Rz. 111
Soweit der gemeine Wert nicht anhand eines tatsächlich erzielten Kaufpreises bestimmt werden kann, kommen für die Schätzung des Verkehrswerts verschiedene Bewertungsmethoden in Betracht. In diesem Zusammenhang differenziert die h.M. zwischen verschiedenen Arten von Grundstücken, deren Bewertung sich jeweils nach unterschiedlichen Grundsätzen richtet. Dies entspricht auch der derzeit in der Literatur favorisierten Vorgehensweise nach der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV), die unmittelbar eigentlich zwar nur für das Verfahren nach §§ 192 ff. BauGB gilt und nach der der Verkehrswert des Grundstücks i.S.d. § 194 BauGB bestimmt wird. Nach der Definition in § 194 BauGB stellt der Verkehrswert eine objektivierte Größe dar, die weder durch einen evtl. Verkaufsdruck des Besitzers oder seine Verkaufsunwilligkeit noch durch Sonderfaktoren beeinflusst wird. Er ist mit dem "wahren", "inneren", "wirklichen" Wert eines Grundstücks gleichzusetzen. Sie genügt daher also prinzipiell den Vorgaben des § 2311 BGB.
Rz. 112
Die allgemeinen Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt nach § 3 Abs. 2 ImmoWertV bilden einen wesentlichen Faktor für die Wertbestimmung. Diese richten sich nach der Gesamtheit der am Wertermittlungsstichtag für die im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Regeln von Angebot und Nachfrage erfolgende Preisbildung maßgeblichen Umstände. Somit wirken sich zwar die allgemeine wirtschaftliche Situation, der Kapitalmarkt sowie die örtlichen Entwicklungen auf die Bewertung aus, nicht aber persönliche oder ungewöhnliche Verhältnisse der Beteiligten (§ 7 ImmoWertV). Ziel der Wertermittlung ist vielmehr der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbare Wert. Die Gepflogenheiten des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs sind daher – nach § 8 Abs. 1 S. 2 ImmoWertV – auch bei der Wahl des Bewertungsverfahrens zu beachten.
Rz. 113
Daneben kommt gem. § 4 Abs. 2 ImmoWertV dem Zustand des Grundstücks entscheidende Bedeutung zu. Der Zustand, also die Gesamtheit der wertbeeinflussenden rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, wird durch den Entwicklungszustand (§ 5 ImmoWertV) sowie durch Art und Ausmaß der baulichen Nutzung (§ 6 ImmoWertV) bestimmt. Gem. § 6 Abs. 2 ImmoWertV sind auch wertbeeinflussende Rechte und Belastungen zu berücksichtigen. Gleiches gilt gem. § 6 Abs. 3 ImmoWertV für den beitrags- und abgabenrechtlichen Zustand sowie gem. § 6 Abs. 4 ImmoWertV für die Verkehrsanbindung, die Nachbarschaft, die Wohn- und Geschäftslage und die Umwelteinflüsse (Lagemerkmale).
Weitere relevante Merkmale sind nach § 6 Abs. 5 ImmoWertV schließlich die tatsächliche Nutzung, die Erträge, die Grundstücksgröße und der Zuschnitt sowie die Bodenbeschaffenheit, bei bebauten Grundstücken zusätzlich die Gebäudeart, die Bauweise und die Baugestaltung, die Größe, Ausstattung und Qualität, der bauliche Zustand, die energetischen Eigenschaften sowie die Restnutzungsdauer.
§ 6 Abs. 6 ImmoWertV nennt außerdem die Restnutzungsdauer, also die Zahl der Jahre, in denen eine bauliche Anlage bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung voraussichtlich noch genutzt werden kann.
Rz. 114
Für verschiedene Arten von Grundstücken sieht die ImmoWertV verschiedene Bewertungsmethoden vor. In Betracht kommen nach § 8 Abs. 1 S. 1 ImmoWertV das Vergleichswertverfahren (§§ 15, 16 ImmoWertV), das Ertragswertverfahren (§§ 17 bis 20 ImmoWertV) und das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 23 ImmoWertV), die grundsätzlich für folgende Grundstücksarten zur Anwendung kommen:
Das Vergleichswertverfahren wird regelmäßig zur Bewertung unbebauter Grundstücke sowie zur Bestimmung des Werts des sog. Bodenwert-Anteils bebauter Grundstücke herangezogen. Soweit im Einzelfall taugliche Vergleichspreise verfügbar sind, können auch bebaute Grundstücke, insbesondere Eigentumswohnungen oder Reihenhäuser nach dem Vergleichswertverfahren bewertet werden. Nach dem Sachwertverfahren werden – soweit keine tauglichen Vergleichspreise verfügbar sind – vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser bewertet. Das Ertragswertverfahren schließlich findet vorrangig Anwendung auf die Bewertung von Mietwohnhäusern, gewerblich-industriell genutzten Grundstücken, gemischt genutzten Grundstücken, öffentlich genutzten Grundstücken und Sonderimmobilien (z.B. Dienstleistungs- und Freizeitimmobilien).
Ungeachtet dieser grundsätzlichen Aussagen ist der Grundstücksachverständige bei der Wahl des Verfahrens aber frei.
Rz. 115
Belastungen eines Grundstücks mit Rechten Dritter, die die wirtschaftliche Verwertbarkeit als "Vermögenshandelsobjekt" mindern, können und müssen – auch/gerade im Rahmen der Wertermittlung nach § 2311 BGB – nach allen Bewertungsmethoden durch angemessene Wertabschläge berücksichtigt werden.
Rz. 116
Von den so ermittelten Werten sind die Kosten abzuziehen, die bei der Veräußerung einer Immobilie regelmäßig anfallen. Auch eine latente Ertragsteuerbelastung kann hier in Betracht kommen.