Gesetzestext
(1)1Ist mehreren derselbe Gegenstand vermacht, so wächst, wenn einer von ihnen vor oder nach dem Erbfall wegfällt, dessen Anteil den übrigen Bedachten nach dem Verhältnis ihrer Anteile an. 2Dies gilt auch dann, wenn der Erblasser die Anteile der Bedachten bestimmt hat. 3Sind einige der Bedachten zu demselben Anteil berufen, so tritt die Anwachsung zunächst unter ihnen ein.
(2)Der Erblasser kann die Anwachsung ausschließen.
A. Allgemeines
I. Sinn und Zweck der Vorschrift
Rz. 1
Hat der Erblasser mehreren Bedachten denselben Gegenstand (§ 2157 BGB) vermacht, ist § 2158 BGB eine Regelung für den Fall, dass einer der Teilvermächtnisnehmer wegfällt.
II. Systematische Einordnung
Rz. 2
In systematischer Hinsicht entspricht § 2158 BGB den §§ 2094, 2095 BGB der Anwachsung bei gesetzlichen Erben.
B. Tatbestand
I. Gemeinschaftliches Vermächtnis
Rz. 3
§ 2158 BGB findet Anwendung, wenn ein gemeinschaftliches Vermächtnis (§ 2157 BGB) vorliegt. Die Anwachsung tritt auch dann ein, wenn der Erblasser die Anteile der Bedachten selbst bestimmt hat (Abs. 1 S. 2).
II. Wegfall eines Bedachten
Rz. 4
Der Wegfall eines Bedachten kann "vor oder nach dem Erbfall" erfolgen. Der Wegfall vor dem Erbfall ist insbesondere bei Verzicht (§ 2352 BGB), Tod (§ 2160 BGB) oder Totgeburt der Leibesfrucht gegeben. § 2160 BGB wird insoweit durch § 2158 BGB verdrängt. Das Vermächtnis bleibt wirksam; es fällt dem anderen Vermächtnisnehmer zu. Ebenfalls kann der Eintritt einer auflösenden Bedingung zum Wegfall des Bedachten führen. Nach dem Erbfall kann das Vermächtnis entfallen durch Ausschlagung (§§ 2180 Abs. 3, 1953 Abs. 1 BGB), Anfechtung wegen Vermächtnisunwürdigkeit nach § 2345 BGB, Anfechtung nach § 2078 BGB wegen Irrtums oder Drohung oder Nichterleben einer Bedingung (§ 2177 BGB i.V.m. § 2074 BGB). Wird das Vermächtnis nach den §§ 2162, 2163 BGB wegen Zeitablaufs nicht wirksam, steht dies dem Wegfall eines Bedachten gleich.
Rz. 5
Steht das Vermächtnis unter einer aufschiebenden Bedingung oder einem Anfangstermin, gilt: Mit dem Ablauf von 30 Jahren – beginnend mit dem Erbfall – kommt es zum Wegfall des Bedachten, wenn die Bedingung oder der Termin noch nicht eingetreten ist (§ 2161 Abs. 1 BGB) oder der Bedachte bis dahin noch nicht erzeugt oder das Ereignis, durch das er bestimmt werden soll, nicht stattgefunden hat (§ 2162 Abs. 2 BGB). Der Bedachte kann als Vermächtnisnehmer auch bereits früher wegfallen, weil feststeht, dass die aufschiebende Bedingung oder ein Termin nicht mehr eintreten wird. Bei der aufschiebenden Bedingung entsteht der Anspruch erst mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung. Die Verjährung dieses Anspruchs richtet sich dann nach der Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB.
Rz. 6
Ist das Vermächtnis unter einer auflösenden Bedingung oder einem Endtermin vermacht, entfällt es, wenn die Bedingung oder der Endtermin eintritt. Tritt die auflösende Bedingung in der Person nur eines Vermächtnisnehmers ein, führt dies dazu, dass dem anderen Vermächtnisnehmer ab diesem Zeitpunkt ein höherer Anteil an dem vermachten Gegenstand zusteht. Es kommt ebenfalls zu einer Anwachsung des Vermächtnisses in dem Fall, dass das Vermächtnis auf die Lebenszeit mehrerer Vermächtnisnehmer beschränkt ist und einer von ihnen vorverstirbt. Das RG hat im Fall der Zuwendung einer lebenslänglichen Nutznießung am Nachlass durch mehrere § 2158 BGB angewendet. Sofern das Vermächtnis aber nicht auf die Lebenszeit der Vermächtnisnehmer beschränkt ist, führt der Tod eines Vermächtnisnehmers nach dem Vermächtnisanfall (§§ 2176–2178 BGB) nicht zur Anwachsung. Der Anteil des verstorbenen Vermächtnisnehmers am Vermächtnisgegenstand steht sodann seinen Erben zu.
III. Ausschluss der Anwachsung
Rz. 7
Der Erblasser kann die Anwachsung ausschließen (Abs. 2). Dies geschieht i.d.R. dadurch, dass er einen Ersatzvermächtnisnehmer einsetzt (§§ 2099, 2190 BGB). Möglich ist der Ausschluss der Anwachsung aber auch im Falle der Ersatzberufung nach § 2069 BGB (Abkömmlinge des Erblassers). Kommt es bei bestehendem Ausschlusswillen des Erblassers zu keiner Ersatzberufung, wird das Vermächtnis insoweit hinfällig und kommt dem Beschwerten zugute.
C. Rechtsfolgen
Rz. 8
Die Rechtsfolge (vgl. hierzu auch die Kommentierung zu § 2094) der Anwachsung ist, dass es zu einer Erhöhung des Vermächtnisanspruchs bei den übrigen Vermächtnisnehmern kommt. Der zur Anwachsung gelangende Vermächtnisanteil ist rechtlich nicht verselbstständigt. Aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbstständigkeit der Anwachsung kann sie nicht gesondert ausgeschlagen werden (§§ 2180 Abs. 3, 1950 BGB). Dabei ist jedoch § 2159 BGB (Selbstständigkeit der Anwachsung) zu beachten, der in gewissen Teilaspekten eine Selbstständigkeit fingiert (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 2159).
Rz. 9
Sind einige der Bedachten zu demselben Anteil berufen, so tritt die Anwach...