Leitsatz

Ein behinderter Wohnungseigentümer oder ein Wohnungseigentümer, der eine behinderte Person in die Wohnung nicht nur vorübergehend aufnimmt, kann nach § 22 Abs. 1 WEG einen Anspruch auf eine bauliche Veränderung haben. Der Anspruch auf Duldung besteht so lange, wie die Wohnung durch ihn als Behinderten genutzt wird, der eine Zugangshilfe braucht. Beim Wegfall der Duldungspflicht entsteht eine Rückbaupflicht.

 

Normenkette

WEG § 22 Abs. 1

 

Das Problem

  1. Die Wohnungseigentümer fassen im Jahre 2016 folgenden Beschluss:

    Wohnungseigentümer Z wird die errichtete Rollstuhlrampe für seine Wohnung vor der Fassade der Gräfelfinger Straße 22 genehmigt. Zwischen Z und der Gemeinschaft ist eine Vereinbarung zu treffen, in der es sich Herr Z verpflichtet, die laufenden Instandhaltungskosten zu tragen und bei Verkauf der Wohnung, sofern die Gemeinschaft dies fordert, den Rückbau der Rampe auf eigene Kosten vorzunehmen.

  2. Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Er rügt, die Rollstuhlrampe sei schon im Jahre 2015 gestattet worden – mit einer Übernahme der Folgekosten und der Demontagekosten durch Z. Mit Urteil des Amtsgerichts München aus dem Frühjahr 2016 sei dieser Beschluss für nichtig erklärt worden. Zum jetzt angegriffenen Beschluss habe es eine anonyme Abstimmung per Stimmkarte gegeben. K und 19 weitere Wohnungseigentümer seien "massiv" dagegen gewesen, da es andere, weniger störende Möglichkeiten des barrierefreien Zugangs für Z gebe. Die Behauptungen, dass im Brandfall andere Möglichkeiten ausscheiden würden, seien unrichtig. Die "monströse" Rollstuhlrampe sei optisch-ästhetisch und architektonisch äußerst störend. Z habe die Rampe trotz bisher nichtiger Beschlussfassung errichtet, sodass diese völlig überdimensionierte und misslungene Rollstuhlrampe jedem Eigentümer ins Auge falle. Es handle sich hierbei um eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG mit der Folge, dass gemäß § 16 Abs. 2 WEG alle Miteigentümer die Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung dieser Rampe einschließlich Herstellung der Verkehrssicherheit gesetzlich nach Miteigentumsanteilen und aufgrund der konkreten Gemeinschaftsordnung nach Wohnfläche mitbezahlen müssten. Die Eigentümer, die dagegen gestimmt hätten, könnten nicht festgestellt werden, da eine anonyme Abstimmung erfolgt sei. Völlig ungeregelt sei auch, wer Erschwernisse bei Pflege der Außenanlagen und/oder Instandsetzung der Fassaden aufgrund der Rampe sowie des Türdurchbruchs in der Fassade zu tragen habe. Darüber hinaus werde die Rampe nicht in erster Linie durch Z, sondern durch Lieferanten genutzt. Eine Beschlusskompetenz, mit Zukunfts- und Dauerwirkung über die Folgekosten einer baulichen Veränderung durch einen Einzeleigentümer Beschluss zu fassen, sei nicht gegeben. Wegen Gesetzesumgehung sei der Beschluss ferner nichtig. Es sei auch ungeklärt, was geschehe, wenn Z versterbe und dessen Erben zunächst unbekannt seien oder die Erbschaft ausschließen würden. Es gebe dagegen diverse Möglichkeiten, für einen barrierefreien Zugang zu sorgen, die wesentlich weniger den optisch-ästhetischen und architektonischen Eindruck der Gesamtwohnanlage beeinträchtigen würden, so z.B., den offiziellen Hauseingang so herzurichten, dass die Wohnung des Z mit Rollstuhl erreichbar sei in Ergänzung mit dem Einbau eines Treppenlifts. Möglich sei auch die Errichtung eines Hubliftes an der Loggia der Wohnungen des Z. Ferner käme eine Benutzung einer wesentlich kleineren und rücksichtsvoller gestalteten Rampenkonstruktion in Betracht. Auch könne über ein Treppensteiggerät nachgedacht werden. Die Klage hat Erfolg!
 

Die Entscheidung

  1. Die Klage hat Erfolg! Ein behinderter Wohnungseigentümer oder ein Wohnungseigentümer, der eine behinderte Person in die Wohnung nicht nur vorübergehend aufnehme, könne zwar nach § 22 Abs. 1 WEG einen Anspruch auf eine bauliche Veränderung haben. Der Anspruch auf Duldung bestehe so lange, wie die Wohnung durch ihn als Behinderten genutzt werde, der eine Zugangshilfe brauche. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die Wohnungseigentümer für die Ausübung ihres Mitbestimmungsrechts eine ausreichende Entscheidungsgrundlage hatten. K habe ausführlich und nachvollziehbar dargelegt, dass auch andere technische Lösungen infrage kämen. Fundierte Informationen über die verschiedenen Alternativen hätten den Wohnungseigentümer unstreitig nicht vorgelegen.
  2. Der zweite Teil des Beschlusses beschäftigte sich mit einer Vereinbarung, die zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Z in Bezug auf die der Folgekosten abgeschlossen werden solle. Bei der Annahme, dass die Wohnungseigentümer Umbaumaßnahmen des Z zur Herstellung der Barrierefreiheit dulden müssten, habe dies zur Folge, dass der umbauende Wohnungseigentümer die Umbau- und die Unterhaltungskosten allein tragen müsse, Letzteres deswegen, weil die anderen Wohnungseigentümer den Einbau nur vorübergehend dulden müssten. Die Duldungspflicht entfalle, wenn die Voraussetzungen des Duldungsanspruchs nicht mehr vorläge...

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