Entscheidungsstichwort (Thema)
Willkürverbot. finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden. Nivellierungsverbot beim Finanzausgleich. aufgabenadäquate Finanzausstattung der Gemeinde. Gemeindeanteil an der Einkommensteuer. Realsteueraufkommen der Gemeinden. Begriff „Umlage”. horizontale Umlage. Erhebung durch das Land. interkommunaler Finanzausgleich. Gemeindeanteil am Länderanteil an den Gemeinschaftssteuern. Vertrauen des Landesgesetzgebers auf Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts. Festsetzung fiktiver Realsteuerhebesätze im Gemeindefinanzierungsrecht. gemeindlicher Solidarbeitrag in Nordrhein-Westfalen. deutsche Einheit. Kosten der Wiedervereinigung
Leitsatz (amtlich)
Die Erhebung des kommunalen Solidarbeitrags nach dem Solidarbeitragsgesetz 1992 für das Land Nordrhein-Westfalen ist verfassungsgemäß.
Umlagen nach Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG dürfen für Zwecke des interkommunalen Finanzausgleichs erhoben werden.
Ein Solidarbeitrag, der die gleichmäßige Verteilung der wiedervereinigungsbedingten, anderweitig entstandenen Einnahmeverluste unter den Gemeinden eines Landes nach deren Finanzkraft zum Ziel hat, ist eine derartige, gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG zulässige „horizontale” Umlage; der damit verfolgte Zweck ist sachgerecht.
Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung und damit eine aufgabenadäquate Finanzausstattung der Gemeinden; er verbietet i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG die Nivellierung unterschiedlicher Finanzverhältnisse durch interkommunale Umlagen.
Die Festsetzung unterschiedlicher fiktiver Hebesätze für die Bemessung des Realsteueraufkommens bei Gemeinden bis zu und mit mehr als 150.000 Einwohnern in § 8 GFG 1992 (NW) begegnet im Hinblick auf das interkommunale Gleichbehandlungsgebot zwar verfassungsrechtlichen Bedenken, ist aber für das Jahr 1992 verfassungsrechtlich noch hinzunehmen (wie VerfGH NW, OVGE 43, 252 = NVwZ 1994, 68).
Der Landesgesetzgeber darf grundsätzlich auf eine die Willkürlichkeit einer inhaltsgleichen früheren Norm verneinende Entscheidung seines Landesverfassungsgerichts vertrauen. Dies kann dazu führen, daß eine Norm noch nicht nichtig ist, der Gesetzgeber jedoch verpflichtet ist, sich um eine sachgerechte Lösung zu bemühen, die einen Verstoß gegen Art. 3 GG für die Zukunft ausschließt.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 2 S. 3, Art. 106 Abs. 5, 7; SBG 1992 (NW) §§ 3, 5; GFG 1992 (NW) § 8
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 18.03.1997; Aktenzeichen 15 A 6241/95) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 18.08.1995; Aktenzeichen 1 K 3381/93) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. März 1997 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Klägerin gehörte im Haushaltsjahr 1992 zu den sogenannten abundanten Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen, d.h., ihr wurden für das Haushaltsjahr 1992 aufgrund ihrer Finanzkraft keine Schlüsselzuweisungen nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz 1992 des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1991 (GV NW S. 577) – GFG 1992 – zugewiesen. Dies setzte die Beklagte mit Verfügung vom 22. Januar 1992 fest. Darüber hinaus setzte sie eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 2.610.331 DM aufgrund des Solidarbeitragsgesetzes 1992 des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1991 (GV NW S. 585) – SBG 1992 – fest. Den gegen die Festsetzung des Solidarbeitrags gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 1993 zurück.
Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. August 1995 abgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 18. März 1997 die Berufung zurückgewiesen und seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die angefochtene Festsetzung des Solidarbeitrags, gegen dessen Berechnung Mängel nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich seien, beruhe auf einer wirksamen Rechtsgrundlage.
