entscheiden könne regelmäßig jedoch nur derjenige, der überhaupt Kenntnis von der ihm eingeräumten Entscheidungsmöglichkeit habe. Bei im Ausland lebenden Erklärungsberechtigten könne diese Kenntnis nicht – wie bei Inländern – ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der zugrundeliegenden Norm im Bundesgesetzblatt fingiert werden. Den im Ausland Lebenden könne aus der Nichtkenntnis einer Norm lediglich dann ein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn sie die Norm „gekannt haben mußten”. Eine Obliegenheit, sich als im Ausland Lebender fortlaufend über aktuelle Rechtsänderungen auf dem Gebiet des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts informiert zu halten, existiere jedoch nicht. Wolle man eine derartige Obliegenheit konstruieren, werde der ehedem verfassungswidrige Zustand, daß deutsche Väter im Gegensatz zu deutschen Müttern allein iure sanguinis und damit ohne Obliegenheitserfüllung ihre deutsche Staatsangehörigkeit weitergeben konnten, nicht restituiert, sondern perpetuiert. Von deutschen Müttern könne daher nach dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot nicht verlangt werden, daß sie – wie vom Berufungsgericht gefordert – von sich aus innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren Nachfrage bei deutschen Behörden über aktuelle Änderungen des Staatsangehörigkeitsrechts halten, wenn deutsche Väter derartige Obliegenheiten nicht zu erfüllen hätten.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1992 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 16. Juli 1991 zurückzuweisen, und zwar mit der Maßgabe, daß die Beklagte auch verpflichtet wird, den Klägern jeweils eine Urkunde zum Nachweis des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit auszustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

Der Oberbundesanwalt tritt ebenfalls der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend einen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch die Kläger verneint.

1. Die Kläger haben die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt erworben. Sie wurden in den Jahren 1970, 1973 und 1974 ehelich geboren. Nach der seinerzeit geltenden Fassung des § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG erwarb das eheliche Kind eines Deutschen die Staatsangehörigkeit des Vaters. Der Vater der Kläger ist nicht deutscher Staatsangehöriger; auf die Staatsangehörigkeit der Mutter der Kläger kam es nicht an.

§ 4 RuStAG a.F. war zwar seit dem 1. April 1953 mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung unvereinbar (Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Art. 117 Abs. 1 GG). Dies führte indes nicht dazu, daß auch eheliche Kinder deutscher Mütter automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erwarben, sondern verpflichtete lediglich den Gesetzgeber, diesem Personenkreis einen Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu eröffnen (BVerfGE 37, 217). Dementsprechend hat das Gesetz zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 20. Dezember 1974 (BGBl I S. 3714) – RuStAÄndG 1974 – mit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1975 (Art. 6 RuStAÄndG 1974) § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG dahingehend geändert, daß die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben wird, wenn ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Für die in der Zeit vom 1. April 1953 bis 31. Dezember 1974 geborenen Kinder einer deutschen Mutter sieht Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch besondere Erklärung vor. Nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 kann das Erklärungsrecht grundsätzlich nur bis zum Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes, also bis zum 31. Dezember 1977 ausgeübt werden.

2. Gegen diese Optionslösung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken aus Art. 3 GG. Zwar ist nur bei zwischen 1. April 1953 und 31. Dezember 1974 geborenen Kindern deutscher Mütter eine besondere Erklärung über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich, während demgegenüber in dieser Zeit geborene Kinder deutscher Väter die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch erworben haben. Das Bundesverfassungsgericht hat aber unter Berücksichtigung des Vertrauens der Beteiligten auf die bisherige Rechtslage eine Optionsregelung, wie sie in Art. 3 RuStAÄndG 1974 erfolgt ist, für zulässig erklärt (BVerfG a.a.O., S. 264). Wenn es an anderer Stelle betont, daß die bis dahin vom Staatsangehörigkeitserwerb ex lege ausgeschlossenen ehelichen Kinder deutscher Mütter die deutsche Staatsangehörigkeit „uneingeschränkt” erhalten können müssen und nicht entscheidend sein könne, ob die betroffenen Personen sich aus Rechtsunkenntnis oder aus welchen Gründen auch immer mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit abgefunden hätten (BVerfG a.a.O., S. 263, 264), bezieht sich dies nur auf die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte und auf die bei der Einbürgerung üblichen materiellen Erwerbsvoraussetzungen wie z.B. eine Sicherheitsklausel oder die Gewährleistung des Lebensunterhalts, nicht aber auf die Notwendigkeit einer besonderen Erklärung und die Zulässigkeit einer angemessenen Erklärungsfrist.

