Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 41
Die Auslegung verlangt nach der sog. Andeutungstheorie (siehe § 2084 Rdn 6, 15), dass derartige Umstände nur berücksichtigt werden können, wenn es hierfür Anhaltspunkte im Testament gibt. Bei der Anfechtung hingegen ist es nicht erforderlich, dass die irrige Annahme oder Erwartung des Erblassers in der Verfügung selbst zum Ausdruck gekommen ist. Derartiger Anhaltspunkte bedarf es weder im Testament noch im Erbvertrag. Der ursprüngliche § 1781 Abs. 2 BGB sah vor, die Verfügung solle nur anfechtbar sein, wenn der Irrtum aus der Verfügung zu entnehmen oder die Voraussetzung in derselben ausdrücklich oder stillschweigend erklärt sei. Die zweite Kommission hat jedoch diese Regelung verworfen.
Rz. 42
Für die Frage, ob diese Vorstellung für die Willensbildung des Erblassers erheblich war, kann es jedoch bedeutsam sein, derartige Vorstellungen in die Verfügung von Todes wegen mit aufzunehmen, gerade dann, wenn es sich um problematische Gestaltungen handelt. Im Übrigen hat die Angabe der Vorstellungen im Testament, die den Erblasser zu einer bestimmten Verfügung veranlasst haben, die Konsequenz, dass diese zu einer widerlegbaren Vermutung dahingehend führen, dass die vom Erblasser mitgeteilten Gründe auch die tatsächlich bestimmenden Gründe gewesen sind. Werden in der letztwilligen Verfügung mehrere Motive angegeben, muss die Erheblichkeit eines jeden Motivs geprüft werden. Wird eine bestimmte Erwartung als Grund für die getroffene Verfügung gerade nicht erwähnt, kann dies umgekehrt ein Indiz dafür sein, dass diese Vorstellungen im Rahmen der Motivation des Erblassers keine entscheidende Rolle gespielt haben.
Rz. 43
Es wird die Ansicht vertreten, der Erblasser könne durch die Angabe seines Motivs, weshalb er die letztwillige Verfügung gerade in dieser Art und Weise errichtet hat, eine ähnliche Wirkung erreichen wie bei einer bedingten Zuwendung. Durch die Angabe des Motivs könne er die Wirkung der Zuwendung über den Erbfall hinaus an seinen Willen binden. Es ist allerdings ein Unterschied, ob es sich nur um eine Motivangabe handelt oder ob eine auflösende oder eine aufschiebende Bedingung gegeben ist. Die Rechtsfolgen sind andere. Der Eintritt einer Bedingung hat gem. § 159 BGB keine rückwirkende Kraft. Handelt es sich um eine bedingte Erbeinsetzung führt dies zur konstruktiven Vor- und Nacherbschaft. Beruft sich eine Person auf den Eintritt bzw. Nichteintritt einer Bedingung, sind auch keine Fristen zu beachten. In diesem Falle ist daher durch Auslegung zu ermitteln, ob es sich um eine zur Anfechtung berechtigende Motivangabe handelt oder eine Bedingung vorhanden ist. Im Wege der Auslegung wird man in derartigen Fällen häufig zum Vorliegen einer Bedingung kommen, da dies i.d.R. eher dem Erblasserwillen entspricht, als von einer zur Anfechtung berechtigenden Motivangabe auszugehen. Es entspricht in diesem Fall eher dem Erblasserwillen, die bedachte Person nicht noch zusätzlich mit Formen und Fristen, die das Anfechtungsrecht mit sich bringt, zu belasten.