Das SBG 1992 habe materiell nicht gegen die bundesverfassungsrechtlich geregelte Zuweisung eines Anteils des Aufkommens der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 Satz 1 GG) und des Aufkommens der Realsteuern (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG) an die Gemeinden verstoßen. Denn der Solidarbeitrag sei eine – nach Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG zulässige – vom Land erhobene zwischengemeindliche Finanzausgleichsumlage. Dem Grundgesetz könne weder entnommen werden, daß vom Begriff der Umlage im Sinne des Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG Leistungen der Gemeinden an das Land ausgeschlossen wären, noch daß der Zweck von Umlagen allein die Finanzierung höherer Gemeindeverbände sein könne. Das Grundgesetz verbiete zwar den Ländern, einen Teil des Finanzbedarfs für die Erfüllung ihrer staatlichen Aufgaben im Wege einer Umlage bei den Gemeinden zu decken. Darum gehe es hier aber nicht. Beim Solidarbeitrag habe es sich vielmehr um eine zwischengemeindliche Finanzausgleichsumlage zum Ausgleich einigungsbedingter Einnahmeausfälle bei den Gemeinden gehandelt. Das Land habe lediglich als Abwicklungsstelle gedient. Das Aufkommen aus der Umlage sei im kommunalen Raum verblieben bzw. in diesen zurückgeflossen. Mit dem Solidarbeitrag sei der Landeshaushalt auch nicht mittelbar finanziert worden. Hiervon könnte nur gesprochen werden, wenn das Land verpflichtet gewesen wäre, gemeindliche Einnahmeausfälle, die über den Solidarbeitrag ausgeglichen worden seien, selbst auszugleichen. Eine solche Pflicht habe aber nicht bestanden. Der Landesgesetzgeber sei vielmehr nur verpflichtet gewesen, die verfassungsrechtlich aus der Selbstverwaltungsgarantie gebotene angemessene Finanzausstattung zu sichern. Diese sei gesichert gewesen.
Auch habe die bundesrechtlich geregelte Individualverteilung des gemeindlichen Anteils an der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 GG in Verbindung mit dem dazu ergangenen Gemeindefinanzreformgesetz) der Erhebung des Solidarbeitrags nicht entgegengestanden. Denn diese Bestimmungen schlössen einen zwischengemeindlichen Finanzausgleich durch den Landesgesetzgeber nicht aus. Gleiches gelte, wenn man in der Realsteuergarantie des Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG eine individuelle Zuweisung des Steueraufkommens an die einzelne Gemeinde sehen sollte. Des weiteren liege auch kein Verstoß gegen das beim zwischengemeindlichen Finanzausgleich zu beachtende Nivellierungsverbot vor. Die Solidarbeitragsregelung habe schließlich nicht gegen das Willkürverbot verstoßen. Unter anderem liege keine willkürliche Gleichbehandlung der sogenannten abundanten Gemeinden, wie der Klägerin, mit den schlüsselzuweisungsberechtigten Gemeinden vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, die beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. März 1997 und des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. August 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1992 hinsichtlich der Festsetzung des Solidarbeitrags und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 23. März 1993 aufzuheben.
Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des § 5 SBG 1992 einzuholen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Bescheid über den Solidarbeitrag, gegen dessen Berechnung Mängel nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich sind, ist nicht deshalb rechtswidrig, weil er auf einer wegen Verstoßes gegen Bestimmungen des Grundgesetzes unwirksamen Rechtsgrundlage beruht. Vielmehr sind die Bestimmungen des Solidarbeitragsgesetzes 1992 des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1991 (GV NW S. 585) – SBG 1992 – und die Bestimmungen des Gemeindefinanzierungsgesetzes 1992 des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Dezember 1991 (GV NW S. 577) – GFG 1992 –, soweit das SBG 1992 ausdrücklich auf sie verweist, mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Das SBG 1992 wurde – nach den Feststellungen des Berufungsurteils – aus folgendem Anlaß erlassen: Infolge gesetzlicher Regelungen im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung waren die Umsatzsteuereinnahmen des Landes um ca. 2,5 Milliarden DM gesunken. An diesen Mindereinnahmen wollte der Landesgesetzgeber die Gemeinden in Höhe des 44 %igen Gemeindeanteils am Gesamtsteueraufkommen des Landes mit ca. 1,1 Milliarden DM beteiligen. Die tatsächliche Entlastung des Landeshaushalts um diesen Betrag erfolgte auf zwei Wegen: Zum einen war bundesrechtlich die Gewerbesteuerumlage (Art. 106 Abs. 6 Sätze 4 und 5 GG) zugunsten des Landes erhöht worden (§ 6 Abs. 2 a Gemeindefinanzreformgesetz ≪BGBl 1990 II, S. 518≫). Zum anderen erhielten die Gemeinden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch das GFG 1992 geringere Zuwendungen.
Als problematisch an dieser Lösung wurde vom Landesgesetzgeber angesehen, daß der so eingesparte „kommunale Solidarbeitrag” in sehr unterschiedlichem Maße von den Gemeinden getragen wurde, nämlich am stärksten von den Gemeinden, die wegen ihrer geringen Finanzkraft auf hohe Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich angewiesen waren und am wenigstens von Gemeinden mit hoher Finanzkraft, die deshalb keine Mittel aus dem allgemeinen Steuerverbund erhielten. Diese Gemeinden waren an den vom Land als ausgleichsbedürftig angesehenen Einnahmeausfällen allein mit der erhöhten Gewerbesteuerumlage beteiligt. Aus diesem Grunde wurde parallel zum Gemeindefinanzierungsgesetz 1992 das Solidarbeitragsgesetz 1992 erlassen, das im wesentlichen folgendes regelte: Der gemeindliche Solidarbeitrag von ca. 1,1 Milliarden DM wurde auf die Gemeinden nach ihrer Finanzkraft verteilt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 SBG 1992). Die Finanzkraft ergab sich unter anderem aus der mit fiktiven Hebesätzen ermittelten Steuerkraftmeßzahl (§ 8 GFG 1992, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 SBG 1992). Die Leistungen aus der erhöhten Gewerbesteuerumlage wurden davon abgezogen (§ 3 Abs. 1 Satz 3 SBG 1992). In einem Vergleichsrechenschritt wurde sodann festgestellt, welche Schlüsselzuweisungen nach dem GFG 1992 die einzelnen Gemeinden erhalten hätten, wenn die insgesamt zu verteilende Schlüsselmasse um den gemeindlichen Solidarbeitrag – abzüglich der Leistungen aus der erhöhten Gewerbesteuerumlage – erhöht worden wäre. Die Differenz zwischen diesem Betrag und der tatsächlich erhaltenen Schlüsselzuweisung stellte das dar, was die einzelne Gemeinde – neben der erhöhten Gewerbesteuerumlage – bereits an Mindereinnahmen erlitten hatte (§ 3 Abs. 2 SBG 1992). Dieser Betrag wurde von dem um die Gewerbesteuerumlage bereinigten individuellen Solidarbeitrag abgezogen (§ 3 Abs. 3 SBG 1992), so daß sich daraus der – positive oder negative – Betrag ergab, der zu viel oder zu wenig auf den individuellen Solidarbeitrag geleistet worden war. Dieser Betrag wiederum war mit Ansprüchen aus dem GFG 1992 zu verrechnen (§ 5 Satz 1 SBG 1992). Soweit – wie im Falle der Klägerin – eine überschießende Zahlungsverpflichtung übrig blieb, war diese an die Landeskasse zu leisten.
