Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutterschutz. Geschützter Personenkreis. Lehrlinge, unverheiratete Minderjährige
Normenkette
MuSchG §§ 1, 9 Abs. 1-2
Verfahrensgang
OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Urteil vom 20.09.1967; Aktenzeichen IV A 140/66) |
VG Schleswig-Holstein |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 20. September 1967 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Der Kläger beschäftigte die im Mai 1947 geborene Beigeladene auf Grund eines auf drei Jahre befristeten Lehrvertrages ab April 1963 in seinem Anwaltsbüro. Als der Vater der Beigeladenen ihm im April 1965 mitteilte, daß seine Tochter schwanger sei, kündigte er mit Schreiben vom 14. Mai 1965 das Lehrverhältnis zum 31. Mai 1965. Mit Schreiben vom 17./18. Mai 1965 bat er den Beklagten um Bestätigung, daß keine Einwendungen gegen die Kündigung erhoben würden; vorsorglich erbat er die Zustimmung zu einer erneuten Kündigung.
Mit Bescheid vom 8. Juni 1965 lehnte der Beklagte die Zulassung der Kündigung ab.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger Klage. Er hat vorgetragen: Die Kündigung des Lehrverhältnisses habe der Zulassung durch den Beklagten nicht bedurft. Die Kündigungsschutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes könnten keine Anwendung finden. Ein Lehrverhältnis sei kein Arbeitsverhältnis im Sinne des Mutterschutzgesetzes. Auch seien unter dem Begriff „Frauen” im Sinne des Mutterschutzgesetzes nur verheiratete Frauen, nicht jedoch minderjährige unverheiratete Mädchen zu verstehen. Selbst wenn aber das Mutterschutzgesetz für unverheiratete Lehrlinge gelten sollte, so müsse doch ein Sonderfall im Sinne des § 9 Abs. 2 MuSchG angenommen werden, für den die Kündigung hätte zugelassen werden müssen. Ein schwangerer unverheirateter Lehrling sei in einem Anwaltsbüro nicht tragbar. Die Beigeladene sei im Lehrvertrag auch ausdrücklich verpflichtet worden, einen ordentlichen Lebenswandel zu führen. Hiergegen habe sie verstoßen, auch anderen Lehrlingen ein schlechtes Beispiel gegeben.
Er hat beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide vom 8. Juni und 11. August 1965
- festzustellen, daß die zum 31. Mai 1965 ausgesprochene Kündigung der Beigeladenen zulässig war bzw. nicht der Zulassung durch den Beklagten bedurfte;
hilfsweise,
die Kündigung zuzulassen bzw. den Beklagten anzuweisen, die Kündigung zuzulassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
In der Berufungsinstanz hat der Kläger den weiteren Hilfsantrag gestellt,
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Kündigung zuzulassen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat im Hinblick auf den noch anhängigen Arbeitsgerichtsprozeß die Zulässigkeit einer selbständigen Feststellungsklage bejaht, diese jedoch als unbegründet abgewiesen. Der erste Hilfsantrag auf Zulassung der Kündigung sei unbegründet, weil das Lehrverhältnis inzwischen durch stillschweigende Übereinkunft aufgelöst worden sei und es daher einer Kündigung nicht mehr bedürfe. Für den zweiten Hilfsantrag auf Feststellung sei ein rechtliches Interesse nicht gegeben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision.
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist zurückzuweisen.
Das Mutterschutzgesetz findet auch auf unverheiratete Lehrlinge Anwendung. Nach § 1 MuSchG in der hier maßgeblichen Fassung vom 24. Januar 1952 (BGBl. I S. 69) gilt der Mutterschutz für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Der Ausdruck „Frau” deutet nicht auf den Personenstand einer verheirateten Frau hin, sondern er bezeichnet das Geschlecht. Das ergibt sich, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, aus dem Zweck des Gesetzes, der werdenden Mutter und der Wöchnerin trotz ihrer etwaigen Leistungsminderung oder Arbeitsunfähigkeit den Arbeitsplatz und das Entgelt zu erhalten und sie und das zu erwartende Kind vor möglichen gesundheitlichen Gefahren zu bewahren. Dieser Zweck gilt gleichermaßen für die verheiratete Frau wie für das unverheiratete Mädchen. Bereits in dem auch von Deutschland ratifizierten Washingtoner Übereinkommen der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft vom 29. Oktober 1919 ist in Art. 2 ausdrücklich bestimmt, im Sinne des Übereinkommens bedeute der Ausdruck „Frau” jede Person weiblichen Geschlechts ohne Unterschied des Alters oder der Staatsangehörigkeit, gleichviel, ob sie verheiratet oder unverheiratet ist (abgedruckt bei Bulla, Kommentar zum MuSchG, Anhang II, 1). Der Begriff „Frau” kann in dem in Ausführung dieses Übereinkommens erlassenen ersten Mutterschutzgesetz, dem Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (RGBl. I S. 184) und dem jetzigen Mutterschutzgesetz keine andere Bedeutung haben.
Der Kläger bezweifelt zu Unrecht, daß diese Auslegung des Begriffes „Frau”, die auch die unverheiratete minderjährige Schwangere in den Mutterschutz einbezieht, mit dem Grundgesetz in Einklang steht. Art. 6 Abs. 4 GG gewährt gerade jeder Mutter ohne Rücksicht auf Familienstand und Alter den Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Diesen Anspruch hat der Gesetzgeber für die erwerbstätige Mutter durch das Mutterschutzgesetz erfüllt. Auch daß die sich aus dem Mutterschutzgesetz ergebenden Belastungen dem einzelnen Arbeitgeber und nicht der Gemeinschaft auferlegt werden, steht mit Art. 6 Abs. 4 GG nicht in Widerspruch. Der Gesetzgeber konnte die sich aus Art. 6 Abs. 4 GG ergebende öffentliche Aufgabe auch durch Beschränkung der Rechte des Arbeitgebers erfüllen, dessen Dispositionsfreiheit nicht unbeschränkt, sondern sozial gebunden ist. Soweit die Pflicht zur Weiterbeschäftigung einer Schwangeren den Arbeitgeber einmal unverhältnismäßig hart treffen kann, ist dies durch Einfügung der Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 2 MuSchG ausreichend berücksichtigt.