Die mit drei Jahren nicht zu kurz bemessene Erklärungsfrist, die sich noch verlängert, wenn sie ohne Verschulden nicht eingehalten wird, steht im Einklang mit dem Grundgesetz. Sie folgt aus der Notwendigkeit, die staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse, die sich für die Vergangenheit aus dem Fehlen einer mit dem Grundgesetz vereinbaren gesetzlichen Regelung des Staatsangehörigkeitserwerbs für die Betroffenen ergab, alsbald zu klären (BVerwGE 75, 86 ≪91≫; 84, 93 ≪99≫) und damit Rechtssicherheit zu gewährleisten.

3. Für einen noch nicht 18 Jahre alten Erwerbsberechtigten wird gemäß Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 die Erwerbserklärung durch den Inhaber des Personensorgerechts und mit Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts u.a. durch den nicht vertretungsberechtigten Elternteil abgegeben. Diese sind an die Erklärungsfrist des Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 gebunden.

a) Die Vollendung des 18. Lebensjahres durch den Erwerbsberechtigten verlängert die Erklärungsfrist nicht und setzt sie auch nicht neu in Gang. Dies ergibt sich nicht nur zwangsläufig aus dem Hinweis auf den „Erklärungsberechtigten” in Art. 3 Abs. 7 Satz 2 RuStAÄndG 1974 in Verbindung mit der in Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 getroffenen abschließenden Vertretungsregelung, sondern auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes: Der Gesetzgeber sah angesichts der umfassenden Vertretungsregelung und angesichts der zusätzlich bestehenden Möglichkeit einer erleichterten Einbürgerung keinen Grund, bei Minderjährigen eine abweichende Regelung zur Erklärungsfrist zu treffen, diese Frist insbesondere erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres laufen zu lassen (BTDrucks 7/2175 S. 14 zu Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974).

b) Auch insoweit bestehen gegen die getroffene Regelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Löwer (FamRZ 1992, 23 ≪30≫) sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß gemäß § 19 Abs. 1 RuStAG die Entlassung des von einem deutschen Vater abstammenden Minderjährigen aus der deutschen Staatsangehörigkeit grundsätzlich neben dem Antrag des gesetzlichen Vertreters der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedarf, während die Ausübung des Optionsrechts für den von einer deutschen Mutter gemäß § 4 RuStAG a.F. abstammenden Minderjährigen allein dem oder den gesetzlichen Vertreter(n) obliegen soll. Optionsrecht und Entlassung betreffen unterschiedliche Ausgangslagen und gebieten daher nicht in gleicher Weise eine Beteiligung des Vormundschaftsgerichts und schon gar nicht als Ersatz ein neues Erklärungsrecht des Betroffenen nach Vollendung des 18. Lebensjahres.

bb) Das Selbstbestimmungsrecht des minderjährigen Betroffenen als Ausfluß seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG reicht nicht so weit, daß stets nach Vollendung des 18. Lebensjahres ein neues Erklärungsrecht des Betroffenen geboten ist, wenn es nicht von seinen Vertretungsberechtigten wahrgenommen worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ein eigenes Entscheidungsrecht des volljährig gewordenen Minderjährigen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nur unter engen Voraussetzungen, z.B. bei einer durch die Erklärung der Vertretungsberechtigten begründeten uneingeschränkten finanziellen Belastung aus ererbtem Vermögen, bejaht (BVerfGE 72, 155 ≪172 f.≫). Diese Erwägungen lassen sich auf den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von Kindern nicht übertragen. So ist nach § 19 Abs. 2 RuStAG eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts entbehrlich, wenn die vertretungsberechtigten Eltern zugleich mit der Entlassung des Kindes auch die eigene Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit beantragen.

c) Im vorliegenden Fall ist für die Kläger eine Erklärung, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, nicht bis zum 31. Dezember 1977 abgegeben und damit die Erklärungsfrist nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 versäumt worden.

