Sachverhalt
Das Vorabentscheidungsersuchen eines bulgarischen Gerichts betraf die Auslegung verschiedener Bestimmungen der "Sonderregelung für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke und Antiquitäten" (sog. Differenzbesteuerung) nach den Artikeln 311 ff. MwStSystRL.
Die Klägerin, eine Gebrauchtwagenhandelsfirma, hatte aus der Schweiz u.a. gebrauchte Reifen und Felgen nach Bulgarien eingeführt und auf die entrichtete EUSt den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Einen Teil dieser eingeführten Gegenstände hatte die Klägerin im streitigen Besteuerungszeitraum noch nicht veräußert. Die bulgarische Finanzverwaltung verweigerte den sofortigen Vorsteuerabzug der Klägerin mit der Begründung, die Klägerin habe sich für die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung entschieden. Demzufolge entstehe der Vorsteuerabzug erst in dem Steuerzeitraum, in dem der Steueranspruch für die nachfolgende Lieferung der Gegenstände entstanden ist.
Die Finanzverwaltung stützte sich - insoweit zutreffend - auf die Regelung des Art. 320 Abs. 2 MwStSystRL. Danach ist der steuerpflichtige Wiederverkäufer, der die normale Mehrwertsteuerregelung anwendet, berechtigt, bei der Lieferung eines von ihm selbst eingeführten Kunstgegenstands, Sammlungsstücks oder einer Antiquität die für die Einfuhr dieses Gegenstands geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen (Art. 320 Abs. 1 MwStSystRL). Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht zu dem Zeitpunkt, zu dem der Steueranspruch für die Lieferung entsteht, für die der steuerpflichtige Wiederverkäufer die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung gewählt hat (Art. 320 Abs. 2 MwStSystRL). Somit entsteht in diesen Fällen das Recht auf Vorsteuerabzug für die Einfuhr - entgegen der allgemeinen Regelung des Art. 167 MwStSystRL - erst dann, wenn der eingeführte Gegenstand steuerpflichtig veräußert wird. Die Regelung gilt nur für Kunstgegenstände, Sammlungsstücks oder Antiquitäten, nicht aber für (andere) Gebrauchtgegenstände.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass nach dem für ihn insoweit eindeutigen Wortlaut von Art. 314 MwStSystRL die Differenzbesteuerung nicht auf Lieferungen von Gegenständen wie gebrauchten Autoteilen anwendbar ist, die ein der normalen Mehrwertsteuerregelung unterliegender steuerpflichtiger Wiederverkäufer selbst in die Union eingeführt hat. Der Satzteil "wenn ihm diese Gegenstände innerhalb der Gemeinschaft ... geliefert werden" in Art. 314 MwStSystRL betrifft nach dem Urteil nur den Fall, dass die Gegenstände vor ihrem Wiederverkauf durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer Gegenstand einer innerstaatlichen oder innergemeinschaftlichen Lieferung an den Wiederverkäufer waren.
Nach den weiteren Entscheidungsgründen ist die Regelung in Art. 320 Abs. 1 und 2 MwStSystRL dahin auszulegen, dass sie nur dann anzuwenden ist (d.h. nur dann der Vorsteuerabzug erst im Zeitpunkt der Weiterveräußerung des eingeführten Gegenstands entsteht), wenn der Wiederverkäufer sich für die Anwendung der Normalversteuerung und nicht der Differenzbesteuerung entschieden hat. Da im vorliegenden Fall die Klägerin bezüglich der eingeführten Gegenstände jedoch nicht die Wahl zwischen Differenzbesteuerung und Normalversteuerung hatte (sie hatte einen anderen Gegenstand als die in Art. 320 aufgeführten Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten eingeführt, auf den die Differenzbesteuerung nicht anzuwenden war), durfte ihr der sofortige Vorsteuerabzug nicht verweigert werden. Die Verschiebung des Abzugs der Einfuhrumsatzsteuer für steuerpflichtige Wiederverkäufer, die im Einzelfall die normale Besteuerung wählen, gilt nicht für Gebrauchtgegenstände. Der EuGH gesteht dem Unternehmer auch das Recht zu, sich insoweit unmittelbar auf Art. 314 und 320 MwStSystRL berufen zu können.
Hinweis
§ 25a UStG steht im Einklang mit der EuGH-Entscheidung. Der Ort der Lieferung der Gegenstände an den Wiederverkäufer muss im Inland oder im übrigen Gemeinschaftsgebiet liegen. Wird ein Gegenstand im Drittlandsgebiet erworben und in das Inland eingeführt, unterliegt die spätere Lieferung des Gegenstands nur unter den Voraussetzungen des § 25a Abs. 2 UStG der Differenzbesteuerung. Ein Verzicht auf die Anwendung der Differenzbesteuerung ist bei jeder einzelnen Lieferung eines Gebrauchtgegenstands möglich. Im Fall der Besteuerung nach der Gesamtdifferenz ist ein Verzicht ausgeschlossen. Der Verzicht ist auch für solche Gegenstände möglich, für die der Wiederverkäufer nach § 25a Abs. 2 UStG die Anwendung der Differenzbesteuerung erklärt hat. In diesem Fall kann er die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer und die ihm berechnete Umsatzsteuer frühestens in der Voranmeldung als Vorsteuer geltend machen, in der er auch die Steuer für die Lieferung anmeldet.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 03.03.2011, C-203/10