Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchführung des Rechts der Union. Nationale Regelung, die juristischen Personen Prozesskostenhilfe verweigert. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47 und 51 Abs. 1. Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, mit der eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung für vollstreckbar erklärt und ein dinglicher Arrest angeordnet wird. Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz. Recht auf Zugang zu einem Gericht. Prozesskostenhilfe
Normenkette
EuGH-VerfO Art. 104
Beteiligte
Tenor
Der Rechtsbehelf, der gemäß Art. 43 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eingelegt wird, um gegen eine Entscheidung vorzugehen, mit der ein Arrest- und Pfändungsbeschluss nach den Art. 38 bis 42 dieser Verordnung für vollstreckbar erklärt und ein dinglicher Arrest angeordnet wird, ist als Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anzusehen.
Der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes kann den Anspruch auf Befreiung von der Zahlung von Gerichtskosten und/oder von Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts im Rahmen eines solchen Rechtsbehelfs umfassen.
Jedoch hat der nationale Richter zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.
Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Antragstellers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Antragstellers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüberwindliches Hindernis darstellen oder nicht.
Insbesondere bei juristischen Personen kann der nationale Richter deren Verhältnisse in Betracht ziehen. So kann er u. a. die Gesellschaftsform der in Rede stehenden juristischen Person, das Bestehen oder Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie die Finanzkraft ihrer Gesellschafter oder Anteilseigner und deren Möglichkeit berücksichtigen, sich die zur Einleitung der Rechtsverfolgung erforderlichen Beträge zu beschaffen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Salzburg (Österreich) mit Entscheidung vom 22. März 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 30. März 2012, in dem Verfahren
GREP GmbH
gegen
Freistaat Bayern
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten U. Lõhmus sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
gemäß Art. 104 § 3 Abs. 1 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 47 und 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Antrags der GREP GmbH (im Folgenden: GREP) auf Bewilligung von Verfahrenshilfe, um es ihr zu ermöglichen, durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung vorzugehen, mit der ein Arrest- und Pfändungsbeschluss des Landgerichts München I (Deutschland) für vollstreckbar erklärt und zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Einkommensteuerforderung des Freistaats Bayern gegen den Gründer dieser Gesellschaft der dingliche Arrest in das Vermögen von GREP angeordnet worden ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 16 bis 18 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) lauten:
„(16) |
Das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Gemeinschaft rechtfertigt, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, außer im Fall der Anfechtung, von Rechts wegen, ohne ein besonderes Verfahren, anerkannt werden. |
(17) |
Auf Grund dieses gegenseitigen Vertrauens ist es auch gerechtfertigt, dass das Verfahren, mit dem eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung für vollstreckbar erklärt wird, rasch und effizient vonstatten geht. Die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung muss daher fast automatisch nach ein... |