Gerhard Sievert, Ulrich Gohlisch
Gesetzestext
(1) Der Liegenschaftszinssatz ist der Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Grundstücken im Durchschnitt marktüblich verzinst wird.
(2) Anzuwenden sind die Liegenschaftszinssätze, die von den Gutachterausschüssen für den letzten Auswertungszeitraum abgeleitet werden, der vor dem Kalenderjahr endet, in dem der Bewertungsstichtag liegt. Soweit von den Gutachterausschüssen keine geeigneten Liegenschaftszinssätze zur Verfügung stehen, gelten die folgenden Zinssätze:
1. |
5 Prozent für Mietwohngrundstücke, |
2. |
5,5 Prozent für gemischt genutzte Grundstücke mit einem gewerblichen Anteil von bis zu 50 Prozent, berechnet nach der Wohn- und Nutzfläche, |
3. |
6 Prozent für gemischt genutzte Grundstücke mit einem gewerblichen Anteil von mehr als 50 Prozent, berechnet nach der Wohn- und Nutzfläche, und |
4. |
6,5 Prozent für Geschäftsgrundstücke. |
Gesetzesbegründung: BT-Drucks 16/11107, S. 22; BT-Drucks 19/28902, S. 16 ff.
Verwaltungsanweisung: R B 188 ErbStR 2019 v. 16.12.2019, BStBl I 2019, Sondernummer 1/2019.
A. Allgemeines
Rz. 1
§ 188 Abs. 1 BewG enthält die Definition des Liegenschaftszinssatzes für bewertungsrechtliche Zwecke.
B. Tatbestand
I. Gesetzliche Definition (Abs. 1)
Rz. 2
Nach der gesetzlichen Definition in § 188 BewG ist der Liegenschaftszinssatz der Zinssatz, mit dem der Verkehrswert von Grundstücken im Durchschnitt marktüblich verzinst wird. Die bewertungsrechtliche Definition entspricht mithin derjenigen in § 14 Abs. 3 S. 1 ImmoWertV. Praktisch ausgedrückt bedeutet das, dass der Liegenschaftszins angibt, wie sich das in ein Grundstück investierte Kapital im Durchschnitt verzinst. Als Verzinsungsbasis wird jedoch nicht das investierte Kapital, sondern der gemeine Wert des Grundstücks herangezogen.
II. Ermittlung des Liegenschaftszinssatzes (Abs. 2)
Rz. 3
Der Liegenschaftszinssatz wird nicht individuell ermittelt. Liegen von dem Gutachterausschuss ermittelte und dem Finanzamt mitgeteilte örtliche Liegenschaftszinsen vor, sind diese zu nehmen (vgl. § 193 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 und S. 3 BauGB). Soweit von den Gutachterausschüssen keine geeigneten Liegenschaftszinssätze zur Verfügung stehen, gelten subsidiär die in § 188 Abs. 2 BewG gesetzlich vorgegebenen Liegenschaftszinsen.
Rz. 4
Die am 23.7.2021 in Kraft getretene modifizierte Gesetzesfassung verfolgt das Ziel, dass die von den Gutachterausschüssen ermittelten sonstigen für die Wertermittlung erforderlichen Daten, so eben auch die Liegenschaftszinssätze, im Rahmen der Grundbesitzbewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer weiterhin sach- und praxisgerecht angewendet werden können. Die angepasste Version des Gesetzes fixiert die bisherige Verwaltungsauffassung mit der Konsequenz, dass – wie bei den Bodenrichtwerten – die zuletzt ermittelten Daten für die Bewertung maßgeblich sind (vgl. R B 188 Abs. 3 S. 2 ErbStR 2019). Ein nach der Rechtsprechung des BFH ergangenes Urteil vom 18.9.2019 ist somit für obsolet erklärt worden. Vielmehr wird die Verwaltungsmeinung, die in einem "Nichtanwendungserlass" manifestiert worden ist (siehe § 188 BewG Rdn 6), bekräftigt.
Rz. 5
Der BFH hatte mit Urteil vom 18.9 2019 entschieden, dass die vom Gutachterausschuss ermittelten und für die Bewertung des Grundbesitzes erforderlichen Daten, so auch die Liegenschaftszinssätze, nur Anwendung finden, wenn der Auswertungszeitraum der Gutachterausschüsse den Bewertungsstichtag mitumfasst. Dies hätte zur Folge, dass für die jeweilige Bewertung auf die Auswertung und Veröffentlichung des Gutachterausschusses für den Auswertungszeitraum gewartet werden muss, der den Bewertungsstichtag mitumfasst. Der vom Gutachterausschuss zugrunde gelegte Auswertungszeitraum ist jedoch vom Gutachterausschuss frei wählbar und hängt auch von den vorhandenen Daten des Gutachterausschusses ab. Dies führt nach Meinung des Gesetzgebers und der Verwaltung zu erheblicher Rechtsunsicherheit und gefährdet eine zeitnahe Erhebung der Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie Grunderwerbsteuer.
Rz. 6
Verwaltungsmeinung/Nichtanwendungserlass: In gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder vom 23.9.2020 sind die Urteilsgründe nach Auffassung der Finanzverwaltung über den entschiedenen Einzelfall hinaus für nicht anwendbar erklärt worden ("Nichtanwendungserlass"). Begründend wird hier angeführt, dass sich aus Sicht der Verwaltung in der Praxis folgendes Problem bezüglich der Aktualität der Daten ergibt: Denn die Daten der Gutachterausschüsse werden zunächst über mehrere Jahre erhoben und gesammelt, dann erst periodisch ausgewertet und schließlich veröffentlicht. Es kann sich bei einer derartigen Vorgehensweise bis zum letzten Schritt der Ermittlung und Veröffentlichung von Liegenschaftszinssätzen, bei denen der maßgebende Bewertungsstichtag (§§ 11, 9 ErbStG) innerhalb des Zeitr...