2. Das SBG 1992 regelt – wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – die Erhebung einer nach Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG zulässigen Umlage. Danach können die Realsteuern und der Gemeindeanteil vom Aufkommen der Einkommensteuer durch Landesgesetz als Bemessungsgrundlage für Umlagen zugrunde gelegt werden. Beide Voraussetzungen liegen hier vor. Der gemeindliche Solidarbeitrag wird unter anderem nach der Steuerkraftmeßzahl auf die Gemeinden verteilt (§ 3 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SBG 1992). Der Steuerkraftmeßzahl ihrerseits liegen das – nivellierte – Gewerbe- und Grundsteueraufkommen, also das Realsteueraufkommen, sowie der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zugrunde (§ 8 GFG 1992).
Auch handelt es sich beim Solidarbeitrag um eine Umlage. Das Grundgesetz definiert den Begriff der „Umlage” nicht, sondern setzt ihn – ohne normative Vorgaben – in Art. 106 Abs. 6 GG voraus (BVerfGE 83, 363 ≪389, 391≫). Herkömmlich versteht man – im System des Finanzausgleichs zwischen Staat und Kommunen sowie zwischen Gemeindeverbänden und Gemeinden – unter Umlagen Finanzierungslasten, die öffentlichen Gebietskörperschaften von einer anderen öffentlichen Gebietskörperschaft regelmäßig höherer Ordnung auferlegt werden (vgl. BVerfGE 83, 363 ≪389≫). Der streitige Solidarbeitrag stellt eine solche Finanzierungslast dar. Das mit ihm erzielte Aufkommen fließt – wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat (BVerfGE 83, 363 ≪389 f.≫) – „jenseits des eigentlichen Umlagevorgangs den umlagepflichtigen Körperschaften” (hier: den Gemeinden) „in anderer Verteilung wieder zu”. Ein derartiger horizontaler Finanzausgleich – der bereits in der amtlichen Überschrift des Solidarbeitragsgesetzes 1992 zum Ausdruck kommt – beläßt das Beitragsaufkommen im kommunalen Raum; daß die Zahlungen der Klägerin anderen Gemeinden und nicht ihren eigenen Bürgern zugute kommen, ist – wie das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die „andere Verteilung” der Finanzmittel hervorgehoben hat – ein Wesensmerkmal solcher Ausgleichsumlagen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß der Solidarbeitrag gemäß § 5 SBG 1992 durch das Land erhoben wird. Denn die umlageerhebende Körperschaft ist bei einer derartigen redistributiven Umlage lediglich „Veranstalter der horizontalen Umverteilung” (BVerfGE 83, 363 ≪390≫), nicht aber ihr unmittelbarer Nutznießer. Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG steht der in dieser Form geregelten Erhebung einer horizontalen Umlage durch das Land ebensowenig entgegen, wie der Umstand, daß sie weder von Gemeindeverbänden erhoben wird noch solchen zugute kommt. Normative Vorgaben legt Art. 106 Abs. 6 GG insoweit nicht fest (BVerfGE 83, 363 ≪391≫). Das wird durch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift bestätigt. Die ursprünglich vorgesehene ausdrückliche Erwähnung der Gemeindeverbände wurde auf Betreiben der Länder gestrichen, um den Gegenschluß zu vermeiden, nur die Gemeindeverbände dürften Umlagen erheben. Gerade Umlagen, die von den Ländern zu zulässigen Zwecken veranstaltet werden, sollten unberührt bleiben (BVerfGE 83, 363 ≪392≫ m.w.N.).
