Leitsatz
Die Mutter von drei minderjährigen Kindern aus ihrer zwischenzeitlich geschiedenen Ehe mit dem Vater wandte sich gegen die Entscheidung des Familiengerichts, das im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für die gemeinsamen Kinder auf den Vater übertragen hatte. Gegenstand des Verfahrens war primär die Frage, ob die gesamte elterliche Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung übertragen werden kann.
Sachverhalt
Die geschiedenen Eltern dreier minderjähriger Kinder hatten im November 2011 eine familiengerichtlich gebilligte Elternvereinbarung getroffen, wonach u.a. unter Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts der Lebensmittelpunkt der Kinder beim Vater bleiben sollte. Vorausgegangen war ein heftiger Elternstreit, der sich kurzfristig beruhigte. Der Streit zwischen den Eltern brach jedoch sehr heftig wieder auf, als die Mutter die drei Kinder zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kinder sich gemäß der Elternvereinbarung bei ihr aufhielten, in einer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin vorstellte in der Absicht, sie dort stationär aufnehmen zu lassen, um dadurch einen - angeblichen - Verdacht des sexuellen Missbrauchs durch den Vater nachweisen zu können. Die Mutter wollte eines der Kinder unter Vollnarkose genital und rektal untersuchen lassen, um den Verdacht des sexuellen Missbrauchs abzuklären. Alle drei Kinder waren psychisch stark belastet und litten unter unterschiedlichen Störungen.
Der Vater beantragte daraufhin im Wege der einstweiligen Anordnung die Übertragung der elterlichen Sorge für alle drei Kinder auf sich. Das AG hat diesem Antrag stattgegeben.
Gegen diesen Beschluss wandte sich die Kindesmutter mit der Beschwerde.
Das Rechtsmittel war nur teilweise erfolgreich.
Entscheidung
Das Rechtsmittel der Kindesmutter führte zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit, als dem Vater lediglich das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und zur Gesundheitsfürsorge übertragen wurde.
Zur Zulässigkeit des Vorgehens des erstinstanzlichen Gerichts führte das KG aus, dass auch in Anbetracht des Vorrang- und Beschleunigungsgebots des § 155 FamFG sowie der Notwendigkeit im früheren Hauptsachetermin den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern, wenn kein Einvernehmen erzielt werde (§ 156 Abs. 3 S. 1 FamFG) ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden vorliege. Das hochstreitige und konfliktbehaftete Verhalten der Eltern führe zu massiven Beeinträchtigungen der Kinder. Das Kind, das auf Veranlassung der Kindesmutter im Krankenhaus hätte untersucht werden sollen, sei darüber hinaus massiv instrumentalisiert und zu einem Objekt im Elternstreit herabgewürdigt worden. Im Übrigen sei eine Einigung der Eltern nicht zu erwarten.
Ebenso wie das erstinstanzliche Gericht vertrat auch das KG die Auffassung, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge gemäß § 1671 BGB zum Wohle der Kinder erforderlich sei. Das Familiengericht habe zutreffend erkannt, dass mit der Elternvereinbarung im November 2011 gerade keine Änderung der Sorgerechtsverhältnisse einhergegangen sei, sondern die Eltern dort - insoweit nur deklaratorisch - einen Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge vereinbart hätten. Die bisherigen, kraft Gesetzes bestehenden Sorgeverhältnisse hätten bis zum Erlass der angegriffenen Entscheidung unverändert gegolten. Es handele sich somit hier um einen erstmaligen gerichtlichen Eingriff in den Sorgestatus, der damit den Maßstab des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 zu genügen habe und nicht den höheren Anforderungen des § 1696 Abs. 1 BGB.
Im einstweiligen Anordnungsverfahren sei im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur eine Entscheidung über Aufenthalt und Gesundheitsfürsorge, nicht aber über die gesamte elterliche Sorge zu treffen. Insbesondere der Kontinuitätsgrundsatz und die Elternvereinbarung sprächen für eine Übertragung auf den Kindesvater.
Link zur Entscheidung
KG Berlin, Beschluss vom 05.04.2012, 17 UF 50/12