Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Betriebsvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften gingen nach den bis zum 31.12.2008 geltenden Bewertungsvorschriften mit systematisch völlig unterschiedlichen Werten in die Besteuerungsgrundlage bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ein.
Bei börsennotierten Kapitalgesellschaften wurde der idealtypische gemeine Wert – der Börsenkurs – angesetzt. Bei Einzelunternehmen und Personengesellschaften wurde im Regelfall der zufallsbedingte Bilanzwert der einzelnen Wirtschaftsgüter berücksichtigt. Bei nichtbilanzierenden Unternehmern war die Ermittlung des Steuerwerts für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur in Einzelfällen auf ertragsteuerrechtliche Werte zurückzuführen: Bei dem abnutzbaren Anlagevermögen war der ertragsteuerrechtliche Restbuchwert anzusetzen. Alle anderen Vermögens- und Schuldpositionen waren nach dem allgemeinen Teil des Bewertungsgesetzes zu bewerten (in der Regel der Teilwert nach § 10 BewG).
Insbesondere die Ertragsaussichten waren durch diese unterschiedlichen Bewertungsverfahren völlig unterschiedlich berücksichtigt. Während beim Ansatz des Börsenkurses systembedingt den zukünftigen Ertragsaussichten ein hoher Stellenwert zukommt, bei der Schätzung des gemeinen Werts von Kapitalgesellschaften nach dem sog. Stuttgarter Verfahren die Ertragsaussichten auch eine wesentliche Rolle spielten, waren diese in allen anderen Fällen völlig unbeachtlich, es erfolgte eine reine substanzwertorientierte Bewertung.
Die Regelungen seit dem 1.1.2009 setzen dagegen die eindeutigen Vorgaben des BVerfG um: Es muss in allen Fällen der gemeine Wert (Verkehrswert) ermittelt werden. Aus diesen Gründen steht im Mittelpunkt der Bewertungsverfahren ein rechtsformunabhängiges Ertragswertverfahren, dass sog. vereinfachte Ertragswertverfahren. Allerdings kann der Erwerber den Verkehrswert auch durch andere – auch für nichtsteuerliche Zwecke zulässige – Bewertungsverfahren ermitteln. Erst wenn das Betriebsvermögen für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke zutreffend bewertet worden ist, kann geprüft werden, ob eine Verschonungsregelung (Steuerbefreiung) bei der Berechnung der Erbschaftsteuer angewendet werden kann.
Ist Betriebsvermögen oder sind Anteile an einer Kapitalgesellschaft Gegenstand eines Erwerbs von Todes wegen oder einer Schenkung unter Lebenden, muss in 2 Schritten vorgegangen werden:
- Zuerst muss der bewertungsrechtlich zutreffende Wert für die Vermögensteile ermittelt werden,
- danach muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang Verschonungsregelungen für diese Vermögensteile vorliegen.