Rz. 46

Ein Erbe kann die Erbschaft entweder annehmen oder ausschlagen.[32] Nach der Annahme kann er sie nicht mehr ausschlagen, wenn im Gesetz nicht anders vorgesehen. Nach der Ausschlagung kann er sie nicht mehr annehmen. Ein bedingtes Annehmen oder Ausschlagen ist nicht möglich. Die Ausschlagung erfolgt durch eine notariell zu beurkundende Erklärung.

Vor der Annahme oder Ausschlagung der Erbfolge ist der mögliche Erbe berechtigt, Informationen über den Umfang der Erbschaft sowie über das Testament oder den Erbvertrag zu bekommen. Auskunftspflichtig sind die Personen, in deren Besitz sich der Nachlass bzw. diese Dokumente befinden. Die Anfrage verlängert nicht die Frist für die Ausschlagung.

 

Rz. 47

Wenn ein Erbe das testamentarische oder vertragliche Erbe ausgeschlagen hat, kann er bis auf seinen Pflichtteil nicht mehr gesetzlich erben. Wenn ein Erbe sowohl testamentarisch als auch vertraglich erben kann, kann er nach eigener Wahl entweder das testamentarische oder das vertragliche Erbe annehmen, oder beide, wenn sie nicht im Widerspruch zueinander stehen.

Die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft beträgt drei Monate ab Kenntnis des Erbfalls und des Erbenstatus. Diese Frist kann der Notar auf begründeten Antrag des Erben verlängern, wenn letzterer die Frist aus einem wesentlichen Grund verstreichen ließ. Hat der Erbe die Erbfolge nicht fristgerecht ausgeschlagen, gilt die Erbschaft als angenommen.[33]

 

Rz. 48

Die Ausschlagung eines möglichen Erbes wird erbrechtlich seinem Tod gleichgesetzt: an seiner Stelle erben diejenigen, die geerbt hätten, falls der ausschlagende Erbe vor dem Erbfall selbst gestorben wäre. Auch diese Erben müssen innerhalb der gleichen Frist, drei Monate ab Kenntnis ihrer möglichen Erbfolge, die Ausschlagung der Erbschaft erklären. Ist der Nachlass also möglicherweise problembeladen oder droht dem Nachlass die Insolvenz, ist eine bloße Ausschlagung ineffektiv, da das Problem mit großer Wahrscheinlichkeit nur an die eigenen Kinder oder an andere Verwandte weitergegeben wird. In dem Fall wird eine Inventur und bei Bedarf eine Insolvenzanmeldung des Nachlasses empfohlen.

Haben alle möglichen Erben die Erbfolge ausgeschlagen, erben zuletzt die Gemeinde, in der der Erblasser seinen letzten Wohnsitz hatte, oder, falls dieser Wohnsitz nicht in Estland lag und dennoch estnisches Recht Anwendung findet, der estnische Staat. Diese können die Erbschaft nicht ausschlagen.

Ein Gläubiger eines ausschlagenden Erbes hat das Recht, die Erfüllung seiner Forderungen, die nicht aus dem Vermögen des ausschlagenden Erbes erfüllt werden können, aus der ihm zustehenden Erbschaft zu verlangen.

[32] Annahme und Ausschlagung der Erbfolge sind im 6. Kapitel 2. Abschnitt (§§ 116–126) ErbG geregelt.
[33] Diese Regelung gilt in Estland erst seit Inkrafttreten des neuen ErbG am 1.1.2009, bis dahin galt das Umgekehrte: ein Erbe musste die Erbschaft aktiv annehmen, sonst galt sie als ausgeschlagen. Die Umstellung des Systems hat anfangs zu Verwirrung und Irrtümern geführt, da sich gerade im Bereich des Erbrechts, mit dem der Bürger im normalen Leben nur wenige Male in Berührung kommt, überlieferte Bräuche und vermeintliches Wissen lange und hartnäckig halten. Mittlerweile ist der Wissensstand dank der Aufklärungsarbeit von Notaren und den Medien etwas besser geworden, man kann aber immer noch nicht davon ausgehen, dass der Normalverbraucher bei einem Todesfall weiß, was er rechtlich zu tun hat, um die Erbschaft entweder anzunehmen oder auszuschlagen.

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