Rz. 14
Neben der Zahlungsunfähigkeit ist bei der Überschuldung ein Insolvenzantrag durch den Geschäftsleiter (Vorstand oder Geschäftsführer) zu stellen. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO muss dies ohne schuldhaftes Zögern spätestens sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung geschehen. Die Überschuldung ist in § 19 Abs. 2 InsO definiert:
Rz. 15
"Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen."
Rz. 16
Fortführung des obigen Beispiels: Der Impfstoffhersteller hat einen großen Kredit erhalten, der drei Jahre tilgungsfrei ist und dann in zehn Jahren zurückgeführt werden muss. Mit diesem wird die Forschung vorangetrieben. Durch die Kreditmittel kann die GmbH alle Verbindlichkeiten bezahlen, sie ist nicht zahlungsunfähig, sondern verfügt über ausreichende Liquidität.
Rz. 17
Die Gesellschaft könnte aber überschuldet sein. Ob dies insolvenzrechtlich der Fall ist, wird in zwei Stufen geprüft. Zunächst wird geprüft, ob die Gesellschaft höhere Vermögenswerte, also Aktiva als Verbindlichkeiten hat. Bei der Bewertung der Aktiva sind die tatsächlichen Werte, nicht die Buchwerte aus der Bilanz anzusetzen. Es ist ein. sog. Überschuldungsstatus aufzustellen. Stille Reserven, die sich im Betriebsvermögen befinden können, werden berücksichtigt. So können vor allem im Anlagevermögen stille Reserven enthalten sein. Dazu gehören z.B. Maschinen, deren Buchwerte durch Abschreibungen geringer sind als deren tatsächlichen Werte auf dem Markt. Ebenso kann ein Betriebsgrundstück auf dem sich z.B. das Verwaltungs- oder Produktionsgebäude befindet, einen höheren Wert als den Bilanzwert aufweisen. Denkbar ist z.B., dass eine Unternehmensbeteiligung, die die GmbH im Finanzanlagevermögen hält, deutlich mehr wert ist als in der Bilanz ausgewiesen ist oder dass die Gesellschaft über Rechte an einer Software verfügt, deren Wert sich nicht aus der Bilanz ergibt, weil diese von der GmbH selbst entwickelt wurde. Auch eine Haftungsübernahme z.B. einer Konzernmuttergesellschaft, z.B. eine sog. harte Patronatserklärung ist zu aktivieren. Hat sich z.B. ein leistungsfähiger Gesellschafter verpflichtet alles Verluste der GmbH abzudecken, schließt dieser werthaltige Anspruch bereits eine Überschuldung aus. Anders ist dies bei einer weichen Patronatserklärung, die keinen Anspruch begründet, sondern lediglich eine Absichtserklärung darstellt, diese kann im Überschuldungstauts nicht berücksichtigt werden.
Rz. 18
Bei der Aufstellung der Überschuldungsbilanz werden für die einzelnen Gegenstände Zerschlagungswerte angesetzt, es sei denn, die Fortführung ist überwiegend wahrscheinlich, wobei der Geschäftsleiter eine entsprechende Fortführungsprognose aufstellen muss. Die Fortführungsprognose ist für einen Prognosezeitraum von 12 Monaten aufzustellen. Diese muss mit einem Sanierungskonzept verbunden sein. Sofern danach die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist, ist der Insolvenzgrund der Überschuldung ausgeräumt, wobei der Geschäftsführer einen Beurteilungsspielraum hat. Siehe aus der Rechtsprechung:
Rz. 19
BGH Urt. v. 26.1.2017, IX ZR 285/14, juris:
zur Fortführungsprognose (Leitsatz):
"Besteht für eine Kapitalgesellschaft ein Insolvenzgrund, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird."
Rz. 20
BGH, Urt. v. 9.10.2006, II ZR 303/05, hat dies wie folgt formuliert:
"Aus dem Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO folgt außerdem zweifelsfrei, dass eine günstige Fortführungsprognose sowohl den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe als auch die objektive – grundsätzlich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (sogenannter Ertrags- und Finanzplan) herzuleitende – Überlebensfähigkeit des Unternehmens voraussetzt."
Rz. 21
BGH Urt. v. 13.7.2021 – II ZR 84/20, BGHZ 230, 255, juris Rn. 68 f.
"Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine positive Fortführungsprognose in subjektiver Hinsicht den Fortführungswillen des Schuldners bzw. seiner Organe und in objektiver Hinsicht die sich aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept herzuleitende Lebensfähigkeit des Unternehmens voraus. Dem schlüssigen und realisierbaren Unternehmenskonzept muss grundsätzlich ein Ertrags- und Finanzplan zugrunde liegen, der für einen angemessenen Prognosezeitraum aufzustellen ist (BGH, Ur...