Die Umlage dient im vorliegenden Fall einem zulässigen Zweck. Unmittelbares Ziel des streitigen Solidarbeitrags ist, die den Gemeinden in ihrer Gesamtheit entstandenen Einnahmeausfälle auf die einzelnen Gemeinden nach deren Finanzkraft gleichmäßig zu verteilen und damit übermäßige Belastungen finanzschwacher Gemeinden zu beseitigen. Da horizontale Umlagen für einen allgemeinen oder für einen besonderen Zweck erhoben werden dürfen (BVerfGE 83, 363 ≪390≫), ist der Ausgleich ungleicher Belastungen als mittelbare Folgen der Wiedervereinigung sachgerecht. Der Landesgesetzgeber konnte – gemeindefinanzierungsrechtlich – die Gemeinden in ihrer Gesamtheit an den Lasten der Wiedervereinigung im Verhältnis des Gemeindeanteils zum Landesanteil am Gesamtsteueraufkommen des Landes beteiligen. Denn die Wiedervereinigung war ein den Gesamtstaat erfassender Vorgang, der u.a. auch dessen Finanzlage grundlegend umgestaltete und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder schwächte. Die infolge der Wiederherstellung der Deutschen Einheit entstandenen Mindereinnahmen des Landes waren ursächlich für die vom Landesgesetzgeber im GFG 1992 und im SBG 1992 getroffenen Regelungen. Zweck der im SBG 1992 normierten Umlage war dabei allein der übergemeindliche Finanzausgleich. Dagegen war es nicht Zweck der Umlage, eine Aufgabe des Landes zu finanzieren (zu Umlagen zur Finanzierung von Staatsaufgaben vgl. Beschluß vom 2. August 1984 – BVerwG 3 C 40.81 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 53 S. 6 ≪30, 33 f. und 39 f.≫). Denn die Finanzierung des übergemeindlichen Finanzausgleichs war, soweit er im SBG 1992 geregelt wurde, keine Aufgabe des Landes. Die Aufgaben des Landes hinsichtlich der Finanzierung des interkommunalen Finanzausgleichs sind – wie das Oberverwaltungsgericht festgestellt hat – in Art. 79 Satz 2 der Landesverfassung geregelt. In dieser Bestimmung heißt es: „Das Land ist verpflichtet, … im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit einen übergemeindlichen Finanzausgleich zu gewährleisten.” Das Berufungsgericht hat dieser irrevisiblen Vorschrift lediglich die Verpflichtung entnommen, aus den Mitteln des Landes den Finanzbedarf der Gemeinden teilweise abzudecken und ihnen eine angemessene Finanzausstattung zu sichern. Beides sei geschehen. Der darüber hinausgehende – im SBG 1992 geregelte – Ausgleich gemeindlicher Einnahmeausfälle sei aber keine vom Land zu erfüllende Aufgabe. Diese Auslegung der Landesverfassung ist für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts maßgebend (§ 173 VwGO i.V.m. § 562 ZPO).
3. Eine Umlage zum Zweck des übergemeindlichen Finanzausgleichs verstößt nicht gegen sonstige Bestimmungen des Grundgesetzes.
Zwar wird mit dieser Umlage auf Steuereinnahmen zugegriffen, die durch das Grundgesetz – zumindest teilweise – nicht nur den Gemeinden in ihrer Gesamtheit, sondern jeder einzelnen Gemeinde garantiert werden: Bei der Einkommensteuer erhalten die Gemeinden einen Anteil an deren Aufkommen, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist (Art. 106 Abs. 5 Satz 1 GG). Insoweit knüpft das Grundgesetz an das Prinzip des örtlichen Aufkommens an. Jeder einzelnen Gemeinde steht also grundsätzlich ein Anteil an den Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner zu. Das Aufkommen der Realsteuern steht gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden zu. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, die Frage zu beantworten, ob dieses Steueraufkommen den Gemeinden insgesamt oder jeder einzelnen Gemeinde zusteht. Denn, auch wenn man annehmen sollte, daß das Aufkommen der Realsteuern lediglich den Gemeinden in ihrer Gesamtheit zustünde, änderte dies nichts daran, daß durch das SBG 1992 jedenfalls auf den Einkommensteueranteil der einzelnen Gemeinde und damit – zumindest teilweise – auf Steuereinnahmen zugegriffen wird, die das Grundgesetz der einzelnen Gemeinde garantiert.
