Leitsatz
Getrennt lebende Eltern stritten um die elterliche Sorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre im Januar 2004 geborenen Zwillinge. Die Kindesmutter litt seit Geburt unter einer neuralen Muskelatrophie, die sich sukzessive verschlechterte und dazu führte, dass sie bei vielfachen Verrichtungen des Alltags fremder Hilfe bedurfte.
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob und wieweit sich die bestehende Körperbehinderung der Kindesmutter auf deren Erziehungseignung auswirkt und bei der Regelung der elterlichen Sorge zu berücksichtigen ist.
Sachverhalt
Nach zweijährigem Zusammenleben hatten die Kindeseltern im Jahre 1995 geheiratet. Im Januar 2004 wurden ihre Zwillinge geboren. Im Mai 2009 trennten sich die Kindeseltern. Das Ehescheidungsverfahren war anhängig.
Die Kindesmutter litt von Geburt an an einer neuralen Muskelatrophie. Diese Krankheit führte zu einer Bewegungseinschränkung der Arme und Beine, die sich sukzessive verschlechterte. Als die Kindeseltern sich etwa 1990 kennenlernten, konnte die Kindesmutter noch selbständig gehen und ihren erlernten Beruf als Bürokauffrau ausüben. Zwischenzeitlich war sie auf einen Rollstuhl angewiesen, weil die Feinmotorik ihrer Hände und Füße einschränkt war. Bei vielfachen Verrichtungen des Alltags bedurfte sie fremder Hilfe. Ihre Pflege wurde neben der Versorgung der beiden gemeinsamen Kinder bis zur Trennung der Parteien von dem Ehemann alleine übernommen. Eine Erwerbstätigkeit konnte die Kindesmutter nicht mehr ausüben. Sie bezog Erwerbsunfähigkeitsrente. Eine Änderung ihres Gesundheitszustandes im Sinne einer Verbesserung war nicht zu erwarten.
Nach der Trennung der Parteien weigerte sich der Ehemann zunächst, seinen und den Aufenthaltsort der Kinder zu benennen. Die Kindesmutter wandte sich daraufhin an das Jugendamt und leitete sodann ein Verfahren ein, mit dem sie sowohl in der Hauptsache wie auch im Wege einstweiliger Anordnung die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zwillinge auf sich alleine begehrte.
Das AG hat eine Verfahrenspflegerin für die Kinder bestimmt. Im weiteren Verfahrensverlauf beschloss das AG die Einholung eines Sachverständigengutachtens einer Diplom-Psychologin.
In dem von ihr erstellten Gutachten stellte die Sachverständige eine "vollkommen desolate elterliche Kommunikation" fest. Sie empfahl den dauerhaften Aufenthalt der Kinder beim Vater in dem bisherigen Familienheim. Die Betreuungskompetenz der Mutter sei unverschuldet infolge ihrer Behinderung eingeschränkt, weshalb sie nicht in der Lage sei, die Bedürfnisse der beiden fünfjährigen Zwillinge insbesondere nach Sicherheit und spontaner auch körperlicher Reaktion uneingeschränkt zu befriedigen.
Auch das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin gaben eine Stellungnahme zugunsten des Kindesvaters ab.
Das AG hat daraufhin dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit Ausnahme des Rechts zur Regelung des Umgangs, für das das Jugendamt als Pfleger bestellt wurde, übertragen.
Hiergegen wandte sich die Kindesmutter mit der Beschwerde. Ihr Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das OLG teilte die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts, wonach es dem Wohl der Kinder am besten entspreche, das gemeinsame Sorgerecht der Kindeseltern für den Teilbereich des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben und dieses auf den Kindesvater allein zu übertragen.
Eine einvernehmliche Regelung sei schon angesichts der nahezu unmöglichen Kommunikation der Eltern unrealistisch. Sowohl nach dem Inhalt des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens wie auch dem Eindruck, den die Kindeseltern im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung dem Senat am 30.9.2010 vermittelt hätten, sei deutlich geworden, dass sie nicht willens und/oder in der Lage seien, zum Wohl ihrer beiden Kinder hinsichtlich deren dauerhaften Aufenthalts zusammenzuwirken oder eine gemeinsam getragene Entscheidung zu finden. Ihre Kooperationsfähigkeit erscheine derart gering und ihre persönlichen Probleme so massiv, dass die Aufhebung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teilbereich der elterlichen Sorge geboten sei.
Bei der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen sei, sei derjenigen Regelung der Vorzug zu geben, von der zu erwarten sei, dass sie im Sinne des Kindeswohls die bessere Lösung darstelle (BVerfG 31, 194; FamRZ 2009, 189).
Bei der prognostischen Beurteilung seien die Gesichtspunkte der Erziehungseignung und Bindungstoleranz der Eltern, der Bindungen der Kinder, des Kontinuitätsgrundsatzes, des Förderungsprinzips und schließlich auch des Kindeswillens von Bedeutung (BGH FamRZ 1985, 169). Nach Abwägung aller Kriterien ging das OLG in Übereinstimmung mit den Einschätzungen der weiteren Verfahrensbeteiligten und der Sachverständigen davon, dass im Grundsatz sowohl die Kindesmutter als auch der Kindesvater erziehungsgeeignet und in der Lage seien, die Kinder nach ihren Möglichkeiten angemessen zu fördern.
Allerdings erschienen die aus ihrer körperlichen Beeinträchtigung resultierenden...