Dr. Klaus-Peter Horndasch
1.1 Das Grundrecht der elterlichen Sorge
Die Pflege und Erziehung der Kinder ist das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht; dies legt Art. 6 Abs. 2 GG fest. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG).
Eltern, so führt es § 1626 Abs. 1 BGB aus, haben die Pflicht und das Recht, also die Verantwortung, für die Person und das Vermögen ihres minderjährigen Kindes zu sorgen.
Art. 6 Abs. 2 GG gibt Eltern ein starkes Abwehrrecht gegenüber Einmischungen Dritter sowie des Staates in das Sorgeverhältnis. Das grundrechtlich geschützte Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG bezieht sich auf leibliche Eltern, unabhängig von ihrem Familienstand sowie auf diesen gleichgestellten Adoptiveltern. Bei einem länger andauernden Pflegeverhältnis und der daraus erwachsenen Bindung zwischen Pflegeeltern und Pflegekind ist auch die Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützt.
Die elterliche Sorge ist ein absolutes Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Der Staat übt im Rahmen seines Wächteramtes eine Garantiefunktion für Kindesrechte aus. Er handelt somit als ‹Ausfallbürge› für die ansonsten vorrangige Elternkompetenz.
1.2 Historisches zur elterlichen Sorge
Entscheidender Maßstab in der Ausübung elterlicher Verantwortung ist das Kindeswohl. Dies gilt auch für alle gerichtlichen Maßnahmen im Bereich des Sorgerechts, § 1697a BGB.
Der Begriff des Kindeswohls ist allerdings von Gerichten zu allen Zeiten gefüllt worden mit einem Inhalt, der nicht unabhängig von der jeweiligen gesellschaftspolitischen Situation und nicht unabhängig von gesellschaftlichen Auffassungen gesehen werden kann. 1917 wurde ein Minderjähriger den Eltern weggenommen und in ein Heim gesteckt, weil das Kind nicht in der Lage war, so das Kammergericht, für das Große, das Deutschland an hervorragenden Männern und Taten hervorgebracht (hat), Verständnis zu gewinnen.
In der – gerade beginnenden – Zeit des Nationalsozialismus erklärte das AG Berlin-Lichterfelde:
Es besteht die dringende Gefahr, dass das Kind nach der Rückkehr des Vaters (Anm.: seinerzeit als Kommunist in Haft) in staatsfeindlicher Weise und somit zu seinem Nachteil erzogen wird … Es ist Aufgabe des Vormundschaftsgerichts, dafür zu sorgen, dass auf den Minderjährigen in nationaldeutschem Sinne eingewirkt wird.
Ein Landgericht meinte ebenfalls bereits 1935:
Eine deutsche Mutter, die durch ihren Verkehr mit einem Juden zu einer Zeit, in der eine aufklärende Propaganda ihr das Verbrecherische ihrer Handlungsweise zum Bewusstsein hat bringen müssen, eine schamlose Gesinnung an den Tag gelegt hat, ist nicht würdig und nicht fähig, deutsche Kinder zu deutschen Menschen zu erziehen.
Es hat gedauert, bis sich die Auffassung weg von einem Gewaltverhältnis, einem reinen Elternrecht, hin zu einer Elternverantwortung durchgesetzt hatte. Während beispielsweise noch 1953 ein Elternverhalten vom BGH als lediglich drastisch qualifiziert wurde, bei dem die 16-jährige Tochter in der Wohnung festgehalten, festgebunden und geschlagen wurde, ihre Haare kurz geschoren wurden, um ihre sittliche Verkommenheit zu bekämpfen, entzog immerhin das OLG Karlsruhe 1974 einem Vater, der seine 14-jährige Tochter schlug und sie ohrfeigte, das Personensorgerecht, weil "Schläge in diesem Alter kein geeignetes Erziehungsmittel seien".
Aber nicht nur die Rechtsprechung, auch der Gesetzgeber verstärkte im Wandel gesellschaftspolitischer Einsichten mehr und mehr die Bemühungen um die Kinderrechte mit dem Ausgangspunkt des Kindeswohls. Von großer Bedeutung auf diesem Weg waren Gesetzesänderungen, deren Dimension auf den ersten Blick nicht auffiel, wie beispielsweise die verschuldensunabhängige Formulierung des § 1666 BGB im Jahre 1980, die zwar angegriffen, aber vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde.
Seitdem hat eine Reihe von Reformen dafür gesorgt, dass das Kindeswohl zum Mittelpunkt der Entscheidungen auch im Rahmen der elterlichen Sorge geworden ist.
Zuletzt setzte das am 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG neue Standards im Umgang mit Kindern und ihren Rechten im Rahmen unserer Gesellschaft.
1.3 Das Entstehen elterlicher Sorge
Die gemeinsame Sorge wächst den Eltern – außer in den Fällen des § 1626a BGB – auf Grund vor- oder nachgeburtlicher Eheschließung gemeinsam zu (§ 1626a I Nr. 2 BGB).
Eine gem. § 1626a BGB bestehende Alleinsorge der Mutter verwandelt sich von Gesetzes wegen in eine gemeinsame Sorge der Eltern.
Gleiches gilt für eine gemäß § 1672 BGB dem Vater übertragene Alleinsorge.
Voraussetzung ist allerdings, dass Mutterschaft und Vaterschaft feststehen. Ohne Vaterschaftsfeststellung ändert sich an der Alleinsorge der Mutter auch durch Heirat der biologischen Eltern zunächst nichts. Wird die Vaterschaft später festgestellt, wirkt sie auf den Zeitpunkt der Eheschließung zurück.
War jedoch der Mutter zu diesem Zeitpunkt bereits die Personen- oder Vermögenssorge nach § 1666 BGB teilweise entzogen, so wächst die elterliche Sorge dem Vater nur in dem Umfang zu, wie sie der Mutter selbst zustand. Das Familiengericht kann jedoch dem Vater die elterliche Sorge gem. §§ 1696, 1680 Abs. 3 i...