Zwar kann ein Zugriff auf Steuern, die der einzelnen Gemeinde garantiert sind, nicht pauschal damit gerechtfertigt werden, Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG lasse insoweit Umlagen zu. Denn die Garantie von Steuereinnahmen der Gemeinden durch das Grundgesetz würde ins Leere gehen, wenn Umlagen unabhängig von deren Zweck zulässig wären. Der interkommunale Finanzausgleich ist jedoch – wie dargelegt – ein Zweck, für den die Erhebung einer Umlage gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG zulässig ist. Die in Art. 106 Abs. 5 und Abs. 6 GG enthaltenen Regelungen stärken insgesamt die gemeindliche Finanzhoheit, indem sie eine unmittelbare Beteiligung der Gemeinden an Steuereinnahmen begründen bzw. Steuereinnahmen den Gemeinden unmittelbar zugestehen. Dem dem Landesgesetzgeber vorbehaltenen zwischengemeindlichen Finanzausgleich wird damit aber nicht vorgegriffen.
4. Auch aus der Gewährleistung der kommunalen Finanzhoheit durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG ergibt sich – wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – nichts anderes. Diese Bestimmung wurde durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I, S. 3146) in das Grundgesetz aufgenommen. Hierdurch wurde jedoch keine eigenständige Abgabenhoheit der Gemeinden, die über den X. Abschnitt des Grundgesetzes (Art. 104 a bis 115 GG) hinausginge, begründet. Dies ergibt sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Anm. 84 a und 84 b m.w.N.). Ist somit eine Umlage nach Art. 106 Abs. 6 Satz 6 GG zulässig, so kann die Garantie der kommunalen Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) grundsätzlich der Erhebung der Umlage nicht entgegenstehen. Allerdings wären die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung der Gemeinden nicht gewahrt, wenn aufgrund der Umlage einer Gemeinde keine aufgabenadäquate Finanzausstattung mehr verbliebe. Eine aufgabenadäquate Finanzausstattung setzt voraus, daß die gemeindlichen Finanzmittel ausreichen, um den Gemeinden die Erfüllung aller zugewiesener und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Erfüllung selbst gewählter Aufgaben zu ermöglichen. Die Gewährleistung dieser Finanzausstattung wird durch den neuen Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG nicht nur deklaratorisch bestätigt, sondern auch materiell-rechtlich verstärkt (vgl. Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Anm. 84 b m.w.N.). In diese aufgabenadäquate Finanzausstattung der Gemeinden wurde aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht eingegriffen.
Die streitige Umlage zu Zwecken des interkommunalen Finanzausgleichs führt auch zu keiner – gegen die Finanzhoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) und das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßenden – Nivellierung der Finanzen der Gemeinden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ebnet der konkret vorgenommene Finanzausgleich die – aufgrund eigenen Einnahme- und Ausgabenverhaltens – unterschiedlichen Finanzverhältnisse der Gemeinden nämlich nicht ein.
5. Schließlich ist die Bestimmung fiktiver Hebesätze für die Realsteuern in § 8 GFG 1992, auf den in § 3 Abs. 1 Satz 2 SBG 1992 ausdrücklich verwiesen wird, im Jahre 1992 noch nicht wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig gewesen.
Zwar gilt der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht nur gegenüber dem Bürger, sondern – als Ausfluß des Rechtsstaatsgebots (Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) auch im Verhältnis der Hoheitsträger untereinander (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 23, 353 ≪372 f.≫). Länder sind demnach verfassungsrechtlich verpflichtet, ihre Gemeinden grundsätzlich gleichzubehandeln.
Dieser Verpflichtung ist das Land im vorliegenden Fall aber nachgekommen. Der Gleichheitsgrundsatz setzt nämlich der Gesetzgebung lediglich eine äußerste Grenze. Der Gesetzgeber ist weitgehend frei, Lebenssachverhalte gleich oder verschieden zu behandeln. Die Grenzen des Willkürverbots werden erst dann überschritten, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 55, 72 ≪89 f.≫; Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 11 C 19.93 – Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 25 S. 1 ≪8≫ = BVerwGE 95, 252 ≪260 f.≫ m.w.N.). Was in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich dabei nicht abstrakt und allgemein, sondern stets nur in bezug auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhältnisses feststellen (vgl. BVerwG, a.a.O., m.w.N.). Dabei gebietet die Rücksicht auf die politische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besondere Zurückhaltung. Deshalb kann eine gesetzliche Regelung nur dann als willkürlich verworfen werden, wenn ihre Unsachlichkeit offensichtlich ist (stRspr, vgl. u.a. BVerfGE 12, 326 ≪333≫). Diese dem Gesetzgeber durch das Willkürverbot auferlegte äußerste Grenze wurde im vorliegenden Fall noch nicht überschritten.
