Leitsatz
Der alleinerziehenden Mutter eines im Juni 2001 geborenen Kindes war durch Beschluss des erstinstanzlichen Gerichts vom 15.6.2005 gem. §§ 1666, 1666a BGB das Sorgerecht vollständig entzogen worden. Der Sohn lebte seit dem Jahre 2002 in einer Pflegefamilie bei den Großeltern väterlicherseits.
Die Kindesmutter legte gegen den Sorgerechtsbeschluss des AG Beschwerde ein.
Auf ihre Beschwerde hin stellte das OLG fest, dass die Grundlage für den erstinstanzlich vorgenommenen vollständigen Sorgerechtsentzug nachträglich entfallen seien, sodass die angefochtene Entscheidung des AG aufzuheben sei.
Aus Gründen des Kindeswohls sei allerdings eine Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB zugunsten der Pflegeeltern zu erlassen und gem. § 1666 Abs. 1 BGB die Gesundheitsvorsorge als Teilbereich der elterlichen Sorge auf die Pflegeeltern zu übertragen.
Sachverhalt
siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG kam zu dem Ergebnis, die vollständige Entziehung des nach § 1626a Abs. 2 BGB bestehenden mütterlichen Sorgerechts sei mangels fortbestehender Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr gerechtfertigt. Nach § 1696 Abs. 2 BGB seien Maßnahmen i.S.d. §§ 1666, 1666a BGB dann wieder aufzuheben, wenn keine Gefahr für das Wohl des Kindes mehr bestehe. Die Vernachlässigung des Kindes durch seine Mutter sei zumindest teilweise wieder weggefallen. Allerdings liege nunmehr eine neue, über § 1632 Abs. 4 BGB zu berücksichtigende Gefährdung des Kindeswohls darin, dass der bei seinen Großeltern väterlicherseits seit Mai 2002 untergebrachte Junge inzwischen dort so stark verwurzelt sei, dass es durch eine - nach Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter nicht auszuschließende - unvermittelte Herausnahme aus der Pflegefamilie seelischen Schaden erleiden würde. Dieser Gefahr sei daher durch eine Verbleibensanordnung zu begegnen.
Das OLG ging davon aus, dass die Kindesmutter durchaus in der Lage sein werde, das Kind angemessen zu betreuen. Mit Blick auf des Kindeswohl sei jedoch vorrangig die in der Pflegefamilie entstandene enge Eltern-Kind-Bindung zu berücksichtigen, die in den vier Jahren des Aufenthalts des Kindes dort entstanden sei. Nach Angaben des Sachverständigen war eine vor dieser Zeit liegende Mutter-Kind-Beziehung nicht entstanden. Die beabsichtigte Trennung des Kindes von seinen jetzigen primären Beziehungspersonen, den Pflegeeltern, würde zu schwerwiegenden seelischen Problemen mit möglicherweise irreparablen Schäden für seine Persönlichkeitsentwicklung führen.
Die Herausnahme des Kindes aus seinem vertrauten Lebensumfeld mit der einhergehenden Trennung von seinen bisherigen wichtigsten Bindungspersonen würde eine massive Gefährdung des Kindeswohls darstellen, weil irreversible seelische Probleme naheliegend seien. Die mit der Sorgerechtsübertragung verbundene - und von der Kindesmutter beabsichtigte - Trennung des Kindes aus seinem bisherigen Lebensumfeld berge die Gefahr schwerwiegender psychischer Probleme für das Kind.
Eine uneingeschränkte Rückübertragung der elterlichen Sorge auf die Kindesmutter beinhalte grundsätzlich den Anspruch, von den Pflegeeltern die Herausgabe des Kindes zu verlangen. Eine Herauslösung aus der Pflegefamilie und die Herausgabe des Kindes an seine leibliche Mutter können einen zweiten tiefen Bruch im Leben des Kindes darstellen. Gerade aber in seinen ersten prägenden Lebensjahren sei das Kind im besonderen Maße auf die Betreuung durch eine konstante Bezugsperson angewiesen. Danach sei es erforderlich, dass das Kind auch zukünftig in seiner bisherigen Umgebung verbleibe, um eine anderenfalls drohende Gefährdung des Kindeswohls auszuschließen.
Die Entscheidung entspreche auch dem Gebot der Geeignetheit. Geeignet und damit erforderlich könnten nur solche Maßnahmen sein, die die Kindessituation objektiv verbessern könnten. Erforderlich und verhältnismäßig könne aber auch immer nur der geringst mögliche Eingriff sein. Genüge eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB, bedürfe es keines einschneidenden Eingriffs in das Sorgerecht durch dessen vollständigen Entzug nach § 1666 BGB mehr.
Allerdings sei das Sorgerecht einzuschränken, soweit die Gesundheitsfürsorge als Teil des Sorgerechts bei den Pflegeeltern verbleiben müsse, da anderenfalls das körperliche Wohl des Kindes gefährdet wäre. Die Kindesmutter sei nicht ansatzweise in der Lage, sich um die Gesundheit des Kindes und medizinische Versorgung zu kümmern.
Link zur Entscheidung
OLG Naumburg, Beschluss vom 18.10.2006, 14 UF 89/05