Ursula Seiler-Schopp, Michael Rudolf
Rz. 1
§ 2085 BGB beinhaltet eine Auslegungsregel. Diese dient der Verwirklichung des Erblasserwillens. Gem. § 139 BGB führt die Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts i.d.R. dazu, dass das gesamte Rechtsgeschäft nichtig ist. Nach Ansicht des Gesetzgebers entspricht es jedoch regelmäßig nicht dem Willen des Erblassers, dass für den Fall, dass eine Verfügung unwirksam ist, das gesamte Testament unwirksam ist. § 2085 BGB regelt daher, dass im Falle der Unwirksamkeit einer Verfügung dies nicht generell die Unwirksamkeit des Testaments zur Folge hat. Nur in den Fällen, in denen sich feststellen lässt, dass es dem Erblasser auf die Abhängigkeit seiner Verfügungen ankam, geht dieser Wille der Regel des § 2085 BGB vor und das gesamte Testament ist unwirksam. § 2085 BGB steht insoweit im Gegensatz zu § 139 BGB.
Rz. 2
Dass von der Selbstständigkeit mehrerer in einem Testament getroffener Verfügungen ausgegangen wird, ist ein Grundsatz des Erbrechts. Dieser findet sich auch in der Vorschrift des § 2161 BGB. Danach bleibt ein Vermächtnis im Zweifel auch dann wirksam, wenn der Beschwerte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer wird. Dieser Grundsatz ist auch in der Vorschrift des § 2195 BGB niedergelegt, wonach eine Zuwendung unter einer Auflage nur dann unwirksam ist, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser die Zuwendung ohne die Auflage nicht gemacht hätte.
Rz. 3
Die Regelung des § 2085 BGB gilt allerdings nicht für wechselbezügliche Verfügungen oder erbvertraglich bindende Verfügungen im zweiseitigen Erbvertrag. Insoweit wird sie von der Vorschrift des § 2270 BGB bzw. § 2298 BGB verdrängt. Für die anderen Verfügungen ist sowohl bei gemeinschaftlichen Testamenten als auch beim Erbvertrag § 2085 BGB heranzuziehen. Wird ein Erbvertrag vollständig aufgehoben, entweder durch Vertrag oder Ausübung des Rücktrittsrechts, gilt § 2299 Abs. 3 BGB. Diese Regelung greift auch für die einseitigen Verfügungen ein. Werden jedoch nur die einzelnen vertragsmäßig bindenden Verfügungen aufgehoben, beurteilt sich deren Auswirkung auf die einseitigen Anordnungen nach der Regel des § 2085 BGB.
Rz. 4
§ 2085 BGB findet auf das Verhältnis mehrerer Testamente zueinander ebenfalls keine Anwendung, da nach dem Wortlaut mehrere Verfügungen in einem Testament vorhanden sein müssen. Dies bedeutet, dass die Unwirksamkeit eines späteren Testaments auf die Gültigkeit eines früheren Testaments grds. keinen Einfluss hat.
Das heißt, dass unter Anwendung von § 2085 BGB aus der Unwirksamkeit eines späteren Testamentes nicht auf die Unwirksamkeit eines früheren Testamentes geschlossen werden kann. Ob ein späteres Testament ein früheres aufhebt, richtet sich nach den Vorschriften über den Widerruf. Soll ein späteres Testament das frühere ergänzen, ist jedoch das frühere Testament unwirksam, so ist zu prüfen, ob der Erblasser auch eine isolierte Gültigkeit der Ergänzungen wollte. Ist dies zweifelhaft, wird von einer Wirksamkeit der im späteren Testament getroffenen Verfügungen ausgegangen, und zwar analog der Vorschrift des § 2085 BGB.
Rz. 5
Für die Berücksichtigung des Erblasserwillens ist der Zeitpunkt maßgebend, in welchem das Testament errichtet worden ist. Spätere Umstände können jedoch bei der Beurteilung berücksichtigt werden.