Es ist nicht sachwidrig, daß der Landesgesetzgeber der Ermittlung der Steuermeßzahlen der Gemeinden (§ 8 GFG 1992) nicht die tatsächlichen Realsteuerhebesätze, sondern fiktive Hebesätze zugrunde legt. Der Ansatz fiktiver Hebesätze bei der Berechnung der Steuermeßzahl vermeidet nämlich, daß sich für die jeweilige Gemeinde im Finanzausgleich eine geringere steuerliche Belastung der eigenen Bürger durch niedrig festgesetzte Hebesätze günstig und eine stärkere Steuerbelastung der eigenen Bürger durch höhere Hebesätze ungünstig auswirkt. Er macht den übergemeindlichen Finanzausgleich von der Entscheidung der einzelnen Gemeinde über die Höhe der Hebesätze unabhängig. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung zum Länderfinanzausgleich (BVerfGE 86, 148) festgestellt, daß es aus den dargestellten Gründen sachgerecht ist, nicht auf die tatsächlichen Hebesätze in den Gemeinden eines Landes abzustellen, sondern auf fiktive (BVerfGE 86, 148 ≪230 f.≫). Für den interkommunalen Finanzausgleich innerhalb eines Landes kann insoweit nichts anderes gelten. Auch ist es ein legitimes politisches und landesplanerisches Motiv des Landesgesetzgebers, den interkommunalen Finanzausgleich so zu gestalten, daß „Steueroasen” infolge niedriger Gewerbesteuerhebesätze verhindert werden (vgl. BVerfGE 23, 353, ≪371≫).
Es verstößt auch noch nicht gegen das Willkürverbot, daß der Landesgesetzgeber für Gemeinden mit mehr als 150.000 Einwohnern in § 8 Abs. 2 GFG 1992 höhere fiktive Hebesätze festgelegt hat als für kleinere Gemeinden, was dazu führt, daß zu Lasten größerer Gemeinden bei diesen höhere fiktive Einnahmen angenommen werden als bei kleineren. Diese Ungleichbehandlung war im Jahre 1992, für das das GFG 1992 ausschließlich gilt, sachlich noch vertretbar. Zwar hatte es der Landesgesetzgeber unterlassen, bei der Festsetzung fiktiver Hebesätze zu prüfen, welche tatsächlichen Möglichkeiten zur Festsetzung von Hebesätzen in den einzelnen Gemeinden bestehen. Das Oberverwaltungsgericht brauchte jedoch entgegen der Ansicht der Revision, die hierin zu Unrecht einen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) sieht, in diesem Zusammenhang nicht selbst von Amts wegen zu ermitteln, ob und ab welchen Größenverhältnissen der nordrhein-westfälischen Gemeinden eine Differenzierung der fiktiven Hebesatzfestlegung gerechtfertigt war. Denn der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof hat es insbesondere mangels damals vorliegender zuverlässigerer Erkenntnismöglichkeiten und der damals in Nordrhein-Westfalen bestehenden Tendenz, daß größere Gemeinden höhere Hebesätze bei den Realsteuern haben als kleinere, zu Recht noch genügen lassen, wenn der Landesgesetzgeber für das Jahr 1992 auf Umstände abstellte, denen er in seiner Bewertung Aussagekraft für die Möglichkeiten der Gemeinden zur Bemessung der Realsteuern beimaß und beimessen durfte (vgl. VerfGH NW, OVGE 43, 252 ≪262≫ = NVwZ 1994, 68). Zwar fehlte es nach den tatsächlichen Feststellungen des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs (a.a.O., S. 262 f.) angesichts der besonderen Raumgliederung Nordrhein-Westfalens an tragfähigen „Anhaltspunkten dafür, daß Gemeinden