Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 10
Die erbrechtlichen Regelungen über die Anfechtung von Verfügungen von Todes wegen (§§ 2078–2083 BGB) gehen den allg. Bestimmungen des Allgemeinen Teils des BGB (§§ 119 ff. BGB) vor, eine vollständige Regelung wurde jedoch nicht getroffen. Dies bedeutet, dass für den Fall, dass sich in den Sonderregeln keine Bestimmungen finden, die Vorschriften des Allgemeinen Teils heranzuziehen sind. Für die Anfechtungserklärung gilt zunächst die Vorschrift des § 2081 BGB, wobei im Übrigen jedoch § 143 BGB anwendbar bleibt. Bei Erbverträgen sind die Vorschriften der §§ 2281 Abs. 2 u. 2282 BGB heranzuziehen.
Die wichtigsten Unterschiede liegen in:
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den Anfechtungsgründen, |
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der Anfechtungsberechtigung (Anfechtung durch andere Personen als den Erklärenden), |
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dem Ausschluss des Schadensersatzanspruchs. |
Für die Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft sowie die Anfechtung eines Erbverzichts sind die Regelungen gem. §§ 2078 ff. BGB nicht anwendbar.
Rz. 11
In § 2080 BGB wird geregelt, wer anfechtungsberechtigt ist. Im Allgemeinen Teil des BGB findet sich keine Parallele zu dieser Vorschrift, da dort das Anfechtungsrecht stets dem zusteht, der die Erklärung abgegeben hat. Anders ist dies bei letztwilligen Verfügungen, bei denen das Anfechtungsrecht nicht durch den Erblasser ausgeübt werden kann (Ausnahme: Erbverträge u. gemeinschaftliche Testamente; bei Erbverträgen gelten zusätzlich noch die Vorschriften gem. §§ 2281, 2285 BGB). In § 2082 BGB ist geregelt, innerhalb welcher Frist eine Anfechtung erfolgen muss. Die Regelungen der §§ 121, 124 BGB sind daher nicht anwendbar.
Die Wirkung der Anfechtung ist im Fünften Buch des BGB nicht geregelt, so dass insoweit auf die Regelung des § 143 BGB zurückgegriffen werden muss.
Rz. 12
Bezüglich der Anfechtungsgründe handelt es sich bei den §§ 2078, 2079 BGB um eine abschließende Regelung. Ein Rückgriff auf die allg. Anfechtungsgründe ist somit ausgeschlossen.
Rz. 13
In Bezug auf die Anfechtungsgründe bestehen zwischen den erbrechtlichen und den allgemeinen Vorschriften folgende Unterschiede: Im Erbrecht sind die Anfechtungsgründe wesentlich erweitert. Auch ein Irrtum im Beweggrund, d.h. der sog. Motivirrtum, berechtigt gem. Abs. 2 zur Anfechtung. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich sog. unbewusster Erwartungen. Gem. §§ 2082, 2283 BGB sind die Anfechtungsfristen länger als die des § 121 BGB. § 121 BGB erfordert eine unverzügliche Anfechtung. Nach den allg. Vorschriften erfolgt die Anfechtung durch den Erklärenden selbst, nach den erbrechtlichen Spezialvorschriften erfolgt die Anfechtung im Falle der Anfechtung von Einzeltestamenten durch Dritte (§ 2080 BGB). Bei Erbverträgen gelten zusätzlich noch die Vorschriften gem. §§ 2281, 2285 BGB. Nach Abs. 3 BGB ist die Anwendung des § 122 BGB ausgeschlossen. Eine Schadensersatzpflicht besteht demnach nicht, auch nicht beim Erbvertrag oder beim gemeinschaftlichen Testament. Es ist aber umstritten, ob dies auch bei einer sog. Selbstanfechtung durch den Erblasser gilt. Nach einer Ansicht wird eine Schadensersatzpflicht des Erblassers mit der Begründung bejaht, dass die Vorschrift des Abs. 3 auf dem Gedanken beruhe, dass es unbillig wäre, wenn ein anfechtender Dritter für die Irrtumsfolgen des Erblassers haftbar gemacht würde, dieser Gesichtspunkt bei einer Selbstanfechtung jedoch nicht in Betracht käme. Daher sei der Erblasser zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen, da der in einem Erbvertrag Bedachte keine rechtlich gesicherte Anwartschaft erwirbt und daher nicht darauf vertrauen kann, dass er beim Erbfall etwas erhält.
Die Regelung des Abs. 1 sieht vor, dass für eine Anfechtung allein die subjektive Vorstellung des Erblassers maßgeblich ist. Hierunter fällt u.U. auch eine launenhafte Ansicht. § 119 Abs. 1 BGB setzt hingegen voraus, dass der Erklärende die Verfügung bei verständiger Würdigung des Falles nicht getroffen hätte. Es wird daher ein objektiver Maßstab angesetzt.
Rz. 14
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für die Anfechtung letztwilliger Verfügungen die allg. Vorschriften der §§ 119–124 BGB ohne Bedeutung sind. Die §§ 142 u. 144 BGB finden insgesamt, § 143 BGB lediglich teilweise Anwendung.