Aus dem Umstand, daß das Mutterschutzgesetz nicht für Schülerinnen gilt, kann nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe mit dem Begriff „Frau” nicht alle Personen weiblichen Geschlechts erfassen wollen. Denn Schülerinnen bedürfen keines Kündigungsschutzes.
Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, daß ein Lehrverhältnis ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 1 MuSchG ist. Bei einem Lehrverhältnis steht zwar der Ausbildungszweck im Vordergrund, dennoch ist es ein echtes Arbeitsverhältnis, in dem Arbeit zu leisten ist und auf das auch zahlreiche für ein Arbeitsverhältnis geltende Vorschriften (z.B. Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungsrecht) Anwendung finden. In den Ausschußberatungen des Bundestages zum Mutterschutzgesetz von 1952 wurde deshalb auch zutreffend betont, daß Lehrlinge und Anlernlinge in den Mutterschutz einbegriffen sind (Bericht über die 180. Sitzung des Bundestages vom 12. Dezember 1951 S. 7519 C).
Auch steht der Ausbildungscharakter eines Lehrverhältnisses der Anwendung des Mutterschutzgesetzes auf Lehrlinge nicht schon von sich aus entgegen. Daß die dem Schutz der Gesundheit von Mutter und Kind dienenden Vorschriften des Gesetzes über Beschäftigungsverbote unabhängig davon gelten müssen, ob die Arbeit zu Ausbildungszwecken geleistet wird oder nicht, bedarf keiner weiteren Ausführung. Der Meinung des Klägers, eine Schwangerschaft während der Lehrzeit mache die Erreichung des Lehrzieles von vornherein unmöglich, ein Festhalten am Lehrverhältnis sei daher zwecklos, kann nicht gefolgt werden. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß ein Lehrling trotz der mit der Schwangerschaft verbundenen Beschwerden und Ablenkungen die Ausbildung erfolgreich abschließt. Allerdings mag es sein, daß ein Lehrling infolge des Beschäftigungsverbotes oder schwangerschaftsbedingter Beschwerden zeitweise mit der Ausbildung aussetzen muß oder nicht voll einsatzfähig ist. Soweit dadurch die Erreichung des Ausbildungszweckes in der vorgesehenen Lehrzeit in Frage gestellt sein sollte, kann durch Verlängerung der Lehrzeit Abhilfe geschaffen werden, wie dies im Krankheitsfalle verschiedentlich vorgeschrieben ist. Die Pflicht des Lehrherrn, den Lehrling gewissenhaft auszubilden, wird jedenfalls durch die Anwendung des Mutterschutzgesetzes auf weibliche Lehrlinge nicht berührt oder eingeschränkt.
Ist hiernach ein Lehrverhältnis als Arbeitsverhältnis im Sinne des § 1 MuSchG anzusehen, unterliegt auch die Kündigung eines Lehrverhältnisses dem Kündigungsverbot des § 9 MuSchG, daher auch im vorliegenden Fall die Kündigung des Lehrverhältnisses mit der Beigeladenen zum 31. Mai 1965.
Der Beklagte hat auch zu Recht die Zulassung der Kündigung des Lehrverhältnisses versagt. Ein Sonderfall, der nach § 9 Abs. 2 MuSchG die Behörde berechtigen würde, die Kündigung ausnahmsweise zuzulassen, liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 29. Oktober 1958 (BVerwGE 7, 294) bereits ausgesprochen, daß ein besonderer Fall nur ausnahmsweise dann angenommen werden kann, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Gesetzgeber als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die des Arbeitgebers rechtfertigen. Solche außergewöhnlichen Umstände sind nicht ersichtlich. Es versteht sich von selbst, daß der voreheliche Geschlechtsverkehr, der zu der Schwangerschaft geführt hat, als solcher keinen „besonderen Fall” darstellen kann, da der Geschlechtsverkehr naturgegebene Voraussetzung des Mutterschutzes ist und dieser auch die uneheliche Mutterschaft umfaßt. Der Meinung des Klägers, daß die Anwesenheit eines unverheirateten schwangeren Lehrlings in einem Anwalts- und Notariatsbüro das Ansehen und den Ruf der Kanzlei schädige oder beeinträchtige, kann nicht gefolgt werden. Auch erscheinen die im vorliegenden Fall der Beigeladenen angelasteten Verfehlungen, wie unsorgfältige Arbeit, gelegentliches unentschuldigt es Fernbleiben und Versäumen des Berufsschulunterrichts, nicht so schwerwiegend, daß ein besonderer Fall im Sinne des § 9 Abs. 2 MuSchG hätte angenommen werden müssen.
Hiernach erweist sich die Revision als unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
Gerichtskosten werden gemäß § 188 VwGO für dieses Verfahren nicht erhoben.
Unterschriften
Prof. Hering, Dr. Gützkow, Dr. Rösgen, Dr. Fink, Dr. Schwarz
Fundstellen
NJW, 71, 1328 |
Buchholz, 436.4 § 1 Nr. 1 |
ZfSH, 72, 534 |
Arbeitsschrift, 71, 102 |
Information, 71, 262 |
Wertp.Mitt., 70, 1412 |