Leitsatz
Das Tatsachengericht hat im Rahmen seiner Amtsermittlungen zur Testierfähigkeit grundsätzlich freie Wahl zwischen Frei- und Strengbeweis, solange der Sachverhalt ausreichend erforscht wird. Sind die Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung jedenfalls auch durch krankhafte Vorstellungen und Gedanken beeinflusst, liegt Testierunfähigkeit vor. Eine nach dem Schwierigkeitsgrad der letztwilligen Verfügung abgestufte Testierfähigkeit gibt es nicht.
Sachverhalt
Die Eheleute hatten im Jahre 1962 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Im Jahre 1999 verfasste die vorverstorbene Ehefrau zwei handschriftliche Testamente, die jeweils auch vom Erblasser unterschrieben wurden. Auf den Erbscheinsantrag des mit dem zweiten Testament begünstigten Beteiligten zog das NachlG die Akten des Betreuungsverfahrens bei und holte ein nervenärztliches Fachgutachten ein. Danach war der Erblasser im Jahr 1999 nicht mehr in der Lage, seinen Willen frei zu bestimmen. Die gegen den den übrigen Beteiligten aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilten Erbschein gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet, weil die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei zur Erkenntnis der Testierunfähigkeit des Erblassers gelangt waren. Bei der Beurteilung nach § 2229 Abs. 4 BGB kommt es im Wesentlichen auf die tatsächlichen Verhältnisse und eine dementsprechend ausreichende Sachverhaltserforschung an.
Über Art und Umfang der Amtsermittlung (§ 2358 Abs. 1 BGB, §§ 12, 15 FGG) entscheidet das Tatsachengericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Eine Pflicht zur förmlichen Beweisaufnahme besteht nur, wenn durch die sonstigen Ermittlungen keine hinreichend sichere Aufklärung zu erlangen ist. Vorliegend war durch die Zeugen und Beteiligten im Nachlassverfahren sowie insbesondere durch das eingeholte Sachverständigengutachten und die Beiziehung der umfangreichen Betreuungsakten eine hinreichend sichere Tatsachengrundlage vorhanden, so dass weder ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung noch gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 S. 1 ZPO) vorliegt.
Testierunfähig ist derjenige, "dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen". Mithin kann ein Erblasser, der sich möglicherweise noch eine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments an sich macht, dann kein wirksames Testament mehr errichten, wenn seine Gedanken tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern durch krankhafte Vorstellungen und Gedanken beeinflusst werden. Folglich gibt es auch keine nach dem Schwierigkeit des Testaments abgestufte Testierfähigkeit, sondern verbleibt es zwingend bei der Feststellung der völligen Testierunfähigkeit.
Link zur Entscheidung
OLG München, Beschluss vom 14.08.2007, 31 Wx 016/07