Leitsatz
1. Art. 314 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass die Differenzbesteuerung nicht auf Lieferungen von Gegenständen wie gebrauchten Autoteilen anwendbar ist, die ein der normalen Mehrwertsteuerregelung unterliegender steuerpflichtiger Wiederverkäufer selbst in die Union eingeführt hat.
2. Art. 320 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 2 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Bestimmung entgegensteht, nach der das Recht des steuerpflichtigen Wiederverkäufers, die für die Einfuhr anderer Gegenstände als Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten in Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, erst bei der nachfolgenden, dieser Regelung unterliegenden Lieferung entsteht.
3. Die Art. 314 und 320 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 2 MwStSystRL haben unmittelbare Wirkung, die es einem Einzelnen gestattet, sich vor einem nationalen Gericht auf sie mit dem Ziel zu berufen, dass eine mit diesen Bestimmungen unvereinbare nationale Regelung unangewandt bleibt.
Normenkette
Art. 311 Abs. 1 Nr. 1, 314 und 320 der MwStSystRL (§ 25a UStG)
Sachverhalt
Ein bulgarischer Autohändler hatte gebrauchte Autoersatzteile aus der Schweiz importiert, sich für die Regelbesteuerung entschieden und vergeblich den Abzug der Einfuhr-USt als Vorsteuer beansprucht. Den sollte er nach der bulgarischen USt-Regelung erst beim Wiederverkauf erhalten.
Entscheidung
Die Grundsätze ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen; "Gebrauchtgegenstände" i.S.d. MwStSystRL sind bewegliche körperliche Gegenstände, die keine Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten und keine Edelmetalle oder Edelsteine i.S.d. Definition der Mitgliedstaaten sind und die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind.
Hinweis
1. Das Verhältnis der Regelungen zur Differenzbesteuerung in der MwStSystRL und im UStG wäre ein eigenes Kapitel. Die Regelung für die Besteuerung auf dem Gebiet der Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Antiquitäten und Sammlungsstücke (Differenzbesteuerung – vgl. § 25a UStG) hat den Zweck, Doppelbesteuerungen und Wettbewerbsverzerrungen zwischen Steuerpflichtigen zu vermeiden.
2. Art. 313ff. MwStSysRL sehen daher (ebenso § 25a UStG) für Lieferungen von "Gebrauchtgegenständen, Kunstgegenständen, Sammlungsstücken und Antiquitäten durch steuerpflichtige Wiederverkäufer" eine Sonderregelung vor; besteuert wird nur die vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer erzielte Differenz (Handelsspanne). Voraussetzung ist, dass der Lieferer kein Unternehmer ist, oder ein Unternehmer, sofern die Lieferung des Gegenstands durch diesen gem. Art. 136 der MwStSystRL von der Steuer befreit ist; oder die Lieferung durch einen Kleinunternehmer (Art. 282 bis 292) und es sich dabei um ein Investitionsgut handelt; oder "ein anderer steuerpflichtiger Wiederverkäufer, sofern die Lieferung des Gegenstands durch diesen anderen steuerpflichtigen Wiederverkäufer gem. dieser Sonderregelung mehrwertsteuerpflichtig ist".
3. Der Wiederverkäufer kann auch den normalen Steuersatz wählen (Art. 319) und darf dann aber die Vorsteuer abziehen (Art. 320).
4. Die Gefahr der Doppelbesteuerung, die die Differenzbesteuerung verhindern soll, besteht, wenn der Unternehmer einen bereits mehrwertsteuerbelasteten Gegenstand erwirbt, ohne dass der Lieferer diese Steuer hatte abziehen können. Bei der Einfuhr von Gegenständen, die grundsätzlich die Anwendung der Differenzbesteuerung erlauben würden, besteht keine Gefahr der Doppelbesteuerung, weil der Unternehmer die Einfuhr-USt schuldet. Zur Einfuhr von Antiquitäten und Sammlungsstücken und Kunstgegenständen enthält die MwStSystRL in Art. 320 die Regelung, dass die Vorsteuer zwar abziehbar ist, aber erst zu dem Zeitpunkt der Weiterlieferung. Daraus folgert der EuGH: Die Differenzbesteuerung ist unabhängig davon, ob es sich um Gebrauchtgegenstände i.S.d. MwStSystRL handelt, nicht anwendbar bei der Einfuhr von anderen Gegenständen als Antiquitäten, Sammlungsstücken und Kunstgegenständen. Das bedeutet, dass in diesem Fall die normale Regelung uneingeschränkt – d.h. sofortiger Abzug der vom Unternehmer geschuldeten Einfuhr-USt – anzuwenden ist.
§ 25a UStG ist entsprechend einzuschränken. Der Steuerpflichtige kann sich – so ausdrücklich der EuGH – auf Art. 314 und 320 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 2 MwStSystRL berufen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 03.03.2011 – C-203/10 – Auto Nikolovi OOD –