4. Bei Versäumung der Erklärungsfrist eröffnet Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 unter bestimmten Voraussetzungen eine Nacherklärungsfrist. Wenn der Erklärungsberechtigte ohne Verschulden außerstande war, die Erklärungsfrist einzuhalten, kann die Erklärung noch bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Fortfall des Hindernisses abgegeben werden. Eine entsprechende Regelung findet sich nicht nur in der Bestimmung des § 19 Abs. 1 StARegG über die Verlängerung der Ausschlagungsfrist bei sonst automatischem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit, sondern auch in den Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, § 32 VwVfG, § 60 VwGO, § 233 ZPO, § 22 FGG. Es kann daher auf die zu diesen Vorschriften vorliegende Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden.

a) Der Oberbundesanwalt vertritt unter Hinweis auf Art. 3 Abs. 7 Satz 2 RuStAÄndG 1974 die Auffassung, daß nur Beeinträchtigungen von beträchtlichem Gewicht, denen sich der Betroffene praktisch nicht entziehen könne, die Nacherklärungsfrist eröffneten. Entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis müsse es dem Betroffenen objektiv unmöglich gewesen sein, Kenntnis von der Rechtslage zu erlangen. Diese Situation sei nur bei Staaten mit einem totalitären Regime anzuerkennen, nicht bei „westlichen Staaten”. Der Regelung des Art. 3 Abs. 7 Satz 2 RuStAÄndG 1974 liegt demgegenüber ein subjektiver Maßstab zugrunde. „Hindernis” ist der zuvor in der Bestimmung umschriebene Tatbestand, ohne Verschulden außerstande zu sein, die Erklärungsfrist einzuhalten. Das Hindernis ist weggefallen, „wenn der Verfahrensbeteiligte nicht mehr ohne Verschulden an der Vornahme der versäumten Rechtshandlung gehindert ist” (so z.B. zu § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, Urteil vom 20. Juni 1995 – BVerwG 1 C 38.93 – UA S. 5). Es kommt mithin auf den Zeitpunkt an, zu dem die Rechtsunkenntnis des Erklärungsberechtigten nicht mehr unverschuldet ist.

b) Verschuldet ist eine Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten läßt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (Urteil vom 8. März 1983 – BVerwG 1 C 34.80 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 129, S. 22; Urteil vom 20. Juni 1995 – BVerwG 1 C 38.93 –). Im Falle einer Fristversäumnis ist allgemein anerkannt, daß Rechtsirrtum und Unkenntnis des Gesetzes das Verschulden grundsätzlich nicht ausschließen und daher keinen Wiedereinsetzungsgrund bilden; nur bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall kommt eine abweichende Beurteilung in Betracht (Urteil vom 22. Februar 1966 – BVerwG 3 C 249.64 – DVBl 1966, 692; BGHZ 42, 223 ≪229≫; BayVerfGH BayVBl 1987, 314). Wer mit den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht vertraut ist, hat sich zu erkundigen, anderenfalls trifft ihn an der Rechtsunkenntnis grundsätzlich ein Verschulden.

c) Diese Grundsätze gelten auch für Ausländer und im Ausland wohnende Personen (OLG Frankfurt MDR 1953, 116). Die Rechtsprechung hat sie namentlich in Wiedergutmachungssachen bei im Ausland lebenden Anspruchsberechtigten anerkannt (OLG Bremen NJW-RzW 1960, 427; KG NJW-RzW 1968, 352). Im Staatsangehörigkeitsrecht ist für die Ausschlagungsfrist ebenfalls davon auszugehen, daß bloße Unkenntnis der Rechtslage das Verschulden grundsätzlich nicht ausschließt (Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 10. Lieferung 1993, § 19 StARegG Rn. 4; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 1991, § 19 StARegG Rn. 3). Ausländer und im Ausland lebende Personen haben sich bei gegebenem Anlaß über die Rechtslage nach deutschem Recht zu informieren. Für die Annahme oder Verneinung eines Verschuldens der Betroffenen entscheidend ist danach, ob diese sich – etwa durch Einholung einer Auskunft bei der deutschen Auslandsvertretung oder einer sonst rechtskundigen Stelle – die erforderliche Rechtskenntnis verschaffen können. Sie können sich nicht darauf verlassen, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Auslandsvertretungen oder auf andere Weise allgemein über die Möglichkeiten zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit informiert und ihrerseits dafür Sorge trägt, daß diese Informationen die Betroffenen erreichen und erreichen können.

