Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 22
Abgesehen von eventuell im Testament festgelegten oder sich aus der Auslegung ergebenden Voraussetzungen besteht in der Rechtsprechung weitgehend Einigkeit darüber, dass die Verwirkung der Klausel nur dann ausgelöst wird, wenn das Verhalten des Bedachten bestimmte subjektive Voraussetzungen erfüllt. Die Anforderungen an diese subjektiven Voraussetzungen werden durch die Rechtsprechung unterschiedlich behandelt oder auch nur unterschiedlich bezeichnet. In älteren Entscheidungen wurde "strafwürdiges Verhalten", "vorwerfbare Handlungsweise" oder auch "böswilliges Auflehnen", desgleichen bewusste Auflehnung vorausgesetzt. Der BGH fordert einen "bewussten Ungehorsam", eine "böswillige Auflehnung" oder eine "vorwerfbare Handlungsweise".
In neueren Entscheidungen sind diese Anforderungen teilweise herabgesetzt worden. Das BayObLG hat zwar an dem Begriff der "böswilligen Auflehnung" festgehalten, zugleich aber klargestellt, dass eine "böswillige Auflehnung" darüber hinaus keine moralische Bewertung des Verhaltens voraussetzt, sondern dies vielmehr dem Erfordernis einer vorwerfbaren Handlungsweise gleichzusetzen ist und dies wiederum nur eine bewusste Missachtung des Erblasserwillens erfordert.
Weichen die Erben von der testamentarischen Anordnung eines Erblassers ab, kommt eine Verwirkungsklausel zur Geltung, wobei es keine Rolle spielt, ob die Erben wissentlich und vorsätzlich gegen die Vorstellungen des Erblassers verstoßen haben.
Nach Ansicht des OLG Dresden müssen die Folgen der Verwirkungsklausel dann eintreten, wenn ein bewusster Ungehorsam vorliegt, weil der Inhalt der Verfügung nicht akzeptiert werden soll.
Rz. 23
In der Entwicklung der Rechtsprechung ist also eine Tendenz zu einem Zurückschrauben der subjektiven Voraussetzungen für eine Verwirkung festzustellen. Gelangt die Auslegung zu dem Ergebnis, dass die Verwirkung aufgrund des Fehlens der subjektiven Voraussetzungen nicht eingetreten ist, kann sich aber aus einer ergänzenden Auslegung die Pflicht der Anrechnung dieses erhaltenen Pflichtteils auf den Erbteil nach dem Letztversterbenden ergeben.
Seitens des Erblassers dürfen die Verwirkungsklauseln daher nicht dazu verwendet werden, die Testierfreiheit über Gebühr zu erweitern und hierdurch die Beteiligten zu zwingen, ihnen zustehende Rechte nicht geltend zu machen, da sie dann Gefahr laufen, keine letztwillige Zuwendung zu erhalten. Über zwingende Wirksamkeitserfordernisse des Testamentes darf der Erblasser nicht verfügen.
Rz. 24
Stellt sich heraus, dass das Testament unecht oder ungültig ist bzw. beseitigt die Anfechtung getroffene Verfügungen, wird damit dem wahren Willen des Erblassers gerade Rechnung getragen. Sein wirklicher Wille kommt daher zum Tragen, so dass schon aus diesem Grunde diese berechtigten Rechte nicht unter die Verwirkungsklausel fallen. Gleiches gilt dann, wenn eine bestimmte Auslegung auch gegen den Willen einzelner Beteiligter, notfalls auch gerichtlich, durchgesetzt wird. Die richtige Auslegung führt gerade zur Durchsetzung des wahren Erblasserwillens. Zusammenfassend ist daher auszuführen, dass berechtigte und zum Erfolg führende Angriffe gegen letztwillige Verfügungen niemals unter die Verwirkungsklauseln fallen können, da die Testierfreiheit hierdurch über das gesetzliche Maß hinaus ausgeweitet würde.
Rz. 25
Für den Fall, dass dem Erben ein bestimmtes Handeln aufgegeben ist, ist Unrechtsbewusstsein im Falle des Verstoßes nicht erforderlich. Die dem Erben bekannte Abweichung genügt. Besteht Streit über den Inhalt des Testaments, liegt hierin ebenfalls kein Angriff auf die letztwillige Verfügung.
Rz. 26
Den Beteiligten steht das Recht zu, ihren Standpunkt geltend zu machen und hierfür auch die Gerichte in Anspruch zu nehmen. Handelt es sich hierbei jedoch um Einwendungen, die wider besseres Wissen oder fahrlässig geltend gemacht werden, steht dem Erblasser das Recht zu, derartige Angriffe mit der Sanktion zu belegen, dass die beteiligte Person der Zuwendung verlustig geht. Es ist insoweit auf das Verschulden abzustellen. In den Fällen, in denen sich die Einwände als unbegründet herausstellen, wird die Verwirkungsklausel demnach nur ausgelöst, wenn es sich um leichtfertige oder ohne hinreichende Prüfung erfolgte Angriffe handelt.