Gesetzestext
(1)Die Erbschaft geht auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts über, sie auszuschlagen (Anfall der Erbschaft).
(2)Der Fiskus kann die ihm als gesetzlichem Erben angefallene Erbschaft nicht ausschlagen.
A. Allgemeines
Rz. 1
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sind in der Praxis von besonderer Bedeutung. Mit den §§ 1942 ff. BGB stellt das Gesetz dem Erben ein vom Erblasserwillen unabhängiges Entscheidungs- und Gestaltungsinstrumentarium zur Verfügung, das dem Erben im zeitlichen Rahmen des § 1944 BGB das Letztentscheidungsrecht über die erbrechtliche Vermögensnachfolge zuweist. Im Einzelfall muss die Ausübung dieser Gestaltungsfreiheit sorgfältig durchdacht werden. Bzgl. der Rechte und Pflichten des Erben während des Laufes der Ausschlagungsfrist gem. § 1944 BGB (Schwebezeit) vgl. § 1959 BGB (vgl. § 1959 Rdn 1 ff.).
I. Grundsatz des Von-Selbst-Erwerbes
Rz. 2
Der Anfall der Erbschaft vollzieht sich nach § 1942 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB als sog. Von-Selbst-Erwerb, ohne dass es einer weiteren Erklärung oder Kenntnisnahme des Erben bedürfte. Dem Erben bleibt jedoch eine Ausschlagungsmöglichkeit nach Kenntniserlangung von dem Anfall der Erbschaft. Damit kombiniert das Gesetz Elemente des Gläubigerschutzes und der Rechtssicherheit auf der einen Seite und des Schutzes des Erben auf der anderen Seite.
II. Struktur der Vermögenszuordnung
Rz. 3
Die strukturelle Zuordnung der Erbschaft zum Vermögen des bzw. der Erben ist für die Zeit bis zur Annahme der Erbschaft und für den Zeitraum danach verschieden. Bis zur Annahme der Erbschaft stellt die Erbschaft ein Sondervermögen des vorläufigen Erben dar, danach wird es – abgesehen von Beschränkungen durch Nacherbschaft, Nachlassverwaltung oder Testamentsvollstreckung – zum Eigenvermögen des endgültigen Erben, sodass auch Gläubiger des Erben nun auf den Nachlass zugreifen können (vgl. näher § 1958 Rdn 1 f.). Bis zur Annahme der Erbschaft können überdies Fürsorgemaßnahmen des Nachlassgerichts angezeigt sein (§§ 1960–1962 BGB).
III. Rechtsstatus des vorläufigen Erben
Rz. 4
Der Rechtsstatus des vorläufigen Erben wird unterschiedlich beurteilt. Nach zutreffender h.M. ist auch der vorläufige Erbe wirklicher Erbe nach dem Erblasser. Seine Rechtsnachfolge ist für den Fall der Ausschlagung aber auflösend bedingt. Andere sehen den vorläufigen Erben dagegen nur als Erbschaftsverwalter an (zur Struktur der Vermögenszuordnung vgl. Rdn 3). Die praktischen Auswirkungen dieses Meinungsstreites sind gering, da das System der §§ 1942 ff. BGB für die Schwebezeit der vorläufigen Erbschaft in jedem Fall die maßgeblichen Sonderregelungen zur Verfügung stellt.
B. Tatbestand
I. Anfall der Erbschaft
Rz. 5
Die Erbschaft fällt dem berufenen Erben grundsätzlich mit Eintritt des Erbfalls (Tod des Erblassers) an. Der Erbschaftsanfall vollzieht sich kraft Gesetzes von selbst, sodass es auf das Wissen und Wollen des Erben nicht ankommt. Der "berufene Erbe" ist der durch Testament oder Erbvertrag benannte Erbe (§ 1937 BGB) oder der gesetzliche Erbe (§§ 1923 ff. BGB). Dabei unterscheidet man zunächst den vorläufigen und den endgültigen Erben. Der vorläufige Erbe ist derjenige Erbe, für den die Erbschaft noch nicht als angenommen i.S.v. § 1943 BGB gilt. Der endgültige Erbe ist derjenige Erbe, der die Erbschaft angenommen hat oder für den die Erbschaft nach § 1943 BGB als angenommen gilt. Der vorläufige Erbe kann sich noch auf besondere gesetzliche Schutzinstrumente berufen (so z.B. §§ 207, 211, 1953 Abs. 2, 1958, 1995 Abs. 2 BGB oder §§ 239 Abs. 5, 778 ZPO). Der endgültige Erbe kann eine Beschränkung seiner Haftung dagegen nur noch in eingeschränktem Maße herbeiführen (so kann der Erbe z.B. die Nachlassverwaltung (§§ 1975, 1981 BGB), die Nachlassinsolvenz (§§ 1975, 1980 BGB) oder die Unzulänglichkeitseinrede (§ 1990 BGB) – prozessual über § 780 ZPO – geltend machen).
Rz. 6
Zu einem zeitlichen Auseinanderfallen von Erbfall und Erbschaftsanfall kommt es bei Berufung eines im Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugten, aber erst nach dem Erbfall lebend geborenen Kindes (nasciturus). Der Anfall der Erbschaft erfolgt erst mit der Geburt des Kindes, wirkt aber auf den Zeitpunkt des Erbfalls zurück (vgl. § 1923 Abs. 2 BGB). Dasselbe gilt für eine erst nach dem Tode des Erblassers als rechtsfähig anerkannte Stiftung (§§ 83, 84 BGB). Der Anfall der Erbschaft an eine ausländische juristische Person, die ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union hat, könnte grundsätzlich gem. Art. 86 EGBGB von einer Genehmigung abhängig gemacht werden (derzeit nicht der Fall). Auch eine solche nachträgliche Genehmigung würde nach vorzugswürdiger Ansicht als vor dem Erbfall erteilt gelten, sodass die Erbsc...