Ein Verschulden entfällt, wenn eine sachgerechte Auskunft nicht eingeholt werden kann, eine falsche Auskunft erteilt wird oder der Betroffene sich sonst in einem entschuldbaren Rechts- oder Tatsachenirrtum befindet, z.B. die Abstammung von einem deutschen Elternteil oder dessen Staatsangehörigkeit nicht bekannt ist. Weiterhin scheidet ein Verschulden aus, wenn die Beteiligten auf die Rechtslage berechtigt vertraut haben (BVerfGE 37, 217 ≪263≫), insbesondere wenn sie weiter von der inzwischen überholten Rechtslage nach § 4 Abs. 1 RuStAG a.F. ausgingen und ausgehen durften. Ein schutzwürdiges Vertrauen setzt allerdings voraus, daß sie sich in geeigneter Weise über die Rechtslage informiert haben.

d) Dem kann nicht entgegengehalten werden, es könne von den Betroffenen nicht verlangt werden, sich um eine Angelegenheit zu kümmern, von der sie überhaupt nichts wüßten. Es trifft zwar zu, daß die Ausgangslage bei einer Rechtsbehelfsfrist zumeist eine andere ist als bei der Erklärungsfrist nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974. Zu Beginn einer Rechtsbehelfsfrist erhält der Betroffene in der Regel einen Bescheid der Behörde. Dieser ist häufig Anlaß für ihn, sich zu überlegen, ob und wie er dagegen vorgehen will. Er wird daher die Initiative ergreifen, Rechtsrat über die Form und die Erfolgsaussicht etwaiger Rechtsbehelfe einholen und diese selbst oder durch einen rechtskundigen (Verfahrens) bevollmächtigten einlegen. Die Erklärungsfrist zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beruht demgegenüber allein auf einer gesetzlichen Regelung, die zwar im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist, von der der Betroffene aber häufig nichts erfährt. Es besteht für ihn, namentlich wenn er im Ausland lebt, in der Regel kein Anlaß, sich um Fragen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts zu kümmern. Etwas anderes muß aber dann gelten, wenn der Betroffene aus einer gemischt-nationalen Ehe mit einem deutschen Elternteil stammt. Bereits dieser Umstand legt eine Klärung seiner staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse nahe und bietet daher für den Erklärungsberechtigten hinreichend Anlaß, sich bereits bei oder in angemessener Zeit nach der Geburt des Betroffenen über dessen deutsche Staatsangehörigkeit oder Möglichkeiten zu ihrem Erwerb Gedanken zu machen und soweit erforderlich Rechtsauskünfte einzuholen. Anlaß dazu besteht also nicht erst, wenn ein konkretes Interesse an Vorteilen aus dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit entsteht. Es kommt daher nicht darauf an, ob und wie lange bei einer gemischt-nationalen Ehe das Familienleben an der Heimat des ausländischen Vaters orientiert ist und diese Situation sich durch Reisen nach Deutschland mit den damit verbundenen Einreiseformalitäten oder dem Wunsch nach einer beruflichen Ausbildung und Tätigkeit in Deutschland geändert hat.

e) Auch der Einwand, der Gesetzgeber habe dem Betroffenen mit der in Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 getroffenen Regelung eine „Überlegungsfrist” einräumen wollen (Löwer a.a.O., S. 26 im Anschluß an die Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 7/2175 S. 14 zu Abs. 6), führt angesichts der an Wiedereinsetzungsbestimmungen orientierten Vorschrift des Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 nicht zu dem Ergebnis, daß Rechtsunkenntnis ohne Rücksicht auf Verschulden eine Fristversäumnis ausschließt.

f) Der noch nicht volljährige Erklärungsberechtigte hat sich das Verschulden des für ihn nach Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 Erklärungsberechtigten zurechnen zu lassen. Dabei kommt es nicht nur auf das Verschulden des personensorgeberechtigten Elternteils, sondern im Hinblick auf die in Art. 3 Abs. 5 Satz 2 RuStAÄndG 1974 dem nicht vertretungsberechtigten Elternteil eingeräumte selbständige Erklärungsbefugnis auch auf dessen Verschulden an.