mit mehr als 150.000 Einwohnern regelmäßig in der Lage sind, höhere Hebesätze als die kleineren Städte und Gemeinden durchzusetzen”; die normative Staffelung der Hebesätze mit dieser Sprungstelle ist deshalb in Nordrhein-Westfalen dem Gleichbehandlungsgebot nur unzulänglich gerecht geworden (a.a.O. S. 263). Gleichwohl ist – ohne daß das Oberverwaltungsgericht deshalb diesen vom Verfassungsgerichtshof bereits ermittelten Sachverhalt nochmals selbständig hätte feststellen müssen – die Regelung des § 8 Abs. 2 GFG 1992 nicht unwirksam. Denn zutreffend hat der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage der von ihm ermittelten tatsächlichen Verhältnisse lediglich eine Pflicht des Landesgesetzgebers zur umfassenden Prüfung der tatsächlichen Möglichkeiten zur Festsetzung von Hebesätzen in den einzelnen Gemeinden und zur – zwischenzeitlich erfolgten – gesetzlichen Neuregelung abgeleitet, die Wirksamkeit der mit der Abwicklung der Ausgleichsbeziehungen im Jahre 1992 erschöpften Regelung des § 8 Abs. 2 GFG 1992 jedoch noch hingenommen.
Der Landesgesetzgeber durfte nämlich auf die Verfassungsmäßigkeit der gewählten Regelung vertrauen. Denn der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hatte die Sprungstelle bei 150.000 Einwohnern, die der Landesgesetzgeber bereits 1983 eingeführt und über 10 Jahre hin unverändert in jedes Gemeindefinanzierungsgesetz übernommen hatte, in einer früheren Entscheidung (VerfGH NW OVGE 40, 300 ≪309≫) als mit dem interkommunalen Gleichheitsgebot vereinbar bewertet. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem dieser Problematik vergleichbaren Fall (BVerfGE 39, 169 zur Ungleichbehandlung von Witwern und Witwen in der Rentenversicherung) festgestellt, daß eine gesetzliche Regelung deshalb noch verfassungsmäßig sein kann, weil der Bundesgesetzgeber sich aufgrund einer früheren – die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes bejahenden – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm eingestellt hatte und sich darauf auch hatte einstellen dürfen. Dies kann zwar dazu führen, daß für den Gesetzgeber ein Verfassungsauftrag besteht, einen Verstoß gegen das Willkürverbot für die weitere Zukunft auszuschließen. Verletzt wird in einem derartigen Fall das Willkürverbot aber erst dann, wenn der Gesetzgeber es unterläßt, sich in Zukunft intensiv um eine sachgerechte Lösung zu bemühen, welche die sich in Richtung auf die Verfassungswidrigkeit hin bewegenden Wirkungen der gegenwärtigen Rechtslage auffangen würde (BVerfGE 39, 169 ≪194≫). Grundsätzlich darf der Landesgesetzgeber in gleicher Weise auf Entscheidungen seines Landesverfassungsgerichts vertrauen, sofern – wie hier – aus der Sicht des Bundesverfassungsrechts dem Vertrauensschutz nichts erkennbar entgegensteht. Dies gilt um so mehr, als auch die Gemeinden Nordrhein-Westfalens – insbesondere im Rahmen ihrer mehrjährigen Finanzplanung – von der Fortgeltung der bisherigen Regelung ausgehen durften und mußten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Müller, Sailer, Krauß, Golze, Postier
Fundstellen
BVerwGE |
BVerwGE, 280 |
NVwZ 1999, 883 |
DÖV 1998, 731 |
KStZ 1999, 31 |
DVBl. 1998, 776 |
NWVBl. 1998, 314 |