Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Ausgleichsanspruch bei Annullierung oder großer Verspätung eines Fluges. Begriff ‚außergewöhnliche Umstände’. Unerwartete Flugsicherheitsmängel. Kollision mit einem Fremdkörper. Beschädigung eines Flugzeugs durch die Bewegung eines anderen Flugzeugs. Begriff der ‚zumutbaren Maßnahmen’, um einem außergewöhnlichen Umstand oder den Folgen eines solchen Umstands zu begegnen. Anderweitige Beförderung
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Verordnung (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 3
Beteiligte
Tenor
1. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass eine Kollision zwischen dem Höhenruder eines Flugzeugs in Parkposition und dem Winglet eines Flugzeugs einer anderen Fluggesellschaft, die durch die Bewegung des zweiten Flugzeugs verursacht wurde, unter den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände” im Sinne dieser Bestimmung fällt.
2. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass die von einem Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des ursprünglich geplanten Fluges aufgrund außergewöhnlicher Umstände durchgeführte anderweitige Beförderung eines Fluggasts mit einem Flug, mit dem der Fluggast sein Endziel am Tag nach dem ursprünglich geplanten Ankunftstag erreicht, eine „zumutbare Maßnahme” darstellt, die dieses Unternehmen von seiner in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichspflicht befreit, es sei denn, es bestand eine andere Möglichkeit einer anderweitigen direkten oder indirekten Beförderung mit einem von ihm selbst oder einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flug, der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankam, außer dieses weist nach, dass die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für es angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dargestellt hätte, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Korneuburg (Österreich) mit Entscheidung vom 28. April 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2020, in dem Verfahren
Airhelp Limited
gegen
Austrian Airlines AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra, des Richters D. Šváby sowie der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Airhelp Limited und der Austrian Airlines AG, einem Luftfahrtunternehmen, über Ausgleichsleistungen an Fluggäste, deren Flug annulliert wurde.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1 sowie 12 bis 15 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:
„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen Union] im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
…
(12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
(13) Fluggäste, deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalt...