Leitsatz

Eltern stritten sich um das Aufenthaltsbestimmungsrecht ihrer im März 2003 geborenen Tochter. Zentrales Problem der Entscheidung war die Frage, ob während eines laufenden einstweiligen Anordnungsverfahrens zum Aufenthaltsbestimmungsrecht ein Aufenthaltswechsel des betroffenen Kindes in Betracht kommt.

 

Sachverhalt

Die Eltern eines im März 2003 geborenen Kindes hatten sich im Oktober 2007 voneinander getrennt. Weitere Kinder waren aus ihrer Ehe nicht hervorgegangen. Die Trennung erfolgte zunächst räumlich im gemeinsamen Haus, später zog der Kindesvater dort aus. Beide Eltern betrachteten die Ehe als gescheitert.

Beide waren berufstätig und hatten sich während der Dauer ihres Zusammenlebens gemeinsam um ihr Kind gekümmert. Die Trennung war von erheblichen Streitigkeiten zwischen ihnen begleitet, die fortdauerten. Das Kind wurde im Laufe des Verfahrens im Sommer 2009 eingeschult.

Mit Schriftsatz vom 6.3.2009 beantragte der Kindesvater, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter allein zu übertragen und eine entsprechende einstweilige Anordnung zu erlassen. Die Kindesmutter hat entsprechende gegenläufige Anträge gestellt.

Das erstinstanzliche Gericht hat nach Anhörung des Kindes, der Kindeseltern und des Jugendamtes mit Beschluss vom 12.8.2009 durch einstweilige Anordnung vorläufig der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen und sich dabei im Wesentlichen auf den geäußerten Kindeswunsch berufen.

Hiergegen hat der Kindesvater Beschwerde eingelegt. Sein Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des OLG gebot es das Kindeswohl, dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu übertragen.

Die zumindest vorläufige Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts habe hier zu erfolgen, weil die Kindeseltern derzeit offensichtlich nicht in der Lage seien, sich über den Lebensmittelpunkt seines Kindes zu einigen. Angesichts der offenbar tiefgreifenden Zerwürfnisse zwischen ihnen und ihrer Unfähigkeit, miteinander zum Wohl des Kindes zu kommunizieren, sei nicht absehbar, dass sich das Verhältnis der Kindeseltern zueinander in Kürze nachhaltig bessern könnte und sie bereit und in der Lage seien, alsbald wieder zum Wohl ihres Kindes zusammenzuwirken.

Die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter entspreche dem Kindeswohl jedenfalls derzeit nicht am besten. Jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, auf den es allein ankomme, müsse festgestellt werden, dass die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter dem Wohle des Kindes nicht am besten dienlich sei.

Die Beurteilung des Kindeswohls habe sich im Rahmen einer - auch vorläufigen - Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindung des Kindes an seine Eltern und sonstige Bezugspersonen sowie am geäußerten Kindeswillen zu orientieren (BGH FamRZ 1990, 392). Dies gelte uneingeschränkt auch dann, wenn es nur um den Teilbereich Aufenthaltsbestimmung der elterlichen Sorge gehe, weil es sich bei Entscheidungen zum künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes um Angelegenheiten von erheblicher Tragweite für das Kind handele.

Das erstinstanzliche Gericht habe seine vorläufige Entscheidung im Wesentlichen auf den aus der Anhörung entnommenen Willen des Kindes gestützt. Hierauf könne jedoch nicht entscheidend zurückgegriffen werden. Es beständen - jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung - erhebliche Zweifel daran, dass der Wille der Tochter tatsächlich dahin gehe, überwiegend bei ihrer Mutter leben zu wollen. Zweifel ergeben sich schon daraus, dass das Kind bei seiner Anhörung erst sechs Jahre alt gewesen sei. Der Wille eines Kindes dieses Alters, dass zudem auch durch das Verhalten der Eltern in einen massiven Loyalitätskonflikt gestürzt worden sei, sei grundsätzlich kaum als zuverlässige Entscheidungsgrundlage heranzuziehen. Die Berücksichtigung des Kindeswillens setzt zunächst voraus, dass das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage sei. Bei einem jüngeren Kind sei der erklärte Kindeswille nicht allein ausreichendes Indiz für die Stärke der emotionalen Bindung zu dem betreffenden Elternteil anzusehen, es sei vielmehr aufgrund anderer Anzeichen und Umstände die Autonomie der Willensbildung zu überprüfen (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1671 Rz. 78 ff.; OLG Brandenburg, 2. Familiensenat, FamRZ 2003, 1953 ff.; Senat, FamRZ 2008, 1472; OLG Stuttgart, FamRZ 2006, 1857).

Hier habe das Kind von Anfang an bei sämtlichen Befragungen deutlich gemacht, dass sie gleichermaßen an Mutter und Vater hänge und dass sie es bevorzugen würde, mit beiden Elternteilen gleich viel Zeit zu verbringen. Auch ihre Angaben im Übrigen hätten erkennen lassen, dass sie gerade keine Unterschieden zwischen den Eltern mache. Es habe sich unter Berücksichtigung aller U...

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