Rz. 15
Da der Gesamtpflichtteil neben dem ordentlichen Pflichtteil (§ 2303 BGB) gem. § 2325 BGB auch den Pflichtteilsergänzungsanspruch umfasst, erstreckt sich der Auskunftsanspruch auch auf solche Gegenstände, die nur deshalb nicht (mehr) zum realen Nachlass gehören, weil sie zu Lebzeiten des Erblassers verschenkt oder auf andere Weise aus seinem Vermögen ausgegliedert wurden, sog. fiktiver Nachlass. Allerdings muss der Pflichtteilsberechtigte sein Auskunftsverlangen entsprechend präzisieren, wenn er auch Angaben zum fiktiven Nachlass begehrt; eine "automatische" Verpflichtung, alle in diesen Bereich fallenden Umstände ohne konkrete Nachfrage offen zu legen, besteht auf Seiten des Erben nicht. Ebenso wenig ist er verpflichtet, über (alle) lebzeitigen Vermögensdispositionen des Erblassers zu informieren. Wird bei einer Stufenklage der Erbe (nur) verurteilt, über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu geben, kann er daher nicht mit den Zwangsmitteln des § 888 ZPO zur Auskunft über Schenkungen der letzten zehn Jahre angehalten werden.
Rz. 16
Der fiktive Nachlass ist in jedem Fall getrennt vom realen Nachlass darzustellen. Die Nennung lebzeitig verschenkter Vermögensgegenstände unter den Nachlassaktiva (auch eines notariellen Nachlassverzeichnisses) ist nicht geeignet, den Auskunftsanspruch hinsichtlich des fiktiven Nachlasses zu erfüllen. Der fiktive Nachlass umfasst neben den Schenkungen (§ 2325 BGB) auch alle anrechnungs- und ausgleichungspflichtigen Zuwendungen i.S.d. §§ 2315, 2316 BGB. Insoweit ist anzumerken, dass bei Zuwendungen an den Ehegatten – Schenkungen und unbenannten Zuwendungen – der Ablauf der Zehn-Jahres-Frist der Auskunftsverpflichtung des Erben in keinem Fall entgegensteht.
Rz. 17
Auch hier spielt der Wert der einzelnen Gegenstände für die Frage, ob sie dem Pflichtteilsberechtigten mitzuteilen sind, keine Rolle. Das gilt selbst dann, wenn es sich bei der fraglichen Zuwendung um eine Anstandsschenkung handelt, der i.R.d. Pflichtteilsberechnung gem. § 2330 BGB keine Bedeutung zukommt. Auch unbenannte Zuwendungen zum Zwecke der Unterhaltssicherung oder der Altersvorsorge unterliegen dem Auskunftsrecht des Pflichtteilsberechtigten. Denn – wie bereits mehrfach ausgeführt – muss der Pflichtteilsberechtigte selbst in die Lage versetzt werden, die zutreffende rechtliche Einordnung selbst vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund kann es natürlich auch auf die von Erblasser und Empfänger gewählte Bezeichnung der Zuwendung als Schenkung, gemischte Schenkung oder entgeltlicher Vorgang nicht ankommen. Daher sind sämtliche Vermögensverschiebungen von § 2314 BGB erfasst, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der Erblasser nur ein hinter dem wahren Wert des weggegebenen Gegenstandes zurückbleibendes Entgelt erhalten hat, sog. gemischte Schenkung. In diesen Fällen hat der Pflichtteilsberechtigte Anspruch auf Vorlage der Vertragsurkunden bzw. sonstiger Unterlagen (z.B. Geschäftsbücher), aus denen die wechselseitig gewährten Leistungen hervorgehen.
Rz. 18
Allerdings geht die Auskunftspflicht des Erben nach bislang h.M. im Regelfall nicht über die bloße Erteilung der geschuldeten Informationen hinaus; eine Verpflichtung zur Erbringung von Nachweisen, Vorlage von Belegen oder einer umfassenden Rechnungslegung wird bislang überwiegend abgelehnt. Da mit einer umfassenden Verpflichtung zur Vorlage sämtlicher mit möglicherweise nicht vollentgeltlichen Vermögensverschiebungen verbundenen Unterlagen sehr schnell auf eine vollkommene Offenlegung der Vermögensverhältnisse nicht nur des Erblassers sondern auch des bzw. der einzelnen Zuwendungsempfänger hinausliefe, wird die Verpflichtung zur Auskunft über den fiktiven Nachlass restriktiv ausgelegt. Denn § 2314 BGB soll nach h.M. ausdrücklich keine Verdachtsausforschung ermöglichen. Aus diesem Grunde müssen zur Rechtfertigung eines Auskunftsanspruchs hinsichtlich des fiktiven Nachlasses konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Erblasser sein Vermögen durch unentgeltliche oder teilweise unentgeltliche Verfügungen bzw. verschleierte Schenkungen vermindert hat. Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinne sind beispielsweise darin zu sehen, dass die Entwicklung des Vermögens des Erblassers in den letzten Jahren vor seinem Tod ohne die Annahme erheblicher Schenkungen nicht plausibel ist.
Ohne derartige Anhaltspunkte ist ein Auskunftsanspruch über den fiktiven Nachlass nicht gegeben. Andererseits liegt es in der Natur des Auskunftsanspruchs, dass das Vorliegen einer ergänzungspflichtigen Zuwendung nicht bereits zweifelsfrei feststehen muss, "greifbare" Anhaltspunkte genügen.
Rz. 19
Als Anhaltspunkt für das Vorliegen lebzeitiger ergänzungspflichtiger Zuwendungen kann bspw. angeführt werden, dass der Erblasser vor seinem Tod Guthaben oder Forderungen abgetreten oder sonstiges Vermögen weggegeben hat. Insbesondere wenn der Erblasser bekanntermaßen über ein erhebliches Verm...