Allerdings führt nicht bereits das Verschulden eines Elternteils an der Fristversäumnis zum Verlust der Erwerbsmöglichkeit für den Betroffenen. Vielmehr kommt diesem umgekehrt das fehlende Verschulden nur eines Elternteils zugute (so auch Makarov/v. Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, 10. Lieferung 1993, Art. 3 RuStAÄndG 1974 Rn. 45; VGH Kassel EZAR 275 Nr. 3). Dies gebietet der der Regelung zugrundeliegende Minderjährigenschutz. Besteht aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschrift wie hier in Art. 3 Abs. 5 Satz 1 und 2 RuStAÄndG 1974 eine selbständige Befugnis jedes, auch des nicht personensorgeberechtigten Elternteils, für den Betroffenen rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben, muß zwangsläufig das fehlende Verschulden eines von ihnen bei der Fristversäumung die Vergünstigung der Nacherklärungsfrist auslösen. Insbesondere dann, wenn ein Elternteil bewußt die Erklärungsfrist versäumt, etwa weil er den Staatsangehörigkeitserwerb seines Kindes nicht will, verbleibt dem anderen Elternteil nach dem Gesetz die Möglichkeit, die Erklärung gleichwohl abzugeben. Dann ist ihm aber bei Schuldlosigkeit auch die Nacherklärungsfrist einzuräumen.

g) Unter Zugrundelegung der vorstehenden Kriterien ergibt sich, daß die Eltern der Kläger die Versäumung der Erklärungsfrist verschuldet haben, so daß ihnen eine Nacherklärungsfrist gemäß Art. 3 Abs. 7 Satz 1 RuStAÄndG 1974 nicht zusteht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatten sie von der in Art. 3 RuStAÄndG 1974 getroffenen Regelung, insbesondere von der Erklärungsfrist, keine Kenntnis. Weiterhin ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, daß sie bis zum 31. Dezember 1977 nicht die erforderlichen Rechtsauskünfte hinsichtlich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verhältnisse der Kläger eingeholt hatten. Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, daß bei Geburt der Kläger in den Jahren 1970, 1973 und 1974 die in Art. 3 RuStAÄndG 1974 getroffene Regelung noch nicht galt und daher auch von den Eltern der Kläger nicht in Erfahrung gebracht werden konnte. Denn die Obliegenheit bestand fort, solange die Eltern der Kläger untätig blieben; diese Untätigkeit gereicht den Eltern der Kläger zum Verschulden.

Dies gilt zunächst für die Mutter der Kläger. Offenbleiben kann, ob sie sich über deren staatsangehörigkeitsrechtliche Verhältnisse bis zum 31. Dezember 1977 Gedanken gemacht hat. Insoweit ist ihr Vorbringen nicht eindeutig. Einerseits hat sie im Berufungsverfahren vorgetragen, sie habe erst Anfang 1988 davon erfahren, daß ihre Kinder „eigentlich auch Deutsche” seien (Schriftsatz vom 18. Oktober 1990, S. 17). Andererseits sei es für sie – ihrem Schreiben vom 5. Oktober 1988 an das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland zufolge – selbstverständlich gewesen, daß sie als deutsche Mutter ihren Kindern ihre Staatsangehörigkeit habe weitergeben können.

Jedenfalls hätte die Mutter der Kläger die erforderlichen Erkundigungen nach der Rechtslage vor Ablauf der Erklärungsfrist des Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 ohne weiteres anstellen können. Insoweit hätte es lediglich der Kontaktaufnahme mit dem Generalkonsulat in Genf bedurft. Es kommt nicht darauf an, ob deutschsprachige Medien mit Informationen über die Rechtslage in dem im französischsprachigen Teil der Schweiz gelegenen Wohnort der Kläger zur Verfügung standen. Weiter ist ohne Bedeutung, ob und inwieweit die Bundesrepublik Deutschland über ihre Auslandsvertretungen in der Schweiz deutsche Vereinigungen, Schulen und sonstige Institutionen über die Rechtslage unterrichtet hat.

Den Vater der Kläger trifft ebenfalls ein Verschulden an der Unkenntnis der Rechtslage. Er wußte, daß seine Kinder von einer deutschen Mutter abstammten. Er hatte daher Anlaß, sich über ihre Staatsangehörigkeit sowie die Möglichkeiten zu ihrem Erwerb zu informieren. Auch er hätte eine entsprechende Auskunft ohne weiteres einholen können.

Auf einen durch falsche Informationen begründeten Vertrauensschutz ihrer Eltern haben sich die Kläger nicht berufen. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Meyer, Gielen, Kemper, Mallmann, Hahn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1603320

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