Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Öffentliche Bezugnahmen auf die Schuld. Anordnung der Untersuchungshaft. Rechtsbehelfe. Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Anordnung. Beachtung der Unschuldsvermutung. Recht auf Anhörung innerhalb einer angemessenen Frist. Nationale Regelung, die die Befugnis nationaler Gerichte, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, beschränkt oder sie verpflichtet, eine Entscheidung zu treffen, ohne die Antwort auf diese Frage abzuwarten. Disziplinarmaßnahmen im Falle der Nichtbeachtung dieser Regelung

 

Normenkette

Richtlinie (EU) 2016/343 Art. 4; AEUV Art. 267; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47 Abs. 2

 

Beteiligte

RH

RH

 

Tenor

1. Art. 267 AEUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie der Auslegung einer nationalen Regelung durch die Rechtsprechung entgegenstehen, die zur Folge hat, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Untersuchungshaft zu entscheiden, ohne dass es die Möglichkeit hat, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen oder dessen Antwort abzuwarten.

2. Die Art. 4 und 6 der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren sind in Verbindung mit dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie dahin auszulegen, dass die Anforderungen, die sich aus der Unschuldsvermutung ergeben, dem nicht entgegenstehen, dass das zuständige Gericht, wenn es bei seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Untersuchungshaft prüft, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass der Verdächtige oder die beschuldigte Person die ihm oder ihr zur Last gelegte Straftat begangen hat, eine Abwägung der ihm vorgelegten belastenden und entlastenden Beweise vornimmt und zur Begründung seiner Entscheidung nicht nur die herangezogenen Gesichtspunkte darlegt, sondern auch über die Einwände des Verteidigers der betreffenden Person entscheidet, sofern die inhaftierte Person in dieser Entscheidung nicht als schuldig dargestellt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 27. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Januar 2019 im Strafverfahren gegen

RH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 27. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Januar 2019, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Ersten Kammer vom 16. Januar 2019, diesem Antrag stattzugeben,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV, Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 zur Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit vor Gericht in Strafverfahren (ABl. 2016, L 65, S. 1) in Verbindung mit dem 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen RH und betrifft die Frage der Aufrechterhaltung seiner Untersuchungshaft.

Rechtlicher Rahmen

EMRK

Rz. 3

Art. 5 „Recht auf Freiheit und Sicherheit”) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt:

„(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;

(4) Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.

…”

Rz. 4

Art. 6 „Recht auf ein faires Verfahren”) EMRK bestimmt in seinem Abs. 1:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrecht...

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