Leitsatz
Getrennt lebende Eltern stritten um die elterliche Sorge für ihren gemeinsamen Sohn. Die Kindesmutter war brasilianische Staatsangehörige und hatte drei weitere Kinder, die von dem Ehemann in Brasilien adoptiert wurden. Er war deutscher Staatsangehöriger. Die Adoption wurde in Deutschland nicht anerkannt, weil das Anerkennungsverfahren nicht durchgeführt wurde.
Nach der Eheschließung im August 2004 zogen die Eltern mit den Kindern nach Deutschland. Nach der Trennung der Eltern blieb der gemeinsame Sohn beim Vater. Die anderen Kinder lebten bei der Kindesmutter.
Mit Beschluss vom 21.4.2009 übertrug das AG im Einvernehmen beider Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den gemeinsamen Sohn auf den Vater.
In dem anhängigen Ehescheidungsverfahren beantragte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 25.5.2010 in Abänderung des genannten Beschlusses das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den gemeinsamen Sohn auf sie zu übertragen.
Der Vater beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 1.6.2010 im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für H. insgesamt ihm zu übertragen, da er beabsichtige, aus beruflichen Gründen für ein Jahr nach Argentinien zu gehen.
Das AG gab seinem Antrag mit Beschluss vom 2.7.2010 statt und führte zur Begründung aus, dass der Vater die Hauptbezugsperson für den gemeinsamen Sohn sei, da er bereits seit einem Jahr in seinem Haushalt wohne.
Die Kindesmutter hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt und Zurückweisung des Antrages des Kindesvaters beantragt.
Zur Begründung führte sie an, ein Umzug nach Argentinien würde eine erhebliche Belastung für den Sohn darstellen und insbesondere die Bindung zu ihr und zu den Halbgeschwistern erheblich beeinträchtigen. Sie befürchte zudem einen völligen Bindungsabbruch, weil sie damit rechne, dass der Aufenthalt in Argentinien erheblich länger dauern werde als ein Jahr.
Ihr Rechtsmittel hatte Erfolg.
Sachverhalt
Siehe Kurzzusammenfassung
Entscheidung
Das OLG änderte die erstinstanzliche Entscheidung ab und wies den Antrag des Kindesvaters ab. Zur Begründung wurde angeführt, es fehle bereits an einem dringenden Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden gemäß § 49 Abs. 1 FamFG.
Für die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf einen Elternteil gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB bestehe ein dringendes Regelungsbedürfnis nur in Ausnahmefällen (Zöller/Feskorn, ZPO, 28. Aufl., § 49 Rz. 16; Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, FamFG, 2. Aufl., § 49 Rz. 26; s.a. OLG München FamRZ 1999, 111).
An einem solchen dringenden Regelungsbedürfnis fehle es hier. Eine Anordnung sei am Kindeswohl zu orientieren. Damit sei auch für die Frage der Dringlichkeit das Kindeswohl das maßgebliche Kriterium. Es sei nicht ersichtlich, warum eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater mit dem Ziel, mit dem Kind für mindestens ein Jahr nach Argentinien zu gehen, aus Kindeswohlgründen dringend erforderlich sei. Auch von dem Kindesvater sei dies nicht dargelegt worden.
Zwar sei bei der Frage der Übertragung der elterlichen Sorge die Lebensplanung des Vaters grundsätzlich zu akzeptieren und die denkbare Alternative, dass er in Deutschland bleibe, nicht in Betracht zu ziehen. Eine solche Prüfung könne jedoch nur in einem Hauptsacheverfahren und nicht im Verfahren der einstweiligen Anordnung erfolgen, zumal möglicherweise ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsse.
Im Übrigen äußerte das OLG Bedenken hinsichtlich der Vorläufigkeit der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts, weil durch einen Umzug des Vaters mit dem Kind nach Argentinien Fakten geschaffen würden, die sich auf das Kindeswohl gravierend auswirken könnten und zudem durch die damit verbundene faktische Präjudizwirkung erheblich in die Grundrechtsposition der Mutter eingreifen würde (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2009, 189).
Auch unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei kein Raum für eine vorläufige Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Link zur Entscheidung
OLG Nürnberg, Beschluss vom 09.09.2010, 11 WF 972/10